Diesen Bericht widme ich meiner Herzdame (für ihr erstes Springsteen-Konzert) sowie E 13 (weil er bei seinem Heimspiel ständig auf der Leinwand zu sehen war).
Stau auf der A7 von Hamburg nach Hannover, dann noch einmal mehr als zähflüssiger Verkehr auf den Zubringerwegen zur Arena – die Fahrt zu meinem zwölften Konzert gerät zur Punktlandung: Um 19.35 Uhr stehe ich mit meinen beiden Begleiterinnen an der Treppe zum Innenraum, just in dem Moment entern Bruce Springsteen & The E Street Band die Bühne. Erster Song: „Land of Hope and Dreams“, bekannt seit der Reunion-Tour 1999, als Studioversion erstmals 2012 auf dem Album „Wrecking Ball“ veröffentlicht. „Leave behind your sorrows, Let this day be the last. Tomorrow there’ll be sunshine, and all this darkness past.“ Klasse Auftakt!
Es folgt „No Surrender“. Großer Titel, passt immer. „We made a promise we swore we’d always remember, No retreat, baby, no surrender!“ Das ehemalige Niedersachsenstadion ist mit 40.000 Zuschauern gut gefüllt (die Nennung des Sponsorennamens verbietet die journalistische Unabhängigkeit, auch wenn die Journaille das offenbar anders sieht). „We Take Care of Our Own“, „Wrecking Ball“, „My Love Will Not Let You Down“, „Death to My Hometown“ – die Stimmung ist formidabel, Springsteen kann spielen, was er will. Zeit für den Gassenhauer: „Hungry Heart“. Dass er in der ersten Strophe Frau und Kind in Baltimore Jack zurücklässt, lässt Bruce wie gewohnt vom Publikum vortragen. Schämt er sich für derlei rabenhaftes Verhalten? Ein Fan reicht dem Boss ein Bier – der leert es in einem Zug. Allerdings läuft ihm viel am Kinn herunter, recht lange braucht er auch. Lusche! Kurz darauf folgt ein zweites Bier. Ist der alte Mann das Trinken überhaupt gewohnt? Wenn das mal gut geht. Manch ein Fan meint zu bemerken, dass Bruce eine Weile etwas zu kämpfen hat.
Gleich der nächste Klassiker hinterher: „Spirit in the Night“, von Springsteen eingeleitet mit einem langen „Can you feel the spirit“-Intro. „Me and crazy Janey were makin’ love in the dirt“ – das waren noch Zeiten. Im Front-of-Stage-Bereich sind wieder viele Request-Signs zu erblicken. Das Leben ist kein Wunschkonzert? Ein Springsteen-Gig schon! Ich wundere mich zwar, dass sich manche Fans immer wieder Coversongs wünschen, aber das beschert uns in diesem Fall immerhin den schönen Titel „Drift Away“ (bekannt durch Dobie Gray). Er zeigt auch das Request-Sign vor: „I’d give my right testicle to hear Drift Away.“ Bruce weiß nicht recht, ob ihn das amüsiert oder verstört. Er äußert die Hoffnung, weder den linken, noch den rechten sehen zu müssen. Der Mann möge mit beiden Hoden heimgehen. Bruce interpretiert „Drift Away“ in einer schönen Akustikvariante und schiebt anschließend „The E Street Shuffle“ vom 1973er-Zweitwerk „The Wild, the Innocent & the E Street Shuffle“ hinterher.
Max Weinberg gibt den monoton hämmernden Rhythmus vor – ich erkenne sofort einen meiner absoluten Favoriten: „Atlantic City“. Eine Springsteen-Setlist mit diesem Song kann nur gut sein. „Well I got a job and tried to put my money away. But I got debts that no honest man can pay.“
Nach dem feinen „Jack of all Trades“ folgt der nächste Höhepunkt: „The River“ – die tieftraurige Ballade vom Arbeitersohn, der seine Freundin schwängert und deshalb seine Träume begraben und in die Job-Tretmühle einsteigen muss. Das trifft mitten ins Herz. Wen es nicht trifft, der muss tot sein. Zur Auferstehung hilft aber der nächste Klassiker: „Because the Night“. Immer wieder gern.
„Murder Incorporated“ – na ja, kein Favorit, nehmen wir mit. „Johnny 99“ – schon besser. „Open all Night“, „Shackled and Drawn“ – nun folgt „Waitin‘ on a Sunny Day“ mit der obligatorischen und nervigen Kindes-Gesangseinlage. Da hilft nur eins: Pinkelpause!
Nach dem soliden „Radio Nowhere“ vom „Magic“-Album folgt die nächste Hymne, auf die ich gut verzichten kann: „The Rising“. Aber da die Masse abgeht, soll’s mir recht sein. Zum Ausgleich folgt „Badlands“ auf dem Fuße – oft gehört, nie überhört. „Light of Day“ beschließt den Set vorerst, die Band verlässt die Bühne. Doch zügig kehrt Bruce zurück und präsentiert einen aufwändig gebastelten Wunsch aus dem Publikum: Ein paar aneinandergereihte Pappwürfel ergeben den Titel „Roll of the Dice“ vom 1992er-Album „Human Touch“. Tourpremiere! Der Boss interpretiert den Song solo mit Akustikgitarre.
Auf zum Endspurt: „Born in the USA“ und „Born to Run“ – zwei der ganz großen Klassiker, wahlweise Gassenhauer. Das Stadion bebt. Auf „Seven Nights to Rock“ folgt „Dancing in the Dark“, bei dem Bruce einen weiblichen Fan aus dem Publikum zum Tanz bittet. Kurioserweise ist es dem Vernehmen nach tatsächlich die Schwester der Frau, die ein Schild „Dance with my Sister“ hochgehalten hat. Sachen gibt’s. Unmittelbar nach dieser Tanzeinlage darf eine andere Frau mit Bruce gar Gitarre spielen – eine Niederländerin namens Tess. Es sei ihr gegönnt, offenbar gehörte sie zu den ersten am Stadion und hat den Einlass mit organisiert.
Ganz kurz vor dem Ende ein bewegender Höhepunkt: „Tenth Avenue Freeze-Out“, bei dem mit Foto-Einblendungen auf der Leinwand den verstorbenen Bandmitgliedern Danny Federici und besonders Clarence „Big Man“ Clemons gehuldigt wird. Die alten Weggefährten bleiben unvergessen.
„American Land“ beschließt einen einmal mehr grandiosen Konzertabend, der gegen 22.45 Uhr zu Ende geht. Der 63-jährige Bruce Springsteen hat die Drei-Stunden-Marke locker überwunden, das soll dem alten Mann mal der eine oder andere Nachwuchs-Rocker nachmachen. Die Menge zerstreut sich langsam, ich begebe mich nach vorn und begrüße etliche Kapeiken aus dem Springsteen-Forum. Schön, die Gesichter mal wieder zu sehen. Zeit für den Heimweg. Über die Verkehrsführung zum und vom Stadion möge die Stadt Hannover aber besser den Mantel des Schweigens decken.
Copyright 2013 by Kotelette
Fotos mit freundlicher Genehmigung von Tina Kraus