Godzilla
Von Sven Wedekin
Fantasy-Action // Nicht wenige Fans des japanischen Monsterfilms werden höchstwahrscheinlich Magenschmerzen bekommen, wenn sie die Worte „Godzilla“ und „Hollywood“ in einem Satz hören. Denn jenes undefinierbare Urvieh, welches 1998 unter der Anleitung von Roland Emmerich über New York herfiel, hatte nicht mal die geringste Ähnlichkeit mit dem weltberühmten Kultmonster, weswegen der Film bei den meisten Kaijū-Fans keinen besonders guten Ruf hat. Man sah den mit großem Brimborium angekündigten Blockbuster in jeder Minute an, dass Emmerich nicht die geringste Ahnung davon hatte, was den speziellen Charme der „Godzilla“ Filme eigentlich ausmacht. Es ging ihm einfach darum, an den Erfolg von „Independence Day“ anzuknüpfen, er versuchte gar nicht erst, den Mythos „Godzilla“ angemessen zu modernisieren und für das Publikum der 90er-Jahre interessant zu machen.
Offenbar erkannte man auch in Hollywood, dass man den Stoff durch eine zu gefällige Anbiederung ans Massenpublikum seiner Seele beraubte – die ursprünglich angekündigten Fortsetzungen wurden gestrichen. Nun erst wagte man einen neuen Versuch, Godzilla zu amerikanisieren. Und diesmal wollten die Studios alles richtig machen. Der britische Regisseur Gareth Edwards hatte sich im Jahr 2010 durch seinen innovativen Low-Budget-Streifen „Monsters“ als Kenner des Genres empfohlen. In ihm fanden die Produzenten den idealen Mann für eine adäquate Umsetzung, die sich von der zwar visuell spektakulären, aber inhaltlich oberflächlichen Emmerich-Version im positiven Sinne unterschied. Anlässlich des Kinostarts hat der Blogger selbst hier bereits eine Rezension mit positivem Fazit veröffentlicht, zum Kinostart folgt nun eine zweite – meine – Meinung.
Jäger aus der Urzeit
Im Jahr 1999 wird bei Bergbauarbeiten auf den Philippinen unabsichtlich ein prähistorisches Monster namens Muto zum Leben erweckt, das kurz darauf ein japanisches Atomkraftwerk zerstört. Das Muto nistet sich in der Reaktor-Ruine ein und ernährt sich von der freigewordenen Radioaktivität. 15 Jahre später erwacht es wieder und bricht aus der vom Militär abgesperrten Anlage aus. Seine Paarungsrufe wecken eine in einem geheimen US-Regierungsbunker in der Wüste von Nevada gelagerte Spore, aus der sich ein zweiter, weiblicher Muto entwickelt. Die Paarung der beiden Tiere hätte eine explosionsartige Vermehrung dieser Wesen zur Folge.
Nur einer kann diese Bedrohung für die Menschheit stoppen: Godzilla! Die fleischgewordene Naturgewalt wurde im Jahr 1954 durch eine Tiefseeexpedition aus seinem Äonen dauernden Schlaf geweckt. In der Urzeit war er das einzige Raubtier, das es mit den Mutos aufnehmen konnte, die damals die Welt bevölkerten. Nun schicken sie sich an, sie abermals zu erobern, um den Menschen als dominierende Spezies hinwegzufegen …
Viel Zeit für die Entwicklung der Figuren
Schon in der ersten Hälfte von Edwards‘ Film wird offensichtlich, dass es dem Regisseur nicht nur darum ging, innerhalb kürzester Zeit so viele Monsterkämpfe wie möglich zu zeigen. Er nimmt sich fast eine ganze Stunde Zeit, um die menschlichen Charaktere und ihre Beziehungen zueinander zu etablieren, während zunächst weder von Godzilla noch von dessen Widersachern, den Mutos, etwas zu sehen ist. Vielmehr konzentriert sich dieser Teil des Films auf ein Familiendrama, welches den Anstoß für die die zweite Hälfte dominierende Monster-Action gibt. Edwards‘ Mut ist bemerkenswert: seine Titelfigur zunächst komplett außen vor zu lassen und sich stattdessen voll auf die menschlichen Akteure zu konzentrieren, auch wenn er damit die Geduld des nach Action lechzenden Publikums auf eine harte Probe stellt. Doch damit vermeidet er Emmerichs Fehler, seine Schauspieler nur als passive Zuschauer einer Zerstörungsorgie einzusetzen.
Dies wird durch die für einen Film wie diesen recht ungewöhnliche Besetzung unterstrichen: Den durch die Kultserie „Breaking Bad“ bekannt gewordene Bryan Cranston, die aus Mike Leighs preisgekröntem „Happy-Go-Lucky“ bekannte britische Schauspielerin Sally Hawkins und die sonst eher aus anspruchsvollen europäischen Filmen bekannte Juliette Binoche würde man normalerweise nicht in einer 160-Millionen-Dollar-Materialschlacht erwarten, im Gegensatz zu „Kick-Ass“ Star Aaron Taylor-Johnson, der Cranstons Filmsohn mimt. Neben ihnen glänzt Japanstar Ken Watanabe.
Kritik an der Atomkraft
Das bedeutet jedoch nicht, dass das titelgebende Monster bei Gareth Edwards zu kurz kommt. Mit Godzillas Erscheinen nimmt die Geschichte ordentlich an Fahrt auf, wenn die ersten US-Großstädte von Godzi – wie er von den Liebhabern der klassischen Filme liebevoll genannt wird – während seines Kampfes gegen die Mutos in ihre Einzelteile zerlegt werden. Auffällig ist, dass die Kreaturendesigner offensichtlich Wert darauf legten, Godzilla nicht nur so aussehen zu lassen wie bei seinem ersten Auftritt anno 1954, sondern dass er sich auch so bewegt. Denn obwohl er komplett am Computer entstanden ist, wirken seine Bewegungen mitunter so, als befände sich unter seiner Haut ein Stuntman im Monsterkostüm. Diese Verbeugung vor dem Original tut jedoch der Authentizität seiner Erscheinung keinen Abbruch. Im Gegenteil: Gerade dadurch wirkt er wie eine unheimliche Mixtur aus Mensch und Tier.
Ebenso wie das Original spart auch der neue Film nicht mit Kritik an der Atomkraft und dem allzu sorglosen Umgang des Menschen mit den unberechenbaren Kräften der Natur. Denn trotz des Einsatzes massiver Feuerkraft schafft es die US-Armee nicht, die Mutos auf ihrem zerstörerischen Weg aufzuhalten. Als man sich am Ende entschließt, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, indem man versucht, sie durch eine gezielte Kernwaffenexplosion zu vernichten kann man dies als sarkastische Anspielung auf die typisch amerikanische Überzeugung verstehen, Probleme mit Waffengewalt zu lösen. Erwartungsgemäß geht der Versuch, die Monster auf diese Weise zu töten, nach hinten los.
Das Gleichgewicht der Natur
Wie der von Ken Watanabe dargestellte Wissenschaftler erkennt, kann sich nur die Natur selbst wieder ins Gleichgewicht bringen. Während die Mutos für den gefährlichen, destruktiven Teil der Natur stehen, repräsentiert Godzilla die Kräfte, welche sich dem entgegenstellen, um die Dinge wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
So enthält „Godzilla“ eine durchaus philosophische Note, die man von den aus heutiger Sicht doch etwas kindisch wirkenden Filmen aus den Toho-Studios beileibe nicht gewohnt ist.
Diese Toho-Studios auch in die Produktion des Films involviert, weswegen man ihn mit Fug und Recht als Bestandteil des offiziellen Godzilla-Kanons betrachten kann. Edwards hat das Ausgangsmaterial respektiert und seiner Version einen eigenen Stempel aufgedrückt. Ihm ist ein ebenso unterhaltsamer wie kluger Beitrag zum Subgenre des Monsterfilms gelungen, der sowohl die eingefleischten „Godzilla“ Fans als auch jene Kinogänger zufriedenstellt, die es begrüßen, nicht gleich von der ersten Minute an mit einem übertriebenen Effektgewitter überwältigt zu werden.
Zur Rezension anlässlich des Kinostarts geht’s auch hier. Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Sally Hawkins und Elizabeth Olsen haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgeführt, Filme mit David Strathairn und Ken Watanabe unter Schauspieler.
Veröffentlichung: 25. September 2014 als Steelbook 3D Blu-ray, Blu-ray, DVD und Ultimate Collector’s Edition 3D Blu-ray (bereits vor Erscheinen vergriffen)
Länge: 123 Min. (Blu-ray), 118 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch, Portugiesisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Godzilla
USA/JAP 2014
Regie: Gareth Edwards
Drehbuch: Max Borenstein
Besetzung: Aaron Taylor-Johnson, Elizabeth Olsen, Bryan Cranston, Ken Watanabe, David Strathairn, Sally Hawkins, Juliette Binoche
Zusatzmaterial: k. Ang.
Vertrieb: Warner Home Video
Copyright 2014 by Sven Wedekin
Fotos, Packshots & Trailer: © 2014 Warner Home Video / Warner Bros. Pictures Germany