German Angst
Von Simon Kyprianou
Episoden-Horror // „Ein Plädoyer für Trivialitäten, Schocks und brüllendes Gelächter“ – das war 2012 von Dominik Graf in der Zeit zu lesen. Denn obwohl es gutes deutsches Genrekino gibt – Graf, Petzold, Arslan –, ist das Horrorkino hierzulande doch fast ausgestorben. „German Angst“ war das Versprechen dreier Regisseure, einen hingebungsvollen deutschen Horrorfilm zu drehen, das Horrorkino wiederzubeleben. Schocks, und Trivialitäten zu liefern. Leider kann „German Angst“ dieses Versprechen nicht einlösen.
„German Angst“ besteht aus drei Episoden, die völlig unabhängig voneinander funktionieren und unterschiedlich lang sind. Die erste Episode „Final Girl“, von Jörg „Nekromantik“ Buttgereit, ist wohl die beste. Die letzte, „Alraune“ von Michal Kosakowski („Zero Killed“) die schlechteste. „Make a Wish“ von Andreas Marschall („Masks“) bildet formal wie auch qualitativ die Mitte.
Final Girl
Buttgereit hat einen Film über die Rache eines jungen Mädchens (Lola Gave) an ihrem Vater (Axel Holst) gedreht, der sie – so kann man mutmaßen – missbraucht hat. Buttgereit arbeitet mit extremen Nahaufnahmen, gesprochen wird wenig, wenn überhaupt dann aus dem Off. Immer wieder werden Erinnerungsfetzen eingestreut, die mit der Ruhe des Films brechen.
„Final Girl“ ist ein sinnlicher, beinahe schon behutsamer Film; ein Film der nicht erzählt, sondern zeigt; ein Film, dessen extreme Nahaufnahmen desorientierend wirken, dessen stoische Ruhe abschreckt, dessen verspielt-kindlicher Soundtrack irritiert. Die Off-Monologe des Mädchens über Meerschweinchen sind alles, was wir Zuschauer brauchen, um ihren Schmerz zu begreifen.
„Final Girl“ ist ein zärtlich inszeniertes, stilles Drama über einen gebrochenen Mensch, der sich befreien will von seiner Vergangenheit – ein kleines, kammerspielartiges Drama, das sich unbemerkt von der Welt in einer kleinen Berliner Wohnung abspielt, während der Radiomoderator von den großen Tragödien der Stadt berichtet, von der Ausländerkriminalität, von mehrfachem Mord. Der wahre Schrecken, so sagt uns Buttgereit, der sitzt so tief, dass wir ihn gar nicht bemerken, der ist dort, wo wir ihn nicht finden können. Man wünscht sich nach „Final Girl“, Buttgereit würde wieder mehr Filme drehen.
Make a Wish
Zu Beginn bebildert „Make a Wish“ das Massaker von Nazis an einer jüdischen Familie in Polen. Jahre später, im Berlin der Gegenwart, wird Jacek (Matthan Harris), ein Nachkomme der damaligen Familie, mit seiner Freundin von Neonazis terrorisiert. Aber Jacek besitzt ein Amulett, mit dem es ihm gelingt, mit Gottfried (Daniel Faust), dem Anführer der Nazis, die Körper zu tauschen.
Was diese Dopplung der Ereignisse soll, ist unklar, was der Körpertausch soll, ist es ebenfalls. Eine Aufarbeitung unserer Vergangenheit? Will Kosakowski uns zeigen, dass der Hass von damals noch immer in den Menschen steckt? Gerade jetzt, wo der Rassismus mit alten und neuen Gesichtern wieder auflebt in Deutschland, wäre es an der Zeit für radikale, kluge Horrorfilme, das angemessen zu verhandeln.
Kosakowski aber gelingt das nicht. Sein Film zerbricht an seiner großen Ambition, die deutsche Vergangenheit und Gegenwart angemessen zu verhandeln, weiß mit sich selbst nichts anzufangen, weiß aus seiner Prämisse nichts zu machen. Durch das Scheitern an seiner Ambition ist „Make a Wish“ aber nicht einmal gutes Genrekino, löst das Versprechen von Schocks und Trivialitäten nicht ein, sondern ist ein steifer, angestrengter Terrorkino-Versuch. Kosakowski versucht sich an einem Terrorfilm, bremst sich aber durch seine abstruse Geschichte immer wieder selbst aus. Zum Ende artet das zum dümmlich, platt inszenierten Torture Porn aus. Mit Aufarbeitung der Vergangenheit hat das gar nichts mehr zu tun.
Alraune
Der Berliner Fotograf Eden (Milton Welsh) trifft im Nachtleben die schöne Kira (Kristina Kostiv) und folgt ihr in einen wunderlichen Club, der seinen Mitgliedern durch ominöse Drogen atemberaubende sexuelle Erfahrungen ermöglicht. Der Haken an der Sache: Die Mitglieder müssen während des Liebesspiels Handschellen und Augenbinde tragen. Edens Leben gerät schon bald aus den Fugen.
„Alraune“ ist ein unausgegorener, beinahe schon ärgerlicher Mix aus Andrzej Zulawskis „Possession“ und Stanley Kubricks „Eyes Wide Shut“. „Alraune“ ist zäh und bieder inszeniert, die Figuren allesamt dümmlich und schlecht gespielt. Das ist kein sinnlicher Albtraum wie „Eyes Wide Shut“, kein aggressiver Horrortrip wie „Possession“ und auch kein ästhetischer Fiebertraum wie Dario Argentos „Suspiria“, der ständig visuell zitiert wird. Dazu ist er zu hässlich gefilmt, zu übertrieben ausgeleuchtet und viel zu unerotisch. Wo „Eyes Wide Shut“ ein Film über das Schicksal, über den Zufall war und „Possession“ die Schrecken einer Trennung thematisiert hat, ist „Alraune“ ein Film über gar nichts. Er gibt sich damit zufrieden, seine Vorbilder zu zitieren, will ein Trip sein, hat aber keine Substanz. Das macht ihn auch so zäh.
Ein gescheitertes Experiment, so muss man „German Angst“ wohl nennen. Von der kürzesten und gelungenen ersten Episode aus geht es steil bergab – eine verpasste Chance, das Horrorkino in Deutschland wieder hoffähig zu machen.
Veröffentlichung: 15. Mai 2015 als limitiertes Mediabook (Blu-ray + DVD), Blu-ray und DVD
Länge: 111 Min. (Blu-ray), 107 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 18
Sprachfassungen: Deutsch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: German Angst
D 2015
Regie: Jörg Buttgereit, Andreas Marschall, Michal Kosakowski
Drehbuch: Jörg Buttgereit, Andreas Marschall, Goran Mimica
Besetzung: Lola Gave, Axel Holst, Matthan Harris, Daniel Faust, Milton Welsh, Kristina Kostiv
Zusatzmaterial Mediabook: Audiokommentar, 24-seitiges Booklet (mit exklusiven Interviews und Texten), Poster (50 der 4.000 Mediabooks enthalten ein Poster mit Unterschrift der Regisseure), Trailer, Behind the Scenes
Zusatzmaterial Blu-ray und DVD: Trailer, Behind the Scenes, Wendecover
Vertrieb: Neue Pierrot Le Fou / Al!ve AG
Copyright 2015 by Simon Kyprianou
Fotos & Packshots: © 2015 Neue Pierrot Le Fou / Al!ve AG