The Vampire Lovers
Von Volker Schönenberger
Horror // Möge Gott uns weitere übernatürliche Erlebnisse dieser Art ersparen. So schreibt es Joachim von Hartog (Douglas Wilmer) zu Beginn auf, der 1794 seine 19-jährige Schwester Isabella zu Grabe tragen musste. Es folgt eine Totalansicht auf die Ruine von Schloss Karnstein. Der Adlige erzählt uns die Geschichte vom Tod seiner Schwester und seiner Rache an den Verantwortlichen, die keine gewöhnlichen Sterblichen gewesen seien, sondern Mörder von jenseits des Grabes. Aus einem der Gräber auf dem Friedhof des Schlosses entsteigt kurz darauf eine schaurige Gestalt …
Dieser überaus stimmungsvolle Prolog von „Gruft der Vampire“ endet mit einer selbst für Hammer Films ungewöhnlich deutlich gezeigten Enthauptung. Die Haupthandlung setzt im Anschluss an den Vorspann mit einem Ball im Hause von General von Spielsdorf (Peter Cushing) Anfang des 19. Jahrhunderts in der Steiermark ein. Die Familie nimmt die junge Marcilla (Ingrid Pitt) bei sich auf, die schnell eine innige Beziehung zu Laura (Pippa Steel) entwickelt, der Tochter des Hauses. Vielleicht etwas zu innig …
Die sich bald darauf andernorts Carmilla nennende Marcilla erweist sich, das dürfen wir enthüllen, als Vampirin Mircalla Karnstein. Mit dieser freizügigen Verfilmung von Sheridan Le Fanus Erzählung „Carmilla“ begann das traditionsreiche englische Studio Hammer Films 1970 seine Karnstein-Trilogie, die von „Nur Vampire küssen blutig“ und „Draculas Hexenjagd“ (beide 1971) zügig vervollständigt wurde – letztgenannter Film ist bereits vor geraumer Zeit von Anolis Entertainment veröffentlicht worden. Es war die Zeit, als das Exploitationkino zu seiner vollen Blüte aufstieg, subtile sexuelle Anspielungen wichen expliziten Motiven, auch in puncto Gewaltdarstellung durfte eine Schippe draufgelegt werden. Da darf manch ein blanker Busen blitzen – derartige lesbische Szenen wie in „Gruft der Vampire“ wären wenige Jahre zuvor bei Hammer noch undenkbar gewesen. Ein Vampirbiss ins Dekolleté – shocking!
Vom Vampir zum Vampir-Opfer
Hammers amerikanische Koproduktionsfirma American International Pictures (AIP), bekannt für etliche Roger-Corman-Filme, erbat dem Vernehmen nach bei der englischen Produktionsfirma bekannte Namen im Cast, weshalb man die Figur General von Spielsdorf extra für Peter Cushing ins Drehbuch schreiben ließ – ohnehin Stammschauspieler bei Hammer. Als Arzt und späteres Opfer der Vampirin ist der Deutsche Ferdy Mayne zu sehen, der in Roman Polanskis „Tanz der Vampire“ (1967) noch selbst einen Blutsauger gegeben hatte. Für Jon Finch war „Gruft der Vampire“ das Kinodebüt, wenig später war er auch im nahezu gleichzeitig abgedrehten Hammer-Grusler „Frankensteins Schrecken“ zu sehen, bald darauf in seinen beiden bedeutsamsten Rollen: In „Macbeth“ (1971) von Roman Polanski gab er den Macbeth, in Alfred Hitchcocks „Frenzy“ (1972) wurde er als unschuldiger Pleitier verdächtigt, der berüchtigte Krawattenmörder zu sein.
Ganz wunderbar: die letzte Einstellung von „Gruft der Vampire“, wenn sich die Vampirin auf dem Gemälde von einer holden Schönheit zum Skelett zersetzt. Simpel getrickst, aber wirkungsvoll. So wirkungsvoll wie der gesamte Film, der all den überdeutlichen Schauwerten zum Trotz doch auch die bekannten Hammer-Vorzüge zur Geltung bringt, etwa das schaurig-schöne Setting inklusive Setdesign, die schummrige Atmosphäre und die gewohnt charmante Ausstattung nebst Kostümen. Letztlich sind der gesteigerte Gewaltgehalt und die sexuelle Freizügigkeit für Hammer auch nicht überraschend, hatte die Produktionsfirma doch ab Ende der 50er-Jahre den klassischen Horrorfilm selbst auf eine neue Stufe gehoben. „Gruft der Vampire“ ist in der Vergangenheit bisweilen das Niveau früherer Hammer-Produktionen abgesprochen worden, das hat die Karnstein-Trilogie nicht daran gehindert, in der Gunst der Fans zu steigen – zu Recht.
Hauptdarstellerin Ingrid Pitt („Agenten sterben einsam“) war im selben Jahr auch im Hammer-Horrorfilm „Comtesse des Grauens“ zu sehen, 1973 dann im Horrordrama „The Wicker Man“, der heute Kultstatus besitzt. Sie starb 2010 im Alter von 73 Jahren. Umso schöner, dass Anolis Entertainment für die Blu-ray-Veröffentlichung von „Gruft der Vampire“ den Audiokommentar mit ihr, Drehbuchautor Tudor Gates („Barbarella“) und Regisseur Roy Ward Baker („Das grüne Blut der Dämonen“) ausgegraben hat, das den neu produzierten Audiokommentar mit Dr. Rolf Giesen und Volker Kronz ergänzt. Charmant auch: Ingrid Pitt liest Le Fanus Erzählung „Carmilla“. Da sich auch die übrigen Bonusmaterialien auf dem gewohnten Anolis-Niveau bewegen und an Bild und Ton nichts zu bemängeln ist, verdient die Blu-ray einmal mehr das Prädikat „sehr zu empfehlen“. Das etwas freizügigere Cover A des Mediabooks ist heiß begehrt und bei den meisten, wenn nicht allen einschlägigen Händlern bereits nicht mehr zu kriegen. Anolis hat aber angedeutet, dass im Booklet einige offenherzige Abbildungen zu finden sind, und Cover B sieht ebenfalls schnieke aus (noch halte ich es nicht in meinen Händen). Für Mediabook-Verächter gibt’s auch eine Softcase-Variante. Anolis hat die erwähnten „Comtesse des Grauens“ und „Das grüne Blut der Dämonen“ ebenfalls schon als Blu-rays veröffentlicht.
Die Anolis-Entertainment-Reihe mit Produktionen von Hammer Films haben wir in unserer Rubrik Filmreihen aufgeführt. Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Ingrid Pitt sind in unserer Rubrik Schauspielerinnen zu finden.
Veröffentlichung: 30. November 2016 als Blu-ray im limitierten Mediabook (in zwei Covervarianten) und Blu-ray, 8. August 2008 als DVD (Koch Media)
Länge: 91 Min. (Blu-ray), 88 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: The Vampire Lovers
GB/USA 1970
Regie: Roy Ward Baker
Drehbuch: Tudor Gates, nach Sheridan Le Fanus Erzählung „Carmilla“
Besetzung: Ingrid Pitt, Pippa Steel, Madeline Smith, Peter Cushing, George Cole, Dawn Addams, Kate O’Mara, Jon Finch, Ferdy Mayne, Kirsten Lindholm
Zusatzmaterial: Audiokommentar mit Ingrid Pitt, Tudor Gates und Roy Ward Baker, Audiokommentar mit Dr. Rolf Giesen und Volker Kronz, Dokumentation „Resurrecting the Vampire Lovers“, Interview mit Madeline Smith, Ingrid Pitt liest „Carmilla“, deutscher und amerikanischer Trailer, US-Radio-Spots, Werberatschläge, Filmprogramme, Bildergalerie, nur Mediabook: 36-seitiges Booklet von Dr. Rolf Giesen, Uwe Huber, Guiskard Oberparleiter und Uwe Sommerlad
Vertrieb: Anolis Entertainment GmbH
Copyright 2016 by Volker Schönenberger
Fotos & Packshots: © 2016 Anolis Entertainment GmbH
lawrenceselwyn
2016/12/04 at 14:45
Na, na. Der Herr von Spielsdorf ist durchaus Bestandteil von Le Fanus Erzählung. Der Baron Hartog (Douglas Wilmer) hingegen ist die Verschmelzung zweier anderer Charaktere. 😉