Chosen
Von Volker Schönenberger
Kriegsdrama // Alt ist er geworden, der gute Harvey Keitel. Seinen verdienten Oscar wird der 1939 Geborene wohl nicht mehr bekommen, auch wenn er nach wie vor aktiv ist. Für seine Nebenrolle in Barry Levinsons Biopic-Krimidrama „Bugsy“ hatte er 1992 seine einzige Oscar-Nominierung erhalten. In „Die Auserwählten – Helden des Widerstands“ hat er lediglich eine Nebenrolle in der Rahmenhandlung: Damit sein Enkel Max (Julian Shatkin) einen Aufsatz über Helden schreiben kann, berichtet der von Keitel verkörperte Greis ihm über Kriegserlebnisse in Ungarn und Polen:
Der junge Jude Sonson (Luke Mably) muss 1943 in einem ungarischen Arbeitslager schuften. Seine Laufbahn als Jurist hatte er unter dem Regime aufgeben müssen, doch er fügt sich klaglos, erträgt auch die Vorwürfe seiner Schwägerin Judith (Ana Ularu), die sich dem Widerstand angeschlossen hat. Dann jedoch startet die deutsche Wehrmacht das Unternehmen Margarethe – die Invasion Ungarns, um den unsicheren Bündnispartner auf Gedeih und Verderb ans „Dritte Reich“ zu fesseln. Den ungarischen Juden droht die Deportation und Ermordung. Die alliierte Invasion in der Normandie bringt zwar Hoffnung auf einen Sieg über Hitler-Deutschland, aber Frankreich ist weit weg, die Westfront wird den ungarischen Juden keine Rettung bringen. Sonson muss Farbe bekennen, zumal seine Frau Florence (Diana Cavallioti) an Brustkrebs erkrankt und ihr als Jüdin die Behandlung verweigert wird.
Der Pressemitteilung von Tiberius Film zufolge basiert „Die Auserwählten – Helden des Widerstands“ auf wahren Begebenheiten. Ob das nur für die historisch verbürgten Ereignisse der ungarischen Besetzung durch die Wehrmacht und der Deportation der Juden gilt oder auch für die Figur des Sonson und anderer dargestellter Personen, entzieht sich meiner Kenntnis. Um seine deportierte Schwägerin zu finden, geht er nach Polen, organisiert dort schließlich sogar den Widerstand im Warschauer Ghetto.
Nachdem die großen Schauplätze des Zweiten Weltkriegs über die Jahre ohnehin im Kino berücksichtigt worden sind, gibt es mittlerweile auch viele Beiträge, die „unbekannte Kapitel“ der damaligen Ereignisse erzählen oder andere als die Haupt-Schauplätze des Krieges zeigen. „9. April – Angriff auf Dänemark“ ist ein Beispiel dafür, auch der in Estland spielende „Brüder – Feinde“ und das finnische Kriegsdrama „Winterkrieg“ seien genannt. Mit dem britischen „Die Auserwählten – Helden des Widerstands“ ist nun also Ungarn an der Reihe, allerdings verlegt sich die Handlung mit Sonsons Suche nach seiner Schwägerin nach Polen.
Derlei Filme laufen Gefahr, in Pathos zu ersticken, speziell wenn man es mit dem Soundtrack etwas zu gut meint. Das ist in diesem Film glücklicherweise nur begrenzt der Fall und hält sich im Rahmen des Erträglichen. Positiv zu bemerken ist des Weiteren, dass auch das Handeln der Widerständler schonungslos gezeigt wird: Da werden gefangene ungarische Soldaten kurzerhand von Frauen abgemurkst – nun gut, sie hatten sich vorher als Vergewaltiger an ihnen schadlos gehalten. Ein anderer Gefangener wird ohne viel Federlesens erdrosselt, sein Vergehen bleibt vage.
Das ist auch insofern positiv zu bewerten, als es immer schwierig ist, wenn Kriegsfilme ihre Protagonisten als allzu heldenhaft darstellen. Diese Gefahr umgeht „Die Auserwählten – Helden des Widerstands“ zudem durch das zurückhaltende Spiel von Hauptdarsteller Luke Mably („28 Days Later“) und der seine Schwägerin darstellenden Ana Ularu („Inferno“). Kriegerische Auseinandersetzungen treten vermehrt erst in der zweiten Hälfte des Films auf, womöglich einem Mangel an Budget geschuldet, aber das Drama ist ohnehin mehr an den Schicksalen interessiert als am Kampf.
Weshalb die Protagonisten „Die Auserwählten“ sind – der Originaltitel lautet synchron dazu „Chosen“ –, bleibt offen. Ist es, weil sie Juden sind, die oft als „auserwähltes Volk“ bezeichnet werden? Oder weil Sonson und Judith vom Schicksal auserwählt sind, Widerstand zu leisten? Man weiß es nicht. „Die Auserwählten – Helden des Widerstands“ ist viel besser als sein arg plakativer deutscher Titel, insgesamt kein Meisterwerk, aber ein ansehnliches Kriegsdrama mit guter Balance zwischen leisen Tönen und dramatischen Ereignissen.
Veröffentlichung: 18. November 2016 als Blu-ray und DVD
Länge: 105 Min. (Blu-ray), 101 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Chosen
GB 2016
Regie: Jasmin Dizdar
Drehbuch: Gabriel de Mercur
Besetzung: Luke Mably, Ana Ularu, Harvey Keitel, Andrei Albulescu, Tomasz Aleksander, Radu Banzaru, Diana Cavallioti, Erich Redman
Zusatzmaterial: Originaltrailer, Trailershow, Wendecover
Vertrieb: Pandastorm Pictures
Copyright 2016 by Volker Schönenberger
Fotos & Packshot: © 2016 Pandastorm Pictures