Shin Gojira
Kinostart: 3. Mai 2017
Von Matthias Holm
Fantasy-Action // 2004 wollten die Japaner ihre Riesenechse mit „Godzilla – Final Wars“ eigentlich abhaken. Bereits seit 1954 trieb Godzilla sein Unwesen in den Kinos, hatte Städte niedergetrampelt und ebenbürtige Gegner bezwungen. Doch anscheinend schaut man im Land der aufgehenden Sonne auch auf den Weltmarkt – Gareth Edwards‘ mit kräftiger Unterstützung der japanischen Produktionsfirma Tōhō entstandenes 2014er-Reboot „Godzilla“ belegte, dass es nicht nur in Japan nach wie vor enormes Interesse an der überdimensionalen Kreatur gibt.
Das dachte sich wohl auch Hideaki Anno, seines Zeichens Schöpfer der „Evangelion“-Saga. Also setzte sich Anno hin, schrieb ein Drehbuch für einen Neustart des japanischen Ursprungsfilms und führte auch direkt Regie. Und die Zeichen wurden richtig gedeutet: „Shin Godzilla“ war im Jahr 2016 der erfolgreichste Realfilm in den japanischen Kinos. Nun hat splendid dem Film einen eingeschränkten Kinostart in Form von Special Screenings spendiert. Und als Fan der alten Godzilla-Streifen sollte man das auf keinen Fall verpassen.
Kein Unterwasser-Vulkan, ein Unterwasser-Monster
Merkwürdige Eruptionen erschüttern Tokio. Was anfangs wie ein Vulkanausbruch unter Wasser wirkt, stellt sich schnell als lebendiger Organismus heraus, der bald das Festland heimsucht. Der Katastrophenstab ist redlich bemüht, das Monster aufzuhalten, allerdings entwickelt sich Godzilla, wie das Biest getauft wird, rasend schnell weiter. Doch eine kleine Gruppe von Spezialisten rund um Rando Yaguchi (Hiroki Hasegawa) hat einen Plan, wie man das Ungetüm stoppt.
Hideaki Anno besinnt sich mit seinem Drehbuch auf Godzillas Ursprünge. Hier gibt es keinen großen Kampf mit anderen Monstern oder gar einen Baby-Godzilla. Die Echse verkörpert die Antwort auf den Schaden, den die Menschheit sich selbst und der Natur zugefügt hat – das gnadenlose Zurückschlagen eben dieser Natur. War der Ursprungsfilm ein Kommentar auf die Atombomben-Abwürfe über Hiroshima und Nagasaki, ist „Shin Godzilla“ eine Verkörperung des Tōhuku-Erdbebens von 2011. Sobald das Monster auftritt, bringt es mit Flutwellen und Strahlung Tod und Verderben, wie die Tsunamis und die Reaktorkatastrophe in Fukushima.
Interessant dabei ist, dass es Anno in seinem Film eher auf die Politiker abgesehen hat: Ein Großteil des Films spielt sich in Konferenzsälen ab. Dort wird darüber debattiert, wie man gegen das Monster vorgeht, wo evakuiert wird, all das, was bei einer Naturkatastophe passiert. Ein Großteil des Beraterstabes des Premierministers besteht allerdings aus alteingesessenen Veteranen, die sich strikt ans Protokoll halten – und damit die Lage meist eher verschlimmern. Querdenker wie der Protagonist Rando Yaguchi sollen nur still dabei sein und nicken. Sobald er einen Vorschlag äußert, wird dieser kategorisch abgelehnt – er sitzt eh nur dabei, da seine Verwandten gute Beziehungen haben. Anno prangert die Politiker und ihre Sturheit an, der nächsten Generation keine Beachtung zu schenken.
Im Film kulminiert das in einem Angriff Godzillas, der enorm viele Opfer fordert – darunter auch hochrangige Stabschefs. Sie haben sich ihr Grab selbst geschaufelt und ihre Nachfolger müssen die Suppe auslöffeln. So offensichtlich diese Botschaft inszeniert ist – wer sich nicht für das Land Japan und dessen Politik interessiert, der wird dem Leinwandgeschehen nur mit einem Fragezeichen im Gesicht folgen können. Denn obwohl man aus der Grundaussage etwas Universelles hätte machen können, fokussiert sich Anno komplett auf Japan, mit allen Gepflogenheiten, Sitten und Bräuchen. Wer sich „Shin Godzilla“ also nur für die Monster-Action anschaut, wird über die Hälfte der Zeit keinen wirklichen Spaß daran haben.
Endlich wieder handgemachte Figuren
Wenn es dann aber mal zu einer Attacke kommt, ist das Katastrophen-Kino auf ganz hohem Niveau. Inszenatorisch kann das mit Hollywood-Pendants wie „Deepwater Horizon“ natürlich nicht mithalten, dafür versprüht der Film aber eine Menge Charme. Denn das Monster ist diesmal eine Puppe, die über eine Fernbedienung bewegt wird. Das sieht in vielen Fällen vollkommen absurd aus, ist aber eine wundervolle Hommage an die alten Zeiten, in denen Schauspieler in Gummianzügen Miniaturstädte kaputtgemacht haben. Und auch hier geht einiges zu Bruch. Je weiter sich Godzilla entwickelt und je mehr er in die Innenstadt Tokios eindringt, desto mehr Kollateralschäden entstehen. Wenn dann auch noch bestimmte Wiedererkennungsmerkmale Einzug in den Film halten, geht jedem Kaijū-Fan das Herz auf.
Für eine abschließende Empfehlung ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, worauf man sich einlässt. Für eine Monster-Party bietet der Film eben zu wenig Monster – zwar deutlich mehr als der Gareth-Edwards-Film von 2014, aber eben nicht durchgängig. Der Politik- und Forschungs-Anteil nimmt viel Zeit in Anspruch und sollte man das langweilig finden, wird einem „Shin Godzilla“ auch eher wenig gefallen. Trotzdem ist es ein äußerst gelungenes Reboot geworden, von dem wir gern mehr sehen würden.
Länge: 118 Min.
Altersfreigabe: FSK 16
Originaltitel: Shin Gojira
JAP 2016
Regie: Hideaki Anno, Shinji Higuchi
Drehbuch: Hideaki Anno
Besetzung: Hiroki Hasegawa, Yutaka Takenouchi, Satomi Ishihara, Ren Ôsugi, Akira Emoto, Kengo Kôra
Verleih: splendid film
Copyright 2017 by Matthias Holm
Filmplakat, Fotos & Trailer: © 2017 splendid film
Kay Sokolowsky
2017/04/30 at 17:26
Eine feine Kritik, Kompliment und Merci an den Autor! Es fehlt mir bloß eine Anmerkung zu den Suppentelleraugen der ersten Godzilla-Stufe. Die Glubscher sehen nämlich sehr … eigen aus, um es freundlich auszudrücken.
Daß ein Kaiju-Film derart politisch werden kann, ist schon erstaunlich, und die deutlichen Verweise auf das Versagen nach der Tsunamikatastrophe finde sogar ich westliche Langnase interessant. (Diese Politisierung zeigt übrigens auch, wie tief Big G. mittlerweile in die Mythologie Japans eingedrungen ist, und zwar nicht nur die Popmythologie.)
Aber Matthias Holm hat natürlich recht, wenn er schreibt, daß der genuine Monsterfilmfreund mit all dem Gedöns über japanische Politik etc. eher gelangweilt wird. Irgendwann wird das Gerede in der Tat reichlich redundant.
Matthias Holm (@MatzeHolm)
2017/04/30 at 22:10
Moin Kay,
danke erstmal für die lobenden Worte. Ich wollte zum Monster an sich nicht viel sagen, da mich die Entwicklung doch während der Sichtung durchaus überrascht hat und diese erste Stufe für mich eine Art Hommage an den kruden Charme der alten Filme ist – daher haben mich die Suppentelleraugen nicht gestört.
Diese Redundanz kann ich auf jeden Fall nachvollziehen, allerdings ist Anno da schon immer eigen, das wissen alle, die sich die diversen Enden von Evangelion angeguckt haben. Ich war eher überrascht drüber, dass der Mann einen einigermaßen stringenten Streifen inszenieren kann 😀
Und für mich als Freund der japanischen Kultur und auch ein Minimum über die Politik weiß war das ganze schon sehr interessant. Nur ist dies glaube ich der Grund, weshalb der Film hier im Westen echt nicht gut ankommt
Kay Sokolowsky
2017/05/01 at 22:02
Ist das wirklich der Grund? Ich z. B. gucke mir Filme aus fernen Ländern nicht zuletzt deshalb an, um die Bewohner dieser fernen Länder besser zu verstehen. – Allerdings ist so ein Monsterquatsch nicht unbedingt was für den typischen Arthouse-Besucher. Und ich bin sowieso kein typischer Besucher von irgendwas.
Danke jedenfalls für die informative Antwort!