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Archiv für den Monat Juni 2017

Feuer am Horizont – Tourneur konnte auch Western

Canyon Passage

Von Volker Schönenberger

Western // „Eines der rätselhaftesten und vorzüglichsten Exemplare, die das Westerngenre hervorgebracht hat.“ So verkündet es kein Geringerer als Martin Scorsese in seinem Vorwort zu Chris Fujiwaras leider nur in englischer Sprache vorliegendem Buch „Jacques Tourneur – The Cinema of Nightfall“ über „Canyon Passage“, der in der Bundesrepublik Deutschland erst 1953 unter dem Titel „Feuer am Horizont“ in die Kinos kam – knapp sieben Jahre nach der US-Premiere. Nun ist Jacques Tourneur eher für seine wunderbar mit Licht und Schatten spielenden Gruselklassiker wie „Katzenmenschen“ (1942) und „Ich folgte einem Zombie (1943) sowie den grandiosen Film noir „Goldenes Gift“ (1947) bekannt. Seine Western – viele sind es zugegebenermaßen nicht – geraten da gern in Vergessenheit, etwa „Wichita“ (1955), in dem er Joel McCrea als Wyatt Earp inszenierte. Aber wenn sogar ein Martin Scorsese „Feuer am Horizont“ so über die Maßen lobt, ist es umso löblicher, dass Tourneurs erster Farbfilm hierzulande als Teil der „Edition Western Legenden“ von Koch Films in würdiger Form veröffentlicht worden ist – und das sogar als Blu-ray.

Lucy freut sich …

Die Handlung setzt im so verregneten wie schlammigen Portland (Oregon) des Jahrs 1856 ein. Logan Stewart (Dana Andrews) trifft dort auf Lucy Overmire (Susan Hayward), die er zu ihrem Verlobten bringen will – seinem Freund George Camrose (Brian Donlevy), einem Bankier. In der Nacht vor dem Aufbruch der beiden kann Logan nur knapp verhindern, dass ihm sein Gold geraubt wird, das er am Vorabend von der Bank geholt hatte. Der Trip zu George nach Jacksonville verläuft geruhsam. Bei einem Zwischenstopp auf der Ranch von Ben Dance (Andy Devine) schenkt Logan der dort lebenden Caroline Marsh (Patricia Roc), die ihn sichtlich anhimmelt, ein Medaillon.

Liebe, Spielsucht, Lynchmord und Indianerangriffe

In der Folge nimmt sich „Feuer am Horizont“ einiger Themen an, was dem Western eine charmante Unvorhersehbarkeit verleiht. Wir erleben Eifersucht und Liebes-Verwicklungen, Spielsucht und ihre tragischen Konsequenzen. Es kommt zu tödlichen Auseinandersetzungen mit Indianern und Lynchjustiz. Tourneur vermengt das zu einem hochinteressanten American-Frontier-Westerndrama mit spielfreudigen Darstellern. Speziell der von Dana Andrews („Laura“) verkörperte Logan Stewart mit seinem gelegentlich hervorblitzenden verschmitzten Lächeln und auf der anderen Seite großer Ernsthaftigkeit hat einen ganz eigenständigen Charakter, der den Protagonisten bei aller Gradlinigkeit doch von herkömmlichen Westernhelden abhebt. Als gebrochene Figur passt Kumpel George da sehr gut an Logans Seite. Ganz zu schweigen von den zwei zauberhaften Damen, obgleich beide doch stark auf die Rolle als „Love Interest“ reduziert sind. Es ist eben ein Western, von Männern für Männer gemacht. In einer Nebenrolle als Johnny Steele, Wortführer der Bergleute, ist der junge Lloyd Bridges („12 Uhr mittags“, 1952) zu sehen, der seit 1936 mit vielen Minirollen und zum Teil ohne Auflistung in den Credits als Schauspieler aktiv war und erst ab Mitte der 1940er in Parts mit nennenswerten Sprechrollen in Erscheinung trat.

… Logan zu sehen

Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Vertreibung und beinahe erfolgreichen Ausrottung der Indianer können wir bei einem 1946 entstandenen Western nicht erwarten – wir bekommen sie auch nicht geboten. Die Indianer sind Staffage ohne nennenswerte Dialoge und bringen im letzten Drittel von „Feuer am Horizont“ Dramatik, Action und Tod mit sich. Belassen wir es dabei.

Weder Canyons noch brennende Horizonte

Während der Sichtung habe ich mich lange Zeit gefragt, weshalb der Film für den deutschen Verleih den dramatischen Titel „Feuer am Horizont“ erhalten hat – bis spät tatsächlich Flammen emporlodern, wenn auch nicht am Horizont, sondern recht nah. Immerhin ist der deutsche Titel somit treffender als der Originaltitel „Canyon Passage“, denn eine Passage durch eine Schlucht ist nicht zu bemerken.

Susan Hayward hatte acht Jahre zuvor in „Girls on Probation“ (1938) mit Ronald Reagan ihre erste nennenswerte Rolle gespielt. 1948 erhielt sie für ihre Darstellung einer trunksüchtigen Sängerin in „Smash-Up – The Story of a Woman“ ihre erste Oscar-Nominierung, der vier weitere folgten. Erst die letzte brachte ihr 1959 dann auch den Academy Award: für ihre Hauptrolle in Robert Wises „Lasst mich leben“, einem eindringlichen Plädoyer gegen die Todesstrafe. Hayward starb am 14. März 1975 mit 57 Jahren an Krebs. Am 30. Juni 2017 wäre sie 100 Jahre alt geworden.

Würdige Western-Legende

Das Technicolor-Bild des zum Teil vor Ort in Oregon gedrehten Westerns kommt auf der Blu-ray sehr gut zur Geltung, visuell überzeugt der HD-Transfer. Für den Ton gilt das leider nur begrenzt: Die deutsche Synchronisation ist etwas höhenlastig, weshalb die englische Originalfassung vorzuziehen ist, die zwar etwas dumpf klingt, aber angenehmer in den Ohren liegt. Für Western-Perlen wie „Feuer am Horizont“ ist die „Edition Western Legenden“ genau die richtige Reihe. Scorsese hatte recht.

In Jacksonville steht Logan Ärger ins Haus

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Jacques Tourneur sind in unserer Rubrik Regisseure zu finden, Filme mit Susan Hayward unter Schauspielerinnen, Filme mit Dana Andrews in der Rubrik Schauspieler. Die „Edition Western Legenden“ haben wir in unserer Rubrik Filmreihen aufgelistet.

Johnny Steele führt wütende Bergleute an

Veröffentlichung: 14. Mai 2015 als Blu-ray und DVD

Länge: 92 Min. (Blu-ray), 88 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: keine
Originaltitel: Canyon Passage
USA 1946
Regie: Jacques Tourneur
Drehbuch: Ernest Pascal, nach dem in der „Saturday Evening Post“ erstveröffentlichten Roman „Canyon Passage“ von Ernest Haycox
Besetzung: Dana Andrews, Brian Donlevy, Susan Hayward, Lloyd Bridges, Andy Devine, Patricia Roc, Ward Bond, Hoagy Carmichael, Rose Hobart, Halliwell Hobbes
Zusatzmaterial: Trailer, Bildergalerie mit seltenem Werbematerial, Booklet
Vertrieb: Koch Films

Copyright 2016 by Volker Schönenberger
Fotos & Packshot: © 2015 Koch Films

 

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Weiße Frau am Kongo – Variation eines Klassikers

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White Witch Doctor

Von Ansgar Skulme

Abenteuer // Kurz vor der Begründung von Belgisch-Kongo im Jahre 1908 verschlägt es die Krankenschwester Ellen Burton (Susan Hayward) an den Kongo-Fluss. Sie will zu einer Missionarin stoßen, die seit Jahren in Afrika lebt und dort auf eigene Faust den Armen, Schwachen und Kranken hilft. Da ihr Mann sie nicht mehr wie geplant auf die Reise begleiten konnte, sucht die kaum erfahrene Ellen Hilfe beim Abenteurer „Lonni“ Douglas (Robert Mitchum) und dessen Kompagnon Huysman (Walter Slezak). Lonni, der eigentlich mit Afrika Schluss machen will, lässt sich widerstrebend auf die Mission ein, doch Huysman und er interessieren sich außer dem Verkauf von Wildtieren an Zoos in aller Welt auch für die wertvollen Bodenschätze in den Gebieten der Ureinwohner. Die Tage sind gezählt, an denen man entlang des Kongo – im sogenannten Kongo-Freistaat (1885–1908) – noch beinahe alles machen kann, was man will. Belgien naht als Kolonialmacht, die Ausbeutung der Gebiete wird künftig nicht mehr so unproblematisch möglich sein: Die Gierigen stehen unter Zeitdruck.

Ab Beginn der 1930er-Jahre, nach bereits 15 Jahren Vorlauf als Requisiteur und Regie-Assistent, entwickelte sich Henry Hathaway zu einer festen Größe unter den Hollywood-Regisseuren. Er hielt sich über 40 Jahre lang stabil im Kino-Geschäft, ohne jemals ins Fernsehen ausweichen zu müssen. Von Anfang an bewegte sich Hathaway fließend durch diverse Genres. Zu seinem Werk zählen viele sehenswerte Klassiker wie der Noir „Feind im Dunkel“ (1946), der Kriegsfilm „Rommel, der Wüstenfuchs“ (1951), der Spionagefilm „Kurier nach Triest“ (1952), der farbige Noir „Niagara“ (1953), der Ritterfilm „Prinz Eisenherz“ (1954), der Rennfahrerfilm „Der Favorit“ (1955), der Einbruchsfilm „Sieben Diebe“ (1960), der Zirkusfilm „Held der Arena“ (1964) und der Western „Der Marshal“ (1969). Als sein letzter Film „Hangup“ 1974 erschien, blickte Henry Hathaway auf eine über 55-jährige Karriere zurück.

„Weiße Frau am Kongo“ war, wenn man so will, 20th Century Fox‘ Antwort auf John Hustons erfolgreiche United-Artists-Veröffentlichung „African Queen“ (1951). Ein zentraler Unterschied allerdings ist, dass die Stars nicht mit nach Afrika genommen wurden, sondern ein Second-Unit-Team mitsamt Doubles in den Kongo geschickt wurde, während alle Dialogszenen in Kalifornien entstanden. Henry Hathaway, der bei den Aufnahmen in Afrika angeblich vor Ort gewesen ist, war der richtige Mann, um aus dem Material letztlich einen Film zu machen, dem die Illusion, er sei weitestgehend in Afrika gedreht worden, über weite Strecken recht gut gelingt. Neben André De Toths „Tanganjika“ (1954) ist „Weiße Frau am Kongo“ sicherlich der überzeugendste in Farbe gedrehte und komplett in Afrika angesiedelte klassische Abenteuerfilm der 50er-Jahre, der zu großen Teilen oder gar komplett in Hollywood und nicht direkt vor Ort produziert wurde. Für 20th Century Fox und die Hauptdarstellerin Susan Hayward bewegte er sich allerdings auch eng im Windschatten von „Schnee am Kilimandscharo“ (1952) – diese Hemingway-Verfilmung spielt ebenfalls in Afrika, allerdings nicht vollständig.

Atmosphärisch dicht, dokumentarisch wertvoll, aber …

Einige Naturaufnahmen des Films – insbesondere die Wassermassen des großen Flusses und dazu die sich emsig auf Booten über das Gewässer bewegenden Ureinwohner – sind sehr beeindruckend. Im Gedächtnis bleiben zudem die ausgefallenen Tanzszenen, die man bei einheimischen Stämmen filmen durfte. Außer vielen extravaganten Trachten, Kostümen und Frisuren bekam das Second-Unit-Team auch diverse bemerkenswert kernige Gesichter vor die Kamera, die dem afrikanischen Kontinent Gestalt in Technicolor gaben. Zum damaligen Zeitpunkt waren Farbaufnahmen aus Afrika noch verhältnismäßig rar gesät, Spielfilme leisteten dahingehend wichtige Pionierarbeiten. Hinzu kommt die oft mysteriös anmutende, die fremde Welt noch exotischer und spannender erscheinen lassende Musik von Bernard Herrmann, der später durch seine Zusammenarbeiten mit Alfred Hitchcock berühmt wurde und vor „Weiße Frau am Kongo“ ebenfalls an „Schnee am Kilimandscharo“ gearbeitet hatte. Herrmanns Musik ist es unter anderem zu danken, dass die Szenen mit den einheimischen Medizinmännern – hierauf nimmt die Bezeichnung „Witch Doctor“ im Titel des Films Bezug – nicht unfreiwillig komisch wirken, obwohl diese merkwürdig gekleideten und dreinblickenden Gestalten allenthalben äußerst extrovertiert, mit großen Gesten und grobschlächtigen Blicken ihr Misstrauen sowie ihre Verachtung gegenüber der Krankenschwester zum Ausdruck bringen und ihr diverse Male ins Handwerk pfuschen.

Die Rückprojektionen, wenn man die Stars vorgeblich über das Wasser fahren sieht, haben ihren Charme und in einigen Szenen, beispielsweise beim Überqueren der Hängebrücke in Richtung des Bakuba-Landes, ist im positiven Sinne kaum zu bemerken, ob diese nun in Afrika oder doch in Hollywood gedreht wurden, da die Aufnahmen so malerisch sind, dass man eher auf Afrika tippen würde, plötzlich aber doch Susan Hayward und Robert Mitchum deutlich im Setting sichtbar werden. Dies spricht für die gute Arbeit des Regisseurs, zu dessen Assistenten hier unter anderem der Berliner Gerd Oswald gehörte, der mehrfach gemeinsam mit Hathaway arbeitete und ab 1955 schließlich hauptverantwortlich TV-Serien-Episoden und Kinofilme in Hollywood inszenierte. Der Sohn der deutschen Regie-Legende Richard Oswald blieb schwerpunktartig in Hollywood, machte um 1960 herum aber auch einen Abstecher in die Heimat, wo er „Am Tag als der Regen kam“ (1959) und „Schachnovelle“ (1960) inszenieren durfte. Wenig später führte er außerdem bei der europäischen Koproduktion „Das Todesauge von Ceylon“ (1963) Regie.

Einzig etwas enttäuschend ist, dass die beiden Dörfer in die die Protagonisten auf ihrer Reise als erste geraten, leider wirken, als hätte man sie im selben Studio in Hollywood gedreht, ohne die Kulissen großartig zu ändern. Beide Male stoßen Hayward und Mitchum auf eine verstörende Leere, auf Krankheit, Schmerz und gleichförmig anmutende Häuserreihen. Selbst die einführende Kameraperspektive wirkt in beiden Dörfern beinahe identisch. Zumal das später im Film auftauchende Bakuba-Dorf recht eng gebaut und vorteilhaft gefilmt wirkt, entsteht ein wenig der Eindruck, dass die Studio-Areale, die Hathaway für den Dreh in Hollywood zu Verfügung hatte, nicht besonders groß waren. Die in den USA entstandenen Außenaufnahmen sehen doch deutlich besser aus als die Innenaufnahmen. Nichtsdestotrotz ist der Film atmosphärisch schlüssig und die Gleichförmigkeit hat angesichts des gezeigten Leids der Kranken und Versehrten in gewisser Weise zumindest einen unterstützenden Effekt, der der Handlung hilft. Die Handlung allerdings ist im Großen und Ganzen eher sparsam, zum Glück jedoch nicht sonderlich melodramatisch.

100 Jahre Susan Hayward

Zu danken ist die positive Gesamtwirkung des Films letztlich vor allem Susan Hayward, da sie die Rolle dieser arg gebeutelten Krankenschwester mit einer starken Persönlichkeit ausfüllt. Ihre Ellen kommt als frisch gebackene Witwe und findet auch in Afrika immer wieder Leid vor, meistert die Herausforderungen aber mit großer Tapferkeit und Aufopferungsbereitschaft. Hayward gelingt es, die Emotionalität der Figur nicht weinerlich zu verkörpern, sondern impulsiv und ehrlich. Ihre Tränen scheinen echt und sie bricht zusammen, weil die Kämpferin irgendwann nicht mehr kann und nicht, weil es dramatisch aussehen soll. Hayward spielte des Öfteren sehr kämpferische Frauen, die sich Männern zwar hingaben, gleichzeitig aber auch sehr gut in der Lage waren, sich wieder zu lösen, im Alleingang zu behaupten und sich, wenn nötig, gegen die einstigen Geliebten zu stellen, wenn nicht gar mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Lohnend ist beispielsweise der aufwändig in Südafrika gedrehte „Die Unbezähmbaren“ (1955), der eine Art Kreuzung aus Familiensaga, den Siedlermotiven des Westerns und dem Ambiente Afrikas ist und die Bezeichnung Epos verdient – die insgesamt vierte und letzte Zusammenarbeit zwischen Hayward und dem Regisseur Henry King, der unter anderem auch „Schnee am Kilimandscharo“ inszeniert hatte und Gerd Oswalds letzter Film als Regisseur in der zweiten Reihe, ehe er seine eigenen Projekte machen durfte. Auch für „Die Unbezähmbaren“ wurden die Szenen mit Susan Hayward allerdings nicht in Afrika aufgenommen.

Prototypisch für die kämpferischen Rollen der Susan Hayward ist auch ihr Part in „Lasst mich leben“ (1958), der sie als zum Tode Verurteilte zeigt, die versucht ihr Leben zu retten, und ihr ihren einzigen Oscar einbrachte. Nicht zuletzt hat auch der Western „Donner in der Sonne“ (1959) eine Hayward absolut auf den Leib geschneiderte Rolle parat, die sich hier als Teilnehmerin eines Siedlertrecks von baskischen Immigranten in Amerika durch Indianergebiet schlägt und immer wieder mit Jeff Chandler in der Rolle des angeheuerten Treckführers aneinandergerät. Die Frauen, die Susan Hayward auf der Leinwand darstellte, kämpften immer wieder bis zur Erschöpfung um ihr Recht und ihren Willen, oft so lange, bis ihr Gesicht nur noch Müdigkeit, völlige Verausgabung und emotionale Auflösung ausstrahlt. Am 30. Juni 2017 wäre Susan Hayward 100 Jahre alt geworden. Der Krebs jedoch setzte ihrem Leben bereits 1975 im Alter von nur 57 Jahren ein Ende. Sie gehörte zur Crew des John-Wayne-Films „Der Eroberer“ (1956), der in Utah in der Nähe eines Kernwaffen-Testgeländes gedreht wurde. Da von 220 Crew-Mitgliedern im Lauf der Zeit 91 an Krebs erkrankten, darunter diverse Schauspieler und der Regisseur, wurde später vermutet, dass der Drehort ursächlich für viele dieser Erkrankungen war.

100 Jahre Robert Mitchum

Robert Mitchum war nur wenige Wochen jünger als Susan Hayward und wäre am 6. August 2017 ebenfalls 100 Jahre alt geworden. Seine Rolle in „Weiße Frau am Kongo“ ist sicherlich nicht die dankbarste, sondern zunächst einmal eher ein Standard-Heldenpart, dem in diesem Fall gar von der Frau mehr oder minder die Show gestohlen wird. Manchmal ist er beinahe schon Stichwortgeber – aber ein wichtiger, ein sehr wichtiger. Man muss es ihm als Verdienst anrechnen, dass er die Rolle mit gebotener Zurückhaltung spielt und sich keineswegs in heldenhaften Posen ergeht. Mitchum scheint offenkundig absolut bewusst gewesen zu sein, dass sich die Botschaft des Films schwerpunktartig über seine Partnerin und nicht seine eigene Figur zeigt. Er bewies großes Fingerspitzengefühl, gerade auch in den vielen ruhigen und den sehr emotionalen Szenen, die unglaublich schnell ins Kitschige hätten kippen können. Statt Kitsch und Melodrama werden manche Augenblicke zu wirklich starken Momenten, die relativ schwierig glaubhaft zu spielen sind und nur funktionieren, wenn beide Seiten zusammenpassen. Beispielhaft genannt sei die Szene, in der er ihr erklärt, warum sie jetzt von den Einheimischen „Little Mama“ genannt wird, und sie danach kaum verbergen kann, wie sehr diese Ehrung sie berührt.

Und so ist der Film am Ende, trotz sparsamer Handlung und ziemlich vielen Emotionen, erstaunlicherweise nie langweilig oder zu banal. Das geht nur mit einer Hauptdarstellerin und einem Hauptdarsteller dieses Formats; mit ihnen und ihrem Zusammenspiel steht und fällt der Film in aller Gesamtheit. Ein wenig erinnert das Ganze an das Konzept, mit welchem klassische Komiker-Duos funktionierten, wo der Stichwortgeber zwar nach außen hin meist der weitaus defensivere Part des Duos war, jedoch von unverzichtbarer Wichtigkeit dafür, dass sein Partner seine Gags voll entfalten konnte. Susan Haywards Spiel würde nicht funktionieren, hätte Mitchum nicht den richtigen Tonfall ihr gegenüber – es könnte trotz allem zu melodramatisch wirken, stünde ihr da ein Partner gegenüber, der seine Rolle weniger empathisch als Mitchum spielt. Das urige Zusammenspiel zwischen Katherine Hepburn und Humphrey Bogart in „African Queen“ hat zu Recht Kultstatus erlangt, allerdings sind die Charaktere der Missionarin und des Abenteurers deutlich überzeichneter als in „Weiße Frau am Kongo“, unter anderem, weil es in Hustons Film natürlich komisch wirken soll. Interessant zu beobachten, dass diese Konstellation mit Hayward und Mitchum auch in dramatischerer Form funktioniert. Einfacher zu spielen waren die Rollen in „Weiße Frau am Kongo“ mit Sicherheit nicht. Louise Stinetorf – Autorin der Romanvorlage für „Weiße Frau am Kongo“ – war übrigens selbst als Missionarin für die Quäker in Palästina aktiv und vermochte in die Arbeit einer Figur wie der im Film von Susan Hayward verkörperten Krankenschwester entsprechend gute Einblicke zu geben, auch wenn der Film hinsichtlich Action und Liebesgeschichte gegenüber dem Buch deutlich aufgeblasen wurde.

Fürs Heimkino kaum erschlossen

Recht erstaunlich ist, dass es „Weiße Frau am Kongo“ trotz Hathaway, Hayward und Mitchum bisher selbst in den USA noch nicht auf Blu-ray, sondern nur DVD geschafft hat. Hier besteht eindeutig Nachholbedarf. In Deutschland gibt es, da es sich um eine Fox-Produktion handelt, sicherlich Hoffnung, dass wir ihn mittels Sublizenz von einem Label wie Pidax früher oder später vielleicht doch noch auf DVD spendiert bekommen. Die deutsche Synchronfassung wartet mit dem legendären Heinz Engelmann als Stimme von Robert Mitchum auf. Es gab wahrscheinlich keinen anderen Heldensprecher, der in den 50ern so häufig wie Engelmann tatsächlich zu überzeugen wusste – egal, wen er sprach. Als Stimme von Mitchum wäre natürlich auch der allerdings erst ab 1955 als sein Stammsprecher etablierte Curt Ackermann sehr zu wünschen gewesen – er sprach ihn in vielen seiner bekanntesten Rollen. Auch Eleonore Noelle ist als Stimme von Susan Hayward absolut hörenswert.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Henry Hathaway sind in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Susan Hayward und/oder Robert Mitchum unter Schauspielerinnen bzw. Schauspieler.

Veröffentlichung (USA): 21. Mai 2013 als DVD

Länge: 96 Min. (Kino)
Altersfreigabe: FSK 12
Originaltitel: White Witch Doctor
USA 1953
Regie: Henry Hathaway
Drehbuch: Ivan Goff, Ben Roberts, nach einem Roman von Louise A. Stinetorf
Besetzung: Susan Hayward, Robert Mitchum, Walter Slezak, Mashood Ajala, Joseph C. Narcisse, Elzie Emanuel, Timothy Carey, Otis Greene, Everett Brown, Myrtle Anderson
Verleih: Twentieth Century Fox

Copyright 2017 by Ansgar Skulme
Filmplakat eingebettet von filmposter-archiv.de, Lobby Card: Fair Use

 

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Brian De Palma (VI): Carlito’s Way – Sein schönster Film?

Carlito’s Way

Von Simon Kyprianou

Gangsterthriller // In der Dokumentation „De Palma“ von Noah Baumbach und Jake Paltrow sagt der Regisseur, als er auf „Carlito’s Way“ zu sprechen kommt, dass er mit diesem Film voll und ganz zufrieden sei; angesichts des finanziellen Misserfolgs äußert er, dass er nicht wisse, wie er einen besseren Film als „Carlito’s Way“ machen könnte. Und in der Tat, „Carlito’s“ Way ist ein hervorragender Film, eine von De Palmas schönsten Arbeiten in einer Filmografie, die reich an schönen Arbeiten ist.

Gangster Carlito kommt aus dem Knast

Brian De Palma zeigt sich hier auf der Höhe seiner Erzählkunst: Als der Mafioso Carlito Brigante (Al Pacino) aus dem Gefängnis kommt, sucht er nach seiner früheren Freundin Gail (Penelope Ann Miller). Sie ist Tänzerin, er schaut ihr vom Dach des Nachbarhauses beim Üben zu. Er steht draußen, im Dunkeln, im Regen, sie tanzt drinnen im Licht. De Palma erzählt hier unglaublich schön mit seinen Bildern von zwei unterschiedlichen Welten, deren Sehnsucht sie aufeinander zu driften lässt. Später klopft der Puerto-Ricaner an Gails Tür, bittet um Einlass, sie fordert ihn spielerisch dazu auf, die Tür einzutreten, wolle er hineinkommen. Carlito hadert mit sich, bevor er sich dann doch mit Gewalt Einlass verschafft. In dieser Szene verdichtet De Palma die Tragik seiner Figur: Carlito will ein besserer Mensch werden, versucht aufrichtig seine brutale Vergangenheit hinter sich lassen, und Gail will das ebenso, aber beide sehnen sich in diesem Moment insgeheim nach dem alten Carlito, der sich nimmt, was er will.

De Palma geht in oben erwähnter Dokumentation auch auf die wunderbar montierte Eingangsszene ein, in Schwarz-Weiß mit Voice-over gedreht. Das Erste, was wir in Farbe zu sehen bekommen, sind die Träume von Carlito: eine Werbeanzeige, die einen Südseestrand zeigt, ein starres Bild, das sich bunt aus dem Schwarz-Weiß herausschält. Die letzten Bilder des Films zeigen wie jenes vormals starre Sehnsuchtsbild plötzlich zu tanzen anfängt. Ebenfalls bemerkenswert ist natürlich die schnittlose Verfolgungsjagd durch die Grand Central Station im Finale. In „Carlito’s Way“ erreicht De Palma einen letzten großen Höhepunkt seiner visuellen Erzählkunst und seines Handwerks. Auch wenn das Spätwerk De Palmas nicht so schlecht ist, wie es oft gemacht wird: „Carlito’s Way“ ist der letzte große Film von Brian De Palma.

Große Schauspielkunst von Al Pacino und Sean Penn

Ironischerweise wird Carlito, der als Nachtclub-Betreiber einer ehrlichen Beschäftigung nachzugehen versucht, ausgerechnet von seinem Freund und Anwalt David Kleinfeld (Sean Penn) – der Carlito zu Beginn wegen eines Verfahrensfehlers aus dem Gefängnis geholt hat – wieder hineingezogen in die Illegalität: Der kokainsüchtige Kleinfeld hat den Gangster Vinnie Taglialucci (Joseph Siravo), den er vertritt, um Geld betrogen, Taglialucci erpresst ihn nun: Hilft Kleinfeld ihm nicht beim Ausbruch, muss er sterben. Die Aktion entgleist völlig, und Carlito versucht mit Gail zu fliehen; sie wollen auf den Bahamas neu anfangen, aber Taglialuccis Männer verfolgen ihn.

Al Pacino ist hervorragend als Carlito, er spielt wunderbar sanft dessen Verletzlichkeit und Unsicherheiten heraus, insbesondere in den Szenen mit Penelope Ann Miller. Aber Sean Penn ist fraglos der schauspielerische Höhepunkt des Films: Er war nie besser als hier, spielt Kleinfeld, diese getriebene, zutiefst verkommene Figur scheinbar ohne Mühe oder Eitelkeiten, mit einer absoluten Selbstverständlichkeit.

Bislang keine deutsche Blu-ray

Bleibt zu hoffen, dass der Film bald eine neue Heimkinoauswertung in Deutschland erfährt. Bisher ist er nur als DVD zu erhalten, diese ist mittlerweile out of print und dementsprechend teuer. Denn ohne Zweifel ist „Carlito’s Way“ De Palmas schönster Gangsterfilm, der auf alle Extravaganzen und Exzesse von „Scarface“ verzichtet und dafür lieber versucht, zu seinen Figuren durchzudringen.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Brian De Palma sind in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Viggo Mortensen, Al Pacino und Sean Penn in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung: 8. Januar 2004 als DVD

Länge: 139 Min.
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Carlito’s Way
USA 1993
Regie: Brian De Palma
Drehbuch: David Koepp, nach Vorlagen von Edwin Torres
Besetzung: Al Pacino, Penelope Ann Miller, Sean Penn, Luis Guzmán, John Leguizamo, Viggo Mortensen, Joseph Siravo, James Rebhorn, John Ortiz, Ángel Salazar
Zusatzmaterial: Making-of (34:35), Fotogalerie, Original-Kinotrailer
Vertrieb: Universal Pictures Germany GmbH

Copyright 2017 by Simon Kyprianou
Packshot: © 2004 Universal Pictures Germany GmbH

 
 

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