The Giant Claw
Von Andreas Eckenfels
Science-Fiction // „Datum: der 17. des Monats. Wetter: trübe, bedeckt. Zeit: 13.32 Uhr. Ein bedeutsamer Moment in der Menschheitsgeschichte. Der Moment, in dem ein Elektronikingenieur namens Mitch MacAfee etwas am Himmel entdeckte. Etwas, das beinahe der Anfang vom Ende allen Lebens auf dieser Erde war.“
Wie so häufig in den B-Movies der 1950er-Jahre schwört zu Beginn ein Off-Kommentator die Zuschauer mit unheilschwangeren Worten auf das weitere Geschehen ein. Welches Grauen das Publikum allerdings bei „Angriff der Riesenkralle“ zu sehen bekommen sollte, darauf war niemand vorbereitet. Das unbekannte Flugobjekt mit der Größe eines Schlachtschiffes, welches Ingenieur Mitch MacAfee während eines Testflugs zu Gesicht bekommt, sorgte schon bei der Erstaufführung im Jahr 1957 zunächst für ungläubiges Staunen – und dann für großes Gelächter. Wie überliefert ist, sah auch ein Großteil der Filmcrew das Monster erstmals während der Premieren-Vorstellung. Mitch-Darsteller Jeff Morrow soll aus lauter Scham noch während der Vorführung den Kinosaal verlassen haben.
Riesenvogel aus dem All
Dabei hält Regisseur Fred F. Sears („The Werewolfׅ“) lange die Spannung aufrecht, was für ein seltsames Wesen Mitch gesehen haben will. Weder Offizier Edward Considine (Morris Ankrum) noch Analystin Sally (Mara Corday), mit denen Mitch zusammenarbeitet, schenken ihm zunächst Glauben. Das Geschöpf kann von keinem Radar erfasst werden, auch das Militär findet zunächst keinen Hinweis darauf, dass das unbekannte Flugobjekt wirklich existiert. Erst als sich merkwürdige Geschehnisse häufen, immer mehr Flugzeuge samt Piloten verschwinden und ganze Landstriche verwüstet sind, wird die Bedrohung ernst genommen. Das Monster ist zu Beginn nur als Schatten schemenhaft zu erkennen und gibt krächzende Laute von sich. Erst Fotoaufnahmen bringen Gewissheit: Es handelt sich um einen Riesenvogel aus dem All, welcher die Menschheit auslöschen will!
In der Einführung zum Film bezeichnet Dr. Rolf Giesen den Vogel als „Comic-Bussard“ und als eine „der schlimmsten Attrappen der Monsterfilmgeschichte“. Tatsächlich fällt einem beim ersten Anblick des Monsters die Kinnlade herunter. Der Vogel mit dem langen Hals, den großen Nüstern, den spitzen Krallen und dem kleinen Büschel Haare auf dem Kopf ist ein Wesen, welches wohl nur eine Mutter hübsch finden – geschweige denn lieben – kann. Wie es im Booklet-Text von Ingo Strecker heißt, wurde die Marionette aus Budgetgründen in zwei Varianten für Nah- und Fernaufnahmen vermutlich in Mexiko gefertigt. Eine Endkontrolle wurde wohl nicht vorgenommen.
Ausgewogener Speiseplan
Doch hat man sich an das Federvieh erst mal gewöhnt, besitzt es hohen Unterhaltungswert. Es ist wirklich ein Riesenspaß, dem Vogel dabei zuzusehen, wie er per Rückprojektion angeflogen kommt und schmatzend einen weiteren Piloten verschlingt, der sich mit einem Fallschirm retten wollte. Für eine ausgewogene Ernährung stehen aber auch mal ein paar Teenager auf dem Speiseplan – oder das Wesen krallt sich einfach einen kompletten Zug während voller Fahrt von den Schienen. Dass die Eisenbahn samt angehängten Waggons klar als Spielzeugmodell zu erkennen ist, sorgt dabei für zusätzliche Erheiterung.
Ein großer Pluspunkt von „Angriff der Riesenkralle“ ist, dass es Regisseur Sears trotz des lächerlich wirkenden Monsters tatsächlich gelingt, die Bedrohung für die Menschheit größtenteils aufrechtzuerhalten. Der Riesenvogel stellt sich als äußerst hartnäckiger Zeitgenosse heraus. Selbst Atomwaffen zeigen bei ihm keinen Effekt. Während es sich der Vogel in New York bequem macht, versuchen Mitch und Sally verzweifelt, das Geheimnis des Wesens zu ergründen. Die erfahrenen Darsteller Jeff Morrow („Wenn die Ketten brechen“, „Metaluna IV antwortet nicht“) und Mara Corday („Tarantula“) liefern dabei eine solide Leistung ab.
Recycling aus Kostengründen
Falls euch ein paar Szenen aus anderen Filmen bekannt vorkommen, ist das kein Zufall: Bei der Zerstörung New Yorks und ein paar weiteren Sequenzen, bei denen Menschen panisch durch die Straßen rennen, nutzte Sears teilweise Material aus seiner eigenen Regiearbeit „Fliegende Untertassen greifen an“ (1956). Auch kurze Szenen aus „Dreißig Sekunden über Tokio“ (1944) und „Der Tag, an dem die Erde stillstand“ (1951) wurden aus Kostengründen recycelt.
Wie hoch der Film unter Genrefans im Kurs steht, zeigt auch das Ranking der US-Website Cinemassacre, auf der der „Angry Video Game Nerd“ sein Zuhause hat. Dort wurde das sympathisch-hässliche Federvieh auf der Liste der beliebtesten Riesenmonster noch vor Kultfiguren wie Godzilla, Gamera oder King Kong auf Platz 1 gewählt.
„Angriff der Riesenkralle“ kam nie in die deutschen Kinos und wurde erstmals 1996 auf RTL ausgestrahlt. Nun hat Anolis Entertainment dem unvergesslichen Monster innerhalb seiner „Die Rache der Galerie des Grauens“-Reihe einen optimalen Nistplatz in HD bereitet, von wo aus der Riesenvogel aus dem All weiter seine Kreise ziehen kann und für zahlreiche weitere herunterfallende Kinnladen sorgen wird.
Die Anolis-Entertainment-Reihe „Die Rache der Galerie des Grauens“ haben wir in unserer Rubrik Filmreihen aufgeführt. Ein lesenswerter Text zu „Angriff der Riesenkralle“ findet sich auch bei den Kollegen von Evil Ed.
Veröffentlichung: 13. April 2017 als 2-Disc-Edition (Blu-ray und DVD)
Länge: 74 Min. (Blu-ray), 71 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Engisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: The Giant Claw
USA 1957
Regie: Fred F. Sears
Drehbuch: Samuel Newman, Paul Gangelin
Besetzung: Jeff Morrow, Mara Corday, Morris Ankrum, Louis Merrill, Edgar Barrier, Robert Shayne, Morgan Jones
Zusatzmaterial: Audiokommentar mit Ingo Strecker und Thomas Kerpen, Audiokommentar mit Dr. Rolf Giesen, Uwe Sommerlad und Ivo Scheloske, Einleitung von Dr. Rolf Giesen über die Spezialeffekte, amerikanische Titelsequenz, spanische Titelsequenz, amerikanischer Kinotrailer, Super-8-Fassung, Bildergalerie, Booklet, Wendecover
Vertrieb: Anolis Entertainment GmbH
Copyright 2017 by Andreas Eckenfels
Fotos & Packshot: © 2017 Anolis Entertainment GmbH