
Corruzione al palazzo di giustizia
Von Ansgar Skulme
Politthriller // Der zuständige Minister hat genug von Korruption und Käuflichkeit in der italienischen Politik und Justiz gesehen. Es gilt, frischen Wind in sein von seinen Vorgängern viel zu duldsam geführtes Amt zu bringen. Um dem Staat wieder Glaubwürdigkeit zu verschaffen, will er dem Ingenieur Carlo Goja (Martin Balsam) an den Kragen, der mit Hilfe der Mafia und mittels Bestechung zu einem einflussreichen Politiker zu werden versucht. Goja jedoch wird vor einer geplanten Razzia gewarnt, bei der Richter Dani (Franco Nero) umfangreiches Beweismaterial gegen ihn beschlagnahmen soll. Es beginnt die Jagd auf die undichte Stelle im Justizpalast und auf eine veruntreute Akte, die Goja schwer belasten würde. Der Minister schickt den Untersuchungsrichter Erzi (Umberto Orsini), um die Vorgänge zu untersuchen, der im Angesicht der von Korruption unterwanderten höchsten Instanz der italienischen Judikative alle Freiheiten zum Zwecke der Wahrheitsfindung erhält. Indessen übt der machtgierige Goja Druck auf den Präsidenten des Justizpalastes (Fernando Rey) aus. Bis hin zu Erpressung und gewaltsamer Einschüchterung sind alle Mittel recht. Der mysteriöse Richter Prandó (Gabriele Ferzetti) scheint ein doppeltes Spiel zu treiben. Doch ist er damit der einzige – und was sind seine Absichten?
Während der Sichtung von „Korruption im Justizpalast“ war mir nicht mehr präsent, dass es sich um die Verfilmung eines Theaterstücks von Ugo Betti handelt. Im deutschen Abspann wird die Vorlage als „Buch“ bezeichnet – genau genommen ist es ein Drama in Prosa-Form und gilt als Bettis bekannteste Arbeit. Geschrieben 1944, noch zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs, wurde der Stoff erst 1949 erstmals als Theaterstück aufgeführt und wenig später als gedruckte Edition veröffentlicht, 1950 folgte in Tübingen die erste deutsche Inszenierung. Der vorliegende Film überträgt die Geschehnisse in die 70er-Jahre. Die theaterhafte Dramaturgie sowie die dialoglastige Aufmachung und die konturenreichen Charaktere fallen im Film deutlich genug auf, dass ich ohnehin darauf verweisen wollte, wie dicht sich der Politthriller am Rande des Theaters bewegt – auch ohne das Bewusstsein, dass er tatsächlich auf einem Theaterstück basiert.
Theater-Gourmets und Cineasten vereinigt euch!
Ich leite daraus ab, dass es diesem Film ausgesprochen gut gelingt, ein als Vorlage dienendes Theaterstück in eine filmische Sprache umzusetzen. Wohlgemerkt ohne die geringsten Anleihen an ein Fernsehspiel oder live aufgezeichnetes Theaterstück zu nehmen, sondern durch und durch in einer für Kinofilme typischen Bildsprache und mit dementsprechender Dialogführung erzählt. Während italienische Thriller der 70er, die sich mit der Justiz, Politik oder auch Polizei des Landes befassen, gemeinhin oft recht gewalttätig und actiongeladen sind, nichtsdestotrotz aber häufig interessante Fragen aufwerfen, mutig komplizierte wie auch heikle Themen abhandeln und diese Diskurse phasenweise sogar fast schon philosophisch – bemerkenswert im Kontext actionreicher Handlungen – führen, fällt „Korruption im Justizpalast“ mit seiner auf die Figuren fokussierten Erzählweise und der beinahe gänzlichen Abkehr von Gewaltdarstellungen interessant aus dem Rahmen. Diese filmische Erzählweise aber ist hinsichtlich der Kameraeinstellungen, der Art wie die Szenen geschnitten und miteinander verbunden sind, aber auch hinsichtlich der Besetzung eben doch eng mit anderen Genrebeiträgen verwandt. Dies ist insbesondere deswegen besonders hoch zu bewerten, da es erst der zweite Spielfilm von Regisseur Marcello Aliprandi war. Eindeutig ein Fachmann, der sich nicht nur mit dem Theater, sondern auch dem damaligen italienischen Kino bestens auskannte, obwohl er selbst bis dato kaum die Chance bekommen hatte, sich zu beweisen.
All denjenigen die bei Theateradaptionen zunächst einmal einen Schreck bekommen, bühnenhafte Settings, theatralisch vorgetragene Dialoge und langweilige Kameraarbeit befürchten, brauchen sich in diesem Fall also nicht vor einem artifiziell abgehobenen „Kunstfilm“ zu fürchten, sondern bewegen sich in vertrauten Fahrwassern. Theater im Film oder, besser gesagt, Theater als Film kann ganz unterschiedliche Gesichter haben. Wer es klassischer und theaterhaft mag, sollte daher stattdessen auf die unter der Regie von Ottavio Spadaro im Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt RAI entstandene Adaption von 1966 zurückgreifen – mit Musik von keinem geringeren als Bruno Nicolai. Warum diese zwar nicht in der Internet Movie Database verzeichnet ist, dafür aber via Wikipedia sogar bebildert nachgeschlagen werden kann, weiß eventuell der Himmel.
Wem bin ich etwas schuldig, außer mir?
Inhaltlich punktet die 1974er-Verfilmung von „Korruption im Justizpalast“ bis zum Finale mit diversen doppelten Böden und entlarvt die Protagonisten zunehmend als Gefangene von Systemen, die Druck auf sie ausüben und sich damit verselbstständigt haben – weil die Korrupten ihren Geldgebern hörig sind, aber teils auch dem Minister und der Justiz hörig sein und sich verantworten müssen. Gegenseitig machen sich die Bestechenden, die Bestochenen und diejenigen, die Licht ins Dunkel bringen wollen, das Leben schwer, keiner kann dem anderen trauen, immer wieder blitzen selbst bei manch Korruptem Moral und Verantwortungsbewusstsein auf, aber nur um dann doch wieder zu verblassen. Es geht um schnelles Geld und um Karrieren – und darum, das Ganze möglichst gut nach außen und gegenüber den eigenen Freunden und Familien zu verkaufen. Auch für den Zuschauer bleibt undurchschaubar, zu wem man halten soll. Wenn man sich als Richter einmal mit dem Teufel eingelassen hat, gibt es kein Entkommen mehr. Immer wieder neue Vertuschungen, aber auch immer wieder neue amtliche Aufgaben, denen man gerne aus dem Wege gegangen wäre, die man jedoch annehmen muss, um sich nicht zu verraten. Man ermittelt gewissermaßen gegen sich selbst, nur um nicht sofort aufzufliegen. Offiziell ein Hüter des Gesetzes, aber eigentlich das genaue Gegenteil, gilt es den Schein zu wahren und ein konsistentes Sein zu konstruieren.
Dass es am Ende eine einzelne Akte ist, die letztlich über Gedeih und Verderb im Irrgarten des Archivs im Justizpalast entscheidet, entlarvt die korrupten Figuren dieses Films als Marionetten, die kaum noch selbstbestimmter sind als eine Katze, die einem Wollknäuel hinterherjagt. Während sie versuchen, die eigene Haut zu retten, lassen sich die gebildeten Männer gehen und verhalten sich wie aufgescheuchte Hühner. Spät mag die Einsicht kommen, dass man sich auf den falschen Weg eingelassen hat, aber da es keinen Weg mehr zurück gibt, ist der einzige Weg die Flucht nach vorn und das Verstricken in noch mehr Widersprüche – bis diese irgendwann jemand bemerkt. Ein Weg mag das sein, ein Ausweg allerdings nicht. Die Einsicht, dass selbst Reue und Akzeptanz des eigenen Fehlverhaltens keine Rettung mehr bieten, es sei denn man nähme die komplette öffentliche Demontage in Kauf, ist ernüchternd, jedoch gerecht. So wird Feigheit vor Konsequenzen schließlich zu einem entscheidenden Faktor in einem sich immer weiter nach oben schaukelnden Spiel um Macht. Selbst wenn alle Gekauften eigentlich keine Lust mehr auf all das hätten, würden sie aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung und finanziellem Ruin sowie Gefängnis trotzdem weitermachen.
Gipfeltreffen großer Schauspieler
Dass „Korruption im Justizpalast“ am Ende zu einem vollauf überzeugenden großen Ganzen wird, ist neben der sorgfältig durchdachten Theaterdramaturgie und der überaus gelungenen filmischen Umsetzung durch Regisseur Aliprandi sowie dem großartigen Finale vor allem der guten internationalen Darsteller-Auswahl zu danken. Franco Nero überzeugt in einer ungewöhnlich spießigen Rolle, ein Richter der sich selbst letztlich sein ärgster Gegner ist. Gabriele Ferzetti spielt den alkoholkranken Prandó in sympathischer Weise extrovertiert, ein wenig dick aufgetragen, aber noch in einem Rahmen, dass man es als angemessene Hommage an die Theatervorlage verstehen kann. Der Spanier Fernando Rey zeigt den Präsident des Justizpalastes als gebrochenen Mann in einem nicht mehr zu heilenden Zwiespalt aus Überzeugungen und Fehlern, der schließlich kniend und gesenkten Hauptes in seinem Garten sein Karriereende hinnehmen muss. Und der US-Amerikaner Martin Balsam – damals ebenso wie Rey ein gern gesehener Gast im italienischen Genrekino – zeigt sich als Personifikation des Korrupten von seiner unliebsamsten Seite. Er gibt das perfekte Bild eines selbstverliebten, immer gute Miene zum bösen Spiel machenden Bonzen ab, der für einen gut sitzenden Anzug und den nächsten Friseurbesuch über Leichen gehen würde, aber in jede Kamera grinst, als würde er alle Schwiegermütter um den Verstand bringen wollen. Kurzum: Das Establishment von seiner widerlichsten Seite!
Neben diesen vier wirklich namhaften und wichtigen Größen des italienischen Kinos der damaligen Zeit sollte aber auch Mara Danaud in der Rolle der Flavia gesonderte Erwähnung finden, die zwischen zwei korrupten und doch so verschiedenen Typen ihre Frau steht. Flavia, die von Goja aus dem Dreck geholt wurde, deswegen aber auch gezwungen scheint, sein perfides Spiel mitzuspielen, gibt ein interessantes Pendant zu den Interessenskonflikten im korrupten Justizapparat dieses Films ab. Auch sie ist eine Gefangene eines Systems, das sich verselbstständigt hat – Goja nutzt sie aus, da er weiß, wie er sie erpressen kann und da sie weiß, dass der Weg in die Öffentlichkeit mit der Bloßstellung Gojas auch für sie der schmerzhafteste wäre, ganz ähnlich wie auch ein korrupter Richter die Wahrheit an der Öffentlichkeit am meisten fürchtet, mag er noch so reumütig sein. Nicht zuletzt macht Umberto Orsini als recht cool daherkommender Untersuchungsrichter Erzi mit Sonnenbrille und stylischem, modern geschnittenem Kinnbart eine gute Figur. Er taucht da auf, wo es wehtut und provoziert da, wo es wirkt. Und wenn man ihn an der Nase herumführen will, lächelt er süffisant und hakt weiter nach. Er ist der richtige, um sich mit diesem tief im Dreck versumpften Establishment anzulegen – sein Motto, wenn er auf die Richter zugeht, scheint in etwa: „Ihr mögt zwar 30 Jahre im Amt sein, aber mir könnt ihr hier mal gar nix!“ zu sein. Sympathisch unbequem.
Vom ZDF ans Licht befördert
In Deutschland kam der Film nicht regulär ins Kino und wurde erst in den 80er-Jahren zum ersten Mal gezeigt; in einer TV-Synchronisation mit Joachim Kemmer als Stimme von Franco Nero. Während Kemmer nicht unbedingt besonders gut als Nero-Variante funktioniert und eine Lösung wie Klaus Kindler wünschenswert gewesen wäre, ist Holger Hagen als Stimme von Fernando Rey eine durchaus berührende Leistung geglückt. Auch Otto Stern für Martin Balsam und Benno Sterzenbach für Gabriele Ferzetti verleihen ihren Figuren Charisma. Den Untersuchungsrichter mit Horst Sachtleben zu besetzen war keine allzu gute Idee – dieser taffe Typ hätte eindeutig eine kaltschnäuzigere, abgebrühte Stimme gebraucht. Auch wenn mit Sachtleben zumindest das Rühren im Dreck und das permanente Aufreißen von Wunden im Justizpalast etwas genüsslich-gemeines bekommen. Man merkt schnell: Dieser Erzi ist da, um penetrant zu sein und den Richtern auf die Nerven zu gehen bis ihre Fassade zu bröckeln beginnt.
Wann genau der Film erstmals in Deutschland lief, bedürfte einer gesonderten Überprüfung alter Fernsehprogramme oder in den Archiven des ZDF. Es ist eine TV-Ausstrahlung im ZDF für Anfang 1988 überliefert, Benno Sterzenbach ist allerdings bereits im September 1985 gestorben. Die Synchronfassung mit Dialogbuch und Regie von Joachim Brinkmann soll auch erst kurz vor Sterzenbachs Tod entstanden sein. Was dann bis 1988 mit dem Material passierte, ist unklar. Dass der Film trotz vorliegender Synchronfassung längere Zeit nicht ausgestrahlt wurde, bevor es zur deutschen Premiere kam, scheint eigentlich eher unwahrscheinlich, da die Fassung wohlgemerkt direkt vom ZDF in Auftrag gegeben und nicht nur angekauft worden war. In Italien und den USA gibt es „Korruption im Justizpalast“ bereits auf DVD, aus den USA aber leider nur im falschen Bildformat und in sonstig schlechter Qualität. Dadurch erklärt sich auch die Absurdität, dass die italienische DVD dieses italienischen Films erst knapp drei Jahre später veröffentlicht wurde als die US-DVD.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Martin Balsam und Franco Nero sind in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.
Veröffentlichung (USA): 23. Februar 2010 als DVD
Länge: 104 Min.
Altersfreigabe: FSK unbekannt
Originaltitel: Corruzione al palazzo di giustizia
IT 1974
Regie: Marcello Aliprandi
Drehbuch: Marcello Aliprandi, Gianfranco Clerici & Franco Imbert, nach einem Theaterstück von Ugo Betti
Besetzung: Franco Nero, Fernando Rey, Gabriele Ferzetti, Umberto Orsini, Martin Balsam, Mara Danaud, Giovanna Benedetto, Umberto D’Orsi, Renato Montanari, Ugo Maria Morosi
Verleih: Filmes S.p.A.
Copyright 2017 by Ansgar Skulme
Filmplakat: Fair Use
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