Carnival of Souls
Von Volker Schönenberger
Horror // Drei junge Frauen in einem Auto, zwei übermütige Kerle im anderen – so harmlos beginnt der „Tanz der toten Seelen“. An der Ampel fordert der Beifahrer des einen die Fahrerin des anderen Wagens heraus. Ein kurzes Rennen endet tragisch: Von einer Brücke stürzt das Fahrzeug mit den drei Frauen in den Fluss. Vergeblich suchen die Retter nach dem Auto, dann torkelt Mary Henry (Candace Hilligoss) aus einer Schlammzunge ans rettende Ufer. Als einzige Überlebende des Frauentrios reist sie kurz darauf per Auto nach Salt Lake City. Auf der nächtlichen Fahrt erscheint ihr plötzlich das Gesicht eines Mannes im Fenster der Beifahrertür – eine Vision, die sie fortan wiederholt heimsuchen wird. Am Ziel ihrer Reise eingetroffen, tritt Mary eine Tätigkeit als Organistin einer Kirchengemeinde an.
Die Idee zu seinem einzigen Spielfilm kam dem Schulungs- und Werbefilmer Herk Harvey dem Vernehmen nach, als er an dem verlassenen Saltair-Pavillon nahe Salt Lake City vorbeifuhr. Es gelang ihm auch, dort zu drehen. Sein Low-Budget-Film weist mit Hauptdarstellerin Candace Hilligoss lediglich eine Mitwirkende mit professionellem Schauspiel-Hintergrund auf, obwohl auch ihr keine große Karriere beschieden war.
Einflussreicher Gruselklassiker
Die mit einigen laienhaft wirkenden Filmfehlern gespickte Independent-Produktion floppte im Kino und entwickelte sich erst im Lauf der Jahre zu einem einflussreichen Klassiker. Von Herk Harveys „Carnival of Souls“ zu George A. Romeros „Die Nacht der lebenden Toten“ („Night of the Living Dead, 1968“) ist es gar kein allzu weiter Weg, wie Romero selbst freimütig zugegeben hat. Der Einfluss von „Carnival of Souls“ reicht sogar bis ins moderne deutsche Autorenkino, wie Christian Petzolds Mystery-Drama „Yella“ von 2007 zeigt. 1998 produzierte Wes Craven ein Horrordrama mit dem Titel „Carnival of Souls“, das sich aber lediglich der Grundidee und der Wendung im Finale bediente.
Wenn die toten Seelen tanzen, ist Minimalismus Trumpf. Das beginnt beim zurückhaltenden, aber schaurigen Score und endet noch lange nicht bei der Vision des Mannes, der der geplagten Mary immer wieder erscheint – verkörpert von Regisseur Harvey persönlich. Die Handlung setzt ganz auf die Hauptfigur: Nur wenige Szenen fokussieren nicht auf Mary, die von ihren beängstigenden Erlebnissen zusehends in die Verzweiflung getrieben wird. Es benötigt kaum visuelle oder akustische Effekte, damit sich das Grauen der Protagonistin auf die Zuschauer überträgt. Und auch wenn man geneigt ist, die letzte Einstellung des Films mit „Ah, so ist das also“ zu kommentieren, so lässt doch die vorletzte Szene des Films die folgende Auflösung nicht ganz so eindeutig erschienen. Aber ich will nicht spoilern, macht euch selbst ein Bild davon!
Wie bei George A. Romeros „Die Nacht der lebenden Toten“ wurde es beim US-Kinostart versäumt, einen Copyright-Vermerk im Vor- oder Abspann zu platzieren, was die US-Kinofassung automatisch urheberrechtsfrei machte – eine sonderbare Regelung, aber mich fragt ja keiner. Der Film kann daher völlig legal unter Archive.org angeschaut und heruntergeladen werden. Auch auf YouTube kann der Film kostenlos in voller Länge geschaut werden, anscheinend sowohl die Kinofassung als auch der Director’s Cut. Zu den Unterschieden zwischen beiden Fassungen verweise ich auf die Kollegen von Schnittberichte.
Vom legalen Gratis-Download zur Criterion Collection
Aufgrund des Daseins in der Public Domain ist „Tanz der toten Seelen“ in Deutschland mehrfach auf DVD erschienen, einmal auch auf Blu-ray, das allerdings nur in einer billig zusammengestellten Sammlung. Auch bei den deutschen DVDs drängt sich kaum eine Version auf. Wer auf eine hochwertige Edition Wert legt, greife auf das US-Label The Criterion Collection zurück, muss dafür aber auf deutschen Ton verzichten und benötigt einen Player, der Discs mit US-Regionalcodes abspielen kann. Criterion wird die Blu-ray im Oktober aber auch im Vereinigten Königreich veröffentlichen. Dem Vernehmen nach ist diese deutsche Edition identisch mit der Criterion-DVD.
Wer gutem, altem Schwarz-Weiß-Horror nichts abgewinnen kann – unverständlich genug –, gebe sich einen Ruck für diesen meisterhaften Low-Budget-Grusler. Wer Schwarz-Weiß nicht abgeneigt ist, müsste „Tanz der toten Seelen“ bereits genossen und für herausragend befunden haben. Falls nicht: Umgehend nachholen! Egal, ob man die Criterion-Edition oder eine der deutschen DVDs bevorzugt, sich den Film per Gratis-Download besorgt oder bei YouTube anschaut: Es gibt keine Ausrede mehr, „Carnival of Souls“ nicht zu kennen. Lasst die toten Seelen tanzen!
Veröffentlichung D: diverse
Veröffentlichung USA: 12. Juli 2016 als Blu-ray und 16. Mai 2000 als DVD (The Criterion Collection)
Veröffentlichung GB: 23. Oktober 2017 als Blu-ray (The Criterion Collection)
Länge: 84 Min. (Director’s Cut), 78 Min. (Kinofassung)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: keine Angabe
Untertitel: keine Angabe
Originaltitel: Carnival of Souls
USA 1962
Regie: Herk Harvey
Drehbuch: John Clifford
Besetzung: Candace Hilligoss, Frances Feist, Sidney Berger, Art Ellison, Stan Levitt, Tom McGinnis, Forbes Caldwell, Dan Palmquist, Cari Conboy, Bill de Jarnette, Herk Harvey
Zusatzmaterial: keine Angabe
Vertrieb: diverse
Copyright 2017 by Volker Schönenberger
Szenenfotos: Fair Use