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Horror für Halloween (XXXVI): Das Leichenhaus der lebenden Toten – Solche Zombies werden heute gar nicht mehr gebaut

30 Okt

Non si deve profanare il sonno dei morti

Von Volker Schönenberger

Horror // Gleich zu Anfang kommt ein wenig Hippie-Feeling auf: Als sich der Kunsthändler George Meaning (Ray Lovelock) zu einem Wochenende auf dem Land aufmacht, läuft alsbald eine nackige Frau über die Straße, die „Freiheit! Freiheit! Freiheit für die Frauen!“ skandiert. Etwas später wird ein Mann auf dem Land George auf seine langen Haare ansprechen: „Sie sind ein wenig schwerhörig, was? Na ja, das wird an dieser Haarmähne liegen, die sie über den Ohren tragen.“ So wird frühzeitig ein Kontrast zwischen dem modernen Großstädter George und den Provinzlern etabliert, der später darin kulminiert, dass ein so übereifriger wie bornierter Polizei-Inspektor (Arthur Kennedy) partout George für die mörderischen Vorkommnisse in der Gegend verantwortlich machen will.

Zwischenfall an der Tankstelle

An einer Tankstelle beschädigt die Londonerin Edna (Cristina Galbó) mit ihrem Auto Georges Motorrad, sodass er es in der dortigen Werkstatt zurücklassen muss. Edna erklärt sich bereit, ihn mitzunehmen. Bei einem Zwischenstopp will George Einheimische nach dem Weg fragen. Die am Auto wartende junge Frau wird von einem seltsam steif daherstapfenden Mann mit starrem Blick angegriffen, kann sich aber retten. In der Nähe erproben Angehörige der britischen Landwirtschaftsbehörde ein neuartiges Gerät zur Ungezieferbekämpfung, das mit Kernenergie arbeitet.

Im Fahrwasser von „Die Nacht der lebenden Toten“

Zwei junge Leute fahren aufs Land, ein Untoter greift an – „Das Leichenhaus der lebenden Toten“ outet sich frühzeitig als Epigone von „Die Nacht der lebenden Toten“, mit dem George A. Romeros 1968 die Tür zum modernen Zombiefilm weit aufstieß. „The Living Dead at Manchester Morgue“, so einer der internationalen Titel der spanischen Produktion, verzichtet über weite Strecken auf das apokalyptische Moment, die Zombieseuche bleibt vorerst lokal begrenzt. Ausgelöst wird sie durch – das könnt Ihr euch sicher denken.

Vorbild für Lucio Fulci?

Bemerkenswert, dass „Das Leichenhaus der lebenden Toten“ fünf Jahre vor „Woodoo – Die Schreckensinsel der Zombies“ („Zombi 2“, auch „Zombie Flesh Eaters“) entstand, dem ersten Zombiefilm eines gewissen Lucio Fulci – und vier Jahre vor George A. Romeros „Zombie“ („Dawn of the Dead“). Ansonsten hätte man argwöhnen können, dass Jorge Grau bei Fulci gelernt hat. So ist wohl anzunehmen, dass Fulci selbst, einer der Großmeister des Zombiefilms, Graus Werk kannte und schätzte, bevor er sich selbst daran machte, Heerscharen italienischer Untoter aufs Kinopublikum loszulassen.

Holt ihn endlich vom Index!

Die handgemachten Splatter- und Make-up-Effekte wissen zu gefallen und werden nicht inflationär eingesetzt, sondern nur punktuell, passend zur Handlung. Wenn die sich ins Krankenhaus verlagert, kommen Gorehounds aber auf ihre Kosten, zuvor auch schon in einer wunderbaren Friedhofs-Sequenz. „Invasion der Zombies“, so ein anderer deutscher Titel, hat eine lange Geschichte der Indizierung und Beschlagnahme aufzuweisen, die sich bis heute fortsetzt. Das wirkt umso unverständlicher, da doch seit einigen Jahren reihenweise Beschlagnahmungen vormals berüchtigter Klassiker aufgehoben und die Filme vom Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien gestrichen werden. „The Texas Chainsaw Massacre“ und „Tanz der Teufel“ lassen grüßen, um nur zwei der prominentesten Beispiele zu nennen. Bleibt zu hoffen, dass sich ein Rechteinhaber der Aufgabe annimmt, das auch für „Das Leichenhaus der lebenden Toten“ zu erreichen und den Film auf den Weg durch die Instanzen zu schicken, um eine adäquate Veröffentlichung zu ermöglichen und Filmfans zu erreichen, die keine Filmbörsen besuchen und sich mit dem internationalen Online-Handel nicht auskennen. Bis das geschieht, kann ich hier leider keine Veröffentlichung empfehlen.

Wie gelangte Arthur Kennedy in den Cast?

Eine für einen europäischen Exploitationfilm ungewöhnliche Personalie offenbart sich in der Rolle des Inspektors: Es entzieht sich meiner Kenntnis, was dazu führte, dass der in vielen Krimis und Western wie „Meuterei am Schlangenfluss“ profilierte Hollywood-Star Arthur Kennedy (1914–1990) mitwirkte, der in den 1950er-Jahren immerhin fünf Oscar-Nominierungen einheimste und 1956 für das Gerichtsdrama „Das Komplott“ einen Golden Globe als bester Nebendarsteller erhielt. Für Hinweise auf sein Mitwirken per Kommentar bin ich dankbar. Seine Figur ist etwas überzogen gezeichnet: Gar zu sehr versteift er sich von Anfang an darauf, in George den Täter zu sehen, ohne eine andere Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Das ist aber nur ein kleiner Wermutstropfen eines ansonsten herausragenden Vertreters des europäischen Zombiefilms der 1970er-Jahre. Trotz all der rasenden Wüteriche in den Infizierten-Filmen der jüngsten Vergangenheit – die langsam schlurfenden Untoten der Romero-Ära haben auch heute ihre Existenzberechtigung. Jorge Graus „Das Leichenhaus der lebenden Toten“ punktet mit effektiver Inszenierung in gut anderthalb Stunden, ein paar sozialkritischen Elementen, prima Effekten und stimmungsvoller Provinz-Atmosphäre – klasse!

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Arthur Kennedy sind in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.

Länge: 95 Min.
Altersfreigabe: FSK ungeprüft
Originaltitel: Non si deve profanare il sonno dei morti
Deutscher Alternativtitel: Invasion der Zombies
Internationale Titel: The Living Dead at Manchester Morgue / Let Sleeping Corpses Lie / Don’t Open the Window
IT/SP 1974
Regie: Jorge Grau
Drehbuch: Sandro Continenza, Marcello Coscia
Besetzung: Cristina Galbó, Ray Lovelock, Arthur Kennedy, Aldo Massasso, Roberto Posse, José Lifante, Giorgio Trestini, Jeannine Mestre, Fernando Hilbeck, Gengher Gatti, Vera Drudi, Vicente Vega

Copyright 2017 by Volker Schönenberger

 

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