The Cured
Von Volker Schönenberger
Horrordrama // Jahrelang verursachte das Maze-Virus in Europa schwerwiegende Psychosen. Auf dem Kontinent ist es nun unter Kontrolle, doch Irland wurde vom Virus überrannt. Inmitten des Chaos wurde ein Heilmittel entwickelt. In 75 Prozent der Fälle war die Behandlung erfolgreich. Aber die Geheilten konnten sich an alles erinnern, was sie während der Infektion getan hatten. Während die Regierung über das Schicksal der resistenten 25 Prozent debattiert, sollen die letzten Geheilten in die Gesellschaft reintegriert werden.
Geheilte als Parias
Bei den in dieser Einblendung zu Beginn genannten „schwerwiegenden Psychosen“ handelt es sich um gewalttätigen Kannibalismus durch Zombiefizierung, wie zu Anfang nur vage angedeutet wird. Die Kurierten (englisch: „The Cured“) sind in Irland Parias, obwohl sie ihre Taten im Blutrausch im Zustand geistiger Umnachtung und somit unzurechnungsfähig begangen haben. Ein Großteil der gesund gebliebenen Bevölkerung lehnt sie vehement ab, fordert gar ihre Tötung. Andere wie Abbie (Elliot Page) befürworten die Wiedereingliederung. Die junge Witwe und Mutter eines Sohnes nimmt ihren Schwager Senan (Sam Keeley) nach dessen Heilung bei sich auf. Die Situation im Land gleicht einem Pulverfass, dessen Lunte bereits brennt. Von Hass erfüllte Menschen wollen mit Geheilten wie Ungeheilten kurzen Prozess machen, während unter den Geheilten ebenfalls die Bereitschaft zu gewaltsamem Widerstand wächst.
Prima, dass das arg ausgelutschte Zombiegenre doch noch originelle Ansätze hergibt. Dass man die infizierten Wüteriche heilen kann, sie dann aber mit den Folgen ihres Tuns und der Ablehnung durch die Gesellschaft klarkommen müssen, ist neu, zumal wir es mit einem völlig ironiefreien Horrordrama zu tun haben. Dies bedingt, dass sich mit herkömmlicher Untoten-Action vertraute Horrorfans auf ein über weite Strecken ruhiges Gesellschafts- und Beziehungsdrama einstellen müssen. Bekannte und bewährte Horrorsequenzen kommen erst im letzten Drittel von „The Cured“ verstärkt zum Tragen. Die FSK-16-Freigabe der ungeschnittenen Fassung geht aber völlig in Ordnung. Wer nur auf der Suche nach dem nächsten blutigen Zombie-Spektakel ist, möge den Film meiden. Nichts gegen stumpfe Horror-Kost, auch sie hat ihre Existenzberechtigung. Aber wer es auch mal etwas intelligenter mag, ist hier an der richtigen Adresse.
Zombies als Analogie unserer Gesellschaft
Zombies – oder wahlweise: Infizierte – dienen gern als Metapher für die Menschheit, etwa als stumpfe Masse von Konsumenten wie in „Zombie“ („Dawn of the Dead“, 1978) von George A. Romero. In „The Cured – Infiziert. Geheilt. Verstoßen.“ lassen sich gleich mehrere Analogien zur Realität bilden. Das Leben unter dem Damokles-Schwert einer schweren Infektion wie HIV (AIDS) ist eine davon, auch das Leid von posttraumatischen Belastungsstörungen von aus dem Krieg heimgekehrten Soldaten darf genannt werden. Und gerade in der heutigen Zeit ist die Ausgrenzung von Personengruppen in unserer Gesellschaft permanentes Thema – und leider salonfähig. Geheilte Infizierte sind keine Flüchtlinge, aber die Verbindung ist unverkennbar. Manchen Filmguckern mag das als plakativ aufstoßen, aber es muss nicht immer subtil sein.
Regisseur David Freyne zieht diese Verbindung ausdrücklich, sieht die Kurierten als Opfer, die nicht verantwortlich seien. Was mich wirklich bewegt hat, ist, wie seinerzeit – und aktuell wird es schlimmer – Immigranten und Flüchtlinge, Asylsuchende so sehr entmenschtlicht worden sind. Sie wurden wie eine Seuche behandelt, derer man sich einfach entledigen konnte. Und man macht sie für alles verantwortlich, was schlecht läuft. So äußerte er sich im Interview über sein Langfilm-Regiedebüt, für das er auch das Drehbuch verfasst hatte. In einem anderen Interview thematisierte Freyne ein Camp in Irland, in welchem Flüchtlinge institutionalisiert worden sind, als müsse man sie in Quarantäne halten. Auf diese Weise würden diese Menschen nicht nur in Europa behandelt werden, sondern weltweit – man würde sie als Vergewaltiger und Kriminelle einstufen. Da wir es mit einer irischen Produktion zu tun haben, lässt sich ein weiterer Bezug unschwer herstellen: Wie geht die irische Gesellschaft mit ehemaligen IRA-Mitgliedern oder auch loyalistischen Kämpfern um, die ihre Waffen niedergelegt haben, um ins Alltagsleben zurückzufinden? Dazu hat David Freyne allerdings nichts gesagt.
Elliot Page verschlägt’s nach Irland
Bemerkenswert: Mit Elliot Page („X-Men – Zukunft ist Vergangenheit“) hat ein Oscar-nominierter Hollywood-Schauspieler den Weg in die Besetzung eines irischen Regiedebüts und eines Zombiefilms gefunden (noch vor seinem Outing als Trans-Mann). David Freyne hat sich eigenen Angaben zufolge hartnäckig um ihn bemüht. Es dauerte wohl etwas, bis Page das Drehbuch in die Hände bekam, aber Freyne war letztlich erfolgreich, und sein Spiel wertet „The Cured“ erwartungsgemäß auf. Mit „Into the Forest“ hatte Page 2015 bereits bewiesen, dass er Genrefilmen jenseits des Hollywood-Mainstreams etwas abgewinnen kann, sofern diese über 08/15-Kost hinausgehen. Das ist bei „The Cured“ definitiv gegeben. Sofern es weiterhin ab und zu so frische Beiträge zum Untoten- bzw. Infiziertengenre gibt, ertragen wir auch gern die übliche Kost. Sehr erfreulich, dass es einem Zombiefilm gelingt, topaktuelle gesellschaftliche Entwicklungen aufzugreifen.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Elliot Page haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.
Veröffentlichung: 25. Mai 2018 als Blu-ray und DVD
Länge: 95 Min. (Blu-ray), 91 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Niederländisch
Originaltitel: The Cured
IRL 2017
Regie: David Freyne
Drehbuch: David Freyne
Besetzung: Elliot Page (als Ellen Page), Sam Keeley, Tom Vaughan-Lawlor, Stuart Graham, Paula Malcomson, Natalia Kostrzewa, Hilda Fay, Sarah Kinlen, Judy Donovan
Zusatzmaterial: Featurette, Trailer, Trailershow, Wendecover
Label: splendid film
Vertrieb: WVG Medien GmbH
Copyright 2018 by Volker Schönenberger
Szenenfotos: © 2018 splendid film / WVG Medien GmbH