Hereditary
Kinostart: 14. Juni 2018
Von Matthias Holm
Horrordrama // Das Kino-Jahr 2018 war für Horrorfreunde bisher recht ergiebig: Mit „Ghostland“, „A Quiet Place“ und „Ghost Stories“ gab es gleich drei qualitativ hochwertige Genrebeiträge auf großer Leinwand zu bestaunen, die nicht nur aus der immer gleichen Blumhouse-Formel bestehen. Nun reiht sich mit „Hereditary“ sogar noch ein weiterer richtig starker Beitrag ein.
Nach dem Tod ihrer Mutter ist Annie Graham (Toni Collette) enorm aufgewühlt. Trotz eines eher schwierigen Verhältnis nimmt sie der Verlust extrem mit, auch ihr liebender Mann Steve (Gabriel Byrne) kann Annies Schmerz nicht lindern. In ihrer Trauer vernachlässigt sie sogar ihre beiden Kinder Peter (Alex Wolff) und Charlie (Milly Shapiro). Nach einem zusätzlichen Schicksalsschlag spannt sich die Situation in der Familie weiter an. Während dieser unglücklichen Zeit trifft Annie bei einer Selbsthilfegruppe auf Joan (Ann Dowd). Die behauptet, sie könne als eine Art Medium mit den Toten reden.
Nicht für alle Horror-Fans
Während die drei oben genannten Filme, vor allem „A Quiet Place“, sich stark auf ein Konzept stützen und dennoch für ein breites Publikum zugänglich sind, verhält sich das bei „Hereditary“ ein wenig anders. Regisseur und Drehbuchautor Ari Aster, der hier sein Langfilmdebüt vorlegt, vermengt seinen Horror mit einer Menge Familiendrama. Die Grahams müssen viel durchmachen, infolgedessen alle Beteiligten ihre Gefühle offen legen. Ganz stark ist dies natürlich bei Annie zu beobachten, was von Toni Collette („Sixth Sense“) hervorragend vermittelt wird. Dieser Fokus hat allerdings zur Folge, dass sich eingeschworene Horrorfans darauf einstellen müssen, auch schon mal längere Streitgespräche am Esstisch zu verfolgen. Auch auf Gabriel Byrne („Stigmata“) ist selbstverständlich Verlass.
Interessanterweise bilden diese Unterhaltungen gerade die Stellen, in denen die etwas entrückte Atmosphäre durchbrochen wird. Man hat selten das Gefühl, das Leinwandgeschehen sei real, doch am beängstigendsten sind Szenen, in denen wir uns in den Figuren wiederfinden – und diese wirklich dunkle Geheimnisse preisgeben. Hier durchdringt der Film die Fiktion und spiegelt absolut reale Horror-Gedanken wieder, die es in vielen Familien gibt.
Terror durch Töne
Das mag ungewohnt sein, passt aber zum Rest des Films. Denn auch inszenatorisch ist „Hereditary – Das Vermächtnis“ alles andere als gewöhnliche Horrorkost. Im Gegensatz zum aktuellen Trend benötigt Ari Aster keinen einzigen Jump-Scare, um seinen Zuschauern Schauer über den Rücken laufen zu lassen. Der Regisseur verlässt sich vielmehr auf seine Schauspieler, die schneidende Atmosphäre, die durch ungewohnte Bildkompositionen entsteht, und seine über alles erhabene Tonspur. Damit ist nicht nur der Score gemeint, auch der Rest der Geräusche trägt zum Grusel bei – ob es nur ein Klicken ist, dass früh als Hinweis etabliert wird und später unerwartet auftaucht, oder ein unterschwelliger Techno-Beat, von dem man nie weiß, ob er jetzt wirklich da ist oder nicht. Sämtliche Töne lassen den Zuschauer immer unruhiger werden.
Dass die Auflösung der Geschichte durchaus vorhersehbar ist, lässt sich verschmerzen – vor allem auch, da im Finale der Horror-Regler plötzlich voll aufgedreht wird. „Hereditary – Das Vermächtnis“ erinnert aufgrund seines ungewohnten Ansatzes mehr an Filme wie „The Witch“ und „Der Babadook“, in seinem unbedingten Stilwillen auch an „It Follows“. Das ist alles andere als der ewig gleiche Mainstream-Horror. So verschließt sich der Film zwar einem großen Publikum und wird bei Horrorfans auf der Suche nach „Wrong Turn 14“ und „Saw 19“ vermutlich auf Unmut stoßen; wer sich aber darauf einlässt, bekommt einen ungewöhnlichen und wirklich beunruhigenden Film jenseits ausgetretener Pfade serviert.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Toni Collette haben wir in unserer Rubrik Schauspielerinnen aufgelistet, Filme mit Gabriel Byrne unter Schauspieler.. Ein lesenswerter Text zu „Hereditary – Das Vermächtnis“ findet sich auch bei den Kollegen von Evil Ed.
Länge: 127 Minuten
Altersfreigabe: FSK 16
Originaltitel: Hereditary
USA 2018
Regie: Ari Aster
Drehbuch: Ari Aster
Besetzung: Toni Collette, Gabriel Byrne, Alex Wolff, Milly Shapiro, Ann Dowd, Mallory Bechtel
Verleih: splendid film / 24 Bilder
Copyright 2018 by Matthias Holm
Filmplakat, Fotos & Trailer: © 2018 splendid film