Brimstone
Westerndrama // Episch, brutal, finster, mit religiösen Motiven durchsetzt und mehr Horrormotiven, als manchem Genre-Fan lieb sein dürfte – „Brimstone – Erlöse uns von dem Bösen“ ist ein harter Brocken von einem Western. Der niederländische Drehbuchautor und Regisseur Martin Koolhoven hat mit seiner ersten englischsprachigen Arbeit Publikum und Kritiker gleichermaßen verstört und begeistert, aber auch abgestoßen.
„Brimstone“ ist das englische Wort für Schwefel, und Schwefel ist essenzieller Bestandteil der Hölle, wie wir aus der Offenbarung erfahren – danach werden die Furchtsamen und Ungläubigen in einem See aus Feuer und Schwefel brennen. Der liebe Gott – von wegen lieb! – ließ im ersten Buch Mose Schwefel und Feuer auf die sündigen Städte Sodom und Gomorra regnen. Das bisweilen üblen Gestank auslösende Element genießt in der Christenheit somit keinen besonders guten Ruf. Den religiösen Beigeschmack für den deutschen Markt mit dem plakativen Titelzusatz „Erlöse uns von dem Bösen“ zu betonen, hätte gar nicht Not getan. Die Thematik wird allein schon durch die Benennung der vier Kapitel deutlich, in die „Brimstone“ aufgeteilt ist: „Revelation“ (Offenbarung), „Exodus“ (Auszug), „Genesis“ (Schöpfung) und „Retribution“ (Vergeltung).
Auftritt Reverend
Im ersten Kapitel lernen wir Liz (Dakota Fanning) kennen, die irgendwann im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mit ihrer Familie im Mittleren Western der USA lebt. Sie kann nicht sprechen, verständigt sich mit Gebärdensprache. Bei ihrer Arbeit als Hebamme hilft ihr ihre Tochter, sich mit ihrer Kundschaft zu verständigen. Eines Trages tritt mit dem neuen Reverend (Guy Pearce) der Gemeinde eine alte Nemesis wieder in ihr Leben, der sie entkommen zu sein hoffte.
Viel mehr will ich hier nicht über die Handlung verraten. Martin Koolhoven erzählt seine Geschichte nicht chronologisch, das zweite Kapitel von „Brimstone“ ist zeitlich vor dem ersten angesiedelt, das dritte vor dem zweiten. Erst das vierte und letzte Kapitel knüpft unmittelbar an das erste an. Der Regisseur mutet seiner Protagonistin Leid zu – enorm viel Leid. Die Fronten zwischen den Geschlechtern sind dabei klar abgesteckt. Fast könnte man meinen, es mit einem Männerhasser-Film zu tun zu haben. Sind mit Ausnahme von Liz’ Gemahl Eli (William Houston) doch alle bedeutsamen Männer eher unsympathische bis widerliche Zeitgenossen. Getoppt wird das vom Reverend, der an abgrundtiefer Bösartigkeit nicht zu überbieten ist. Guy Pearce („Memento“) spielt das mit diabolischer Ausstrahlung und vernarbtem Gesicht. Der von ihm verkörperte Prediger findet für seine Missetaten immer eine biblische Rechtfertigung, wie absurd sie auch erscheinen mag. In der Rückschau kann man den Geistlichen im ersten und vierten Kapitel sogar anders interpretieren als in den beiden dazwischen liegenden Abschnitten – aber das auszuführen, würde an dieser Stelle in zu dichte Spoiler-Gefilde abgleiten. Wer den Prediger beim Filmgucken nicht zu verabscheuen lernt, sollte jedenfalls dringend sein ethisch-moralisches Weltbild untersuchen. Die Frauen von „Brimstone“ hingegen sind bei all dem Elend, in welchem sie leben, doch von reiner Gesinnung. Machen sie sich einmal schuldig, so geschieht das aus lauteren Motiven – und es wird zuverlässig drastisch bestraft.
Starke Frau, drastische Gewalt
Insofern haben wir es am Ende mit einem feministischen Western im besten Sinne zu tun. Liz ist stark genug, vieles zu ertragen, was sie und die Menschen, die ihr lieb sind, erleiden müssen. Unfair ist es, „Brimstone“ Exploitation vorzuwerfen und den Western in die Trash-Ecke zu rücken, nur weil die Gewalt drastisch und explizit daherkommt. Die FSK-16-Freigabe der ungeschnittenen Fassung überrascht zwar etwas – über das rote 18er-Logo hätten sich die deutschen Vermarkter nicht beschweren dürfen. Da wird ein Mann mit seinen eigenen Gedärmen gefesselt, Zungen werden aus Mündern herausgeschnitten und Kopfschüsse inklusive Einschuss- oder Austrittswunden sind zu betrachten. Gleichwohl dient die Gewalt keinem Selbstzweck, sondern unterstreicht das Geschehen, wenn auch auf derbe Weise. Sie stößt uns übel auf, aber das soll so sein und ist auch genau richtig so.
Die Entstehung des Films gestaltete sich schwierig – bis hin zu einer stressbedingten Panikattacke für Martin Koolhoven, die sogar für einen Herzanfall gehalten wurde. Insgesamt arbeitete er wohl sieben Jahre lang an dem Western. Und wenn ein Filmemacher fürchten muss, sein Baby kurz vor Drehbeginn zu verlieren, kann das sicherlich Angst auslösen. Die als Hauptdarstellerin vorgesehene Mia Wasikowska („Only Lovers Left Alive“) stieg mitten in der heißen Vorproduktionsphase aus, ein Geldgeber ebenfalls, sodass das Projekt phasenweise zu scheitern drohte. Wasikowskas Ausstieg ist allerdings kein Verlust, da Dakota Fanning („Ich bin Sam“) die Rolle der des Sprechens nicht mächtigen Liz überzeugend ausfüllt. Carla Juri („Feuchtgebiete“) ist als Prostituierte Elizabeth zu sehen. Diese freundet sich im zweiten Kapitel des Films mit der jungen Joanna (Emilia Jones, „High-Rise“) an, über die ich nichts weiter schreiben will, um spoilerfrei zu bleiben. Für eine Nebenrolle war Robert Pattinson vorgesehen, der sich langsam aus dem „Twilight“-Schatten löst. Doch auch er stieg aus – was er heute bereut. Ihn ersetzte Kit Harington, der aus „Game of Thrones“ Carice van Houten („Black Book“) noch kennt – die beiden treten im dritten „Brimstone“-Kapitel in Erscheinung. Etwas Klatsch und Tratsch gibt es zu vermelden: Carice van Houten und Guy Pearce verliebten sich bei den Dreharbeiten ineinander, sind seitdem ein Paar und haben mittlerweile einen gemeinsamen Sohn.
Sechs Goldene Kälber für „Brimstone“
Ab Spätsommer 2016 lief „Brimstone“ auf diversen internationalen Festivals. In Deutschland hatte das Westerndrama im Spätherbst 2017 sogar einen regulären Kinostart. Beim Niederländischen Filmfestival des Jahres räumte Koolhovens Werk ab: Neunmal für das Goldene Kalb nominiert, gewann das Epos schließlich sechs Kategorien dieses wichtigsten niederländischen Filmpreises, darunter die als bester Film sowie für Regie und Kamera. Völlig zu Recht: „Brimstone – Erlöse uns von dem Bösen“ ist meisterhaftes, außergewöhnliches Westernkino, das Aufmerksamkeit abverlangt, großartig fotografiert, großartig gespielt, großartig erzählt. Quentin Tarantino und Paul Verhoeven müssten daran ihre helle Freude haben – ich hatte jedenfalls meine.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Carice van Houten und Carla Juri haben wir in unserer Rubrik Schauspielerinnen aufgelistet, Filme mit Filme mit Kit Harington und Guy Pearce unter Schauspieler. Lesenswerte Texte zu „Brimstone – Erlöse uns von dem Bösen“ finden sich auch bei den Kollegen von Evil Ed und auf dem „Fluxkompensator“.
Veröffentlichung: 7. Juni 2018 als Blu-ray und DVD
Länge: 148 Min. (Blu-ray), 142 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Brimstone
NL/F/D/BEL/SWE/GB/USA 2016
Regie: Martin Koolhoven
Drehbuch: Martin Koolhoven
Besetzung: Dakota Fanning, Kit Harington, Paul Anderson, Guy Pearce, Carice van Houten, Carla Juri, Emilia Jones, William Houston, Jack Roth, Ivy George, Vera Vitali, Justin Salinger, Jakc Hollington
Zusatzmaterial: Kinotrailer, Interviews mit Cast & Crew
Label/Vertrieb: Koch Films
Copyright 2018 by Volker Schönenberger
Fotos & Packshot: © 2018 Koch Films