Busanhaeng
Von Lucas Gröning
Horror // Seit der Jahrtausendwende haben Zombies in der Popkultur eine Art Revival gefeiert. Angefangen bei der beliebten Comicreihe „The Walking Dead“ über deren gleichnamige TV-Umsetzung bis hin zu Videospielen wie „The Last of Us“ oder „Day Z“ – die Untoten sind so stark im Mainstream vertreten wie vielleicht noch nie. Da verwundert es nicht, dass sich auch der Film der Zombies angenommen hat, vordergründig zur ersten Hälfte der Nuller-Jahre. Hervorgehoben seien an dieser Stelle Danny Boyles „28 Days Later“ von 2002, Zack Znyders „Dawn of the Dead“ (2004), eine Neuverfilmung des 1978er-Klassikers von Altmeister George A. Romero, Edgar Wrights Komödie „Shaun of the Dead“ aus demselben Jahr und die zwischen 2002 und 2016 entstandene, lose auf der gleichnamigen Videospielserie basierende „Resident Evil“-Reihe. Unberücksichtigt bleiben kann die Haltung mancher Horrorfans, den wie bei Boyle und Snyder in wütender Raserei gefangenen Infizierten das Dasein als Zombie abzusprechen. Wir sehen sie als solche.
Zuletzt mangelte es etwas an würdigen Nachfolgern dieser ikonischen Werke. 2016 bescherte uns jedoch ein einziger Regisseur gleich zwei fantastische Filme rund um die beliebten Untoten: Yeon Sang-ho. Der Anime-Spezialist („The King of Pigs“, „The Fake“) bescherte den Zombiefans „Train to Busan“ und „Seoul Station“. Während „Train to Busan“ als Realverfilmung klar aus Sang-hos bisheriger Filmografie heraussticht, kehrte der Regisseur mit dessen Prequel „Seoul Station“ zu seinen Ursprüngen zurück und inszenierte ein Werk im Bereich des Anime. Doch das ist nicht der einzige Unterschied zwischen beiden Filmen. Konzentriert sich „Seoul Station“ klar auf das langsame Zeichnen einer zerrütteten Gesellschaft und wirft damit Fragen rund um Wirtschaft, Staat und der damit verbundenen Tragik demokratisch-kapitalistischer Gebilde auf, verzichtet „Train to Busan“ auf derlei Systemkritik. Vielmehr greift der Realfilm ein Thema auf, das auch andere Genrevertreter, allen voran HBOs erfolgreiche TV-Serie „The Walking Dead“ und George A. Romeros Klassiker „Die Nacht der lebenden Toten“ (1968) zum Bestandteil ihrer Darbietung gemacht haben: die Konflikte beim Bilden einer funktionierenden Gruppe mit sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten vor dem Hintergrund eines endzeitlichen Szenarios.
Leblose Augen
„Train to Busan“ behandelt die Geschichte von Seok-woo (Gong Yoo) und seiner kleinen Tochter Soo-an (Kim Su-an). Seok-woo hat sich vor einiger Zeit von seiner Frau getrennt und nun streiten sich die beiden darum, wer die Tochter wann und wie lange haben darf. Der Vater, voll involviert in seinen Job als Fondsmanager, vernachlässigt Soo-an häufig, wodurch sich diese immer mehr von ihm abwendet. Nachdem Seok-woo seiner Tochter zum Geburtstag eine Spielkonsole geschenkt hat, deren gleiche Version sich bereits in ihrem Zimmer befindet, überedet ihn das Mädchen, sie nach Busan zu ihrer Mutter zu fahren. Für diese Reise benutzen die beiden den Zug, in dessen Inneres sich kurz vor Abfahrt noch ein verletztes Mädchen hineinrettet. Kurz darauf stirbt die neue Passagierin, verwandelt sich in einen willenlosen Untoten und greift in der Folge eine Zugbegleiterin an. Nach und nach werden so immer mehr Menschen zu Zombies, und bald sehen sich Seok-woo, Soo-an und weitere Überlebende mit einer Armee von Menschenfressern konfrontiert.
Die Zombies werden dabei extrem bedrohlich und unangenehm inszeniert. Bereits die Verwandlung von Mensch zu Monster ist ein kleines Highlight. Der Körper des jeweiligen Individuums krümmt sich mit schnellen, zuckenden Bewegungen auf dem Boden, bevor er sich, diese Zuckungen beibehaltend, langsam aufrichtet. Aber auch im Anschluss bestätigen die Zombies ihre unmenschliche und unheimliche Natur. Besonders der leblose Blick mit unnatürlich weißen Augen lässt uns die Bedrohung in jeder Szene unmittelbar fühlen. Was auf den Blick folgt, ist ein Wahn von blinder Zerstörungswut jeglichen Lebens, der von einem jeden der Zombies Besitz ergreift und in der Gier nach Menschenfleisch seinen Ausdruck findet, wie in ihrer Geschwindigkeit – im Gegensatz zu den frühen Werken der Romero-Prägung seit 1968 rennen die Untoten auf ihre Opfer zu, statt langsam auf sie zuzustolpern. Es ist das blinde Verlangen, jegliches einmal erblickte Leben zu zerstören, was die Zombies antreibt. Mit dem Verlust der Farbe ihrer Augen und damit ihrer individuellen Identität verlieren die Untoten jedwede Menschlichkeit.
Gefahrenquelle und Zufluchtsort
Der Erhalt des Lebens stellt im Umkehrschluss das übergeordnete Ziel der übrigen Menschen dar. Erschwert wird dies durch die Enge des Zuges, die der Wirkung des Bedrohungsszenarios extrem zuträglich ist. Es gibt aus diesem Zug, solange er fährt, keinerlei Entkommen. Die Protagonisten sind in den engen Räumen gefangen und werden lediglich durch die Sicherheitstüren von der wachsenden Zahl an Menschenfressern getrennt. Tatsächlich hält der Zug im Verlauf an einem Bahnhof, dessen im Vergleich recht offenes Areal erweist sich jedoch als Todesfalle, in der sich auch die Ungeheuer freier bewegen können. Der Zug wird somit zum Zufluchtsort und repräsentiert zum einen Gefangenschaft und Enge, aber auch Sicherheit und zumindest ansatzweise Abgeschiedenheit von der drohenden Gefahr.
Um der Bedrohung Herr zu werden, ist es notwendig, dass die lebenden Menschen zusammenarbeiten. Dies wird vor allem durch die Unterschiedlichkeit der einzelnen Charaktere erschwert. Im Zug findet sich ein breiter gesellschaftlicher Querschnitt. Da haben wir Menschen aus unterschiedlichen Einkommensschichten mit unterschiedlichen Altersstufen und Geschlechtern, wir haben sich fügende Menschen, wir haben Führungspersönlichkeiten bis hin zu Alphatieren, wir haben ruhige und aufbrausende Menschen, außerdem haben wir Teamplayer und Egoisten. Die Aufgabe der einzelnen Leute besteht nun darin, ihre individuellen Persönlichkeiten der Gemeinschaft unterzuordnen. Dies gestaltet sich angesichts des egoistischen Wesens einiger Schlüsselpersonen als schwierig und führt mehr als einmal zu Spannungen innerhalb der Gruppe. Auch Seok-woo ist zu Beginn der Geschichte noch ein Mensch, der in erster Linie an sich denkt und sich im Angesicht der drohenden Gefahr lediglich um sein eigenes Wohl und das seiner Tochter sorgt. Bald jedoch muss er diese Haltung ablegen, um zusammen mit den anderen eine Chance gegen die Übermacht der Zombies zu haben. In diesem Zusammenhang werden auch wir Zuschauer herausgefordert. Als Betrachter stößt einen „Train to Busan“ recht schnell darauf, wen man in dieser Geschichte zu mögen und zu hassen hat. Dementsprechend ist es auch für uns ein spannendes Gedankenexperiment, mit einigen der handelnden Figuren in diesem Zug eingesperrt zu sein und mit ihnen den Kampf ums Überleben führen zu müssen.
Ein Fest für Genrefans
Diesen Überlebenskampf haben die Macher fantastisch inszeniert, besonders die hervorragende Kameraarbeit dokumentiert das eindrucksvoll. Sie unterstützt die bereits angesprochene Enge des Zuges, besonders durch häufige Nahaufnahmen der Gesichter. Es ist fast so, als würde man direkt neben den Protagonisten stehen, wodurch man jede einzelne noch so kleine Emotion der Menschen von deren Gesichtern ablesen kann. Gleiches gilt für die Aufnahmen der Zombies. Auch diese werden häufig aus der Nähe gezeigt und sind auch dem Zuschauer furchteinflößend nah, sodass sie klar als ehemalige Individuen zu erkennen sind, deren Persönlichkeit dem Verlangen nach menschlichem Fleisch gewichen ist. Später, wenn die Protagonisten den Zug verlassen, treten die Nahaufnahmen zurück und werden durch offenere Kamerawinkel ersetzt. Beim Zwischenstopp am Bahnhof beispielsweise dominieren Halbtotalen, die es erlauben, größere Ausschnitte des Gebäudes zu zeigen. In einem noch größeren Areal sehen wir die Zombiehorden in noch weiteren Totalen. Auf diese Weise entstehen beeindruckende Bilder, die nach dem Abspann des Films lange im Kopf bleiben.
Inszenatorisch macht der Film somit einiges richtig. Die Musik variiert zwischen Schlaginstrumenten in spannenden und von Gefahr geprägten Situationen und fast schon sinfonieartigen Tönen in den wenigen ruhigen Momenten. Die angesprochene Kamerarbeit ist stimmig und stets passend zur jeweiligen Situation, auch wenn man durch die vielen rasanten Schnitte bei den Konfrontationen im Zug schnell mal den Überblick verlieren kann. Den tollen Aufnahmen tut dies jedoch keinen Abbruch, viele von ihnen bleiben lange im Gedächtnis. Die Story hält sich zudem nicht mit überflüssigen Nebenplots auf, sondern konzentriert sich ganz auf seine Figuren und deren aussichtslos erscheinenden Todeskampf. Einige sich in den Kopf brennende Szenen und nette Wendungen runden diesen fantastischen Zombiefilm ab und machen ihn zu einem Highlight des Genres, das bedenkenlos jedem Fan der menschenfressenden Untoten ans Herz gelegt werden kann – am besten im Doppelpack mit dessen Prequel „Seoul Station“.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Ma Dong-seok haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.
Veröffentlichung: 29. September 2017 als Doppel-Blu-ray und Doppel-DVD (jeweils inkl. „Seoul Station“), 30. Juni 2017 als Limited 2-Disc Special Edition Steelbook (2 Blu-rays, inkl. „Seoul Station“), 24. Februar 2017 als Blu-ray und DVD, 3. Februar 2017 als Limited 2-Disc Special Edition Mediabook (2 Blu-rays, inkl. „Seoul Station“)
Länge: 118 Min. (Blu-ray), 114 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Koreanisch
Untertitel: Deutsch, Niederländisch
Originaltitel: Busanhaeng
KOR 2016
Regie: Yeon Sang-ho
Drehbuch: Park Joo-suk, Yeon Sang-ho
Besetzung: Yoo Gong, Jung Yu-mi, Ma Dong-seok, Kim Su-an, Kim Eui-sung, Choi Woo-sik, Sohee, Ye Soo-jung, Park Myung-shin, Choi Gwi-hwa, Jeong Seok-yong, Jang Hyuk-jin
Zusatzmaterial: Original-Teaser und -Trailer, B-roll, Press Screening Q&A, Wendecover, nur Mediabook: 24-seitiges Booklet, nur Steelbook: 6 Postkarten
Label: splendid film
Vertrieb: WVG Medien GmbH
Copyright 2019 by Lucas Gröning
Szenenfotos & Packshots: © 2017 splendid film