Diary of a Madman
Horror // O, der Geier hat die Taube verzehrt, der Wolf hat das Schaf gefressen, der Löwe den Büffel trotz seiner spitzen Hörner verschlungen. Der Mensch wieder hat den Löwen mit Pfeil, Schwert, Pulver und Blei getötet. Aber der Horla wird aus uns Menschen machen, was wir aus Pferd und Ochsen gemacht haben: seine Sache, seinen Diener, seine Speise, allein durch die Kraft seines Willens. Wir unglücklich Unseligen! Mit dieser Texteinblendung beginnt „Der Horla – Tagebuch eines Mörders“. Die Zeilen stammen aus der Erzählung „Le Horla“ („Der Horla“) des bedeutenden französischen Schriftstellers Guy de Maupassant (1850–1893), die zusammen mit der Erzählung „Un fou“ („The Diary of a Madman“) die Grundlage von „Der Horla – Tagebuch eines Mörders“ von 1963 bildet, im Original „Diary of a Madman“ betitelt.
Die erste Szene des Films zeigt die Beerdigung von Simon Cordier (Vincent Price). Der unerwartet Verstorbene galt dem Priester (Lewis Martin) zufolge als einer der angesehensten Richter Frankreichs und als guter Mensch. Doch eine der Trauernden, die junge Jeanne D’Arville (Elaine Devry), bekundet ihrem Vater Andre D’Arville (Edward Colmans) gegenüber, froh zu sein, dass Cordier tot ist. Vater und Tochter erfüllen nun den letzten Wunsch des Verstorbenen – ein Treffen, zu welchem alle Trauergäste zusammenkommen. Monsieur D’Arville öffnet einen Kasten, den Cordier in der Nacht seines Todes Jeanne übergab. Darin befindet sich Cordiers Tagebuch. Der erste Eintrag datiert vom 17. September 1886.
Der Mörder und der Dämon
Mit dem Vorlesen der ersten Zeilen des Tagebuchs setzt die Haupthandlung ein – drei Tage vor der Hinrichtung des vierfachen Mörders Louis Girot (Harvey Stephens). Polizeihauptmann Robert Rennedon (Stephen Roberts) sucht Richter Cordier mit einer Bitte des Todeskandidaten auf: Der hat den Juristen um einen Besuch gebeten. In der Zelle beteuert Girot, die Bluttaten unter dem Einfluss eines Dämons begangen zu haben. Dann greift er auch Cordier an, um ihn zu erwürgen. Der Richter kann sich losreißen, und der Mörder bricht tot zusammen. Dies ist der Beginn einer Reihe beunruhigender Ereignisse im Hause des Richters. Bald darauf lernt der seit zwölf Jahren verwitwete Jurist das Model Odette Mallotte (Nancy Kovack) kennen. Da er als Hobby Skulpturen modelliert, bittet er die junge Frau, ihm Modell zu stehen.
Nicht erst seit William Friedkins „Der Exorzist“ (1973) spielt dämonische oder teuflische Besessenheit eine prägende Rolle im Horrorfilm. „Der Horla – Tagebuch eines Mörders“ gehört zu den eher harmlosen Vertretern dieses Subgenres, bietet aber immerhin eine stilvolle Rolle für Vincent Price, den Grandseigneur des Gruselfilms. Der darf einmal mehr seine ausdrucksstarke Mimik einsetzen, was er gar nicht mal so übertrieben tut wie in manch anderer Rolle.
Größtes Manko des Films sind die mangelnden Konturen des Dämons, der wenig Profil gewinnt. Das meiste erfahren wir über ihn, wenn er als innere Stimme des Besessenens in Erscheinung tritt, und das mit vergleichsweise neutralem Timbre. Da kommt recht wenig Horror auf, zumal die Horrorelemente über weite Strecken des Films nur peu à peu eingestreut werden. Der Dämon nennt sich Horla, aber das war es auch schon. Hier wäre es in puncto Horror zielführend gewesen, zumindest in Grundzügen einen gewissen dämonischen Mythos zu skizzieren. Einiges gerät zudem etwas vorhersehbar, was nicht zuletzt an der erzählerischen Klammer und dem Einstieg mit Cordiers Beerdigung liegt. Wenn sich die Handlung in der Rückblende entfaltet und wir schon wissen, dass der Protagonist am Ende tot sein wird, müssen andere Aspekte die Spannung am Köcheln halten. Das klappt nur bedingt. So bleibt „Der Horla – Tagebuch eines Mörders“ ein routiniert inszeniertes und immerhin gediegen ausgestattetes Gruselstück ohne echte Höhepunkte und ohne herausragende Stellung in Vincent Prices Filmografie. Regisseur Reginald Le Borg wiederum hat ohnehin keine herausragenden Arbeiten in seiner Filmografie, sein bekanntestes Werk mag „Die Schreckenskammer des Dr. Thosti“ („The Black Sleep“, 1956) sein. Guy de Maupassants Vorlage „Der Horla“ kann im Übrigen online in deutscher Übersetzung gelesen werden.
Limitierte Edition von Ostalgica
Das kleine Label Ostalgica hat „Der Horla – Tagebuch eines Mörders“ in ansprechender Edition als DVD im Schuber veröffentlicht, wobei mir besonders die unterschiedlichen Covermotive sehr gut gefallen – mit Schuber, Cover und Wendecover gibt es drei davon. Die auf 499 Exemplare limitierte Edition enthält als zweite Disc eine AVCHD, ein Format, das mir – Asche auf mein Haupt – zuvor gar kein Begriff war. Diese Disc enthält eine HD-Version des Films, sie lässt sich allerdings nicht auf Standalone-Blu-ray-Playern abspielen, sondern laut Ostalgica lediglich auf in Computern installierten Blu-ray-Laufwerken. Da ich darüber nicht verfüge, kann ich über die Bildqualität keine Angaben machen. Das Bild der DVD hat mir gut gefallen, die Qualität der beiden Tonspuren war solide. Leider fehlen Untertitel. Die AVCHD Das mag manchen Interessierten einen zusätzlichen Kaufanreiz bieten, ebenso die beiden Hörbücher im Bonusmaterial. „Der Horla – Tagebuch eines Mörders“ gehört für Vincent-Price-Sammler natürlich zum Pflichtprogramm. Wer klassischen Gruslern etwas abgewinnen kann, darf ebenfalls einen Blick riskieren, ohne allzu viel zu erwarten. Die 2016er-Auflage des Films enthält übrigens mit dem Endzeitfilm „The Last Man on Earth“ (1964) – der ersten Verfilmung von Richard Mathesons Roman „I Am Legend“ – einen höchst wertigen Bonus.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Vincent Price haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet. Über welche dort noch nicht aufgeführten Filme mit Price würdet Ihr hier gern etwas lesen?
Veröffentlichung: 13. Dezember 2019 als limitierte 2-Disc Edition im Schuber (DVD & AVCHD, limitiert auf 499 Exemplare), 13. Mai 2016 als DVD, 4. Dezember 2015 als 2-Disc Special Edition DVD
Länge: 93 Min.
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: keine
Originaltitel: Diary of a Madman
USA 1963
Regie: Reginald Le Borg
Drehbuch: Robert E. Kent, nach einer Vorlage von Guy de Maupassant
Besetzung: Vincent Price, Nancy Kovack, Chris Warfield, Elaine Devry, Ian Wolfe, Stephen Roberts, Lewis Martin, Mary Adams, Edward Colmans, Nelson Olmsted, Harvey Stephens, Dick Wilson
Zusatzmaterial 2019: Originaltrailer, 2 Hörbücher, Bildergalerie, Musikvideo, Trailershow, Wendecover mit Alternativmotiv, 4-seitiger Grafikflyer mit Artworks, Bonus-Disc im AVCHD-Format mit HD-Version des Films (abspielbar auf in Computern installierten Blu-ray-Laufwerken)
Zusatzmaterial 2016: Bonus-DVD mit „The Last Man on Earth“ (1964) und Kurzfilm „The Christmas Carol“ (1949), Originaltrailer, 2 Hörbücher, Bildergalerie, Musikvideo, Trailershow, Booklet mit Miniposter, Wendecover mit Alternativmotiv
Zusatzmaterial 2015: Originaltrailer, 2 Hörbücher, Bildergalerie, Musikvideo, Trailershow, Wendecover mit Alternativmotiv
Label: Ostalgica
Vertrieb: Media Target Distribution GmbH
Copyright 2020 by Volker Schönenberger
Szenenfotos & unterer Packshot: © 2019 Ostalgica