Richard Jewell
Kinostart: 25. Juni 2020
Von Philipp Ludwig
Drama // Anfang März 2020 besuchte ich die Hamburger Pressevorführung von „Der Fall Richard Jewell“. Dass es sich hierbei um meinen auf längere Sicht wohl letzten Kinobesuch handeln würde, konnte ich dabei natürlich nicht ahnen. Trotz sich bereits damals zumindest in Ansätzen andeutender Coronakrise.
Als Schauspieler und Regisseur groß: Clint Eastwood
Clint Eastwood hat sich als herausragender Schauspieler über Jahrzehnte hinweg einen festen Platz im kollektiven Gedächtnis gleich mehrerer Generationen redlich verdient. Auch als Regisseur zeigt er seit vielen Jahren nun schon sein großartiges Talent auch für die Arbeit hinter der Kamera. Filme wie „Letters from Iwo Jima“ (2007) oder „Gran Torino“ (2008) waren für mich persönlich zumindest wahre filmische Ausnahmeerlebnisse. Den Stil von Eastwood zeichnet vor allem seine präzise Schnörkellosigkeit aus. In seinen Filmen erfolgen keine großen Experimente. Rasante Kamerafahrten, visuelle und auditive Tricks oder innovative Erzählstrategien sucht man in der Regel vergebens. Gerade diese klassische Art und Weise der Inszenierung, stringent und ohne viel kreativen Schnickschnack eine Geschichte zu erzählen, muss in den häufig viel zu hektischen Filmen unserer Zeit gewiss kein Nachteil sein. Ganz im Gegenteil. Wenn man einen von Eastwood gemachten Film besucht, weiß man in der Regel, was einen erwartet. Und wird für gewöhnlich auch nicht enttäuscht.
Ein weiteres Merkmal der Arbeit des Regisseurs Eastwood ist sein herausragendes Gespür für die Besetzung von Rollen sowie sein Umgang mit seinen Darstellerinnen und Darstellern. Selbst aus renommierten Haudegen des Geschäfts vermag der Altmeister besondere Leistung herauszukitzeln. Nicht umsonst schwärmt etwa eine unangefochtene Schauspielgröße wie Tom Hanks in höchsten Tönen von seiner früheren Zusammenarbeit mit Eastwood, wie er unter anderem in der populären britischen Talkshow „The Graham Norton Show“ anmerkt. Dennoch ist der Mensch Clint Eastwood natürlich nicht frei von Kontroversen. Der konservative und patriotisch veranlagte Unterstützer der Republikaner verkörpert nicht nur in seinen prägendsten Rollen das Bild eines „weißen Mannes“, das in dieser Form eigentlich schon längst nicht mehr zeitgemäß erscheint. Auch in seinen Filmen schimmert wiederholt ein Stück zu sehr die persönliche Meinung des Regisseurs durch, die trotz all seiner künstlerischen Genialität nicht immer vollends begrüßenswert ist. Gleichwohl – es ist seine Meinung, und er hat jedes Recht, sie zu verkünden.
Clint Eastwood: Liebhaber des „Alltagshelden“?
Clint Eastwood verdankt seinen Ruhm als Schauspieler in erster Linie seiner prototypischen Verkörperungen zahlreicher einsamer Helden und Rächer. So ist es nicht verwunderlich, dass er sich auch als Regisseur auf die Geschichten von kleinen und großen Helden des Alltags konzentriert. In seinem neuesten, auf wahren Begebenheiten beruhenden Werk widmet er sich nun dem tragischen Fall von Richard Jewell (Paul Walter Hauser, „I, Tonya“). Der dickliche Außenseiter macht im ersten Moment jedoch nicht einmal ansatzweise den Eindruck eines mutigen Helden, hatte von klein auf aber dennoch nur einen Wunsch: Polizist zu werden. Mit der Gesetzestreue nimmt es der mittlerweile 33-Jährige, der immer noch bei seiner Mutter wohnt, allerdings ein wenig zu genau. So verlor er nicht nur recht schnell seine Anstellung als Deputy beim örtlichen Sheriffbüro – auch in zahlreichen weiteren Beschäftigungen als Sicherheitsmann kommt es wiederholt zu Vorfällen, bei denen er es mit der Pflichterfüllung sowie der Auslebung seiner Autorität ein wenig übertreibt, sodass er anschließend vor die Tür gesetzt wird.
Nachdem er daher mal wieder seinen Job als Wachmann in einem College verloren hat, heuert er im Sommer 1996 als Sicherheitsmann bei dem Event des Jahres an: den Olympischen Spielen! Für das in seiner Heimatstadt Atlanta stattfindende Großereignis wurde im Centennial Park extra ein großes Festivalgelände für Konzerte und zahlreiche weitere Veranstaltungen eingerichtet. Eines Abends erfolgt für das stets gut besuchte Gelände eine Bombendrohung. 30 Minuten gibt der anonyme Anrufer den Sicherheitsbehörden, einen versteckten Sprengsatz zu finden. Richard Jewell gelingt das tatsächlich, er verhindert somit eine Katastrophe.
Der Held gerät unter Verdacht
Innerhalb weniger Stunden wird der bis dato so unscheinbare Richard zum strahlenden Helden einer ganzen Nation und gefragten Medienstar. Doch bald lenkt FBI-Agent Tom Shaw (Jon Hamm, „Mad Men“) den Verdacht auf den die Aufmerksamkeit ein wenig zu sehr liebenden Richard. Nachdem zudem Details aus dessen Vergangenheit und über die etwas überzogenen Auslebungen seines Sicherheitswahns bekannt werden, wird der zunächst gefeierte Held schnell zum Hauptverdächtigen des Anschlags. Neben seiner Mutter Bobi (Kathy Bates, „The Highwaymen“) kann dieser nur noch auf den streitlustigen und bislang nur wenig renommierten Anwalt Bryan Watson (Sam Rockwell, „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“) hoffen, der ihm trotz zunächst schier aussichtsloser Lage zur Seite steht. Wird es ihnen gelingen, Richards Unschuld zu beweisen? Dazu muss aber vor allem der allzu obrigkeitstreue Möchtegernpolizist verstehen, dass die Ermittler ihm nicht nur nicht helfen wollen, sondern erst recht nicht seine „Kollegen“ sind. Keine einfache Angelegenheit.
Die eingangs beschriebenen Vorzüge von Eastwoods Filmen zeigen auch in „Der Fall Richard Jewell“ voll und ganz ihre Wirkung. Das Werk überzeugt insbesondere durch seine ruhige und chronologisch stringente Erzählweise. Eastwood nimmt sich angenehm viel Zeit, um uns in den eigenwilligen Charakter Jewells und dessen Lebenswelt einzuführen, ohne dabei in die narrativen Gefahren von Längen oder Langeweile zu geraten. Überzeugen kann der Regisseur vor allem mit der in Echtzeit inszenierten Bombensuche und anschließend versuchten Entschärfung im Centennial Park. Die dabei herrschende Anspannung gerade beim Sicherheitspersonal überträgt sich gekonnt bis in den Kinosaal. Aber auch die kurze Zeit, in der Richard als Held gefeiert wird, und die anschließenden, umfassenden Ermittlungen des FBI sowie der ermüdende Kampf gegen Windmühlen des „Teams Jewell“ werden nicht nur umfassend, sondern stets spannend durchleuchtet.
Der endgültige Durchbruch für Paul Walter Hauser?
Ebenso zeigt sich in „Der Fall Richard Jewell“ Clint Eastwoods Gespür für die optimale Besetzung und seine hervorragende Schauspielerführung am Set. Allen voran erlebt der bislang oft unterschätzte Paul Walter Hauser hier seine absolute Glanzstunde. Der war bislang eher als Nebendarsteller bekannt, speziell als latent dämlich angehauchter Comic Relief in Erfolgsfilmen wie „I, Tonya“ (2017) oder „Blackkklansmen“ (2018). In seiner ersten großen Hauptrolle verfällt er auch als Richard Jewell zunächst in sein daher zu erwartendes Darstellermuster, um dann mit zunehmender Laufzeit ein beeindruckendes darstellerisches Talent zu offenbaren. Ebenso schafft er es mit seiner schrulligen Interpretation von Jewell, für den einen oder anderen bitter benötigten Lacher in dem ansonsten so ernsten Stoff zu sorgen. Mit hervorragenden Darstellerinnen und Darstellern wie dem großartigen Oscar-Preisträger Sam Rockwell, die für ihre Rolle von Jewells Mutter für einen Oscar nominierte Kathy Bates, Jon Hamm oder auch Olivia Wilde („The Lazarus Effect“) ist „Der Fall Richard Jewell“ zudem bis in die Nebenrollen hinein vorzüglich besetzt.
Doch leider ist auch Eastwoods neuester Streich nicht gefeit vor dessen persönlichen Fehlern. So steht sich der Altmeister mit seinen eigenen Ansichten gelegentlich selbst im Weg, wodurch auch der eigentlich durchweg gute Eindruck von „Der Fall Richard Jewell“ etwas leidet. So zeigt sich zum Beispiel Eastwoods implizierte Ablehnung gegenüber staatlichen Institutionen in einer ziemlich überzogenen Dämonisierung des FBI und dessen Ermittlern, die selbst vor der Unterwäsche oder kostbaren Tupperware von Jewells Mutter keinen Halt machen.
Auch führt seine grundlegende Ablehnung gegenüber den Medien zu einer zwar im Grunde berechtigten, aber mitunter gleichfalls überzogen wirkenden Medienschelte. Gerade die Medienkritik brachte dem Regisseur bislang den meisten Ärger ein. Dies liegt insbesondere an seiner filmischen Interpretation der realen Journalistin Kathy Scruggs (Wilde), die Eastwood einen Großteil des Films als besonders verachtenswerte Ausgabe ihres Berufsstandes inszeniert. So scheint diese in ihrem Karrierewahn nicht nur ohne Empathie oder so etwas ähnlichem wie eine menschliche Seele ausgestattet zu sein – sie schreckt auch nicht vor Einbrüchen und Sexdiensten zurück, um an Informationen zu gelangen. Hiermit soll Eastwood nicht nur dem historischen Vorbild unrecht tun, im Zeitalter vom „woke“-Gedanken und „#metoo“ sorgte zudem insbesondere das alte Klischee der „Frau bietet ihren Körper zum Wohl der Karriere an“ zu Recht für einige öffentliche Empörung.
Ist man als Zuschauerin oder Zuschauer bereit, über diese teilweise problematischen Einschübe des Regisseurs hinwegzusehen, erwartet einen mit „Der Fall Richard Jewell“ rundum solide Eastwood-Kost. Der handwerklich und erzählerisch bestens inszenierte Film kann vor allem aufgrund der herausragenden Schauspielleistungen überzeugen. Er funktioniert zudem als Mahnmal für unsere gegenwärtige Zeit, in der Menschen nicht nur durch die etablierten, sondern insbesondere die umfangreichen sozialen Medien nur allzu schnell vorverurteilt und gesellschaftlich geradezu vernichtet werden. Nicht auszudenken, Richard Jewell hätte sich auch noch mit den Folgen eines massiven Internetmobs auseinandersetzen müssen. Doch auch so hatte die unvergleichliche emotionale Tour de Force für das reale Vorbild üble Folgen, starb dieser doch nur wenige Jahre später am 29. August 2007 an Herzversagen. Er wurde gerade einmal 44 Jahre alt.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Clint Eastwood haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Kathy Bates unter Schauspielerinnen, Filme mit Sam Rockwell in der Rubrik Schauspieler.
Länge: 131 Min.
Altersfreigabe: FSK 12
Originaltitel: Richard Jewell
USA 2019
Regie: Clint Eastwood
Drehbuch: Billy Ray, nach Vorlagen von Marie Brenner, Kent Alexander und Kevin Salwen
Besetzung: Paul Walter Hauser, Sam Rockwell, Olivia Wilde, Kathy Bates, Jon Hamm, Brandon Stanley, Ryan Boz, Charles Green, Mike Pniewski, Ian Gomez
Verleih: Warner Bros. Entertainment GmbH
Copyright 2020 by Philipp Ludwig
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