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Archiv für den Monat Dezember 2020

Johnny Handsome – Der schöne Johnny: Keiner kann aus seiner (Gesichts-)Haut

Johnny Handsome

Von Tonio Klein

Thriller // Johnny (Mickey Rourke) wird zynisch „Johnny Handsome“ genannt, weil er seit seiner Geburt in Gesicht und Stimme entstellt ist. In seinen nicht zimperlichen Kreisen schätzt man aber immerhin seine Qualitäten als professioneller Räuber. Was bei einem Überfall auf einen Juwelier nichts daran ändert, dass Sunny (Ellen Barkin) und Rafe (Lance Henriksen) Johnny und dessen Freund übers Ohr hauen sowie Letztgenannten erschießen. Im Gefängnis schließt sich Johnny dem Programm eines Chirurgen (Forest Whitaker) und einer Ordensschwester an, die darauf hoffen, die Aufhebung der äußerlichen Stigmatisierung gehe auch mit einer Reinigung der Seele einher, sodass Johnny nach jeder Menge operativer Eingriffe tatsächlich seine Entstellung loswird, auf dass die Resozialisierung gelinge. Nachdem sein Tod fingiert wird und Johnny unter neuem Namen Bewährung und einen Job als Hafenarbeiter bekommt, scheint er sich tatsächlich zu fangen und verliebt sich sogar in Donna (Elizabeth McGovern), eine Kollegin aus der Lohnbuchhaltung. Doch obwohl sie diese Liebe erwidert, will Johnny sich und seinen Freund rächen, und da ist es praktisch, dass Sunny und Rafe ihn nicht erkennen können. Aber hart auf den Fersen ist ihm nach wie vor Lieutenant Drones (Morgan Freeman), der Johnny schon lange kennt und nicht an seine Wandlung glaubt …

Action, Western und Film noir

Dieser Film ist vieles in einem. Der als Action-Regisseur bekannte Walter Hill lässt am Anfang und am Ende den Actionthriller mit gewissen Anleihen an den Western aufblitzen: Ein Mann „tut, was er tun muss“. Der ewige Outlaw. Die harten Kerle mit blitzschnellem und superprofessionellem Finger am Abzug, die ohne zu zögern wuchtig ganze Magazine in was auch immer entleeren. Brutal und archaisch.

80er oder Noir? Rafe und Sunny

Gleichzeitig (wie ebenfalls in Hills „Last Man Standing“, 1996) die Verwundbarkeit, wenn der (Anti-)Held recht roh und ohne Aussparung der blutigen Details zusammengeschlagen wird. Darüber hinaus hat der Film auch in der Ruhe – wenngleich es deren im Mittelteil vielleicht etwas zu viel gibt – seine Kraft. Da ist er eine an den Film noir erinnernde Geschichte von der Schattenseite des Lebens, und so finden wir typische Noir-Orte abseits der Glitzerwelt. Mein Gott, das Ding spielt in New Orleans, was kann man da an Touristischem unterbringen. Hiervon fast nichts; nur (vermutlich bewusst und also geschickt gesetztes) Aufblitzen der Möglichkeiten, wenn etwa die typischen Pferdekutschen das Stadtbild verschönern. Und am Ende der berühmte Friedhof der Stadt – ausgerechnet in einem wahrhaft morbiden Finale. Dazwischen die hässlichen Seiten, der eigentlich ortlos aussehende Hafen, die nassen, kalten, dunklen Straßen, die schmuddelige Wohnung und der Knast als Orte Johnnys, eine kaum minder schmierige Table-Dance-Bar mit dem im Neo-noir-Genre typischen Neonlichter-Farbenrausch, der keine Behaglichkeit verheißt. Zudem inhaltlich wie stilistisch ein paar wunderbare nostalgische Reminiszenzen, und seien es Kleinigkeiten wie nahtlose Überblendungen von einer zur anderen Bildseite – dies war übrigens eher im Pre-Code-Film der 1930er-Jahre als im Film noir Usus. Ellen Barkin als optisch zwar sowas von 1980er, aber charakterlich archetypische Femme fatale. Fragt nicht nach ihrer Seele! Sie hat keine. Der anklagende Zynismus wird noch dadurch aktualisiert, dass – was in den 1940er-Jahren die Zensur verboten hätte – der Polizist ebenfalls in höchstem Maße zynisch ist und unethisch handelt, auch wenn wir uns zu Beginn nie ganz sicher sind. Übrigens eine große Rolle für den nicht mehr jungen, aber noch am Anfang seines großen Durchbruchs stehenden Morgan Freeman, dessen joviales Charisma immer auch etwas Rätselhaft-Bedrohliches hat.

Schöner Arbeiter ohne sicheren Hafen

Filmnostalgisch (und von Hill sicherlich bewusst so gestaltet) ist auch, dass das Drama aus sich heraus funktionieren muss, weil es eher allegorisch statt logisch ist. Klappt das wirklich mit so einer Operation? Handeln die Gangster nicht mitunter reichlich unmotiviert und/oder tölpelhaft? Ist der Racheplan Johnnys angesichts seiner Professionalität nicht auf unglaubwürdige Weise planlos? Ja, das alles kann man so sehen, aber dahinter steckt eine bestechende Reflexion, mit der Hill den Film noir noch weiter in Richtung Fatalismus führt. Niemand kann aus seiner Haut. Zudem ist das Operations-Motiv vielleicht eine Anspielung auf „Die schwarze Natter“ (1947) mit Humphrey Bogart, dem Hill auch als Co-Produzent mit „You, Murderer“ (1995) aus „Geschichten aus der Gruft“ Tribut zollt. Das neue Gesicht als neue Identität als neue Seele? Auch wenn ich es Bogey immer gegönnt habe, dass er am Ende mit Lauren Bacall glücklich vereint ist – hier wird das Dunkle mehr als nur eine „Passage“ auf einem guten Weg sein, so viel sei verraten.

Die reine Frau …

Fatalismus, Zynismus, kaputte Typen, ein Verlierer, Zwanghaftigkeit, die Unmöglichkeit oder zumindest große Schwierigkeit, autonome Entscheidungen zu fällen und sich so auch zum Guten wenden zu können. Das Gegenteil des amerikanischen Traumes, nach dem jeder seines Glückes Schmied sei. Alles klassische und hier noch radikalisierte sowie auf die Ebene der Ordnungshüter ausgedehnte Noir-Themen. Leider hat bei mir die Empathie an einer Stelle aber kläglich versagt, nämlich bei der Figur der Donna. Vielleicht ein bewusst gesetzter Name, Donna als „Frau als solche“, als Kurzform von Madonna, als das weibliche Gute, das Johnny erlösen könnte. Aber doch nicht so! Hier ist der Film mit seinem Versuch, zeitlos-archetypisch und gleichzeitig im Sinne seiner Entstehungszeit modern zu sein, gründlich misslungen. Gott, ist die Gute eine Anhäufung von potthässlichen Mode- und Stylingsünden der ausgehenden 1980er-Jahre! Die gelockte, nach hinten gesteckte, ansatzweise „Vokuhila“-Frisur, der breite Gürtel, der kreuzbrave Blick, die ebenfalls kreuzbrave Kleidung und Schminke und dann diese hässliche geränderte Brille, deren Gläser fast bis zur Nasenspitze runterreichen. Hill treibt das Klischee auf die Spitze, nach dem weibliche Gute allzu bieder aussehen (und selbstverständlich, anders als Barkin, nicht blond sind) und auch so wirken. Um der Gerechtigkeit und der Höflichkeit Willen ist eines klarzustellen: Elizabeth McGovern, die die Donna spielt, ist keinesfalls eine hässliche Frau. Aber ihre Figur ist hässlich gestaltet, und das ist schade, weil ihr Charakter tatsächlich Größe beweist, etwa, wenn Donna ganz genau spürt, dass Johnny Hilfe braucht und sie nicht aus Überzeugung abserviert, sondern weil er sie nicht in seine Probleme hineinziehen will. Kann eine Gute nicht auch einmal flippig, sexy oder beides sein? Muss man eine so starke Frau mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln (mit Ausnahme eben des Drehbuchs) wie ein Supermauerblümchen gestalten?

… und der gebrochene Mann

Von dieser – allerdings in Handlung und Psychologie wichtigen – Figur abgesehen (immerhin die einzige Hoffnung für Johnnys Lebenswandel, das ahnen wir sofort) klappt das mit der Empathie aber recht gut, und dazu trägt außer den bereits erwähnten erzählerischen und gestalterischen Mitteln wesentlich das Spiel Mickey Rourkes bei. Schon in der Anfangsphase, als ihm die tonnenschwere Maske nuancierte Mimik unmöglich macht, hat dieser Mann eine traurig-wuchtige Präsenz, wenn er beispielsweise in der ersten Szene als einsamer Wolf durch die Straßen stakst. Ein Koloss, aber auch erkennbar Außenseiter; ein Mann, dessen Äußeres wie Inneres unter dem brüchigen Schutzpanzer der Lederjacke immerfort bersten zu möchten scheint. Und schon da ein Nachdenklicher, der nicht, wie Rourke im Charles-Bukowski-Drama „Barfly – Szenen eines wüsten Lebens“ (1987), sein Method Acting im extrovertierten De-Niro-Stil einsetzt, sondern so, wie es die Rolle verlangt. Ein Gewinn ist, dass das Drehbuch ihm nicht nur das Gesicht, sondern auch die Stimmbänder in Mitleidenschaft gezogen hat. Lange dauert es, bis Johnny erstmals spricht, und wir hören sofort, warum – diese nasale, unbeholfene, abgesehen von der Tiefe fast babyhafte Stimme verstärkt Mobbing und Stigmatisierung nur noch. Danach spüren wir in jeder Szene, wie sehr Johnny sich überlegt, ob er das Wort ergreifen sollte, und wie er sich scheut. Beispielsweise in der Szene, in der ein Teil der Operationen schon stattgefunden hat und der Arzt Johnny – mühsam, aber erfolgreich – mehr Details aus seinem Leben entlockt.

Kündet die Säule von Johnnys Schicksal?

Als tatsächlich schöner Johnny stellt er dann den Widerspruch zwischen dem Äußeren und dem immer noch bedächtigen, zaghaften, verhaltenen Auftreten als Schwierigkeit dar, dem geänderten Äußeren auch das geänderte Innere folgen zu lassen. Neben Schauspielkunst trägt dazu bei, dass Rourke zwar ein verwegen-cooles Gesicht hat, aber ein im makellosen Sinne schönes Gesicht nie hatte, auch nicht vor seinen Box-Verletzungen, die er sich ein paar Jahre nach diesem Film zuzog. Leichte Pockennarben sowie eine handlungsbedingte Ungepflegtheit sind jederzeit zu sehen. Und gerade daraus schöpft der Film eine Stärke, denn das ist immer noch weit mehr als das, was Johnny jemals erwarten konnte. „Ich fühle mich immer noch, als wenn ich eine Maske trüge“, bringt er es nach seinem ersten Blick in den Spiegel nach finaler Wiederherstellung des Gesichts auf den Punkt. Genau darum geht es – dito, wenn Rafe und Sunny Johnny am Ende mit Fäusten und einem Messer „wieder sein altes Gesicht verpassen wollen“: Was ist Johnnys „wahre Haut“, was ist seine „Maske“? Wir wissen es nicht. Aber wir ahnen es.

Johnnys Grinsen wird ihn nicht schützen

Ein weitgehend guter bis hervorragender Film, wenngleich mit gewissen Längen im Mittelteil und einer teils verunglückten Gestaltung einer zentralen Frauenfigur. Ansonsten herrlich abgründig und mit einem grandiosen Mickey Rourke. Die Blu-ray liefert wie gewohnt ein etwas schärferes Bild als die auch schon ordentliche DVD von Arthaus/Studiocanal; auf einer zweiten Scheibe finden sich verschiedene Extras. Warum aber ein ums andere Mal in Mediabooks noch eine DVD mit dem Hauptfilm enthalten ist? Wer braucht die? Nette Menschen können sie natürlich verschenken, aber 2021 sei eher ein Jahr des Aufbruchs als eines des Weges, den Johnny gehen muss.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Walter Hill haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Ellen Barkin unter Schauspielerinnen, Filme mit Morgan Freeman, Lance Henriksen, Mickey Rourke und Forest Whitaker in der Rubrik Schauspieler.

Eine Figur mit Licht und Schatten

Veröffentlichung: 8. Oktober 2020 als Mediabook (2 Blu-rays & DVD), 11. September 2001 als DVD

Länge: 93 Min. (Blu-ray), 89 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Johnny Handsome
USA 1989
Regie: Walter Hill
Drehbuch: Ken Friedman, nach einem Roman von John Godey
Besetzung: Mickey Rourke, Ellen Barkin, Elizabeth McGovern, Morgan Freeman, Forest Whitaker, Lance Henriksen
Zusatzmaterial: Trailer, Exklusives Interview mit Walter Hill, Featurettes, Bildergalerie, Booklet
Label/Vertrieb Mediabook: Koch Films
Label/Vertrieb DVD: Kinowelt (Studiocanal)

Copyright 2020 by Tonio Klein

Szenenfotos & Packshots: © 2020 Koch Films

 
 

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The Day After Tomorrow – Donald Trump wäre „not amused“

The Day After Tomorrow

Von Volker Schönenberger

SF-Katastrophenthriller // Eine Eisscholle von der Größe des US-Staats Rhode Island löst sich vom an der Ostküste der Antarktischen Halbinsel gelegenen Larsen-Schelfeis. Über Tokio geht ein Hagelschauer von großer Zerstörungskraft nieder. Die indische Hauptstadt Neu-Delhi muss sich mit massivem Temperatursturz und Schneefall herumplagen – passenderweise findet dort gerade die UN-Klimakonferenz statt. Der US-Paläoklimatologe Jack Hall (Dennis Quaid) trägt dort seine Erkenntnisse über eine erdgeschichtliche Eiszeit in der vormenschlichen Vergangenheit vor. Ihm zufolge haben abschmelzende Eismassen der Polkappen den Wärme spendenden Golfstrom zum Erliegen gebracht. Mit seinen Schlussfolgerungen für die Zukunft macht er sich speziell beim US-Vizepräsidenten Raymond Becker (Kenneth Welsh) nicht gerade beliebt.

Temperatursturz im Nordatlantik

Gehör findet Hall immerhin beim renommierten Ozeanographen Terry Rapson (Ian Holm). Der stellt kurz darauf in seiner schottischen Forschungseinrichtung fest, dass diverse im Nordatlantik treibende Messbojen massive Temperaturstürze melden. Halls Theorie bestätigt sich somit viel früher, als er es sich selbst je ausgerechnet hätte. Die Katastrophenmeldungen reißen nicht ab: Los Angeles wird von gigantischen Tornados heimgesucht, die die kalifornische Metropole in Schutt und Asche legen. Über der Nordhalbkugel brauen sich drei gigantische Stürme zusammen, in deren Auge die Temperatur rasend schnell auf enorm niedrige Werte fällt, weil kalte Luft aus der oberen Troposphäre heruntergesaugt wird. Die Vereinigung dieser drei Hurrikans beschwört eine neue Eiszeit herauf …

Tornados über Los Angeles

Roland Emmerich – der „Master of Disaster“. Ob er die Bezeichnung gern hört? Aber dass sie verdient ist, sieht man allein schon an der Szene, in der eine gigantische Flutwelle erst die Freiheitsstatue bis an den Hals unter Wasser setzt und dann über Manhattan hereinbricht. Dort hält sich gerade Jack Halls Sohn Sam (Jake Gyllenhaal) mit seiner von ihm angeschmachteten Mitschülerin Laura Chapman (Emmy Rossum) und seinem Schulkameraden Brian Parks (Arjay Smith) auf. Mit Müh und Not retten sie sich wie viele andere vor den Wassermassen in die New York Public Library. Bald sind die Straßen des Big Apple von einer meterdicken Eisschicht bedeckt. Und während weiter Schnee fällt, müssen die Eingeschlossenen entscheiden, ob sie in der Bibliothek ausharren oder sich auf den Weg machen.

Vater und Sohn

Aaah – Hollywoods Klaviatur der Gefühle. Darauf muss man auch und gerade in Blockbustern wie diesem erst mal spielen können. Und man kann über Roland Emmerich sagen, was man will, das beherrscht er. So findet sich in diesem spektakulären Katastrophen-Szenario ausreichend Zeit für eine Vater-Sohn-Geschichte. Diese „family values“ verkörpern mit Dennis Quaid und Jake Gyllenhaal zwei sympathische Darsteller, die sich dafür vortrefflich eignen.

Kaum in New York City eingetroffen, müssen sich Sam (r.), Brian und Laura …

Die Tricktechnik beeindruckt, auch wenn ich glaube, dass sich seitdem einiges getan hat und beispielsweise die Flutwelle heute etwas knackiger aussehen würde. Die Eröffnungssequenz zeigt einen Flug über antarktisches Eis – es kommt vollständig aus dem Computer. Tote zu sehen gibt es nur wenige – so ist es in diesen großen Hollywood-Katastrophenfilmen üblich. Zwar sterben mutmaßlich viele Millionen Menschen, das erleben wir visuell aber nicht mit, sondern eher anhand einiger Einzelschicksale. Etwa mit einem Polizisten, der in gutem Glauben die falsche Entscheidung trifft und damit sich und viele andere dem Tod überantwortet. Auch in diesen Momenten versteht es Emmerich, die Emotionen in uns zu berühren. Das kann man für pathetisch und plump halten, aber es funktioniert.

Eiszeit von jetzt auf gleich?

Wenn uns am Ende die moralische Botschaft mit aller Macht um die Ohren gehauen wird, ist das natürlich ein bisschen viel des Guten. Andererseits macht das „The Day After Tomorrow“ auch wieder erschreckend aktuell. Ein Weckruf in Richtung globale Erwärmung sollte der Film sein, und das war vor mehr als anderthalb Jahrzehnten. Die wissenschaftliche Akkuratesse vermag ich nicht zu beurteilen, aber zumindest klingt einiges plausibel, was sich dort abspielt. Dass schmelzende Polkappen etwas mit dem Golfstrom anrichten, ist zumindest kein hergeholter Gedanke. Was genau all das anrichtet, gehört in den Bereich Spekulation, oder, sofern es auf wissenschaftliche Weise etwas seriöser untersucht wird: Es sind Hypothesen – und im Falle von „The Day After Tomorrow“ von mir aus auch Unfug. Dass eine Eiszeit innerhalb weniger Wochen ausbrechen kann, mag dramaturgischen Notwendigkeiten für einen Katastrophenthriller geschuldet sein. Oder es war einfach eine überkandidelte Drehbuchidee.

… vor den Wassermassen in Sicherheit bringen

Richtiggehend politisch wird „The Day After Tomorrow“, wenn massenweise US-Bürger durch den Rio Grande waten und als „illegale Einwanderer“ in Mexiko eindringen. Ein schöner Seitenhieb auf die damalige und heutige amerikanische Regierung gleichermaßen sowie beider Gebaren bezüglich der Grenze zum südlichen Nachbarn. Das ist seitdem ja nicht besser geworden. Donald Trump dürfte an Roland Emmerichs Regiearbeit jedenfalls in jeder Hinsicht keinen Gefallen finden. Das wiederum kommt geradezu einem Ritterschlag gleich.

Roland Emmerich und sein Werk

Roland Emmerich wird insbesondere in seiner deutschen Heimat gern mal mit Häme überzogen. An erfolgreichen Menschen etwas aussetzen, das tun wir offenbar gern. Natürlich ist es völlig in Ordnung, Kritikpunkte an seinen Werken anzusprechen (das praktiziere ich auch) und sie nicht nur deshalb zu feiern, weil er es geschafft hat, einen Larger-than-Life-Blockbuster nach dem anderen auf uns loszulassen. Von seinen frühen Arbeiten wie „Das Arche Noah Prinzip“ (1984), „Moon 44“ (1990) und „Universal Soldier“ (1992) bis zu seinem jüngsten Kriegsdrama „Midway – Für die Freiheit“ (2019) hat der Regisseur von „Independence Day“ (1998) uns immer wieder Effekt-Kintopp sondergleichen serviert. Wegen dieser bombastischen Filme gehen wir gern ins Kino (zumindest manche von uns). Popcorn-Kino im besten Sinne. Und wenn ich mir Emmerichs Regisseurs-Filmografie vor Augen führe, stelle ich fest, dass „The Day After Tomorrow“ vielleicht sogar mein Favorit unter seinen Arbeiten ist. Und sei es nur, um mich von Donald Trump zu distanzieren.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Roland Emmerich haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Jake Gyllenhaal und Dennis Quaid unter Schauspieler.

New York City wird von Schnee und Eis begraben

Veröffentlichung: 19. Juli 2018 und 23. Oktober 2009 als Blu-ray, 1. Dezember 2016 als Blu-ray im Steelbook (exklusiv bei einem Online-Händler), 7. Oktober 2004 als 2-Disc Special Edition DVD und DVD

Länge: 124 Min. (Blu-ray), 119 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch u. a.
Untertitel: Deutsch, Englisch u. a.
Originaltitel: The Day After Tomorrow
USA 2004
Regie: Roland Emmerich
Drehbuch: Roland Emmerich, Jeffrey Nachmanoff
Besetzung: Dennis Quaid, Jake Gyllenhaal, Emmy Rossum, Ian Holm, Dash Mihok, Jay O. Sanders, Sela Ward, Austin Nichols, Arjay Smith, Tamlyn Tomita, Sasha Roiz, Perry King, Kenneth Welsh
Zusatzmaterial Blu-ray: Audiokommentar, Spiel: „Kälte Zone“, nicht verwendete Szenen mit optionalem Kommentar, Trailer
Zusatzmaterial DVD: Audiokommentar von Roland Emmerich und Mark Gordon (englisch, keine UT), Audiokommentar von Ko-Autor Jeffrey Nachmanoff, Kameramann Ueli Steiger, Cutter David Brenner und Ausstatter Barry Chusid (englisch, keine UT), Interview mit Emmerich (13:51), Inside Look: Making-of von „Alien vs. Predator“ (2:10), nur Special Edition: nicht verwendete Szenen, Featurettes („Wissenschaft von Morgen“, „Inside The Day after Tomorrow“, „Global Watch“, „Stadt in Eis“), Schuber
Label/Vertrieb: Twentieth Century Fox Home Entertainment

Copyright 2020 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & unterer Packshot: © Twentieth Century Fox Home Entertainment

 

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Sirene I – Mission im Abgrund: Im U-Boot zu den Monstern

The Rift

Von Volker Schönenberger

SF-Horror // Irgendwo im Nordatlantik ist das amerikanische Forschungs-U-Boot „Sirene I“ verloren gegangen. Es wird ein Ausfall des Nuklearantriebs vermutet. Weil Wick Hayes (Jack Scalia) es konstruiert hat, holt man ihn aus dem mehr oder minder freiwilligen Ruhestand zurück, damit er die Rettungsexpedition begleitet. Dass seine Entwicklung mit Atomkraft ausgestattet wurde, ist ihm neu. An Bord des U-Boots „Sirene II“ empfängt ihn die Besatzung mit Argwohn –die Verantwortlichen haben die Schuld für die Havarie der „Sirene I“ ihm in die Schuhe geschoben. Der herrische Kommandant Captain Randolph Phillips (R. Lee Ermey) fordert auch von den Zivilisten an Bord militärischen Gehorsam und ebensolches Benehmen.

Ab in die Tiefe!

Die „Sirene II“ sticht vom norwegischen Trondheim aus in See. Seine Kabine teilt sich Wick mit dem Computerspezialist Robbins (Ray Wise), ebenfalls ein Neuling. Mit der Biogenetik-Expertin Lieutenant Nina Crowley (Deborah Adair) hingegen teilt er gemeinsame Erinnerungen – für Nina offenbar unangenehme, fordert sie ihn doch umgehend auf, er möge ihr aus dem Weg gehen. Auch bei Kommandant Phillips macht sich Wick zügig unbeliebt.

An Bord kommt es zu Spannungen

Im finsteren Abgrund des (fiktiven) Dannekin-Grabens ortet die „Sirene II“ das Black-Box-Signal des verschollenen U-Boots. In einer Tiefe von mehr als 26.000 Fuß (fast 8.000 Meter) entdeckt der Suchtrupp auch Trümmerteile der „Sirene I“. Zudem findet sich dort völlig überraschend dichter Algenbewuchs, der dort aufgrund der Dunkelheit gar nicht vorhanden sein dürfte. Ein warmer Wasserstrom aus der Tiefe mag das Pflanzenwachstum gefördert haben. Nina Crowley erbittet daraufhin vom nach draußen geschickten Taucher Sven (Pocholo Martínez-Bordiú) ein Muster der Pflanzen. Der kommt der Aufforderung nach, wird aber kurz darauf von einer unbekannten Kreatur attackiert und stirbt einen grausamen Tod. Bald darauf sieht sich die Crew mit ungleich monströseren Bedrohungen konfrontiert.

Wick Hayes hat’s nicht leicht unter …

Ich gestehe: Vom spanischen Regisseur Juan Piquer Simón hatte ich zuvor noch nie gehört. Seine Filmografie offenbart Titel wie „Das Geheimnis der Monsterinsel“ (1981), „Sea Devils“ (1982) und „Slugs“ (1988) – letztgenannter Streifen gehört mit „Pieces“ (1982) zu seinen bekanntesten Arbeiten. Jedenfalls handelt es sich bei Simón offenbar um einen B-Filmer, und „Sirene I“ bestätigt das. Das muss nichts Schlechtes sein und ist es auch in diesem Fall nicht, wenn man an sich an mit geringem Budget produzierten Kreationen aus den Abgründen des Kinos erfreuen kann. Jedenfalls stand Simón deutlich weniger Geld zur Verfügung als James Cameron für „Abyss – Abgrund des Todes“ und George P. Cosmatos für „Leviathan“ (beide 1989). Selbst der als erster Film dieser kleinen Unterwasserwelle in den Kinos gestartete „Name“ target=“_blank“>Deep Star Six“ vom „Freitag, der 13.“-Regisseur Sean S. Cunningham hatte ein höheres Budget.

… Captain Phillips (l.). Robbins hält sich bedeckt

Aus der Besetzung ragt R. Lee Ermey heraus, der zwei Jahre zuvor als beinharter Drill Instructor in Stanley Kubricks „Full Metal Jacket“ (1987) mächtig Eindruck hinterlassen hatte. Hier agiert er nicht ganz so hart, hält aber die militärischen Tugenden ebenfalls in Ehren, was immer das sein mag. Die Rolle steht ihm gut zu Gesicht. Auch Ray Wise („Twin Peaks“) sehen wir gern, obwohl er sein Schauspiel bisweilen dem Niveau der B-Filme anpasst, in denen er oft mitwirkt. Hauptdarsteller Jack Scalia hält mit, auch wenn völlig offenbleibt, was ihn zum genialen U-Boot-Konstrukteur qualifiziert, der für die Rettungsexpedition unentbehrlich ist. Nicht mal die „Sirene II“ darf er einem anständigen Check unterziehen! Letztlich ist „Sirene I“ kein Film, in welchem Schauspieler Gelegenheit bekommen, sich auszuzeichnen, zumal die Dialoge nicht der Weisheit letzter Schluss sind.

Trockenen Fußes unter dem Meeresgrund

Die U-Boot-Routinen der ersten Hälfte lassen Menschen mit echter U-Boot-Erfahrung vermutlich die Haare sträuben. Zieht sich die Handlung damit doch ein wenig dahin, bringen ein paar Ereignisse und Wendungen im Mittelteil Schwung, und bald geht es monströs in die Vollen, entwickelt sich „Sirene I – Mission im Abgrund“ zum Creature Feature. Die unterschiedlichen Biester mysteriöser Provenienz dürften Freunden gepflegter Monsterfilme gefallen, bekommen jeweils aber leider zu wenig Leinwandzeit. Immerhin gehen ihre Auftritte mit dem einen oder anderen herzhaften Splattereffekt einher. Die FSK-16-Freigabe der ungeschnittenen Fassung geht nach heutigen Maßstäben völlig in Ordnung. Auch die an Bord geholte Alge kommt zu ihrem Recht. Die Tricks entsprechen natürlich nicht heutigen technischen Maßstäben, auch nicht damaligen, aber daran müssen wir uns nicht stören. Wen kümmert es schon, dass das U-Boot in der Tiefe als Modell erkennbar ist? Das Geschehen schwankt zwischen Grusel und Albernheit, wobei es von Vorteil ist, dass sich der Film selbst nicht ernst nimmt. Wer ebenfalls in der Lage ist, ihn nicht ernst zu nehmen, kann einen launigen B-Horror-Abend verbringen, der nach knackigen gut 80 Minuten vorbei ist – genau die richtige Länge.

Monströse Entdeckung

Die Wicked Vision Distribution GmbH hat „Sirene I – Mission im Abgrund“ als Nr. 38 ihrer limitierten „Collector’s Series“ veröffentlicht und mal wieder eine wertige Edition auf die Beine gestellt. Der HD-Transfer hat mir gefallen. In settingbedingt vorherrschenden Blautönen wurde das Bild anständig aufbereitet, ohne seine Früh-90er-Patina zu verlieren. Den Ton habe ich gut verstanden, mehr kann ich dazu mangels anständiger Lautsprecher-Ausstattung nicht schreiben. Wicked Vision hat eigens für die Veröffentlichung exklusives Zusatzmaterial produziert. So spricht Till Bamberg in einem mit Fotos unterlegten zehnminütigen Audiovortrag über die visuellen Effekte des Films. Das Booklet enthält einen Text von Christoph N. Kellerbach, der sich ausgiebig über die Tiefsee-Filme jener Zeit, den Regisseur, die Entstehung des Films und dessen Veröffentlichung auslässt. So muss das sein. Das Mediabook kann im Online-Shop des Labels bestellt werden, wobei zuletzt von den drei Covermotiven nur noch zwei lieferbar waren.

Wer will dieses Baby auf den Arm nehmen?

Die Filme der „Collector’s Series“ der Wicked Vision Distribution GmbH haben wir in unserer Rubrik Filmreihen aufgelistet. Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit R. Lee Ermey und Ray Wise haben wir unter Schauspieler aufgeführt.

Es kommt dicke!

Veröffentlichung: 31. August 2020 als 2-Disc Limited Collector’s Edition Mediabook (Blu-ray & DVD, 3 Covermotive à 333, 444 und 333 Exemplare)

Länge: 83 Min. (Blu-ray), 79 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: The Rift
SP/USA 1990
Regie: Juan Piquer Simón
Drehbuch: David Coleman
Besetzung: Jack Scalia, R. Lee Ermey, Ray Wise, Deborah Adair, John Toles-Bey, Ely Pouget, Emilio Linder, Tony Isbert, Álvaro Labra, Luis Lorenzo, Frank Braña, Pocholo Martínez-Bordiú
Zusatzmaterial: Featurette „Danger Below“ – Till Bamberg über die Effekte von „Sirene1“, Featurette „What Lurks in the Dark?“ – Spezialeffekt-Legende Colin Arthur über „Sirene 1“, Interviews mit den Darstellern Ray Wise, Jack Saclia und R. Lee Ermey, deutscher Trailer, Originaltrailer, Bildergalerie, 24-seitiges Booklet mit einem Essay von Christoph N. Kellerbach
Label/Vertrieb: Wicked Vision Distribution GmbH

Copyright 2020 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & unterer Packshot: © 2020 Wicked Vision Distribution GmbH

 

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