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Johnny Handsome – Der schöne Johnny: Keiner kann aus seiner (Gesichts-)Haut

31 Dez

Johnny Handsome

Von Tonio Klein

Thriller // Johnny (Mickey Rourke) wird zynisch „Johnny Handsome“ genannt, weil er seit seiner Geburt in Gesicht und Stimme entstellt ist. In seinen nicht zimperlichen Kreisen schätzt man aber immerhin seine Qualitäten als professioneller Räuber. Was bei einem Überfall auf einen Juwelier nichts daran ändert, dass Sunny (Ellen Barkin) und Rafe (Lance Henriksen) Johnny und dessen Freund übers Ohr hauen sowie Letztgenannten erschießen. Im Gefängnis schließt sich Johnny dem Programm eines Chirurgen (Forest Whitaker) und einer Ordensschwester an, die darauf hoffen, die Aufhebung der äußerlichen Stigmatisierung gehe auch mit einer Reinigung der Seele einher, sodass Johnny nach jeder Menge operativer Eingriffe tatsächlich seine Entstellung loswird, auf dass die Resozialisierung gelinge. Nachdem sein Tod fingiert wird und Johnny unter neuem Namen Bewährung und einen Job als Hafenarbeiter bekommt, scheint er sich tatsächlich zu fangen und verliebt sich sogar in Donna (Elizabeth McGovern), eine Kollegin aus der Lohnbuchhaltung. Doch obwohl sie diese Liebe erwidert, will Johnny sich und seinen Freund rächen, und da ist es praktisch, dass Sunny und Rafe ihn nicht erkennen können. Aber hart auf den Fersen ist ihm nach wie vor Lieutenant Drones (Morgan Freeman), der Johnny schon lange kennt und nicht an seine Wandlung glaubt …

Action, Western und Film noir

Dieser Film ist vieles in einem. Der als Action-Regisseur bekannte Walter Hill lässt am Anfang und am Ende den Actionthriller mit gewissen Anleihen an den Western aufblitzen: Ein Mann „tut, was er tun muss“. Der ewige Outlaw. Die harten Kerle mit blitzschnellem und superprofessionellem Finger am Abzug, die ohne zu zögern wuchtig ganze Magazine in was auch immer entleeren. Brutal und archaisch.

80er oder Noir? Rafe und Sunny

Gleichzeitig (wie ebenfalls in Hills „Last Man Standing“, 1996) die Verwundbarkeit, wenn der (Anti-)Held recht roh und ohne Aussparung der blutigen Details zusammengeschlagen wird. Darüber hinaus hat der Film auch in der Ruhe – wenngleich es deren im Mittelteil vielleicht etwas zu viel gibt – seine Kraft. Da ist er eine an den Film noir erinnernde Geschichte von der Schattenseite des Lebens, und so finden wir typische Noir-Orte abseits der Glitzerwelt. Mein Gott, das Ding spielt in New Orleans, was kann man da an Touristischem unterbringen. Hiervon fast nichts; nur (vermutlich bewusst und also geschickt gesetztes) Aufblitzen der Möglichkeiten, wenn etwa die typischen Pferdekutschen das Stadtbild verschönern. Und am Ende der berühmte Friedhof der Stadt – ausgerechnet in einem wahrhaft morbiden Finale. Dazwischen die hässlichen Seiten, der eigentlich ortlos aussehende Hafen, die nassen, kalten, dunklen Straßen, die schmuddelige Wohnung und der Knast als Orte Johnnys, eine kaum minder schmierige Table-Dance-Bar mit dem im Neo-noir-Genre typischen Neonlichter-Farbenrausch, der keine Behaglichkeit verheißt. Zudem inhaltlich wie stilistisch ein paar wunderbare nostalgische Reminiszenzen, und seien es Kleinigkeiten wie nahtlose Überblendungen von einer zur anderen Bildseite – dies war übrigens eher im Pre-Code-Film der 1930er-Jahre als im Film noir Usus. Ellen Barkin als optisch zwar sowas von 1980er, aber charakterlich archetypische Femme fatale. Fragt nicht nach ihrer Seele! Sie hat keine. Der anklagende Zynismus wird noch dadurch aktualisiert, dass – was in den 1940er-Jahren die Zensur verboten hätte – der Polizist ebenfalls in höchstem Maße zynisch ist und unethisch handelt, auch wenn wir uns zu Beginn nie ganz sicher sind. Übrigens eine große Rolle für den nicht mehr jungen, aber noch am Anfang seines großen Durchbruchs stehenden Morgan Freeman, dessen joviales Charisma immer auch etwas Rätselhaft-Bedrohliches hat.

Schöner Arbeiter ohne sicheren Hafen

Filmnostalgisch (und von Hill sicherlich bewusst so gestaltet) ist auch, dass das Drama aus sich heraus funktionieren muss, weil es eher allegorisch statt logisch ist. Klappt das wirklich mit so einer Operation? Handeln die Gangster nicht mitunter reichlich unmotiviert und/oder tölpelhaft? Ist der Racheplan Johnnys angesichts seiner Professionalität nicht auf unglaubwürdige Weise planlos? Ja, das alles kann man so sehen, aber dahinter steckt eine bestechende Reflexion, mit der Hill den Film noir noch weiter in Richtung Fatalismus führt. Niemand kann aus seiner Haut. Zudem ist das Operations-Motiv vielleicht eine Anspielung auf „Die schwarze Natter“ (1947) mit Humphrey Bogart, dem Hill auch als Co-Produzent mit „You, Murderer“ (1995) aus „Geschichten aus der Gruft“ Tribut zollt. Das neue Gesicht als neue Identität als neue Seele? Auch wenn ich es Bogey immer gegönnt habe, dass er am Ende mit Lauren Bacall glücklich vereint ist – hier wird das Dunkle mehr als nur eine „Passage“ auf einem guten Weg sein, so viel sei verraten.

Die reine Frau …

Fatalismus, Zynismus, kaputte Typen, ein Verlierer, Zwanghaftigkeit, die Unmöglichkeit oder zumindest große Schwierigkeit, autonome Entscheidungen zu fällen und sich so auch zum Guten wenden zu können. Das Gegenteil des amerikanischen Traumes, nach dem jeder seines Glückes Schmied sei. Alles klassische und hier noch radikalisierte sowie auf die Ebene der Ordnungshüter ausgedehnte Noir-Themen. Leider hat bei mir die Empathie an einer Stelle aber kläglich versagt, nämlich bei der Figur der Donna. Vielleicht ein bewusst gesetzter Name, Donna als „Frau als solche“, als Kurzform von Madonna, als das weibliche Gute, das Johnny erlösen könnte. Aber doch nicht so! Hier ist der Film mit seinem Versuch, zeitlos-archetypisch und gleichzeitig im Sinne seiner Entstehungszeit modern zu sein, gründlich misslungen. Gott, ist die Gute eine Anhäufung von potthässlichen Mode- und Stylingsünden der ausgehenden 1980er-Jahre! Die gelockte, nach hinten gesteckte, ansatzweise „Vokuhila“-Frisur, der breite Gürtel, der kreuzbrave Blick, die ebenfalls kreuzbrave Kleidung und Schminke und dann diese hässliche geränderte Brille, deren Gläser fast bis zur Nasenspitze runterreichen. Hill treibt das Klischee auf die Spitze, nach dem weibliche Gute allzu bieder aussehen (und selbstverständlich, anders als Barkin, nicht blond sind) und auch so wirken. Um der Gerechtigkeit und der Höflichkeit Willen ist eines klarzustellen: Elizabeth McGovern, die die Donna spielt, ist keinesfalls eine hässliche Frau. Aber ihre Figur ist hässlich gestaltet, und das ist schade, weil ihr Charakter tatsächlich Größe beweist, etwa, wenn Donna ganz genau spürt, dass Johnny Hilfe braucht und sie nicht aus Überzeugung abserviert, sondern weil er sie nicht in seine Probleme hineinziehen will. Kann eine Gute nicht auch einmal flippig, sexy oder beides sein? Muss man eine so starke Frau mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln (mit Ausnahme eben des Drehbuchs) wie ein Supermauerblümchen gestalten?

… und der gebrochene Mann

Von dieser – allerdings in Handlung und Psychologie wichtigen – Figur abgesehen (immerhin die einzige Hoffnung für Johnnys Lebenswandel, das ahnen wir sofort) klappt das mit der Empathie aber recht gut, und dazu trägt außer den bereits erwähnten erzählerischen und gestalterischen Mitteln wesentlich das Spiel Mickey Rourkes bei. Schon in der Anfangsphase, als ihm die tonnenschwere Maske nuancierte Mimik unmöglich macht, hat dieser Mann eine traurig-wuchtige Präsenz, wenn er beispielsweise in der ersten Szene als einsamer Wolf durch die Straßen stakst. Ein Koloss, aber auch erkennbar Außenseiter; ein Mann, dessen Äußeres wie Inneres unter dem brüchigen Schutzpanzer der Lederjacke immerfort bersten zu möchten scheint. Und schon da ein Nachdenklicher, der nicht, wie Rourke im Charles-Bukowski-Drama „Barfly – Szenen eines wüsten Lebens“ (1987), sein Method Acting im extrovertierten De-Niro-Stil einsetzt, sondern so, wie es die Rolle verlangt. Ein Gewinn ist, dass das Drehbuch ihm nicht nur das Gesicht, sondern auch die Stimmbänder in Mitleidenschaft gezogen hat. Lange dauert es, bis Johnny erstmals spricht, und wir hören sofort, warum – diese nasale, unbeholfene, abgesehen von der Tiefe fast babyhafte Stimme verstärkt Mobbing und Stigmatisierung nur noch. Danach spüren wir in jeder Szene, wie sehr Johnny sich überlegt, ob er das Wort ergreifen sollte, und wie er sich scheut. Beispielsweise in der Szene, in der ein Teil der Operationen schon stattgefunden hat und der Arzt Johnny – mühsam, aber erfolgreich – mehr Details aus seinem Leben entlockt.

Kündet die Säule von Johnnys Schicksal?

Als tatsächlich schöner Johnny stellt er dann den Widerspruch zwischen dem Äußeren und dem immer noch bedächtigen, zaghaften, verhaltenen Auftreten als Schwierigkeit dar, dem geänderten Äußeren auch das geänderte Innere folgen zu lassen. Neben Schauspielkunst trägt dazu bei, dass Rourke zwar ein verwegen-cooles Gesicht hat, aber ein im makellosen Sinne schönes Gesicht nie hatte, auch nicht vor seinen Box-Verletzungen, die er sich ein paar Jahre nach diesem Film zuzog. Leichte Pockennarben sowie eine handlungsbedingte Ungepflegtheit sind jederzeit zu sehen. Und gerade daraus schöpft der Film eine Stärke, denn das ist immer noch weit mehr als das, was Johnny jemals erwarten konnte. „Ich fühle mich immer noch, als wenn ich eine Maske trüge“, bringt er es nach seinem ersten Blick in den Spiegel nach finaler Wiederherstellung des Gesichts auf den Punkt. Genau darum geht es – dito, wenn Rafe und Sunny Johnny am Ende mit Fäusten und einem Messer „wieder sein altes Gesicht verpassen wollen“: Was ist Johnnys „wahre Haut“, was ist seine „Maske“? Wir wissen es nicht. Aber wir ahnen es.

Johnnys Grinsen wird ihn nicht schützen

Ein weitgehend guter bis hervorragender Film, wenngleich mit gewissen Längen im Mittelteil und einer teils verunglückten Gestaltung einer zentralen Frauenfigur. Ansonsten herrlich abgründig und mit einem grandiosen Mickey Rourke. Die Blu-ray liefert wie gewohnt ein etwas schärferes Bild als die auch schon ordentliche DVD von Arthaus/Studiocanal; auf einer zweiten Scheibe finden sich verschiedene Extras. Warum aber ein ums andere Mal in Mediabooks noch eine DVD mit dem Hauptfilm enthalten ist? Wer braucht die? Nette Menschen können sie natürlich verschenken, aber 2021 sei eher ein Jahr des Aufbruchs als eines des Weges, den Johnny gehen muss.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Walter Hill haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Ellen Barkin unter Schauspielerinnen, Filme mit Morgan Freeman, Lance Henriksen, Mickey Rourke und Forest Whitaker in der Rubrik Schauspieler.

Eine Figur mit Licht und Schatten

Veröffentlichung: 8. Oktober 2020 als Mediabook (2 Blu-rays & DVD), 11. September 2001 als DVD

Länge: 93 Min. (Blu-ray), 89 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Johnny Handsome
USA 1989
Regie: Walter Hill
Drehbuch: Ken Friedman, nach einem Roman von John Godey
Besetzung: Mickey Rourke, Ellen Barkin, Elizabeth McGovern, Morgan Freeman, Forest Whitaker, Lance Henriksen
Zusatzmaterial: Trailer, Exklusives Interview mit Walter Hill, Featurettes, Bildergalerie, Booklet
Label/Vertrieb Mediabook: Koch Films
Label/Vertrieb DVD: Kinowelt (Studiocanal)

Copyright 2020 by Tonio Klein

Szenenfotos & Packshots: © 2020 Koch Films

 
 

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Eine Antwort zu “Johnny Handsome – Der schöne Johnny: Keiner kann aus seiner (Gesichts-)Haut

  1. SmileySmile77

    2021/02/15 at 18:37

    Ein wirklich schöner Text über einen Film den ich mir alle paar Jahre gerne wieder anschaue. Zu erwähnen wäre noch der wehmütige Blues-Score von Ry Cooder. Und die Darstellung von McGovern sah etwas weniger streng als Du. Sie sollte als in der Verwaltung tätige graue Maus wohl einfach das Inbild der Normalität verkörpern, die für nur kurze Zeit dem Protagonisten zum Greifen nahe schien. Bis er dann halt doch nicht aus seine Haut konnte und seinem Schicksal folgte. Außerdem gehört zu Walter Hills Werk halt auch eine „Alles Schlampen außer Mama (und auch bei der bin ich mir nicht sicher)“-Weltbild das er wahrscheinlich von Sam Peckinpah geerbt hat. Insgesamt also ein tonal manchmal auseinander driftender Neo-Noir der durch einen Überfluss an Talent seiner Darsteller profitiert. Ich würde es Walter Hill wirklich wünschen vor seinem Tod nochmal einen ähnlich schönen Film drehen zu können.

     

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