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Archiv für den Monat Oktober 2021

Horror für Halloween (XXXVIII): American Werewolf – Rick Bakers phänomenaler Body Horror

An American Werewolf in London

Von Volker Schönenberger

Der folgende Text enthält ein paar Spoiler.

Horrorkomödie // Es liegt nicht nur an der großen Verwandlungsszene ab der 59. Minute, aber auch und ganz besonders an dieser Szene, dass es völlig in Ordnung ist, wenn in einer Rangliste der besten Werwolffilme „American Werewolf“ den Spitzenplatz einnimmt. Völlig berechtigt erhielt Rick Baker nicht zuletzt aufgrund erwähnter Sequenz fürs Make-up des Films 1982 den Oscar – übrigens den ersten in dieser Kategorie, da sie in jenem Jahr überhaupt erst eingeführt wurde. Es war Bakers erster von sieben übrigens, bei zwölf Nominierungen. Den bislang letzten erhielt der 1950 im US-Staat New York Geborene 2011 erneut für das Make-up eines Werwolffilms: des meines Erachtens etwas unterschätzten Remakes „Wolfman“ mit Benicio Del Toro und Anthony Hopkins.

„An American Werewolf in London“, so der Originaltitel, setzt zu den Klängen von Bobby Vintons „Blue Moon“ in einem nordenglischen Moorgebiet ein (eine Landschaft in Wales hielt als Drehort dafür her). Die beiden New Yorker Studenten David Kessler (David Naughton) und Jack Goodman (Griffin Dunne) sind als Rucksacktouristen unterwegs und gelangen ins Dorf East Proctor. Dort suchen sie den Pub „The Slaughtered Lamb“ auf, wo sie mit betretenem Schweigen empfangen werden. Kurz darauf scheint das Eis zu brechen, doch als Jack die Frage stellt, welchen Zweck das Pentagramm an der Wand habe, kippt die Stimmung, und die beiden verlassen den Pub und ziehen hinaus in die regnerische Moornacht. Sie bekommen noch die Warnung mit auf den Weg, sich vor dem Mond in Acht zu nehmen und auf der Straße zu bleiben.

Drei Wochen später erwacht David in einem Londoner Krankenhaus aus der Bewusstlosigkeit. Ein wahnsinniger Mörder habe seinen Freund ermordet und sei von der Polizei erschossen worden. Das deckt sich nicht mit Davids Erinnerungen, wonach Jack von einem haarigen Biest zerfleischt wurde und auch ihn verletzte. In der Folge erleidet der junge Mann düstere Albträume und Visionen. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus kommt er bei der aparten Krankenschwester Alex Price (Jenny Agutter) unter, die sich in ihren Patienten verknallt hat. Der nächste Vollmond naht …

Im nordenglischen Hochmoor …

Dass 1981 als eines der Goldenen Jahre des Horrorkinos gilt, liegt zweifellos auch daran, dass es darin wölfisch zuging: Im Januar in Frankreich und im März in den US-Lichtspielhäusern war Joe Dantes „The Howling – Das Tier“ gestartet, bei dem ebenfalls Rick Baker beim Make-up der Werwölfe seine Hand im Spiel gehabt hatte. Ab Juli suchten in „Wolfen“ Wölfe – keine Werwölfe – New York City heim, bevor im August die Zeit von „American Werewolf“ anbrach. Im Oktober folgte noch Larry Cohens „Ein Werwolf beißt sich durch“, der allerdings nicht den Bekanntheitsgrad der anderen Filme erreichte, nie in die deutschen Kinos gelangte, sondern hierzulande erst 1987 auf Video veröffentlicht wurde. Unter Beachtung dieser Filme – insbesondere „Das Tier“ und „American Werewolf“ – lässt sich mit Fug und Recht konstatieren, dass das Jahr 1981 das Werwolf-Sujet auf eine neue Stufe hievte. Aufgrund der großen Verwandlungsszene von „American Werewolf“ können wir das Werk sogar als Body Horror einordnen, denn darin geht es enorm körperlich zur Sache, und die Transformation ist mit großen Schmerzen verbunden, was John Landis’ erklärte Absicht war.

… geht Jack (l.) und David der Hintern auf Grundeis

Da Landis’ Regiearbeit nach eigenem Drehbuch allerorten als Horrorkomödie eingestuft wird, belasse ich es ebenfalls dabei. Allerdings befindet sich der Humorgehalt von „American Werewolf“ keineswegs auf dem Level seiner komödiantischen Großtaten wie „Kentucky Fried Movie“ (1977), „Blues Brothers“ (1980), „Die Glücksritter“ (1983) und „Spione wie wir“ (1985). Der Regisseur hat auch geäußert, sein Film habe zwar Humor, sei aber klar als Horrorfilm zu sehen. Die Klasse des Werwolf-Schockers resultiert eher aus der Kombination von schwarzem Humor und grimmiger Terror-Atmosphäre, und beides kommt durchaus auch separat zum Zuge. Es wäre sogar noch mehr Härte drin gewesen, weil John Landis in der Nachproduktion die Szene herausschnitt, in welcher der Werwolf die Obdachlosen niedermetzelt – der Regisseur fürchtete, dies könne das Publikum nachhaltig verstören, sodass sie den Rest des Films nicht mehr genießen würden. Eine Entscheidung, über die Landis später Bedauern äußerte.

Noch ahnt die Krankenschwester Alex nichts Böses

Beispielhaft für die grimmige Stimmung sei die Szene im U-Bahnhof Tottenham Court Road genannt, in der ein argloser Geschäftsmann durch die endlos wirkenden Gänge vor der Kreatur zu flüchten versucht. Achtet bei dieser Sequenz einmal auf den Wechsel der Perspektiven: Anfangs sehen wir aus diversen herkömmlichen Kamerablickwinkeln den Herrn, wie er auf seinen Anschlusszug wartet, erschrickt und sich davonmacht. In einem langen Gang folgt plötzlich eine Ego-Perspektive vom Boden aus auf den Mann – also der Blick des Biests auf die Beute. Kurz vor dem Ende der Sequenz gibt es eine ganz großartige Einstellung eine Rolltreppe hinab, die in Richtung oben fährt und auf der der mittlerweile total verängstigte Geschäftsmann liegt, während sich ganz unten langsam die Kreatur ins Bild schiebt. Die letzte Einstellung ist dann wieder in der Ego-Perspektive des Jägers mit Blick auf seine Beute gehalten. Enorm gruselig und eine der stärksten Sequenzen von „American Werewolf“, und das ohne jeden Anflug von Humor.

Warnung aus dem Totenreich

Aus heutiger Sicht und mit Kenntnis des Films sowieso ist es sonnenklar und unausweichlich, was mit David geschieht, zumal ihm sein vom Werwolf zu Beginn niedergemetzelter Kumpel Jack als grausig entstellter und nach und nach verfallener Untoter erscheint und genau davor warnt. War es für das Kinopublikum 1981 auch von Anfang an so eindeutig? Womöglich schon, John Landis spielt hier mit der allein schon durch den Titel geschürten Erwartungshaltung. So oder so muss die Klasse der eingangs erwähnten großen Transformationsszene die damaligen Kinogängerinnen und Kinogänger in ihre Sitze gedrückt haben. Sie ist meines Erachtens auch heute noch unerreicht, und schon gar nicht vermag noch so perfekt programmierte CGI-Tricktechnik sie zu übertreffen. Handgemacht rulez! Ein gewisser Michael Jackson war übrigens von „American Werewolf“ so angetan, dass er John Landis beauftragte, das Musikvideo zu seinem Song „Thriller“ (1983) zu drehen. Landis brachte für die Arbeit an seinem ersten Musikvideo unter anderem Kameramann Robert Paynter, Make-up-Mann Rick Baker und Kostümdesignerin Deborah Nadoolman mit. Der Rest ist Geschichte.

Transformation

Einem Film steht es immer gut zu Gesicht, wenn er logistischen und organisatorischen Aufwand betreibt, damit eine Szene besser aussieht. Wenn Cillian Murphy zu Beginn von Danny Boyles „28 Days Later“ (2002) durchs menschenleere London wankt, sieht das deshalb so grandios aus, weil es genau dort gedreht wurde, sogar in Sichtweite diverser berühmter Bauwerke. Die Londoner Verkehrspolizei war insofern an den Dreharbeiten beteiligt, als sie punktuell diverse Straßen und Örtlichkeiten absperrte, damit diese Menschenleere erreicht werden konnte. Das gilt auch für „American Werewolf“: Dessen Finale spielt sich am wuseligen Piccadilly Circus ab – und es wurde exakt dort auch gedreht, was die Bilder spürbar aufwertet. Respekt an die Londoner Bobbys für derlei Aufwand, denn wer einmal in London war, wird wissen, wie viel Trubel auf den Straßen im Innenstadtbereich von Englands Hauptstadt permanent herrscht.

Obdachlose leben gefährlich

An sich ist mir als bekennendem Fan von Arrow Video die 2019 veröffentlichte limitierte Special Edition des englischen Vorzeigelabels mit Kartenset, Postern, fettem Booklet, stabilem Schuber und natürlich feiner Bildqualität lieb und teuer. Aber da kommt doch tatsächlich im November 2020 ein deutsches Label daher und wirft eine Referenz-Edition auf den Markt, die Arrow locker in die Schranken weist. Okay, Turbine Medien ist ohnehin für vorzügliche Veröffentlichungen bekannt, aber diese Ultimate Edition erweist „American Werewolf“ genau die Ehre, die das Werk verdient hat (vollständige Auflistung siehe ganz unten). Allein das physische Bonusmaterial: Vier Bierdeckel mit „The Slaughtered Lamb“-Motiv sind natürlich nur ein nettes Gimmick, die Postkarten mit internationalen Plakatmotiven und das doppelseitig bedruckte Poster aber schon etwas mehr. Und fürs 104-seitige Booklet muss eine alte Frau lange stricken. Außer reichlich Bildmaterial enthält es auch fachkundige Texte von den vier (!) Autoren Tobias Hohmann, Gerd Neumann, Christopher Klaese und Dominik Starck. Sogar Fußnoten und Quellenangaben zur weiterführenden Lektüre finden sich. Höchst respektabel! Wobei auch das Arrow-Booklet hohe Qualität hat.

Im Underground geht’s schaurig zu

Enthalten ist auch eine Soundtrack-CD mit Elmer Bernsteins Score inklusive diverser Filmsongs, die den Mond thematisieren, etwa „Moondance“ von Van Morrison und „Blue Moon“ von Sam Cooke. Leider fehlt „Bad Moon Rising“ von Creedence Clearwater Revival, im Film ebenfalls zu hören. Womöglich war die Lizenz zu teuer. Am Rande bemerkt: Weshalb wohl hat John Landis darauf verzichtet, Warren Zevons „Werewolves of London“ in den Soundtrack des Films einzubauen? Der Song hätte wie die Faust aufs Auge gepasst.

American Werewolf

Vom Bonusmaterial auf den Discs seien beispielhaft die 98-minütige Doku „Vorsicht vor dem Mond“ und die 77-minütige Doku „Das Vermächtnis der Bestie“ genannt, die jeweils selbst in Spielfilmlänge einen Rückblick auf „American Werewolf“ und seine Entstehung liefern. Zahlreiche weitere Interviews und Featurettes ergänzen das vorzüglich. Die UHD Blu-ray und zwei Blu-rays befinden sich in einem Digipack, der wiederum in einem Schuber steckt. Beides ist ansprechend aufgemacht und befindet sich im Verbund mit dem physischen Begleitmaterial in einer stabilen Box in zwei Covervarianten – eine auf 2.626 Exemplare limitiert, eine auf 1.313. Angesichts der doch stattlichen Limitierung hat es mich etwas überrascht, dass beide Covervarianten bereits vergriffen sind, aber das ist tatsächlich der Fall. Und für beide bewegen sich die Preise auf dem Sammlermarkt zum Teil schon im dreistelligen Bereich. Immerhin hat Turbine Medien im September 2021 Mediabooks in verschiedenen Covermotiven mit UHD Blu-rays und/oder Blu-rays veröffentlicht, um der hohen Nachfrage nachzukommen. Glück für alle, die bei der Ultimate Edition leer ausgegangen sind. Natürlich muss sich niemand genötigt sehen, sich die bestmögliche Edition von „American Werewolf“ zuzulegen. Aber wer Werwolffilmen etwas abgewinnen kann, sollte John Landis’ Werk gesehen haben. Und wer sie sammelt, muss sich „American Werewolf“ ins Regal stellen, soll sich die Sammlung gut sortiert nennen können. Ob man sie auf Rang 1 seiner persönlichen Werwolf-Rangliste setzt, entscheiden alle Ranglistenersteller/innen individuell. Allzu viel Luft nach oben bleibt aber nicht.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von John Landis haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Jenny Agutter unter Schauspielerinnen, Filme mit David Naughton in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung: 7. September 2021 als 3-Disc Edition Mediabook (1 UHD Blu-ray & 2 Blu-rays, zwei Covervarianten à 999 und 555 Exemplare) und 2-Disc Edition Mediabook (2 Blu-rays, 5 Covermotive à 555, 3 x 333 und 222 Exemplare), 28. Januar 2021 als 3-Disc Special Edition (1 UHD Blu-ray & 2 Blu-rays), 13. November 2020 als 4-Disc Ultimate Edition (1 UHD Blu-ray, 2 Blu-rays & 1 Soundtrack-CD, zwei Covermotive à 2.626 und 1.313 Exemplare), 20. September 2019 als Tape Edition Blu-ray (limitiert auf 1.111 Exemplare), 15. November 2012 als Blu-ray (Jahr 100 Film Edition), 5. November 2009 als Blu-ray und 2-Disc Special Edition DVD (geschnitten), 1. Februar 2007 als DVD (Oscar Edition), 24. Januar 2002 als Twentieth Anniversary Special Edition

Länge: 98 Min. (Blu-ray), 91 Min. (DVD, geschnitten)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch u. a.
Untertitel: Deutsch, Englisch u. a.
Originaltitel: An American Werewolf in London
GB/USA 1981
Regie: John Landis
Drehbuch: John Landis
Besetzung: David Naughton, Jenny Agutter, Joe Belcher, Griffin Dunne, David Schofield, Brian Glover, Lila Kaye, Rik Mayall, Paddy Ryan, John Woodvine, Frank Oz, Don McKillop, Albert Moses
Zusatzmaterial: Audiokommentar mit David Naughton und Griffin Dunne, Outtakes (3 Min.), Interview mit Regisseur John Landis (2001, 18 Min.), Interview mit Maskenbildner Rick Baker (11 Min.), Hinter den Kulissen – Das Casting der Klaue (11 Min.), Vom Stoyboard zur filmischen Umsetzung, Die technischen Effekte, Fotogalerie, „Vorsicht vor dem Mond“ („Beware the Moon“, 98 Min.), „Ich lief mit einem Werwolf“ (8 Min.), nur Turbine-Editionen: Audiokommentar mit Paul Davis, US-Teaser, US-Trailer, US-TV-Spots, US-Radio-Spots, deutscher Trailer, „Das Vermächtnis der Bestie“ (77 Min.), Artefakte des American Werewolf (8 Min.), Das Geheimnis des Werwolfs (11 Min.), Storyboard-Film-Vergleich der Verwandlung (3 Min.), American Werewolf in Bobs Keller (4 Min.), Piccadilly Circus – damals und heute (6 Min.), Rick Baker über die Universal-Monster (8 Min.), Ein amerikanischer Regisseur in London (12 Min.), Der Ruf des Werwolfs (11 Min.), Post Mortem – mit John Landis (2014, 39 Min.), Interview mit David Naughton (2011, 13 Min.), „Fear on Film“ – mit John Landis, John Carpenter und David Cronenberg (1982, 26 Min.), nur Ultimate Edition: Soundtrack-CD, 7 Art-Cards, zweiseitiges Poster, 4 Bierdeckel, 1 Aufkleber, 104-seitiges Booklet mit Texten von Tobias Hohmann, Gerd Neumann, Christopher Klaese und Dominik Starck
Label/Vertrieb ab 2020: Turbine Medien
Label/Vertrieb bis 2019: Universal Pictures Germany GmbH

Copyright 2021 by Volker Schönenberger

Szenenfotos, Special-Edition-UHD-Packshot & Ultimate-Edition-Packshots: © 2020/2021 Turbine Medien,
Blu-ray-Packshot: © 2009 Universal Pictures Germany GmbH

 

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Horror für Halloween (XXXVII) / Lucio Fulci (VII): Das Haus an der Friedhofmauer – Im Keller lauert das Grauen

Quella villa accanto al cimitero

Von Volker Schönenberger

Horror // Eine junge Frau (Daniela Doria) zieht sich in einem verlassenen und vor sich hin rottenden Haus die Bluse an. Offenbar hatte sie gerade ein Schäferstündchen mit ihrem Freund Steve, nach dem sie nun ruft. Als er endlich auftaucht, erlebt sie eine blutige Überraschung.

Auf nach Neuengland!

Die Eheleute Norman und Lucy Boyle (Paolo Malco, Catriona MacColl) aus New York City bereiten sich darauf vor, das in New Whitby (irgendwo in Neuengland) gelegene Gebäude mit ihrem Sohn Bob (Giovanni Frezza) zu beziehen. Der Knirps hat Visionen eines Mädchens, Mae (Silvia Collatina), das ihn warnt, das Haus zu betreten. Erst bemerkt er sie hinter einem Fenster auf einem Foto des Gebäudes, nach der Ankunft am neuen Wohnort auch leibhaftig.

Die Boyles planen, sechs Monate dort zu leben, die Norman für Recherche und Arbeit an seinem Buch nutzen will. Er beabsichtigt, ein Forschungsprojekt seines Kollegen Dr. Peterson fortzusetzen. Der hatte das Haus zuvor bewohnt, dann aber seine Geliebte ermordet und sich in der öffentlichen Bibliothek des Orts erhängt. Das neue Domizil der Boyles befindet sich in unmittelbarer Nähe eines Friedhofs und erweist sich als mysteriös. Unter einem Teppich entdeckt Lucy einen Grabstein, beschriftet mit dem Namen Jacob Tess Freudstein. Die Tür zum Keller ist verschlossen und vernagelt. Norman entdeckt, dass Peterson über seine historischen Forschungen hinaus das Wirken eines Dr. Freudstein untersuchte. Der unternahm um die Jahrhundertwende herum fragwürdige Experimente.

Schlusspunkt von Fulcis „Real Estate“-Trilogie

Gedreht wurde im zu den Neuengland-Staaten der USA zählenden Massachusetts, in New York City und in einem Studio in Rom. „Das Haus an der Friedhofmauer“ (1981) markiert nach den beiden Zombiefilmen „Ein Zombie hing am Glockenseil“ (1980) und „Über dem Jenseits“ (1981) den dritten Teil von Lucio Fulcis „Real Estate“-Trilogie, auch „Gates of Hell“-Trilogie und „Gothic“-Trilogie genannt. Vielleicht seine bedeutsamsten Arbeiten („Woodoo – Die Schreckensinsel der Zombies“ von 1979 muss auch dazugezählt werden). Türen spielen darin wie in etlichen anderen Regiearbeiten Fulcis eine zentrale Rolle, seien es Pforten zur Hölle oder sonstwie geartete Trennlinien zwischen dem Dasein der Protagonisten und – ja, was eigentlich? Einer tödlichen Bedrohung jedenfalls, so viel ist klar. Nicht immer übernatürlichen Ursprungs, in der „Real Estate“-Trilogie aber schon. Und selbstverständlich ist es kein Zufall, dass es sich in „Das Haus an der Friedhofmauer“ um die Tür zu einem Keller handelt. Ein Abgrund, wenn auch im Gegensatz zu den beiden Vorgängern kein höllischer – gleichwohl schlimm genug.

Es gibt einen roten Erzählfaden, er verliert sich im Verlauf des Geschehens aber ein wenig. Letztlich lässt sich die Story darauf reduzieren, dass eine Familie in einem Haus Schlimmes erlebt. Sicher ist es nicht die Geschichte, welche die Klasse von „Das Haus an der Friedhofmauer“ ausmacht, sondern wie bei „Glockenseil“ und „Jenseits“ das Verlassen der Pfade dieser Geschichte, um diverse angsteinflößende Szenerien zu präsentieren. Die faszinierenden Bilder, die Fulci einmal mehr im Verbund mit seinem Stamm-Kameramann Sergio Salvati findet, kommen mir weniger surreal-albtraumhaft vor als in den beiden Zombiefilmen, dennoch breitet sich eine mehr und mehr unwirkliche Atmosphäre aus, die in einem finalen blutigen Exzess kulminiert. Unmittelbar danach präsentiert uns Fulci eine Spalte in einem Stein, die deutlich erkennbar wie eine Vulva geformt ist, somit als Geburtsspalte (oder -kanal) fungiert. Damit entlässt uns der italienische Regisseur aus einem Geisterfilm, über dessen Ende sich vorzüglich spekulieren lässt.

Frankenstein und Freud

Sicher nicht von ungefähr kommt der Name Freudstein. Eine Kreuzung aus Freud und Frankenstein – keine gewagte These (und sicher vor mir von etlichen anderen Personen erkannt). Fulci war womöglich Sigmund Freud, dem Begründer der Psychoanalyse, nicht unbedingt zugetan. Dazu mögen sich einige Untersuchungen finden, hier würde es mein Recherchepotenzial und den Rahmen meines Textes sprengen, das weiter ausführen zu wollen. Stehe man zu Fulcis diesbezüglicher Haltung, wie man will, es bleibt bemerkenswert, dass der Filmemacher diese Motive integriert hat. Angeblich wollte Fulci mit dem „Freud“ in Freudstein lediglich einen Bekannten würdigen. Aber wer weiß, ob da nicht sein Unterbewusstsein mitgespielt hat? Der Regisseur absolvierte im Übrigen in einer kurzen Szene in New York City einen Cameo-Auftritt als Normans Kollege Professor Mueller.

Die internationale Namensgebung des Films folgte stimmig dem Originaltitel „Quella villa accanto al cimitero“: Sowohl der deutsche Titel „Das Haus an der Friedhofmauer“ als auch der englische „The House by the Cemetery“ bedeuten in etwa dasselbe wie der Originaltitel. Der Film vereint Elemente des Giallos und des US-Slasherfilms mit Motiven von Spukhaus-/Geisterfilmen. Er spart dabei nicht mit Blut, Schmerz und Ekel. In Deutschland zwischen 1983 und 2013 wiederholt indiziert, erfolgte 2014 etwas überraschend die Listenstreichung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Die Neuprüfung durch die Freiwillige Selbstkontrolle ergab 2015 eine „Keine Jugendfreigabe“-Kennzeichnung. FSK 18 erscheint auch völlig gerechtfertigt.

Minderwertig?

Klar ist: Besser wurde es im Anschluss an die „Gates of Hell“-Trilogie nicht mehr, im Gegenteil: Nach „Das Haus an der Friedhofmauer“ ging es steil bergab, auch wenn das Fans des Nachfolgers „Der New York Ripper“ (1982) anders sehen mögen. Zwar gefallen mir „Ein Zombie hing am Glockenseil“ und „Über dem Jenseits“ deutlich besser, dennoch würde ich dem dritten Film im Bunde nicht gerecht werden, würde ich ihn als schwächsten Teil der „Gothic“-Trilogie bezeichnen. Wie so oft bei Horrorfilmen lohnt sich zum Schmunzeln ein Blick auf die damalige Kritik im Lexikon des internationalen Films: Minderwertiger Horrorfilm mit blutigen Schockeffekten. Eine Meinung ist natürlich so gut wie die andere, aber „Das Haus an der Friedhofmauer“ ist alles andere als minderwertig. Ein Klassiker und ganz sicher noch kein Bestandteil des Niedergangs des modernen italienischen (Horror-)Kinos.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Lucio Fulci haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Catriona MacColl unter Schauspielerinnen.

Veröffentlichung (Auszug): 8. Oktober 2020 als Blu-ray in großer Hartbox (limitiert auf 44 Exemplare), 2. Juli 2018 als Blu-ray und DVD, 12. April 2010 als DVD in großer Hartbox „Just 84 Pieces Edition“ (zwei Covermotive à 84 Exemplare), 30. Oktober 2009 als DVD „Limited 84 Edition“ Monsterbox (limitiert auf 84 Exemplare), 7. Mai 2007 als DVD in großer Hartbox „Freudstein Edition“ (zwei Covermotive à 222 und 333 Exemplare)

Länge: 86 Min. (Blu-ray), 83 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 18
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: keine
Originaltitel: Quella villa accanto al cimitero
Internationaler Titel: The House by the Cemetery
IT 1981
Regie: Lucio Fulci
Drehbuch: Dardano Sacchetti, Giorgio Mariuzzo
Besetzung: Catriona MacColl, Paolo Malco, Ania Pieroni, Giovanni Frezza, Silvia Collatina, Dagmar Lassander, Giovanni De Nava, Daniela Doria, Giampaolo Saccarola, Carlo De Mejo
Zusatzmaterial (variiert je nach Veröffentlichung: deutsche Nostalgieversion (81 Min.), alter deutscher Vorspann, altes deutsches Ende, entfernte Szenen, deutscher, internationaler, italienischer und US-Trailer, Diashow, Soundtrack als Hidden Feature, Wendecover
Label/Vertrieb 2020: X-Rated
Label/Vertrieb 2018: LFG
Label/Vertrieb 2010 & 2007: ’84 Entertainment

Copyright 2021 by Volker Schönenberger

Unterer Packshot: © 2018 LFG

 

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Horror für Halloween (XXXVI) / Dario Argento (XI): Dämonen 2 – Terror im Lichtspielhaus

Dèmoni

Von Volker Schönenberger

Weil Dario Argento Lamberto Bavas Regiearbeit produzierte und als einer von vier Drehbuchautoren gelistet wird, reihen wir „Dämonen 2“ kurzerhand in unsere Argento-Werkschau ein.

Horror // Lamberto Bavas Regiearbeiten „Dèmoni“ von 1985 und „Dèmoni 2 …l’incubo ritorna“ von 1986 bereichern die reiche Geschichte sonderbarer deutscher Titelschöpfungen um ein sehr spezifisches Kuriosum: Weil der erstgenannte Film seinerzeit gar nicht in die Kinos gekommen war, strich der deutsche Verleih der Fortsetzung zum Kinostart im Juli 1987 kurzerhand die „2“ aus dem Titel, sodass sie hierzulande als „Dämonen“ verbreitet wurde. Als später der Vorgänger den Weg in die deutschen Videotheken fand, machte man aus der Not eine Untugend und verpasste ihm ebenso kurzerhand die 2 im Titel. Das ergibt aber insofern überhaupt keinen Sinn, als die Handlung von „Dèmoni 2 …l’incubo ritorna“ ganz klar auf den Ereignissen in „Dèmoni“ aufbaut. Wer beide Filme somit aus prinzipiellen oder sonstigen Erwägungen unbedingt in der Reihenfolge der deutschen Nummerierung schauen will, sollte sich darüber im Klaren sein, dass beim zweiten Film Prequel-Feeling aufkommt. Kann man machen, muss man aber nicht.

Ein Blinder geht ins Kino

Hier jedenfalls geht es mit „Dämonen 2“ los, also – zur Sicherheit noch einmal – dem ersten Film: Das Geschehen spielt sich in West-Berlin ab. Die Studentin Cheryl (Natasha Hovey) fühlt sich in der U-Bahn beobachtet und verfolgt, doch im Bahnhof stößt sie lediglich auf einen seltsam maskierten Mann (Michele Soavi), der ihr wortlos eine Freikarte fürs Kino Metropol in die Hand drückt und auch ihre Bitte nach einer zweiten erfüllt. Sie und ihre Freundin Kathy (Paola Cozzo) besuchen abends die Vorstellung. Dort werfen sogleich die beiden Kumpels George (Urbano Barberini) und Ken (Karl Zinny) ein Auge auf die jungen Frauen. Unter den Zuschauern befindet sich sogar ein Blinder – Werner (Alex Serra) mit seiner ihm als Führerin behilflichen Tochter Liz (Sally Day). Auch der Zuhälter Tony (Bobby Rhodes) und seine beiden Prostituierten Rosemary (Geretta Geretta) und Carmen (Fabiola Toledo) wollen die Vorführung besuchen.

Gezeigt wird ein Horrorfilm, in welchem zwei junge Pärchen das Grab von Nostradamus aufstöbern. Doch darin liegen keineswegs die Überreste des legendenumwobenen Propheten. Dafür entfacht der Inhalt ein dämonisches Grauen. Dieses macht zügig auch vor dem Publikum im Metropol-Kino nicht halt.

Immer noch indiziert und beschlagnahmt

Zugegeben: „Dämonen 2“ ist so blutig wie brutal und mit satten Splattereffekten gespickt. Dennoch bleibt es unverständlich, weshalb die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien den Schocker noch 2013, 2017 und 2018 folgeindizierte – die erste Indizierung datiert von 1988. Da sind in diesen Jahren reichlich andere Horrorklassiker der 70er- und 80er-Jahre vom Index gestrichen worden, die auch nicht harmloser waren. Erklärbar hingegen, dass „Dämonen 2“ nach wie vor beschlagnahmt ist, denn damit die Beschlagnahme aufgehoben wird, müsste der Inhaber der Lizenzrechte für den deutschen Markt den mit Kosten verbundenen Rechtsweg beschreiten, die Aufhebung also beim zuständigen Amtsgericht beantragen. Die Gerichtspraxis der vergangenen Jahre zeigt, dass die Erfolgsaussichten dafür hoch sind, aber das Label hat sich offenbar entschieden, den Film stattdessen in Österreich zu veröffentlichen – im Wissen, dass die potenzielle deutsche Kundschaft die einschlägigen Händler und Vertriebswege (etwa Filmbörsen) kennt.

Die Story des sich von der Leinwand aufs Kino übertragenen Dämonenterrors hat reichlich Potenzial, das allerdings kaum ausgereizt wird. Es geschieht eben, woraus sich in der Folge ein Survival-Horror entwickelt, den erwartungsgemäß viele der Figuren nicht überleben werden. „Dämonen 2“ könnte auch als Zombiefilm durchgehen, da die Kreaturen in blutrünstiger Absicht und äußerst bissig über ihre Opfer herfallen und diese zu ihresgleichen machen. Aber wie der Titel schon sagt, handelt es sich eben um Dämonen, also belassen wir es dabei, auch wenn wir keinerlei Hintergründe über die Kreaturen erfahren.

Mit Dario Argentos Tochter Fiore

Mit namhaften Stars wartet der Film nicht auf, er hat auch keine hervorgebracht. Dario Argentos Tochter Fiore (* 1970) spielt die furchtsame Kinobesucherin Hannah. Für sie war es der zweite Film nach einem Auftritt in „Phenomena“ aus dem selben Jahr, bei dem ihr Vater Regie geführt hatte. Im Anschluss hatte sie nur noch drei weitere kleine Rollen im Abstand von mehreren Jahren, die letzte 2004. Erwähnenswert ist noch der Darsteller des Kartenverteilers: Michele Soavi war zu jener Zeit Regieassistent unter anderem für Dario Argento und Lamberto Bava, auch für diesen Film. Bald darauf reüssierte er selbst als Horrorregisseur, inszenierte beispielsweise „Aquarius – Theater des Todes“ (1987), „The Church“ (1989), „The Sect“ (1991) und „Dellamorte Dellamore“ (1994).

Der Soundtrack ist erstaunlich vielseitig. Wir haben einen typischen 80er-Italo-Synthie-Score von Claudio Simonetti, der das Zeitkolorit der Bilder trefflich untermalt. Am besten hat mir hier das Stück „Demon“ aus dem Finale inklusive Abspann gefallen, welches Motive von „In der Halle des Bergkönigs“ aus Edvard Griegs „Peer Gynt“ enthält. Es erklingen auch Heavy Metal wie „Night Danger“ von den Pretty Maids und „Fast as a Shark“ von Accept sowie die Chart-Hits „We Close Our Eyes“ von Go West, „Walking on the Edge“ von Rick Springfield und „White Wedding“ von Billy Idol.

Reichlich Lokalkolorit von West-Berlin

West-Berlins Status als von der DDR umschlossene Enklave spielt im Film überhaupt keine Rolle. Gleichwohl müht sich „Dämonen 2“, die Jugendkultur und den Stil der damaligen Jugendlichen wie Punks und Popper visuell zu integrieren, beginnend schon mit den ersten Szenen, wenn die etwas bieder wirkende Cheryl in der U-Bahn sitzt und andere, ungleich flippiger gestylte Jugendliche unter den Passagieren beobachtet. Die Außenaufnahmen wurden tatsächlich in West-Berlin gedreht und bringen einiges Lokalkolorit in „Dämonen 2“ ein. So entstand die Bahnhofsszene zum Auftakt im U- und S-Bahnhof Heidelberger Platz. Als Metropol-Kino hielt das 1905/1906 errichtete Theater Neues Schauspielhaus im Berliner Stadtteil Schöneberg her, das ab den 1950er-Jahren tatsächlich unter dem Namen Metropol als Kino fungierte. Seit 1977 diente es allerdings als Diskothek, weshalb die Innenaufnahmen von „Dämonen 2“ womöglich in einem Studio in Rom entstanden. Der Kinosaal fügt sich dabei durchaus stimmig und effektvoll ins Geschehen ein. Achtet auf die Plakate im Foyer des Kinos! Eine schöne Auswahl.

Mario Bavas Sohn Lamberto auf dem Regiestuhl

Regisseur Lamberto Bava hatte sein Handwerk natürlich auch bei seinem berühmten Vater Mario Bava („Die Stunde wenn Dracula kommt“) gelernt, bei einigen von dessen Filmen als Regieassistent mitgewirkt. In dieser Funktion war er später auch an Ruggero Deodatos berüchtigtem „Nackt und zerfleischt“ („Cannibal Holocaust“, 1980) beteiligt, ebenso an „Horror Infernal“ (1980) und „Tenebre – Der kalte Hauch des Todes“ (1982), beides Regiearbeiten von Dario Argento. Diese Kooperation führte schließlich zu „Dèmoni“ (also „Dämonen 2“) und „Dèmoni 2 …l’incubo ritorna“ (also „Dämonen“), die Argento beide produzierte und bei denen er an den Drehbüchern mitschrieb. Heraus kamen zwei moderne Klassiker des italienischen Horrorkinos.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Dario Argento und Lamberto Bava haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet

Veröffentlichung: keine Angabe

Länge: 88 Min. (Blu-ray), 85 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK ungeprüft
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch, Italienisch
Untertitel: keine Angabe
Originaltitel: Dèmoni
Alternativtitel: Dance of the Demons
Internationaler Titel: Demons
IT 1985
Regie: Lamberto Bava
Drehbuch: Dario Argento, Lamberto Bava, Dardano Sacchetti, Franco Ferrini
Besetzung: Natasha Hovey, Paola Cozzo, Karl Zinny, Urbano Barberini, Michele Soavi, Fiore Argento, Nicoletta Elmi, Stelio Candelli, Nicole Tessier, Geretta Geretta, Fabiola Toledo, Bobby Rhodes, Guido Baldi, Bettina Ciampolini, Giuseppe Mauro Cruciano, Sally Day
Zusatzmaterial: keine Angabe
Label/Vertrieb: keine Angabe

Copyright 2021 by Volker Schönenberger

 

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