An American Werewolf in London
Der folgende Text enthält ein paar Spoiler.
Horrorkomödie // Es liegt nicht nur an der großen Verwandlungsszene ab der 59. Minute, aber auch und ganz besonders an dieser Szene, dass es völlig in Ordnung ist, wenn in einer Rangliste der besten Werwolffilme „American Werewolf“ den Spitzenplatz einnimmt. Völlig berechtigt erhielt Rick Baker nicht zuletzt aufgrund erwähnter Sequenz fürs Make-up des Films 1982 den Oscar – übrigens den ersten in dieser Kategorie, da sie in jenem Jahr überhaupt erst eingeführt wurde. Es war Bakers erster von sieben übrigens, bei zwölf Nominierungen. Den bislang letzten erhielt der 1950 im US-Staat New York Geborene 2011 erneut für das Make-up eines Werwolffilms: des meines Erachtens etwas unterschätzten Remakes „Wolfman“ mit Benicio Del Toro und Anthony Hopkins.
„An American Werewolf in London“, so der Originaltitel, setzt zu den Klängen von Bobby Vintons „Blue Moon“ in einem nordenglischen Moorgebiet ein (eine Landschaft in Wales hielt als Drehort dafür her). Die beiden New Yorker Studenten David Kessler (David Naughton) und Jack Goodman (Griffin Dunne) sind als Rucksacktouristen unterwegs und gelangen ins Dorf East Proctor. Dort suchen sie den Pub „The Slaughtered Lamb“ auf, wo sie mit betretenem Schweigen empfangen werden. Kurz darauf scheint das Eis zu brechen, doch als Jack die Frage stellt, welchen Zweck das Pentagramm an der Wand habe, kippt die Stimmung, und die beiden verlassen den Pub und ziehen hinaus in die regnerische Moornacht. Sie bekommen noch die Warnung mit auf den Weg, sich vor dem Mond in Acht zu nehmen und auf der Straße zu bleiben.
Drei Wochen später erwacht David in einem Londoner Krankenhaus aus der Bewusstlosigkeit. Ein wahnsinniger Mörder habe seinen Freund ermordet und sei von der Polizei erschossen worden. Das deckt sich nicht mit Davids Erinnerungen, wonach Jack von einem haarigen Biest zerfleischt wurde und auch ihn verletzte. In der Folge erleidet der junge Mann düstere Albträume und Visionen. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus kommt er bei der aparten Krankenschwester Alex Price (Jenny Agutter) unter, die sich in ihren Patienten verknallt hat. Der nächste Vollmond naht …
Dass 1981 als eines der Goldenen Jahre des Horrorkinos gilt, liegt zweifellos auch daran, dass es darin wölfisch zuging: Im Januar in Frankreich und im März in den US-Lichtspielhäusern war Joe Dantes „The Howling – Das Tier“ gestartet, bei dem ebenfalls Rick Baker beim Make-up der Werwölfe seine Hand im Spiel gehabt hatte. Ab Juli suchten in „Wolfen“ Wölfe – keine Werwölfe – New York City heim, bevor im August die Zeit von „American Werewolf“ anbrach. Im Oktober folgte noch Larry Cohens „Ein Werwolf beißt sich durch“, der allerdings nicht den Bekanntheitsgrad der anderen Filme erreichte, nie in die deutschen Kinos gelangte, sondern hierzulande erst 1987 auf Video veröffentlicht wurde. Unter Beachtung dieser Filme – insbesondere „Das Tier“ und „American Werewolf“ – lässt sich mit Fug und Recht konstatieren, dass das Jahr 1981 das Werwolf-Sujet auf eine neue Stufe hievte. Aufgrund der großen Verwandlungsszene von „American Werewolf“ können wir das Werk sogar als Body Horror einordnen, denn darin geht es enorm körperlich zur Sache, und die Transformation ist mit großen Schmerzen verbunden, was John Landis’ erklärte Absicht war.
Da Landis’ Regiearbeit nach eigenem Drehbuch allerorten als Horrorkomödie eingestuft wird, belasse ich es ebenfalls dabei. Allerdings befindet sich der Humorgehalt von „American Werewolf“ keineswegs auf dem Level seiner komödiantischen Großtaten wie „Kentucky Fried Movie“ (1977), „Blues Brothers“ (1980), „Die Glücksritter“ (1983) und „Spione wie wir“ (1985). Der Regisseur hat auch geäußert, sein Film habe zwar Humor, sei aber klar als Horrorfilm zu sehen. Die Klasse des Werwolf-Schockers resultiert eher aus der Kombination von schwarzem Humor und grimmiger Terror-Atmosphäre, und beides kommt durchaus auch separat zum Zuge. Es wäre sogar noch mehr Härte drin gewesen, weil John Landis in der Nachproduktion die Szene herausschnitt, in welcher der Werwolf die Obdachlosen niedermetzelt – der Regisseur fürchtete, dies könne das Publikum nachhaltig verstören, sodass sie den Rest des Films nicht mehr genießen würden. Eine Entscheidung, über die Landis später Bedauern äußerte.
Beispielhaft für die grimmige Stimmung sei die Szene im U-Bahnhof Tottenham Court Road genannt, in der ein argloser Geschäftsmann durch die endlos wirkenden Gänge vor der Kreatur zu flüchten versucht. Achtet bei dieser Sequenz einmal auf den Wechsel der Perspektiven: Anfangs sehen wir aus diversen herkömmlichen Kamerablickwinkeln den Herrn, wie er auf seinen Anschlusszug wartet, erschrickt und sich davonmacht. In einem langen Gang folgt plötzlich eine Ego-Perspektive vom Boden aus auf den Mann – also der Blick des Biests auf die Beute. Kurz vor dem Ende der Sequenz gibt es eine ganz großartige Einstellung eine Rolltreppe hinab, die in Richtung oben fährt und auf der der mittlerweile total verängstigte Geschäftsmann liegt, während sich ganz unten langsam die Kreatur ins Bild schiebt. Die letzte Einstellung ist dann wieder in der Ego-Perspektive des Jägers mit Blick auf seine Beute gehalten. Enorm gruselig und eine der stärksten Sequenzen von „American Werewolf“, und das ohne jeden Anflug von Humor.
Aus heutiger Sicht und mit Kenntnis des Films sowieso ist es sonnenklar und unausweichlich, was mit David geschieht, zumal ihm sein vom Werwolf zu Beginn niedergemetzelter Kumpel Jack als grausig entstellter und nach und nach verfallener Untoter erscheint und genau davor warnt. War es für das Kinopublikum 1981 auch von Anfang an so eindeutig? Womöglich schon, John Landis spielt hier mit der allein schon durch den Titel geschürten Erwartungshaltung. So oder so muss die Klasse der eingangs erwähnten großen Transformationsszene die damaligen Kinogängerinnen und Kinogänger in ihre Sitze gedrückt haben. Sie ist meines Erachtens auch heute noch unerreicht, und schon gar nicht vermag noch so perfekt programmierte CGI-Tricktechnik sie zu übertreffen. Handgemacht rulez! Ein gewisser Michael Jackson war übrigens von „American Werewolf“ so angetan, dass er John Landis beauftragte, das Musikvideo zu seinem Song „Thriller“ (1983) zu drehen. Landis brachte für die Arbeit an seinem ersten Musikvideo unter anderem Kameramann Robert Paynter, Make-up-Mann Rick Baker und Kostümdesignerin Deborah Nadoolman mit. Der Rest ist Geschichte.
Einem Film steht es immer gut zu Gesicht, wenn er logistischen und organisatorischen Aufwand betreibt, damit eine Szene besser aussieht. Wenn Cillian Murphy zu Beginn von Danny Boyles „28 Days Later“ (2002) durchs menschenleere London wankt, sieht das deshalb so grandios aus, weil es genau dort gedreht wurde, sogar in Sichtweite diverser berühmter Bauwerke. Die Londoner Verkehrspolizei war insofern an den Dreharbeiten beteiligt, als sie punktuell diverse Straßen und Örtlichkeiten absperrte, damit diese Menschenleere erreicht werden konnte. Das gilt auch für „American Werewolf“: Dessen Finale spielt sich am wuseligen Piccadilly Circus ab – und es wurde exakt dort auch gedreht, was die Bilder spürbar aufwertet. Respekt an die Londoner Bobbys für derlei Aufwand, denn wer einmal in London war, wird wissen, wie viel Trubel auf den Straßen im Innenstadtbereich von Englands Hauptstadt permanent herrscht.
An sich ist mir als bekennendem Fan von Arrow Video die 2019 veröffentlichte limitierte Special Edition des englischen Vorzeigelabels mit Kartenset, Postern, fettem Booklet, stabilem Schuber und natürlich feiner Bildqualität lieb und teuer. Aber da kommt doch tatsächlich im November 2020 ein deutsches Label daher und wirft eine Referenz-Edition auf den Markt, die Arrow locker in die Schranken weist. Okay, Turbine Medien ist ohnehin für vorzügliche Veröffentlichungen bekannt, aber diese Ultimate Edition erweist „American Werewolf“ genau die Ehre, die das Werk verdient hat (vollständige Auflistung siehe ganz unten). Allein das physische Bonusmaterial: Vier Bierdeckel mit „The Slaughtered Lamb“-Motiv sind natürlich nur ein nettes Gimmick, die Postkarten mit internationalen Plakatmotiven und das doppelseitig bedruckte Poster aber schon etwas mehr. Und fürs 104-seitige Booklet muss eine alte Frau lange stricken. Außer reichlich Bildmaterial enthält es auch fachkundige Texte von den vier (!) Autoren Tobias Hohmann, Gerd Neumann, Christopher Klaese und Dominik Starck. Sogar Fußnoten und Quellenangaben zur weiterführenden Lektüre finden sich. Höchst respektabel! Wobei auch das Arrow-Booklet hohe Qualität hat.
Enthalten ist auch eine Soundtrack-CD mit Elmer Bernsteins Score inklusive diverser Filmsongs, die den Mond thematisieren, etwa „Moondance“ von Van Morrison und „Blue Moon“ von Sam Cooke. Leider fehlt „Bad Moon Rising“ von Creedence Clearwater Revival, im Film ebenfalls zu hören. Womöglich war die Lizenz zu teuer. Am Rande bemerkt: Weshalb wohl hat John Landis darauf verzichtet, Warren Zevons „Werewolves of London“ in den Soundtrack des Films einzubauen? Der Song hätte wie die Faust aufs Auge gepasst.
Vom Bonusmaterial auf den Discs seien beispielhaft die 98-minütige Doku „Vorsicht vor dem Mond“ und die 77-minütige Doku „Das Vermächtnis der Bestie“ genannt, die jeweils selbst in Spielfilmlänge einen Rückblick auf „American Werewolf“ und seine Entstehung liefern. Zahlreiche weitere Interviews und Featurettes ergänzen das vorzüglich. Die UHD Blu-ray und zwei Blu-rays befinden sich in einem Digipack, der wiederum in einem Schuber steckt. Beides ist ansprechend aufgemacht und befindet sich im Verbund mit dem physischen Begleitmaterial in einer stabilen Box in zwei Covervarianten – eine auf 2.626 Exemplare limitiert, eine auf 1.313. Angesichts der doch stattlichen Limitierung hat es mich etwas überrascht, dass beide Covervarianten bereits vergriffen sind, aber das ist tatsächlich der Fall. Und für beide bewegen sich die Preise auf dem Sammlermarkt zum Teil schon im dreistelligen Bereich. Immerhin hat Turbine Medien im September 2021 Mediabooks in verschiedenen Covermotiven mit UHD Blu-rays und/oder Blu-rays veröffentlicht, um der hohen Nachfrage nachzukommen. Glück für alle, die bei der Ultimate Edition leer ausgegangen sind. Natürlich muss sich niemand genötigt sehen, sich die bestmögliche Edition von „American Werewolf“ zuzulegen. Aber wer Werwolffilmen etwas abgewinnen kann, sollte John Landis’ Werk gesehen haben. Und wer sie sammelt, muss sich „American Werewolf“ ins Regal stellen, soll sich die Sammlung gut sortiert nennen können. Ob man sie auf Rang 1 seiner persönlichen Werwolf-Rangliste setzt, entscheiden alle Ranglistenersteller/innen individuell. Allzu viel Luft nach oben bleibt aber nicht.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von John Landis haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Jenny Agutter unter Schauspielerinnen, Filme mit David Naughton in der Rubrik Schauspieler.
Veröffentlichung: 7. September 2021 als 3-Disc Edition Mediabook (1 UHD Blu-ray & 2 Blu-rays, zwei Covervarianten à 999 und 555 Exemplare) und 2-Disc Edition Mediabook (2 Blu-rays, 5 Covermotive à 555, 3 x 333 und 222 Exemplare), 28. Januar 2021 als 3-Disc Special Edition (1 UHD Blu-ray & 2 Blu-rays), 13. November 2020 als 4-Disc Ultimate Edition (1 UHD Blu-ray, 2 Blu-rays & 1 Soundtrack-CD, zwei Covermotive à 2.626 und 1.313 Exemplare), 20. September 2019 als Tape Edition Blu-ray (limitiert auf 1.111 Exemplare), 15. November 2012 als Blu-ray (Jahr 100 Film Edition), 5. November 2009 als Blu-ray und 2-Disc Special Edition DVD (geschnitten), 1. Februar 2007 als DVD (Oscar Edition), 24. Januar 2002 als Twentieth Anniversary Special Edition
Länge: 98 Min. (Blu-ray), 91 Min. (DVD, geschnitten)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch u. a.
Untertitel: Deutsch, Englisch u. a.
Originaltitel: An American Werewolf in London
GB/USA 1981
Regie: John Landis
Drehbuch: John Landis
Besetzung: David Naughton, Jenny Agutter, Joe Belcher, Griffin Dunne, David Schofield, Brian Glover, Lila Kaye, Rik Mayall, Paddy Ryan, John Woodvine, Frank Oz, Don McKillop, Albert Moses
Zusatzmaterial: Audiokommentar mit David Naughton und Griffin Dunne, Outtakes (3 Min.), Interview mit Regisseur John Landis (2001, 18 Min.), Interview mit Maskenbildner Rick Baker (11 Min.), Hinter den Kulissen – Das Casting der Klaue (11 Min.), Vom Stoyboard zur filmischen Umsetzung, Die technischen Effekte, Fotogalerie, „Vorsicht vor dem Mond“ („Beware the Moon“, 98 Min.), „Ich lief mit einem Werwolf“ (8 Min.), nur Turbine-Editionen: Audiokommentar mit Paul Davis, US-Teaser, US-Trailer, US-TV-Spots, US-Radio-Spots, deutscher Trailer, „Das Vermächtnis der Bestie“ (77 Min.), Artefakte des American Werewolf (8 Min.), Das Geheimnis des Werwolfs (11 Min.), Storyboard-Film-Vergleich der Verwandlung (3 Min.), American Werewolf in Bobs Keller (4 Min.), Piccadilly Circus – damals und heute (6 Min.), Rick Baker über die Universal-Monster (8 Min.), Ein amerikanischer Regisseur in London (12 Min.), Der Ruf des Werwolfs (11 Min.), Post Mortem – mit John Landis (2014, 39 Min.), Interview mit David Naughton (2011, 13 Min.), „Fear on Film“ – mit John Landis, John Carpenter und David Cronenberg (1982, 26 Min.), nur Ultimate Edition: Soundtrack-CD, 7 Art-Cards, zweiseitiges Poster, 4 Bierdeckel, 1 Aufkleber, 104-seitiges Booklet mit Texten von Tobias Hohmann, Gerd Neumann, Christopher Klaese und Dominik Starck
Label/Vertrieb ab 2020: Turbine Medien
Label/Vertrieb bis 2019: Universal Pictures Germany GmbH
Copyright 2021 by Volker Schönenberger
Szenenfotos, Special-Edition-UHD-Packshot & Ultimate-Edition-Packshots: © 2020/2021 Turbine Medien,
Blu-ray-Packshot: © 2009 Universal Pictures Germany GmbH