Stowaway
Science-Fiction // Commander Marina Barnett (Toni Collette) bricht mit einem Raumschiff des Unternehmens Hyperion zu einem zweijährigen Flug zum Mars auf. Die Yale-Absolventin Zoe Levenson (Anna Kendrick) ist als Ärztin an Bord, der Harvard-Absolvent David Kim (Daniel Dae Kim) als Biologe. Die Mission dient dem Zweck, die Ansiedlung von Menschen auf dem roten Planeten vorzubereiten. Kurz nach dem Start entdeckt Marina in einer Kammer einen Bewusstlosen. Der Ingenieur Michael Adams (Shamier Anderson) hatte während der Startvorbereitungen einen Unfall erlitten und ist unwillentlich als blinder Passagier an Bord geblieben.
Ein Umdrehen zwecks Rückflug zur Erde ist mangels Treibstoff nicht möglich. Und: Bei dem Unfall wurde ein Gerät in Mitleidenschaft gezogen, das Kohlendioxid aus der Luft filtert. Es stellt sich heraus, dass es irreparabel zerstört ist. Das Raumschiff war an sich ohnehin nur für zwei Personen ausgelegt, Hyperion ließ die Systeme für eine dritte modifizieren, was aufgrund des Unfalls hinfällig ist. Von Davids für den Mars vorgesehener Algenzucht zur Sauerstoffproduktion stirbt die Hälfte bei dem Versuch ab, sie zur Lebenserhaltung auf dem Raumschiff einzusetzen. Marina Barnett muss konstatieren: Der Sauerstoff wird bei vier Personen wenige Wochen vor der Ankunft auf dem Mars verbraucht sein.
Parallelen zu Joe Pennas Regiedebüt „Arctic“
Der Regisseur und Co-Drehbuchautor Joe Penna hatte 2018 mit seinem Langfilm-Regiedebüt „Arctic“ bereits seinen Hauptdarsteller Mads Mikkelsen als Piloten und einzigen Überlebenden eines Flugzeugabsturzes in einer arktischen Gebirgsregion ums Überleben kämpfen lassen. Auch darin ging es um bedeutsame, auch ethische und moralische Entscheidungen, die die Hauptfigur treffen musste. „Stowaway – Blinder Passagier“ zieht ebenfalls aus einem großen moralischen Dilemma viel Spannung: Muss Michael sterben, damit die drei anderen überleben können?
Penna verzichtet weitgehend auf spektakuläre Weltraumbilder. Mit Ausnahme eines Ausflugs von David und Zoe nach draußen spielt sich das gesamte Geschehen innerhalb des Raumschiffs ab. Diese Szene ist wie alle anderen bedächtig inszeniert, die Spannung entsteht eher im Kopf des Publikums bei dem Gedanken, dass zwei Menschen in den Weiten des Weltraums draußen herumkraxeln. Das erreicht nicht die Intensität von Alfonso Cuaróns Gravity (2013) mit Sandra Bullock und George Clooney, das war aber auch nicht die Intention für „Stowaway“. Glücklicherweise verzichtet die Story auch auf eine Verrohung der Figuren angesichts der Todesgefahr und jedweden Gewaltausbruch – das wäre den sorgsam charakterisierten Figuren nicht gerecht geworden. Bemerkenswert allerdings, dass es für die Crew von Anfang an feststeht, Michael opfern zu müssen und niemanden aus ihren Reihen. Dies zu diskutieren, hätte sich eigentlich ebenfalls angeboten, da sein Unfall und damit unfreiwilliger Aufenthalt an Bord ihn nicht zwangsläufig weniger überlebenswert dastehen lässt.
Die Sache mit der Schwerkraft
In erwähnter Szene fällt ein kleiner Filmfehler auf – oder ist es keiner? – auf: David lässt an einem Seil mehrere Sauerstoffzylinder zu Zoe hinab, wobei der Eindruck entsteht, der Behälter werde von der Schwerkraft nach unten gezogen, die es dort an sich nicht geben kann. Kein bedeutsames Detail, aber meines Erachtens hätte das beim Dreh auffallen müssen. Generell scheint mir bei den Szenen außerhalb des rotierenden (!) Raumschiffs in puncto Schwerkraft unsauber gearbeitet worden zu sein. Oder habe ich einen Aspekt übersehen? Ich lasse mich gern per Kommentar korrigieren. Befremdlich wirkt im Übrigen auch, dass Marina Michael überhaupt erst entdeckt, nachdem sie eine Verschalung entfernt hat. Wer sollte diese Verschalung vor dem Start dort angebracht haben? Den Verunglückten dabei nicht zu entdecken, wäre unmöglich gewesen.
Die drei planmäßig an Bord befindlichen Menschen gehen mit unterschiedlichen Ansätzen an das erwähnte Dilemma heran: Marina Barnett weiß, dass sie als Kommandantin die Entscheidung über Wohl und Wehe der gesamten Besatzung inklusive Michael treffen muss. Der Biologe David sieht nach dem Scheitern seiner Versuche, mit seinen Algen ausreichend Sauerstoff für alle vier zu produzieren, keinen anderen Weg als Michaels Tod. Die Ärztin Zoe hingegen will bis zum letzten möglichen Moment jeden Tag ausreizen, nach einer Lösung zu suchen, die Michaels Überleben ermöglicht. Mit 116 Minuten ist das sehr lang geraten. Um es nicht als zu lang zu empfinden, muss man sich als Zuschauerin oder Zuschauer womöglich in die richtige, vielleicht sogar meditative Stimmung bringen. Dann klappt es vielleicht sogar, in den Film zu versinken. Das wird nicht allen gelingen, für diese wäre eine Straffung um zehn oder fünfzehn Minuten die richtige Entscheidung gewesen.
Dreharbeiten in den Bavaria Studios
Für die Dreharbeiten im Juni und Juli 2019 errichtete das Produktionsteam auf dem Gelände der Bavaria Studios unmittelbar südlich von München eine begehbare Raumstation, die im Anschluss zur Besichtigung freigegeben wurde. Netflix veröffentlichte den Film im April 2021 weltweit mit Ausnahme von Deutschland zum Streamen, hierzulande kam er zwei Monate später ins Kino. Seit November 2021 ist „Stowaway – Blinder Passagier“ auf Blu-ray und DVD erhältlich. Wer einem mit ruhiger Hand inszenierten, unspektakulären Weltraumabenteuer mit Fokus auf Realitätsnähe, den Charakteren und ihren Wertvorstellungen etwas abgewinnen kann, dürfte an Joe Pennas zweitem langen Film Gefallen finden.
Welche in den Weiten des Weltalls spielenden Science-Fiction-Filme ohne Aliens und Weltraumschlachten könnt Ihr empfehlen?
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Toni Collette und Anna Kendrick haben wir in unserer Rubrik Schauspielerinnen aufgelistet, Filme mit Daniel Dae Kim unter Schauspieler.
Veröffentlichung: 11. November 2021 als Blu-ray und DVD, 25. Oktober 2021 als Video on Demand
Länge: 116 Min. (Blu-ray), 112 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch, deutsche Hörfilmfassung für Blinde und Sehbehinderte
Untertitel: Deutsch, Deutsch für Hörgeschädigte
Originaltitel: Stowaway
D/USA/GB 2021
Regie: Joe Penna
Drehbuch: Joe Penna, Ryan Morrison
Besetzung: Anna Kendrick, Toni Collette, Daniel Dae Kim, Shamier Anderson
Zusatzmaterial:
Label/Vertrieb: EuroVideo Medien GmbH
Copyright 2022 by Volker Schönenberger
Szenenfotos & Packshot: © 2021 EuroVideo Medien GmbH