The Day of the Dolphin
SF-Thriller // Die deutsche Übersetzung von Robert Merles 1967 in Frankreich erstveröffentlichtem Roman „Un animal doué de raison“ geriet noch akkurat: „Ein vernunftbegabtes Tier“. Hollywood nahm es da weniger genau, die 1973er-Verfilmung von Mike Nichols („Die Reifeprüfung“) erhielt den Titel „The Day of the Dolphin“ verpasst. Dabei beließ es der deutsche Verleih: „Der Tag des Delfins“ (damals noch „Delphins“).
Vier Jahre lang haben der Meeresbiologe Dr. Jake Terrell (George C. Scott) und seine Frau Maggie (Trish Van Devere, Scotts frischgebackene fünfte und letzte Ehefrau) den jungen Delfin Alpha aufgezogen – der Einfachheit halber nennen sie ihn Fa. Auf einer vor der Küste von Florida gelegenen Insel trainieren sie ihn, mit Menschen zu kommunizieren. Das Unglaubliche ist geschehen: Fa hat gelernt, in einfachem Englisch mit den Terrells zu sprechen. Es gelingt dem Meeressäuger sogar, zumindest das Verständnis der englischen Sprache auf das Delfinweibchen Beta – Bea – zu übertragen, das in freier Wildbahn gefangen wurde. Aus Angst vor unliebsamer Aufmerksamkeit vermeiden es die Eheleute tunlichst, diese Erfolge bekanntzugeben.
Dreht die Franklin Foundation den Geldhahn ab?
Bei einem Besuch von Harold DeMilo (Fritz Weaver) von der Franklin Foundation erfahren die Terrells, dass die Finanzierung durch die Stiftung auf der Kippe steht. Jake Terrell kommt einer Bitte DeMilos nach, dem vermeintlichen Journalisten Curtis Mahoney (Paul Sorvino) einen Besuch auf der Insel zu gewähren. Er ahnt nicht, dass Mahoney DeMilo dazu genötigt hat. Obwohl das Ehepaar und ihre Mitarbeiter es vermeiden, dem Gast ihre beiden Vorzeige-Delfine Fa und Bea zu präsentieren, reist Mahoney anderntags mit mehr Informationen ab, als es sich die Terrells erhofft hatten.
Ein wenig „Flipper“-Romantik kommt auch auf, aber hauptsächlich konzentriert sich „Der Tag des Delfins“ auf den Missbrauch von Forschung durch dunkle Mächte. Oft sind es die Wissenschaftler selbst, die über ihr Ziel hinausschießen und ihre Verantwortung außer Acht lassen (im Horrorgenre agieren sie bisweilen sogar als Mad Scientists), das ist hier nicht der Fall. Auch Jake Terrell übertreibt es zwar ab und zu ein wenig, etwa wenn er Fa und Bea voneinander trennt, um Fa dazu zu bewegen, wieder in englischer Sprache zu kommunizieren, aber seine Motive sind ehrenwert. Dass seine Arbeit missbraucht werden kann, ist ihm in der Konsequenz nicht bewusst, er hält sie lediglich geheim, um die Delfine nicht zur Zirkusnummer verkommen zu lassen. Als die Situation brenzlig geworden ist, erkennt er immerhin, was die Stunde geschlagen hat.
Es bleibt vage, was für Mächtige wirklich hinter den Machenschaften stecken. Damit fügt sich „Der Tag des Delfins“ gut ein in die Reihe der Paranoia-Thriller, welche die 1970er-Jahre und insbesondere das Kino des New Hollywood hervorgebracht hat. Der Thriller-Plot entwickelt sich nach und nach bis hin zu einem Knalleffekt.
Können Delfine die menschliche Sprache lernen? Die Meeressäuger gelten jedenfalls als sehr intelligent und zu differenzierter Kommunikation fähig, untereinander verständigen sie sich mittels verschiedener Laute. Ob ihre Anatomie unsere Sprache hergibt, entzieht sich meiner Kenntnis, aber im Science-Fiction-Genre wurde schon durchgeknallter herumgesponnen, und wir haben es ja nicht mit einem Lehrfilm über animalische Verhaltensforschung zu tun, sondern mit einem SF-Thriller. Einem vergleichsweise wenig bekannten, gleichwohl fesselnden dazu. Die Stimmen der Delfine steuerte im Übrigen Drehbuchautor Buck Henry bei, der mit Mike Nichols zuvor auch schon bei „Die Reifeprüfung“ und „Catch 22 – Der böse Trick“ (1970) zusammengearbeitet hatte.
Feine Edition von Ostalgica
Es muss nicht immer Mediabook sein! Das kleine Label Ostalgica hat „Der Tag des Delfins“ in einer ansprechenden, auf 1.000 Exemplare limitierten Edition auf Blu-ray veröffentlicht, die mit attraktiv gestaltetem Vertikalschuber und Wendecover mit alternativem Plakatmotiv daherkommt. Das Softcase enthält nicht nur die Blu-ray mit dem Film in guter Bild- und Tonqualität, sondern auch eine CD mit Georges Delerues für Oscar und Golden Globe nominiertem Soundtrack (eine zweite Oscar-Nominierung gab’s für den Ton). Das Zusatzmaterial enthält sogar exklusiv für diese Edition produzierte Boni, nämlich einen Video-Essay von Lars Dreyer-Winkelmann über den Film im Kontext von New Hollywood sowie einen Video-Essay von Lars Johansen über die Entstehung von „Der Tag des Delfins“. Den Leserinnen und Lesern dieses Blogs mag der zweitgenannte Lars schon mal untergekommen sein, da er unter anderem auch für „Die Nacht der lebenden Texte“ als Autor aktiv ist. Er schreibt auch für „35 Millimeter – Das Retro-Filmmagazin“ und übt in seiner Heimatstadt Magdeburg eine Vielzahl von Aufgaben aus – unter anderem vom Kabarettisten über den Moderator bis zum Kolumnisten. Übergreifend kann man den Tausendsassa wohl als Kulturschaffenden bezeichnen.
Fast schon ungewöhnlich für heutige Blu-rays (oder DVDs) im Amaray-Case: Hier gibt es sogar ein 16-seitiges Booklet! Es enthält einen Text von Robert Lorenz über „Der Tag des Delfins“. Der findet sich allerdings auch online, aber das ist legitim. Jedenfalls gilt: Nach Sichtung des Bonusmaterials auf der Blu-ray und Lektüre des Booklets (und hoffentlich auch meines Textes, mit Verlaub) bleiben keine Fragen über den Film mehr offen. Schön, dass Ostalgica diese vergessene kleine Perle aus der Versenkung geholt hat. Welche Regiearbeiten von Mike Nichols sind eure Favoriten?
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Mike Nichols haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit George C. Scott unter Schauspieler.
Veröffentlichung: 18. Dezember 2020 als auf 1.000 Exemplare limitierte 2-Disc Special Edition (Blu-ray & Soundtrack-CD), 11. Februar 2004 als DVD, 7. Dezember 2001 als Double Feature DVD (mit „Delphin Girl“)
Länge: 105 Min. (Blu-ray), 100 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: The Day of the Dolphin
USA 1973
Regie: Mike Nichols
Drehbuch: Buck Henry, nach dem Roman „Ein vernunftbegabtes Tier“ von Robert Merle
Besetzung: George C. Scott, Trish Van Devere, Paul Sorvino, John Dehner, Severn Darden, Elizabeth Wilson, William Roerick, Phyllis Davis, Pat Zurica, John Korkes, Edward Herrmann, Leslie Charleson, Victoria Racimo, John David Carson
Zusatzmaterial Blu-ray: Video-Essay von Lars Johansen zur Entstehung des Films (22:34 Min.), Video-Essay von Lars Dreyer-Winkelmann zum „New Hollywood“ (19:38 Min.), „Trailers from Hell“ (3:45 Min.), Kinotrailer, Radiospot, Bildergalerie, Trailershow, Soundtrack auf CD (42:22 Min.), 16-seitiges Booklet mit einem Text von Dr. Robert Lorenz, Wendecover, Vertikalschuber
Zusatzmaterial DVD: Filmografien, nur Double Feature: Biografien Crew, Synopsis, Bildtafeln mit Pressestimmen, Dokumentationen „Schwimmen mit Delphinen“ & „Im Netz des Jägers“
Label Blu-ray: Ostalgica
Vertrieb Blu-ray: Media Target Distribution GmbH
Label/Vertrieb DVD: Best Entertainment
Copyright 2022 by Volker Schönenberger
Szenenfotos & 3er-Packshot: © 2020 Ostalgica