
There Will Be Blood
Von Volker Schönenberger
Drama // Er ist fürwahr ein Gigant. Werden die größten Schauspieler der vergangenen Jahrzehnte diskutiert, fällt zügig der Name Daniel Day-Lewis. Das liegt nicht nur, aber auch an den Oscars: Für seine Hauptrollen in „Mein linker Fuß“ (1989), „There Will Be Blood“ (2007) und „Lincoln“ (2012) trug er den Academy Award von dannen, so viele wie bei den Männern nur noch Walter Brennan und Jack Nicholson (bei beiden waren anders als bei Day-Lewis auch Nebenrollen-Oscars darunter). Bei den Frauen war einzig Katharine Hepburn mit vier Trophäen erfolgreicher, Ingrid Bergman, Frances McDormand und Meryl Streep sind mit drei Schauspielerinnen-Oscars ebenso erfolgreich wie Day-Lewis, wobei McDormand als Produzentin von „Nomadland“ (2020) sogar noch den Oscar für den besten Film abgeräumt hat.
Bühnenzusammenbruch als Hamlet
Es versteht sich von selbst, dass der am 29. April 1957 im Londoner Stadtteil Greenwich geborene Daniel Day-Lewis zahlreiche weitere bedeutsame Filmpreise gewonnen hat, darunter zwei Golden Globes und vier British Film Academy Awards (BAFTA Awards). Seine Filmografie erweist sich dabei mit nur 30 Einträgen als recht überschaubar. Klasse statt Masse ist definitiv Day-Lewis’ Devise gewesen. Seine Laufbahn begann er beim Theater, parallel zum Film blieb er der Bühne bis 1989 treu, als er während einer Aufführung von „Hamlet“ in London als Titelheld einen Nervenzusammenbruch erlitt. Seitdem hat er nie wieder Theater gespielt, was er verschmerzen konnte, da nun erst seine erfolgreichste Phase im Film ihren Anfang nahm, beginnend mit seiner Rolle des spastisch gelähmten Malers und Schriftstellers Christy Brown im Biopic „Mein linker Fuß“.

Der vermeintliche Witwer und sein Sohn …
Als Method Actor hat sich Daniel Day-Lewis seinen Rollen stets mit Haut und Haaren verschrieben, was ihn wohl auch sehr wählerisch machte und seine kurze Filmografie erklären mag. Einen anderen Grund dafür nannte er selbst im Februar 2008 in einem Interview während der Promotion-Tour zu Paul Thomas Andersons „There Will Be Blood“ (2007): Wenn ich mich längere Zeit von der Arbeit fernhalte, liegt das an meinem eigenen Rhythmus, und der ist nun mal von Faulheit geprägt. In meinem Leben gibt es auch andere Dinge zu tun. (…) Wenn ich mein Arbeitstempo erhöhen würde, dann würde ich die Freude an der Arbeit verlieren. Eine bewundernswerte Einstellung, die man sich als berufstätiger Mensch natürlich leisten können muss. Ein hervorragend bezahlter Schauspieler der A-Liga kann das (das sei ohne jeden Neid festgestellt und Day-Lewis von Herzen gegönnt).
Ruhestand nach „Der seidene Faden“
Dass er seine Schauspielkarriere 2017 nach seiner Hauptrolle als Londoner Modeschöpfer in Andersons Drama „Der seidene Faden“ an den Nagel hing, ist bedauerlich, aber konsequent. Wenn er nun mal das Gefühl hatte, schauspielerisch alles gesagt zu haben, ist der Ruhestand für einen Method Actor folgerichtig. Seine Glanztaten bleiben uns ja erhalten. Man denke nur an seine intensive Verkörperung des Justizirrtums-Opfers Gerry Conlon im IRA-Drama „Im Namen des Vaters“ (1993) von Jim Sheridan und seine beängstigende Darstellung des Gangsterbosses „The Butcher“ („Der Metzger“) in Martin Scorseses gewalthaltigem Historienkrimi „Gangs of New York“. Am 29. April 2022 feiert Daniel Day-Lewis seinen 65. Geburtstag. An sich für einen Schauspieler kein Anlass, in Rente zu gehen (man denke nur an Clint Eastwood), aber die Entscheidung nötigt Respekt ab.

… geben sich auch schon mal als Wachteljäger aus, wenn es der Sache dient
„There Will Be Blood“, für den der Gute seinen mittleren Oscar, den ersten Golden Globe, den dritten BAFTA Award und etliche andere Preise gewann, gehört auch zu den Meisterwerken, die man immer wieder schauen kann (auch wenn ich gestehen muss, dass es sich bei der Sichtung anlässlich dieser Würdigung um meine erste handelt). Die Handlung setzt im Jahr 1898 in New Mexico ein. Day-Lewis spielt Daniel Plainview, der ein einsames Leben führt und in einer abgelegenen Mine nach Silber schürft. Bei einem Sturz im Schacht bricht er sich das Bein, doch mit eiserner Willenskraft gelingt es ihm, sich samt seines Silberfundes aus der Grube emporzuarbeiten und in den nächsten Ort zu schleppen, wo er seinen Claim sichert, der ihm als Entdecker das Recht verschafft, auf öffentlichem Grund Bodenschätze zu gewinnen.
Vom Erdöl in Kalifornien
Vier Jahre später hat der nach seinem Beinbruch humpelnde Plainview auf Erdöl umgesattelt und beschäftigt sogar einige Angestellte. Als einer von ihnen von einem herabstürzenden Balken erschlagen wird, adoptiert Plainview dessen Sohn (als Baby gespielt von den Zwillingsbrüdern Harrison und Stockton Taylor). 1911 stellt er den Waisenjungen sogar als seinen Partner H. W. Plainview (nun Dillon Freasier) vor. Als vermeintlicher Witwer gewinnt er das Vertrauen argloser Grundbesitzer, unter deren Boden er Erdölvorkommen vermutet, und lässt sich gegen eine geringe Gewinnbeteiligung der Leute die Förderrechte überschreiben. Gerade erst ist er in Signal Hill im Los Angeles County auf Öl gestoßen (tatsächlich wurde das unter dem Ort befindliche gewaltige Long Beach Oil Field erst 1921 entdeckt – dort wird bis heute Öl gefördert), da erhält er Besuch von Paul Sunday (Paul Dano). Der verlangt 500 Dollar für einen Tipp, berichtet von Erdöl auf der Ranch seiner Eltern und zieht von dannen.

Wenn Öl so verbrennt, muss viel davon vorhanden sein
Plainview besorgt sich eine Camping-Ausrüstung und wandert mit seinem Sohn los. Auf der Sunday-Ranch eingetroffen, täuscht er der Familie vor, Wachteln jagen zu wollen. Als sich Pauls Zwillingsbruder Eli (erneut Paul Dano) zeigt, sind Vater und Sohn Plainview ob der Ähnlichkeit verblüfft, verraten aber nicht, Paul zu kennen. Der überaus religiöse Eli durchschaut die Absichten des „Oil Man“ Plainview dennoch schnell und mischt sich ein, als dieser Elis Vater Abel Sunday (David Willis) die Ranch für einen Apfel und ein Ei abluchsen will. Und während es Daniel Plainview mit List und wohlklingenden Verheißungen einer reichen Zukunft gelingt, sein Unternehmen in der Gegend als Ölförderbetrieb zu verankern, etabliert sich Eli als Prediger der Gemeinde und Widersacher des Öl-Tycoons.
Paul Dano stellt sich Daniel Day-Lewis
Respekt, Paul Dano! Sich schauspielerisch in einigen Szenen mit dem großen Daniel Day-Lewis zu messen, ist eine Herausforderung, vor der manch einer vielleicht zurückschrecken würde (obwohl es für jeden Darsteller mit einem Funken Ehrgeiz Motivation genug sein sollte). Und Dano macht das gut! Sein Potenzial bewies er später unter anderem in „Love & Mercy“ (2014), dem Biopic über den Beach-Boys-Mastermind Brian Wilson, und „Swiss Army Man“ (2015), einer skurril-grotesken Tragikomödie um einen Schiffbrüchigen und einen von Daniel „Harry Potter“ Radcliffe verkörperten Leichnam mit Dauerblähungen. In „There Will Be Blood“ liefert sich Dano einige intensive Szenen mit Daniel Day-Lewis (dass diese mich aufgrund ihrer religiösen Schlagseite etwas befremden, liegt an meiner grundsätzlichen Haltung zur Religion und ist nicht Dano anzulasten).

Das Inferno muss gestoppt werden
Geld allein macht nicht glücklich! Eine Binsenweisheit, keine Frage, und ganz sicher lässt sich „There Will Be Blood“ nicht darauf reduzieren. Aber sie spielt doch hinein, und nicht zu knapp. Glücklich wirkt Daniel Plainview zu keinem Zeitpunkt, selbst auf der Höhe seines Erfolges nicht. Dabei liegt ihm viel an seinem Ziehsohn, und er könnte seine beträchtlichen Möglichkeiten dafür einsetzen, ihm und sich einfach ein gutes Leben zu bereiten. Aber das gelingt ihm nicht, ob aus dem Wunsch, immer mehr Geld zu scheffeln, oder aus einem Arbeitsethos heraus. In einer schmerzhaften Szene täuscht er dem nach einem Unfall gehörlosen Jungen im Eisenbahnabteil kurz vor der Abfahrt vor, ein Wort mit dem Schaffner wechseln zu wollen, um tatsächlich den Zug zu verlassen – Plainviews Mitarbeiter Fletcher (Ciarán Hinds in nur wenigen Szenen unter Wert) soll H. W. fortbringen, in ein Internat. Als der Junge bemerkt, dass der Mann, den er für seinen Vater hält, nicht ins Abteil zurückkehren wird, ist es zu spät. Ist Daniel Plainview böse? Er tut Böses, sogar sehr Böses. Aber wir lernen ihn auch anders kennen, immerhin. Auch wenn er sicher stets zu viel arbeitet, ist er dem Ziehsohn über Jahre doch ein fürsorglicher Vater. Und als er mitbekommt, dass Abel Sunday seine mit H. W. befreundete Tochter Mary (Sydney McCallister) körperlich züchtigt, wenn sie nicht betet, stellt er das ohne jeden Aufwand ab. Eine zwiespältige Figur ist dieser Daniel Plainview also. Am Ende ist er gebrochen, zerbrochen, natürlich. Man konnte es zuvor ahnen: Ein glücklicher Lebensabend im Ruhestand wird ihm nicht beschieden sein.
Daniel Day-Lewis ist Daniel Plainview
Was soll man sagen oder schreiben über diese Schauspielkunst, das nicht schon gesagt oder geschrieben wurde? Daniel Day-Lewis verkörpert Daniel Plainview nicht, er ist Daniel Plainview – mit jeder Faser seines Körpers (sicher stand das seinerzeit zum Kinostart von „There Will Be Blood“ wörtlich oder sinngemäß auch schon anderswo geschrieben). Plainview stellt seine Absichten über alles, lässt damit Moral und letztlich die Gesellschaft hinter sich. Um das zu visualisieren, braucht Daniel Day-Lewis keine großen Gesten oder Taten. Der intensive, bisweilen stechende Blick des Getriebenen reicht da völlig aus.
John Huston und Upton Sinclair
Regisseur Paul Thomas Anderson zufolge diente ihm John Hustons Klassiker „Der Schatz der Sierra Madre“ (1948) als Inspiration für seine Arbeit an „There Will Be Blood“. Inhaltlich bediente er sich bei Upton Sinclairs 1926/1927 erstveröffentlichtem Roman „Oil!“, in Deutschland 1927 unter dem Titel „Petroleum“ und 2013 in Neuauflage als „Öl!“ erschienen. Anderson hat aber geäußert, lediglich die ersten etwa 150 Seiten des mehr als 500 Seiten dicken Buchs für den Film verwendet zu haben. Eine der Hauptfiguren des Romans wiederum basiert auf dem US-Ölmagnaten Edward L. Doheny, der somit als Vorbild für Daniel Plainview gesehen werden kann.
Score vom Radiohead-Gitarristen Johnny Greenwood
„There Will Be Blood“ kommt in vielen Szenen ohne jede musikalische Untermalung aus. Zwischendurch unterbrechen immer wieder die teils dissonanten Tonfolgen der Originalmusik des Radiohead-Gitarristen Johnny Greenwood die Stille. Sie durchdringen das Publikum geradezu und verstärken die eigentümliche Stimmung von „There Will Be Blood“, die sich schwer greifen lässt. Einiges stößt uns ab, insbesondere im Verhalten von Daniel Plainview; und dennoch entfaltet das Geschehen eine Sogwirkung, die zu keinem Zeitpunkt auch nur von einem Anflug von Humor durchbrochen wird. Ein unbequemes Werk, aber in jedem Moment sehenswert, da kein Detail zufällig wirkt, sei es das völlige Fehlen jeglicher Dialoge in der Anfangsviertelstunde oder die Rätselhaftigkeit bezüglich der Zwillingsbrüder Paul und Eli Sunday (Paul tritt nur ein einziges Mal in Erscheinung, als er Daniel Plainview den Tipp verkauft, und bis zum Ende des Films fragen wir uns, ob es ihn überhaupt gibt oder Eli ihn nur vorgetäuscht hat, erhalten darauf aber keine endgültige Antwort).

Eli Sunday ist ein echter Prediger geworden
Die zahlreichen Preise hat sich „There Will Be Blood“ verdient, nicht nur die bereits erwähnten für Daniel Day-Lewis, sondern beispielsweise auch der Oscar für Paul Thomas Andersons Stamm-Kameramann Robert Elswit und die beiden Silbernen Bären der Berlinale 2008 für Regisseur Anderson und die Musik Johnny Greenwoods (im Wettstreit um den Goldenen Bären unterlag „There Will Be Blood“ dem brasilianischen Krimidrama „Tropa de Elite“). Auch an den Kinokassen stellte sich Erfolg ein – sein Budget von 25 Millionen Dollar verdreifachte der Film.
Inspiriert von uralten Fotos
Blu-ray und DVD sind hierzulande problemlos zu finden, wobei die Blu-ray-Veröffentlichungen in puncto Bonusmaterial etwas üppiger bestückt zu sein scheinen. Die 25-minütige Stummfilm-Doku „The Story of Petroleum“ beispielsweise stammt von 1923 und gibt einen feinen Einblick in die Frühzeit der Erdölförderung. Ebenso interessant ist das viertelstündige Featurette „15 Minuten Inspiration“, das eine Vielzahl zeitgenössischer und noch älterer Abbildungen inklusive einiger Bewegtbilder aus dieser Ära der Erdölgewinnung in den USA enthält. Sehr sehenswert, weil diese Aufnahmen als – genau – Inspiration für die visuelle Umsetzung des Sujets und des Zeitkolorits dienten. Und so wirkt „There Will Be Blood“ auch optisch wie aus einem Guss. Meisterhaft.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Paul Thomas Anderson haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Paul Dano, Daniel Day-Lewis und Ciarán Hinds unter Schauspieler.

Glücklichsein ist keine Option
Veröffentlichung: 3. Mai 2012 als „Blu Cinemathek“-Blu-ray im Digipack mit Schuber, 19. Januar 2012 als DVD im Steelbook, 22. November 2011 als DVD, 22. September 2011 als Blu-ray, 7. August 2008 als Blu-ray und DVD
Länge: 158 Min. (Blu-ray), 152 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: There Will Be Blood
USA 2007
Regie: Paul Thomas Anderson
Drehbuch: Paul Thomas Anderson, nach Motiven von Upton Sinclairs Roman „Öl!“
Besetzung: Daniel Day-Lewis, Paul Dano, Ciarán Hinds, Dillon Freasier, Paul F. Tompkins, Sydney McCallister, David Willis, James Downey, Hope Elizabeth Reeves, Kevin J. O’Connor, Harrison Taylor, Stockton Taylor
Zusatzmaterial: „15 Minuten Inspiration“, nicht in allen Veröffentlichungen: „Die Geschichte des Öls“ (26 Min.), zusätzliche Szenen (12 Min.), Trailer, Teaser, Wendecover
Label/Vertrieb: Studiocanal, Arthaus, Miramax, Buena Vista
Copyright 2022 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & untere Packshots: © Studiocanal, Arthaus, Miramax, Buena Vista
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