Krigsseileren
Kinostart: 9. Februar 2023
Kriegsdrama // 1939 ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt im norwegischen Bergen angespannt. Die Jugendfreunde Alfred Garnes (Kristoffer Joner, „The Wave – Die Todeswelle“) und Sigbjørn Kvalen (Pål Sverre Hagen, „Einer nach dem anderen“) verdingen sich als Tagelöhner im Hafen. Wenn es denn mal Jobs gibt, bedeutet das harte Arbeit. Alfred kann kaum die Ernährung seiner Frau Cecilia (Ine Marie Wilmann, „Troll“) und der gemeinsamen Kinder Magdeli (Henrikke Lund Olsen), William (Armand Hannestad) und Olav (Noah Nygård) sicherstellen, weshalb er und Sigbjørn auf einem Handelsschiff anheuern, das die Atlantikroute zwischen Skandinavien und den USA befährt. In Europa ist gerade der Krieg ausgebrochen, aber noch ist das Land davon verschont geblieben (die Handlung setzt sieben Monate vor der am 9. April 1940 erfolgten deutschen Besetzung Norwegens ein).
Acht Monate später hat der Krieg den Frachter eingeholt. Kaum einmal gelingt es den Seeleuten, im Wasser treibende Schiffbrüchige wie den 15-jährigen Smutje Aksel Andresen (Leon Tobias Slettbakk) zu retten. Gemeinsam mit ihm, Hanna (Alexandra Gjerpen), Braathen (Arthur Hakalahti) und Monsen (Karl Vidar Lende) werden Alfred und Sigbjørn auf ein anderes Schiff abkommandiert. Der Zweite Weltkrieg hat gerade erst begonnen.
Der mit deutschen und norwegischen Fördermitteln produzierte „War Sailor“ berichtet davon, wie der Krieg zwei Freunde und die Familie des einen heimsucht und für immer zeichnet. Dabei konzentriert sich die Handlung in den ersten zwei Dritteln der langen Spielzeit von zweieinhalb Stunden weitgehend auf das Geschehen während der Seefahrt von Alfred und Sigbjørn. Die beiden verschlägt es nach Liverpool und Malta, immer wieder sehen sie Leidensgenossen sterben. Die kriegerischen Szenen kommen ohne spektakuläre Action aus und vermitteln doch in großer Intensität und physischer Wucht, welchen Gewalten die Seeleute ausgesetzt sind. Das sind starke Sequenzen, die von Menschen in Ausnahmesituationen erzählen, nah an den Figuren und frei von Pathos inszeniert. Mit geschickten Szenenwechseln gelingt es, die Menschen hinter den Namen der Gefallenen zu zeigen, selbst wenn ihnen zuvor nur wenig Leinwandzeit vergönnt war. Ein Abschied von Mitfahrenden wird so zu einer Verlesung der Namen der Toten eines versenkten Frachters. Ein vermeintlicher Drückeberger demonstriert den empörten Seeleuten in einem englischen Pub seine Fähigkeiten als Balletttänzer – kurz darauf treibt er mit dem Gesicht nach unten im Wasser. Kämpferische Auseinandersetzungen zwischen Militärverbänden oder Soldaten bleiben dabei außen vor, ebenso die weltpolitische Gemengelage, was dem Film guttut. Beides zu ergänzen, hätte ihn womöglich überfrachtet.
Die Handlung springt chronologisch in den Kriegsjahren voran und wechselt gelegentlich nach Bergen, wo sich Cecilia abmüht, die drei Kinder durchzubringen. Das letzte Drittel spielt in den Nachkriegsjahren, in denen deutlich wird, dass der Krieg die Menschen, die ihn erlebt haben, niemals aus seinen Fängen lässt, sondern sie auf ewig prägt. Dies offenbart sich auf bedrückende Weise anhand des Schicksals von Alfred und seiner Familie bis in die 1970er-Jahre, auch wenn deren Seelenpein in der Nachkriegszeit fragmentarisch bleibt und nicht ausbuchstabiert wird. Heraus kam somit kein umfassendes Familienporträt, das Augenmerk liegt stets auf dem Krieg. In seiner Struktur mit drei Akten vor dem Krieg (wenngleich dieser Abschnitt kurz ausfällt), während des Krieges und danach ähnelt „War Sailor“ ein wenig Michael Ciminos „Die durch die Hölle gehen“ (1978) und John Woos „Bullet in the Head“ (1990), auch wenn die drei Filme jeweils eigenständige Schwerpunkte setzen.
Die Geschichte der Nortraship
Zum historischen Hintergrund der norwegischen Seefahrt während des Zweiten Weltkriegs: Die zum Zeitpunkt der deutschen Besetzung Norwegens auf See oder in ausländischen Häfen befindlichen Handelsschiffe des Landes wurden noch im April 1940 unter der Reederei Norwegian Shipping & Trade Mission (Nortraship) mit Sitz in London zusammengefasst. Sie dienten in den Kriegsjahren der Versorgung des Vereinigten Königreichs. Etwa 500 Schiffe und 3.000 Seeleute gingen verloren. Die Nortraship wurde 1958 aufgelöst. Die Aufarbeitung ihrer Aktivität und insbesondere ein Konflikt um einen Fonds zur späteren Auszahlung zusätzlicher Heuer dauerten bis in die 1970er-Jahre.
„War Sailor“ feierte seine Weltpremiere im August 2022 beim Norwegischen Filmfestival in Haugesund und machte im September Station beim Internationalen Filmfestival in Toronto, im Oktober beim Filmfest in Hamburg. Mit dem zeitlichen Fokus auf den Kriegsjahren zeigt das von Gunnar Vikene („Kill Billy – Harold räumt auf“) nach eigenem Drehbuch inszenierte Werk nach wahren Begebenheiten den Krieg und seine seelischen Folgen über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren, wobei die 1972 spielende Sequenz eher den Charakter eines Epilogs trägt. „War Sailor“ präsentiert uns einen durchaus anderen Blick auf die Schrecknisse des Krieges, als wir es von diesem Genre gewohnt sind. Ein beeindruckendes Werk, gerade in diesen Zeiten des Krieges und des Säbelrasselns. Heilt die Zeit alle Wunden? Wohl kaum.
Länge: 150 Min.
Altersfreigabe: FSK 12
Originaltitel: Krigsseileren
NOR/D/MAL 2022
Regie: Gunnar Vikene
Drehbuch: Gunnar Vikene
Besetzung: Kristoffer Joner, Pål Sverre Hagen, Ine Marie Wilmann, Henrikke Lund Olsen, Armand Hannestad, Leon Tobias Slettbakk, Alexandra Gjerpen, Arthur Hakalahti, Karl Vidar Lende, Mats Holm, Téa Grønner Joner, Daniel Berg, Oskar Hallaråker Hellesøy, Noah Nygård
Verleih: DCM
Copyright 2023 by Volker Schönenberger
Filmplakat & Szenenfotos: © 2023 Mer Film / DCM,
Szenenfotos auch: © Roxana Reiss (1–3), Stian Servoss (4), Mark Cassar (5)