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Out of the Blue – Gefährliche Lust: Der Ex-Knacki und die Femme fatale

13 Mär

Out of the Blue

Von Tonio Klein

Erotikthriller // Vor malerischer Kleinstadt-/Strandkulisse trifft der auf Bewährung entlassene Bibliothekar Connor (Ray Nicholson) auf die attraktive Marilyn (Diane Kruger). Bald schon kann er sich ihren Reizen nicht entziehen – und vice versa? Cherchez la Femme fatale, aber suchen muss man da gar nicht lange. Selbst wenn das Cover nicht die L.A. Times mit „Eine großartige Femme Fatale“ zitierte, wäre offenkundig, dass Marilyn nicht nur einen schwerreichen Gatten, sondern auch etwas vorhat, etwas Mörderisches.

Vorbilder …

Der Film lässt keinen Zweifel und erweist auch dem Film noir und seinen literarischen Hard-boiled-Vorlagen seine Reverenz. Im Fernsehen läuft unter anderem einmal Edgar Ulmers „Umleitung“ (1945); eine Szene mit Edward G. Robinson könnte aus Billy Wilders „Frau ohne Gewissen“ (1944) sein. Jedenfalls die Romanvorlage „Double Indemnity“ leiht sich Marilyn auf Connors Anraten aus, zusammen mit dem in Bild und Dialog deutlicher platzierten „The Postman Always Rings Twice“ desselben Autors – James M. Cain, eines der Großen des Hard-boiled und der Film-noir-Lieferanten. Barbara Stanwyck („Frau ohne Gewissen“), Lana Turner (in der klassischen Noir-Verfilmung des „Postmann“-Romans, „Im Netz der Leidenschaften“, 1946) – zwei Gattenmörderinnen, die zu diesem Zweck einen Mann verführen und zum Werkzeug machen. Zudem Ann Savage („Umleitung“) mit anders gelagerter, aber nicht minder intensiver krimineller Energie. Drei Femmes fatales sondergleichen, an die „Out of the Blue – Gefährliche Lust“ ganz bewusst anknüpft und in deren Fußstapfen Diane Kruger erstmal treten können muss. Kann sie das? Ja – soweit es ihr Inszenierung und Skript erlauben, und da liegt so manches im Argen.

Wenn der Büchermann zwei Tipps gibt

Ist das wirklich ein nostalgischer Film, der an die 1940er-Jahre anknüpft? Ist es nicht, jedenfalls nicht im Wesentlichen. Vielmehr begegnen wir einer Doppelnostalgie. Ein Film von 2022 knüpft an die Filme der 1980er- und 1990er-Jahre an, die an die Filme (und/oder Bücher) der 1940er-Jahre anknüpften. Der gute alte, wenn auch nicht ganz alte, Erotikthriller/Neo-Noir ist wieder da!

… und Abbilder

Auch wenn man sich über Einzelheiten streiten kann: 1981 setzten „Heißblütig – Kaltblütig“ (alias „Body Heat – Eine heißkalte Frau“) und die Neuverfilmung „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ den Trend und ließen die Femme fatale, nun mit mehr zeigbarer Erotik, wiederauferstehen. Bis zu „Palmetto – Dumme sterben nicht aus“ (1998) trieb sie ihr Unwesen in so manchem, meist edel aussehenden und gediegen inszenierten Werk – und es sind diese Filme statt diejenigen der 1940er-Jahre, denen „Out of the Blue“ in Wirklichkeit besonders nahe ist. Das kann man machen, und wenn man es gut macht, muss man das Genre auch gar nicht erneuern. Theater- und Filmregisseur Neil LaBute erneuert es nicht. Und macht es nur bedingt gut.

Behält Marilyn eine weiße Weste?

Dabei stellt sich das 1980er-/1990er-Nostalgiegefühl zunächst durchaus wohlig ein und hält zumindest in einigen Aspekten auch an. Alles sieht ausgesprochen edel, dabei aber selbst für die heutige Zeit nicht übermäßig am PC farbverstärkt oder ausgebleicht aus. Der Bilderfluss ist angenehm ruhig; hier sind wir im Thrillerbereich noch in der Zeit, bevor Produzent Jerry Bruckheimer und seine Regisseure wie Michael Bay oder Simon West enervierende Schnittgewitter in den 1990ern salonfähig machten. Ähnlich der sinfonische Soundtrack (Adam Bozarge), dezent gehalten, einzelne Melodien und (Streich- und Holzblas-)Instrumente erkennbar, an Pino Donaggio erinnernd, oder auch in einzelnen Tonfolgen an Bernard Herrmann, nicht zuletzt an dessen zärtlichere Hitchcock-Tracks und an denjenigen des zärtlichsten Brian-De-Palma-Films, „Schwarzer Engel“ (1976). Vor allem aber: Das ist Filmmusik. Musik! Nicht Sounddesign! Hier hat die Nostalgie etwas überaus Angenehmes.

Zäh und unglaubwürdig

Im Übrigen stellt sich schnell ein „Alles schon mal gesehen“-Gefühl ein, und ist das Ruhige im Stil ein Vorteil, wird es in der Erzählung zum Nachteil. Du liebe Zeit, plätschert der Plot dahin, Verführung, ein paar Alltagsszenen, frühe Anspielungen auf die erwähnte Gattenmord-Literatur, doch dann dauert es noch eine liebe lange Zeit, bis es damit losgeht. Weil die Entwicklung vorhersehbar ist, langweilt man sich, muss sich beispielsweise vier Sexszenen an allen möglichen Orten ansehen. Übrigens ist auch der zum Genre offenbar dazugehörende finale Plot Twist von mäßiger Raffinesse. Im Grunde kein echter Twist, weil wir zwar Details nicht wussten, aber unschwer zu erraten war, dass Marilyn den armen Connor nur benutzt hat. Was den Rezensenten ein wenig ratlos zurücklässt, denn gegen ein „alles schon mal gesehen“ ist nicht grundsätzlich etwas zu sagen. Der erwähnte „Palmetto“, mit dem niemand Geringeres als der Autorenfilmer Volker Schlöndorff einfach mal Genre-Spaß haben und bereiten wollte, funktionierte mit diesem Prinzip hervorragend. Obschon spannend, spielte er immer mit einem augenzwinkernden, aber nie zu dick aufgetragenen Hang zur Übertreibung und zur Persiflage.

„Out of the Blue“ scheint hingegen alles völlig ernst zu meinen. Auch dies ist freilich legitim, aber man muss es gut machen. Und während man Schlöndorff das Überkonstruierte und bewusst Stilisierte durchgehen lässt, stellt man LaBute im Geiste Fragen: Kann unser Couple fatal wirklich in einem Restaurant so eindeutig zweideutig über literarischen Gattenmord sprechen, dass niemand hellhörig wird? Können die beiden wirklich sicher sein, beim Sex nicht gesehen zu werden, zumal einmal mitten im Wald ohne Anstalten, sich vor etwaigen Spaziergängern zu verbergen? Und vor allem: Kann eigentlich Marilyns Plan aufgehen? Natürlich ist es geschickt, wenn die nicht mehr ganz junge Frau ein Jüngelchen aufreißt, das als Ex-Sträfling zudem unter Druck steht. Aber Connor ist erkennbar alles andere als ein professioneller Killer, sodass extrem unsicher ist, ob er die Tat plangemäß ausführen wird. Was dann bei der Tatausführung beziehungsweise deren Versuch geschieht, ist unerwartet, wird uns aber am Ende so verkauft, als habe Marilyn genau diesen und keinen anderen Verlauf geplant. Da kann man aber genauso wenig sicher sein wie bei dem, was Connor am Ende widerfährt, angeblich exakt Marilyns Plan entsprechend. Angesichts eines fiesen Bewährungshelfers Jock (Hank Azaria) und eines schießwütigen Polizeiapparates lässt sich an einen gewissen satirischen Unterton denken, aber letztlich verschwindet das im Nichts und dient unreflektiert zur Ausführung eines Plans Marilyns, der von zu vielen Unwägbarkeiten gesäumt ist, um überzeugen zu können.

Bewährungshelfer Jock gewinnt keinen Beliebtheitspreis

Ray Nicholson, übrigens der Sohn Jack Nicholsons, der in „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ die Hauptrolle hatte, kann zwar mit stolzgeschwellter, gelegentlich nackter Brust überzeugen, wirkt aber als athletischer Sonnyboy, Möchtegernkiller und Femme-fatale-Opfer ein wenig wie aus der Retorte. Hierzu – da ist der Film dann doch ein bisschen der heutigen Ästhetik verhaftet – mögen auch seine übermäßig metallicblauen Augen beitragen, die zusammen mit der Babypopohaut etwas künstlich aussehen und eine digitale Nachhilfe vermuten lassen.

Diane Kruger!

Wirklich stark hingegen ist Diane Kruger – soweit das Drehbuch sie lässt. Sie kann ja nie so ganz dem Korsett ihrer Rolle entfliehen, aber macht das Beste draus. Und hierbei hilft ihr auch die Ästhetik. Denn – dies ist als Kompliment gemeint – Kruger, 1976 geboren, sieht keinen Tag jünger aus, als sie ist. Als wir ihr erstmals aus Distanz – natürlich mit den Augen des faszinierten Connor – im knallroten Badeanzug begegnen, folgt mit den ersten Nahaufnahmen die Erkenntnis, dass dies nicht die blutjunge Abziehbild-Traumfrau ist, die wir uns ausgemalt hatten. Die Kamera rückt ihr oft ganz nah an die Gesichtshaut und zeigt eine wunderschöne, aber nicht geschönte Frau, eine schöne, aber beileibe keine „makellose“ und CGI-glattgebügelte Haut. Zudem hat Miss Krueger ein recht schütteres Haar, wenn man genau hinschaut, mit einem hohen Ansatz und „Geheimratsecken“.

Ich glaub, ich steh (!) im Wald

Das alles macht nichts, im Gegenteil! Während nach wie vor für Frauen ab 40 in Hollywood oft Sense ist, kann Kruger überzeugen und hat ihren ganz individuellen Reiz. In mancher Szene, in der sie mit langen blonden Haaren zu sehen ist, sind diese so hell, dass man sich ausmalen kann, wie attraktiv die Dame erst einmal wird, wenn das Blond dereinst zum Grau wird. Kruger setzt dem Jugendwahn etwas entgegen, und sie verfügt über eine ausdrucksstarke Mimik. Der kann man schon verfallen! Noch besser ginge es freilich, wenn sie ein besseres Drehbuch bekommen hätte.

Out of the Blue, aber blau trifft rot

„Out of the Blue”, das heißt „aus heiterem Himmel“, also etwa „plötzlich und überraschend“. Leider löst der Film dieses Versprechen in doppelter Hinsicht nicht ein. Erstens entspinnt sich die Intrige nicht überraschend. Zweitens kann der Titel zwar zu sagen versuchen, woher etwas kommt – aber der Film zeigt nie, wohin er es führen möchte.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Diane Kruger haben wir in unserer Rubrik Schauspielerinnen aufgelistet.

Veröffentlichung: 23. März 2023 als Blu-ray und DVD

Länge: 105 Min. (Blu-ray), 101 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Out of the Blue
USA 2022
Regie: Neil LaBute
Drehbuch: Neil LaBute
Besetzung: Diane Kruger, Ray Nicholson, Gia Crovatin, Hank Azaria, Chase Sui Wonders, KeiLyn Durrel Jones, Pamela Jayne Morgan, Frederick Weller
Zusatzmaterial: Originaltrailer, deutscher Trailer, Trailershow, Exklusives Gespräch zwischen Regisseur Neil LaBute und Diane Kruger (31 Min., engl. mit dt. UT)
Label/Vertrieb: Plaion Pictures

Copyright 2023 by Tonio Klein

Szenenfotos & Packshots: © Plaion Pictures

 

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