
Am Ende der Worte
Ausstrahlung: 20. November 2022, 20:15 Uhr, 3sat, 15. November 2022, 22:00 Uhr, NDR
Von Volker Schönenberger
Krimidrama // Der Film besteht aus einer Aneinanderreihung von Vorurteilen gegen die Polizei. Wir können den Film nicht empfehlen. So Lars Osburg, stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Hamburg in einer am 15. November 2022 bei Facebook veröffentlichten Stellungnahme. Gefolgt von: Ich bin enttäuscht und entsetzt! Ui, da fühlt sich aber jemand auf den Schlips getreten! Wenn der Gute da mal nicht den Streisand-Effekt außer Acht gelassen hat. Mich jedenfalls hat diese Kritik erst recht neugierig gemacht.

Laura tritt der Bereitschaftspolizei bei
Im Zentrum der Handlung von „Am Ende der Worte“ steht Laura (Lisa Vicari), die nach Abitur und einem abgebrochenen Jurastudium gerade ihre Ausbildung an der Polizeischule absolviert hat. Sie ist damit in die Fußstapfen ihres Großvaters getreten. Nun beginnt die 24-Jährige aus einem Vorort von Bremen ihre Laufbahn bei der Bereitschaftspolizei Hamburg – mit durchaus hehren Idealen: Ich will den Menschen helfen, die sich selbst nicht helfen können. So äußert sie gegenüber ihrem Boss Hauptkommissar Keller (André Hennicke), der ihr zur Einstimmung gleich einen vor der Roten Flora von einer Bordsteinplatte zerschmetterten Einsatzhelm präsentiert (die Rote Flora ist ein Autonomes Zentrum im Hamburger Schanzenviertel, das der hanseatischen Law-and-Order-Fraktion lange Zeit ein Dorn im Auge war).
Zwischen Langeweile und Eskalation
Schnell bekommt die junge Frau mit, dass Alkohol in der Truppe zum guten Ton gehört. Auf die Frage, wie der Job so sei, erwidert ihr neuer Kollege Tom (Daniel Michel): Komplette Langeweile oder halt totale Eskalation. Mit ihm und weiteren Kolleginnen und Kollegen kommt sie einigermaßen gut klar, etwa Lupus (Ludwig Trepte), dem sie bei ihrer ersten Einsatzfahrt unterstellt ist. Lupus hat eigene Vorstellungen über die Vorschriften im Dienst und legt diese schon mal nach seinem Ermessen aus, um einen Einsatz erfolgreich zu gestalten. Gleich am ersten Tag lernt Laura bei einer überraschenden Konfrontation zudem die in Deutschland nur geduldete Syrerin Amila (Meryem Ebru Öz) kennen, zu der sie langsam eine fast freundschaftliche Beziehung aufbaut. Nach und nach gestalten sich die Einsätze brenzliger. Nachdem ihr Großvater gestorben ist, berichtet Laura beim Kuchen auf der Trauerfeier von ihren Erfahrungen der ersten Monate: Gewaltfähigkeit – ich glaub’, das war das Erste, was ich lernen musste.

Lupus hat seine eigene Sicht der Vorschriften
Angesichts der harschen Worte des GdP-Funktionärs mag es verwundern, wie unspektakulär und sogar differenziert „Am Ende der Worte“ die Bereitschaftspolizei charakterisiert und ihren Dienstalltag beschreibt. Fast hätte man nach Lars Osburgs Kritik erwarten können, dass die Hundertschaft, der sich Laura anschließt, als Horde gewaltgeiler Hooligans in Uniform porträtiert wird, die nur darauf aus sind, Linke und Ausländer zu vertrimmen, aber das trifft es überhaupt nicht. Hier werden junge Leute gezeigt, die nach mehr oder minder ausgiebiger Vorbereitung in die Lage versetzt werden, das Gewaltmonopol des Staats auszuüben und damit mal anständig, mal weniger anständig klarkommen. Über allem steht der Korpsgeist. Man muss sich blind auf den anderen verlassen können, ob draußen auf der Straße oder anschließend bei der Aufarbeitung und Protokollierung, wenn ein Einsatz aus dem Ruder gelaufen ist. Und auch hier durchbricht „Am Ende der Worte“ das gängige Klischee, wenn nämlich am Ende bei einer Gerichtsverhandlung der Korpsgeist gerade nicht aufrechterhalten wird. Da möchte man Herrn Osburg süffisant fragen, ob es ihn womöglich gestört habe, dass diese bedingungslose Loyalität bei der Bereitschaftspolizei-Einheit im Film eben nicht um jeden Preis gilt.
Racial Profiling
Bei der Auflösung einer illegalen Party verlangt Lupus natürlich ausgerechnet von dem Gast die Papiere, den er aufgrund von dessen Aussehen für einen Ausländer hält – und damit für verdächtig. Racial Profiling nennt sich dieses Vorgehen, das gegen den Gleichheitsgrundsatz von Artikel 3 des Grundgesetzes verstößt. Über Verbreitung und Häufigkeit von Racial Profiling bei der Polizei kann man streiten, nicht jedoch darüber, dass es vorkommt. Im Falle von „Am Ende der Worte“ ist es klar erkennbar ein einzelner Polizist – eben Lupus –, der so vorgeht, wenn auch von seinen Kollegen gebilligt oder zumindest geduldet. Zu keinem Zeitpunkt kommt allerdings der Eindruck auf, das sei übliches Vorgehen à la Wir ziehen immer erst die Ausländer raus, womöglich gar von der Führung legitimiert. Wer behauptet, die Bereitschaftspolizistinnen und -polizisten würden allesamt als Rassisten gebrandmarkt werden, liegt falsch. Der Film ist eine Aneinanderreihung von Vorurteilen und Klischees über die Polizei, die die GdP Hamburg in aller Deutlichkeit zurückweist. Ein Polizeifunktionär kann zurückweisen, was er will, auch wenn seine Vorwürfe ins Leere führen. Nicht das Problem des Films, wenn sich GdP-Mann Osburg eine anheimelnde Porträtierung seines Berufsstands wünscht, wie sie in fiktiven Fernsehformaten wie „Großstadtrevier“ (seit 1984) und „Notruf Hafenkante“ (seit 2007) zu beobachten ist, um nur zwei Beispiele zu nennen, die Polizeiarbeit in Hamburg zeigen. Apropos „Notruf Hafenkante“: Dort spielt von Anfang an Fabian Harloff mit, wenn auch nicht als Polizeibeamter, sondern als Notarzt. In „Am Ende der Worte“ hat er einen kurzen Auftritt als Beamter des Landeskriminalamts, der sich zu Recht darüber echauffiert, dass ein vorschnelles Eingreifen von Lupus und den anderen gegen Drogendealer eine monatelange Observation zunichte gemacht hat.

Nach getaner Arbeit
Selbst Lupus, der sich nach und nach als Antagonist entpuppt, ist keinesfalls ein gewaltgeiler Rassist, sondern er will gute Polizeiarbeit leisten. Das, was er unter guter Polizeiarbeit versteht, und mit den Mitteln, die er für richtig hält, auch wenn sie nicht immer von den Vorschriften abgedeckt werden. Ihm gegenüber steht die Hauptfigur Laura, bei der deutlich wird, dass sie über Umwege zur Polizei gekommen ist. Sie folgt Idealen, merkt aber im Einsatz, dass diese mit den Mitteln des Gewaltmonopols schwer einzulösen sind.

Die Polizistin trifft auf die Syrerin Amila
Überhaupt Gewalt: Wer mitbekommt, wie manche Polizistinnen und Polizisten im Einsatz bei linken Demonstrationen und Fußballspielen ihr Gewaltmonopol aus- und überreizen, kann über die in „Am Ende der Worte“ dargestellte Gewaltbereitschaft einzelner Mitglieder der gezeigten Hundertschaft nur müde lächeln. Hier traut sich der Film viel zu wenig, was ganz besonders bei einem Einsatz rund um eine offenbar heikle Demonstration deutlich wird: Er wird überhaupt nicht gezeigt! Eben noch sitzen die Einsatzkräfte gut gelaunt in ihren Mannschaftswagen und vertreiben sich die Zeit mit einer bescheuerten Wette (igitt!), dann kommt der Marschbefehl, alle setzen ihre Helme auf, nehmen sich Schild und Schlagstock – und Schnitt, wir sehen sie nach wohl anstrengendem Tun erschöpft beisammensitzen. Da haben Drehbuchautorin Lena Fakler und Regisseurin Nina Vukovic aber schön den Schwanz eingezogen. Auf diese Weise kann man natürlich nicht einmal das umstrittene Pfefferspray thematisieren, das manch Unschuldiger gern mal in die Fresse gesprüht bekommt (und das gar nicht mal so selten sogar die Zahl der verletzten Polizistinnen und Polizisten in die Höhe treibt – dann nämlich, wenn es so vehement in der Luft verteilt wird, dass die eigenen Kolleginnen und Kollegen in die Pfefferspray-Wolke hineinrennen). Schade drum, hier wurde eine Chance verpasst (die dem Hamburger GdP-Vize sicher den Schaum vor den Mund getrieben hätte).
Erst in Hof, dann in Braunschweig
„Am Ende der Worte“ feierte seine Premiere Ende Oktober 2021 auf den Hofer Filmtagen und wurde wenige Tage später auch beim Internationalen Filmfestival von Braunschweig gezeigt. Die Fernsehpremiere erfolgte am 15. November 2022, nicht unbedingt prominent platziert an einem Dienstag um 22 Uhr. Auch die kurz darauf folgende Ausstrahlung zur besten Sendezeit 20:15 Uhr bei 3sat am Sonntag, 20. November, ist denkbar unglücklich gewählt – in direkter Konkurrenz zu einem „Tatort“ im Ersten, mithin für dieselbe Zielgruppe. Das hat „Am Ende der Worte“ fürwahr nicht verdient, auch wenn das Krimidrama nicht angetan ist, jenseits von Gegreine eines Polizeifunktionärs eine seriöse Debatte über die Bereitschaftspolizei und das Wesen des Gewaltmonopols auszulösen. Es ist bis zum 30. Dezember 2022 in der Mediathek des Ersten verfügbar und geht beim 3sat-Publikumspreis 2022 ins Rennen.

Ein fataler Einsatz für Laura und Lupus
Wir sind uns der Kunstfreiheit bewusst und wollen diese auch in keiner Weise in Abrede stellen. Allerdings gibt es ausdrücklich keine Empfehlung der GdP Hamburg, sich diesen Film anzusehen. So enden die Ausführungen des Gewerkschaftsfunktionärs Osburg über „Am Ende der Worte“. Immerhin löblich, dass er das Grundrecht der Kunstfreiheit kennt und zu würdigen weiß. Letztlich besteht seine Kritik aus Platitüden, die dem vergleichsweise harmlosen Krimidrama in keiner Weise gerecht werden und sich auf eins reduzieren lassen: Mimimi!

Die Nachwuchspolizistin muss Farbe bekennen – nur welche?
Länge: 90 Min.
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Audiodeskription für Blinde und Sehgeschädigte
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Am Ende der Worte
D 2022
Regie: Nina Vukovic
Drehbuch: Lena Fakler
Besetzung: Lisa Vicari, Ludwig Trepte, Meryem Ebru Öz, Pascal Houdus, Natalie Thiede, Fabian Harloff, André Hennicke, Daniel Michel, Ibrahim Al-Khalil, Caroline Junghanns, Konstantin-Philippe Benedikt, Jens Weiser, Annalena Haering, Ulrike von Gawlowski
Produktion: klinkerfilm Production UG / Norddeutscher Rundfunk
Copyright 2022 by Volker Schönenberger
Plakat: © 2022 klinkerfilm Production UG / Norddeutscher Rundfunk,
Szenenfotos auch: © 2022 Alena Sternberg
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