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A Young Man with High Potential – Die Schöne und der Informatik-Nerd

A Young Man with High Potential

Von Volker Schönenberger

Horrorthriller // Verdammt! Gleich zu Anfang stehe ich vor der Problematik: Welche Tonspur? Dachte ich doch, die deutsche Tonspur sei automatisch erste Wahl, da es sich um einen deutschen Film eines deutschen Regisseurs handelt. Aber dann berichtet Regisseur Linus de Paoli in einer kurzen Einführung vor Filmstart, es sei ihm wichtig gewesen, auch bei dieser Synchronfassung Regie zu führen (er meint die Dialogregie). Die englische Tonspur ist also die Originalfassung! Okay … Das passt natürlich auch zum englischen Titel des Films, aber wer ahnt denn sowas? Positiv schon mal, dass beide Sprachfassungen sowohl in 2.0- als auch in 5.1-Abmischung vorliegen. Nicht selbstverständlich, nicht nur ein Heimkino-Publikum mit Surround-Anlage zu berücksichtigen, sondern auch Filmgucker, die lediglich über Stereoton verfügen (noch dazu den suboptimalen aus dem Flachbildfernseher, so wie ich derzeit, hüstel).

Der geniale Eigenbrötler

Aber ich schweife ab. „A Young Man with High Potential“ – das ist der Informatikstudent Piet Carnell (Adam Ild Rohweder). Dem Superschlauen erzählt sogar sein Professor: Unter uns: Ich hab’ bisher nicht viele Studenten getroffen mit solch hohem Potenzial. Mit Bits und Bytes macht ihm niemand etwas vor, dafür hapert es im Zwischenmenschlichen: Piet ist ein linkischer Eigenbrötler, der in sozialer und emotionaler Hinsicht Nachholbedarf hat. Ich fühl mich einfach nicht so wohl unter Leuten. So äußert er es einmal selbst. Vor der Uni fängt ihn die mysteriöse Ketura Stantz (Amanda Plummer) ab. Sie arbeite für die Familie seiner Kommilitonin Klara Koslowski (Paulina Galazka), die Piet als vermisst gemeldet habe und die offenbar bald darauf tot aufgefunden wurde.

Piet Carnell hat Bildschirme lieber als Menschen

Schnitt und Zeitsprung zurück: Piet schwärmt heimlich für seine neue Kommilitonin Klara. So heimlich, dass er sich ein Foto der jungen Polin auf der Uni-Webseite herunterlädt, um sich bei dem Anblick einen runterzuholen. Dafür wimmelt er sie ab, als sie ihn bittet, für ein Studienprojekt ihr Partner zu sein; nur ihrer Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, dass es doch dazu kommt. Zwischen beiden entwickelt sich eine Freundschaft zweier völlig unterschiedlicher Menschen. Piet überinterpretiert dies …

Sex nur online

Ich bin zwiegespalten, was Piet angeht: Einerseits finde ich ihn gerade anfangs recht schablonenhaft gezeichnet. Allein schon das Setting des Informatikstudiums wirkt sehr darauf zugeschnitten, ihn als sozial schwachen Nerd zu zeichnen, da Informatikern dieser Ruf nun mal vorauseilt – inhaltlich spielen sein Studienfach und sein Superhirn jedenfalls kaum eine Rolle. Sexuelle Erfüllung – wenn man es denn so nennen will – findet er einzig im Internet, ist Stammkunde bei der Online-Dienstleisterin Kylie (Laurence Roothooft). Andererseits war es mir in etlichen Szenen unangenehm, ihm zuzuschauen – und das ist positiv gemeint: Wenn ich eine Mischung aus Mitgefühl und Belächeln entwickle und auch bei vermeintlichen Harmlosigkeiten mehrmals das Gesicht verziehen muss, machen die Figur und der Schauspieler bei aller Eindimensionalität einiges richtig. Und es bleibt ja nicht bei den Harmlosigkeiten, doch was da nach und nach geschieht, kommt überraschend – und heftig. In der ersten halben Stunde dachte ich noch, vom von mir ursprünglich vorgesehenen Genre Horrorthriller zu Psychothriller zu wechseln, doch irgendwann beschloss ich, es bei Horrorthriller zu belassen. Ganz glücklich bin ich damit immer noch nicht, bin auch unsicher, ob ich es gut oder schlecht finden soll, dass „A Young Man with High Potential“ hier unentschlossen bleibt. Angesichts einiger Spitzen erscheint mir die FSK-18-Freigabe des ungeschnitten veröffentlichten Films gerechtfertigt.

Ketura Stantz fühlt ihm auf den Zahn

In der Rolle von Klara bildet die aparte polnische Schauspielerin Paulina Galazka („Operation Arsenal – Schlacht um Warschau“) einen passenden Gegenpol zum dänischen Piet-Darsteller Adam Ild Rohweder („Holiday“). Unbekümmert baut sie Nähe zu ihm auf, ohne zu merken, dass er ihr gern noch näher kommen würde. Das entwickelt sich glaubwürdig. Interessant ist Piets Wechsel in die virtuelle Realität von Online-Bekanntschaften – bei Kylie holt er sich im Videochat sogar Rat fürs reale Leben. Ein Kommentar über die Realitätsflucht vieler Menschen ins Internet?

Mit dem Hauptdarsteller aus „Der Bunker“

Erwähnt sei auch Nebendarsteller Pit Bukowski, der als Piets letztlich wenig bedeutsamer Kumpel Alex allerdings unter Wert eingesetzt wird. Im grotesken deutschen Horrordrama „Der Bunker“ hatte Bukowski 2015 gezeigt, dass er zu weit mehr fähig ist. Produktionsdesign und Ausstattung von „A Young Man with High Potential“ bringen Kühle in die Atmosphäre – das passt. Bei der Bauer University, die Piet und Klara in einem nicht genannten europäischen Land besuchen, handelt es sich offenbar um eine gut ausgestattete Privathochschule, die ihren Studentinnen und Studenten attraktive Wohnheime bietet. Die Räumlichkeiten sind vornehmlich in kühlem Grau gehalten, Uni und Wohnheim wirken fast steril. Vielleicht ein guter Kontrast zu einem späteren Ereignis, auf das ich aber nicht weiter eingehen will, um nicht zu spoilern. Ebenfalls nicht näher erläutern will ich eine kleine Logiklücke kriminaltechnischer Art, die sich in dem Kontext meines Erachtens auftut, weil ich damit auch zu viel verraten würde. Es ist aber auch kein Riesenkrater von Logikloch, da leisten sich andere Genrefilme größere Klopper.

Mit Klara raucht er sogar mal einen Joint

Die als Klammer dienende Begegnung zwischen Piet und Ketura Stantz hätte es meines Erachtens für die Haupthandlung nicht unbedingt gebraucht, allerdings führt sie am Ende zu einem Dialog auf Messers Schneide – ein feiner Ausklang, der „A Young Man with High Potential“ spürbar aufwertet. Und Amanda Plummer sehe ich sowieso immer wieder gern – als Lydia in „König der Fischer“ (1991) und Honey Bunny in „Pulp Fiction“ (1994) hat sie legendäre Auftritte hingelegt. Wie es kam, dass ein junger Absolvent der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin für seine ersten beiden Langfilme eine Schauspielerin besetzen kann, die mit Terry Gilliam und Quentin Tarantino gearbeitet hat, berichtet Regisseur und Drehbuchautor Linus de Paoli im Booklet der Blu-ray von „A Young Man with High Potential“. Eine sehr charmante Geschichte. Offen bleibt allerdings, wie einem ein schillernder Name wie Ketura Stantz in den Sinn kommen kann. Plummer hatte bereits in seinem dystopischen Langfilm-Regiedebüt „Dr. Ketel – Der Schatten von Neukölln“ (2011) einen Auftritt. Dass zwischen dem und Linus de Paolis nächster Regiearbeit so lange Zeit vergeht, liegt zum einen daran, dass die de Paolis Nachwuchs bekamen, wie mir Linus auf Nachfrage berichtete; zum anderen produzierten die Eheleute in der Zwischenzeit den Horrorthriller „Der Samurai“ mit Pit Bukowski in der Titelrolle. Mit dessen Regisseur und Drehbuchautor Till Kleinert sind die de Paolis gut befreundet. Die drei haben zusammen das Filmemacher-Kollektiv Schattenkante gegründet.

Wertige Veröffentlichung von Forgotten Film Entertainment

Die Erwähnung des Booklets bringt mich zur Veröffentlichung der Blu-ray durch das vergleichsweise junge Label Forgotten Film Entertainment. Eine wertige Edition: Die Disc befindet sich in einem Amaray-Case in den Maßen, wie sie an sich für DVDs üblich sind, obendrein findet sich darin auch eine CD mit dem Soundtrack. Das Ganze steckt in einem stabilen Schuber mit abnehmbarem Deckblatt, damit der Schuber ohne FSK-Logo auskommt. Sogar das Amaray-Case hat ein Wendecover, Verächter des „FSK-Flatschens“ können frohlocken. Das 32-seitige Booklet enthält alle Texte in deutscher und englischer Sprache und ist so ausführlich wie lesenswert: Es beginnt mit einem Grußwort von Linus de Paoli, gefolgt von einer von ihm selbst verfassten Kurzbiografie und einer ebensolchen von Anna de Paoli, Linus’ Ehefrau, die am Drehbuch mitwirkte und „A Young Man with High Potential“ mitproduzierte. Auf Produktionsnotizen folgen eine Biografie des Hauptdarstellers Adam Ild Roweder und ein Interview mit ihm, dazu ein Ausschnitt der Filmografie von Hauptdarstellerin Paulina Galazka und ein Interview mit ihr. Im Anschluss an den erwähnten Bericht des Regisseurs über Amanda Plummer beschließt ein Text von Susanne Heinrich über den Film das üppige Booklet.

Doch als er ihr näherkommen will, weist sie ihn ab

Das Zusatzmaterial auf der Disc hält das Niveau. Die Eheleute de Paoli haben eigens einen Audiokommentar eingesprochen. Außer einem Featurette über den Schnitt gibt es drei Interviews, diverse Trailer und eine Bildergalerie. Highlight des Bonusmaterials für mich: Linus de Paolis zweiter Kurzfilm „The Boy Who Wouldn’t Kill“ von 2009, eine Geschichte über eine Familie, die in einer postapokalyptischen Ödnis auf einer Hühnerfarm lebt. Ein raues Werk, aber unbedingt sehenswert, mit interessanter Farbdramaturgie (Stichwort rote Nacht). Sogar ein wenig „Mad Max“-Feeling kommt auf.

Das Potenzial des Filmemachers

Insgesamt eine vorbildliche Edition, mit dem Label Forgotten Film Entertainment ist zu rechnen, wünschen wir ihm gutes Gelingen mit kommenden Projekten. Zum Film und dem Regisseur ist abschließend zu sagen – und man verzeihe mir, dass ich diese billige Steilvorlage aufgreife: Die Einschätzung „A Young Man with High Potential“ gilt auch für Linus de Paoli, auch wenn er das Potenzial seines Films diesmal noch nicht ausreizt. Derzeit arbeitet er an seinem nächsten Projekt „Beauty“, einer deutsch-südkoreanischen Koproduktion um einen Beauty-Blogger. Aufgrund von Corona hat es sich natürlich verzögert. Linus hofft, dass es in diesem Sommer vorangeht. Der Regisseur hat mir auch einen inhaltlichen Ausblick gegeben, aber da sich an der Handlung geplanter Filme immer etwas ändern kann, spare ich mir die Nacherzählung. Linus kündigte mir jedenfalls „Body horror for the digital generation“ an. Es bleibt spannend.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Amanda Plummer haben wir in unserer Rubrik Schauspielerinnen aufgelistet.

Ein junger Mann mit hohem Potenzial?

Veröffentlichung: 19. März 2021 als 2-Disc Special Edition (Blu-ray & Soundtrack-CD)

Länge: 86 Min.
Altersfreigabe: FSK 18
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Koreanisch
Originaltitel: A Young Man with High Potential
D 2018
Regie: Linus de Paoli
Drehbuch: Linus de Paoli, Anna de Paoli (ohne Credits)
Besetzung: Adam Ild Rohweder, Paulina Galazka, Pit Bukowski, Amanda Plummer, Vania Bajdarova, Laurence Roothooft, Prodromos Antoniadis, Sheraz Khan
Zusatzmaterial: Audiokommentar mit Linus & Anna de Paoli, Kurzfilm „The Boy Who Wouldn’t Kill“ (24:14 Min., Tonformat: Deutsch, Untertitel: Englisch, Französisch, Spanisch), Featurette „Let the Material Speak“ (20:48 Min., Deutsch/Englisch), Porträt „The Art of Linus de Paoli“ (39:29 Min., Deutsch), Interviews vom Frightfest 2018 (5:17 Min.) & FF Straßburg (13:31 Min.), Original Motion Picture Soundtrack (43:22 Min.), 32-seitiges Booklet mit Kommentar von Autor und Regisseur Linus de Paoli, Filmografien, Interview mit Paulina Galazka und einem Text von Susanne Heinrich, Schuber
Label/Vertrieb: Forgotten Film Entertainment

Copyright 2021 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & unterer Packshot & Trailer: © 2021 Forgotten Film Entertainment

 

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