RSS

Schlagwort-Archive: Cris Kotzen

Hager – Halluzinatorischer Indie-Mindfuck

Hager

Von Volker Schönenberger

Psychothriller // Bei einer Drogenrazzia verschwindet der Kriminalpolizist Julius Schweitzer (Battle-Rapper Cris Kotzen) spurlos. Der Einsatz galt einer neuartigen Droge namens Abaddon, kurz auch ABD genannt, die schwere Halluzinationen auslöst. Die Ermittler Till Hager (Philipp Droste) und Daniel Eichborn (David Garzón Bardua) werden auf den Fall angesetzt. Während Letztgenannter angesichts der Bedeutung des Auftrags und der damit verbundenen Gehaltserhöhung ganz beglückt ist, befindet sich Hager gerade in einer Lebenskrise. Bald will er seine Freundin Sara Weidel (Jenny Christina Conrads) heiraten, doch er ist skeptisch, ob er wirklich sein Leben mit ihr verbringen will, und hat nebenbei eine Geliebte (Aline Adam). Dass der verschwundene Kollege Schweitzer der Ehemann von Hagers Schwester Maria (Anna Heidegger) ist, macht das Ganze nicht einfacher.

Zivilfahnder Hager landet …

Nicht einfach gerät „Hager“ auch fürs Publikum. Die von mir skizzierte Handlung lässt sich noch einigermaßen problemlos erfassen, doch dann verlieren wir uns in verfremdeten, delirienden Bildern – als hätten sich Filmemacher und Publikum gemeinsam auf einen Abaddon-Trip begeben. Manch fragmentarische Szene konnte ich kaum der Story zuordnen, gleichzeitig enthielten diese Sequenzen Hinweise, das Rätsel zu entwirren. Aber ob mit all diesen Hinweisen ein Gesamtbild entsteht, das uns eine schlüssige Erklärung liefert – ich weiß nicht recht. Mir ist nicht mal bei jeder Szene klar geworden, ob sie real in der Geschichte stattgefunden hat oder im Drogenrausch herbeihalluziniert worden ist – sei es als Erinnerung oder als Fantasie. So oder so ist „Hager“ kein Film für Menschen, die am Ende jedes Detail erklärt bekommen haben müssen.

Die Droge Abaddon – der Engel des Abgrunds

Nähern wir uns dem Rätsel anhand des Namens der Droge: Abaddon lautet der Name einer biblischen Figur, die in Verbindung zum Totenreich Scheol steht. Von einem „Engel des Abgrunds“ ist die Rede, der den Namen Abaddon trage – im Griechischen Apollyon. Wo ist der Bezug zu „Hager“? Die Droge im Film entführt anscheinend diejenigen Konsumenten, die nicht reinen Herzens sind, in ihre persönliche Hölle. Aber was hat das zu bedeuten? „Hunderttausend heulende Höllenhunde!“ möchte man da frei nach Kapitän Haddock fluchen.

… in seinem persönlichen Fiebertraum

Ganz am Ende entpuppt sich gar ein Taxifahrer mittels Einblendung auf dem Rückspiegel als Charon, der mystische Fährmann des Todes. Und dann haben wir noch die von der Rapperin Nura Habib Omer gespielte Gesprächstherapeutin, deren Name erst gegen Ende eingeblendet wird und auf Dantes Göttliche Komödie verweist: Malacoda heißt sie, und so lautet in Dantes Hauptwerk der Name des Führers der zwölf Dämonen im Inferno, der Malebranche. Einige Einblendungen, womöglich als Kapitelüberschriften von „Hager“ interpretierbar, sind wohl auch Zitate aus der Göttlichen Komödie. Seltsam? Aber so steht’s geschrieben …

Was befindet sich hinter dieser Tür?

Es passt gut ins Bild, dass der in Berlin lebende österreichische Regisseur Kevin Kopacka ein erfolgreicher Kunstmaler ist, dessen malerisches Werk ebenfalls vor surrealer Rätselhaftigkeit strotzt. Da ich Malerei zwar mag und auch Kopackas Gemälde ansprechend finde, diesbezüglich aber ein gepflegter Banause bin, unterlasse ich es besser, weitere Bezüge zwischen Kopackas beiden Kunstformen Filmemachen und Malen herzustellen. Versucht euch selbst daran!

Kostenlos im Netz zu schauen

Nicht zuletzt scheint sich der Regisseur auch auf David Lynchs verstörendes Werk „Lost Highway“ (1997) zu beziehen, aber da meine einzige Sichtung viel zu lange zurückliegt, kann ich dazu nichts Erhellendes beitragen. „Hager“ markiert Kopackas Langfilm-Regiedebüt und bildet nach den Kurzfilmen „Hades“ (2015) und „Tlmea“ (2016) gleichzeitig den Endpunkt einer Trilogie. Im ersten Quartal 2020 war das Psychodrama in einigen – wenigen – deutschen Kinos gezeigt worden. Ob eine Veröffentlichung auf Blu-ray oder DVD geplant ist, entzieht sich meiner Kenntnis, aber mittlerweile kann der Film kostenlos auf dem Online-Portal sowie dem YouTube-Kanal von „Netzkino“ angeschaut werden. Es lohnt sich.

Eine Therapeutin stellt Fragen

Der deutsche Film lebt! Wem „Hager“ ge- oder missfallen wird, vermag ich allerdings nicht zu beurteilen, dafür ist der Film zu eigenwillig. Aber so soll Independent-Kino auch sein – sich nicht um Erwartunghaltung scherend einer ganz eigenen Vision folgen und etwas Neues erschaffen. Das ist Kevin Kopacka gelungen. „Mindfuck“ nennen manche das heutzutage wohl. Wer sich von meiner Verwirrung angesprochen fühlt und deutschen Indies und Underground-Filmen sowieso gern eine Chance gibt, möge alle Hoffnung fahren lassen und sich „Hager“ zu Gemüte führen. Aber nicht zu viel von den Halluzigenen naschen! Am Ende bleibt Ihr noch in eurer eigenen Hölle stecken, und das wollen wir doch nicht.

Wohin führt Hagers Weg?

Länge: 78 Min.
Altersfreigabe: FSK 18
Sprachfassungen: Deutsch
Untertitel: keine
Originaltitel: Hager
D 2020
Regie: Kevin Kopacka
Drehbuch: H. K. DeWitt, Kevin Kopacka
Besetzung: David Garzón Bardua, Frederik von Lüttichau, Kevin Kopacka, Nura Habib Omer, Aline Adam, Clara Westhoff, Jürgen F. Schmid, Cris Kotzen, Philipp Droste, H. K. DeWitt, Philip Grüneisen, Jenny Christina Conrads, Anna Heidegger, Iman Rezai, Melanie Pechstein
Produktion/Verleih: Crossbones GmbH

Copyright 2020 by Volker Schönenberger
Szenenfotos & Plakate: © 2020 Crossbones GmbH

 

Schlagwörter: , , , , , , , , ,