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Daddy’s Little Girl – Die Rache ist mein: Wenn die Zivilisationstünche abblättert

Daddy’s Little Girl

Von Volker Schönenberger

Horrorthriller // Wann immer „Daddy’s Little Girl – Die Rache ist mein“ in den Filmgruppen der Sozialen Netzwerke thematisiert wird, kommen zuverlässig die Selbstjustiz- und Folter-Verfechter aus ihren Löchern, die großspurig verkünden, was sie mit einem Kinderschänder anstellen würden, der ihrem Nachwuchs etwas antut. Es sind in der Regel dieselben Leute, die den Streifen als Meisterwerk abfeiern, obwohl er alles andere als das ist.

Georgia wird tot aufgefunden …

Manche fordern gar, Folter per Gesetz zu legalisieren, um Kindermördern und anderen Missetätern die Strafe angedeihen zu lassen, die ihnen zustehe – als könne überhaupt irgendjemand ein korrektes Strafmaß für derlei Taten postulieren. Wer das fordert, verkennt obendrein: Sofern der Staat solche Gewalt an Tätern bestimmter Verbrechen sanktioniert oder legitimiert, wird er dieses Mittel über kurz oder lang – eher über kurz – auch an anderen Bürgerinnen und Bürgern ausüben, nur weil sie missliebig sind. Das zeigt die Geschichte von Polizeistaaten und totalitären Diktaturen. Wo soll man überhaupt die Grenze ziehen? Ab welcher Schwere eines Delikts sollen wir Folter und Todesstrafe – oder Folter bis zum Tode – einsetzen dürfen? Oder in die andere Richtung: Für welche Vergehen haben die Täter so gerade eben keine Folter mehr verdient? Solche Fragen führen für diese Maulhelden von Folter-Befürwortern wohl schon zu sehr in die Tiefe. Und wie selbstverständlich kanzeln sie diejenigen, die gegen Folter und Todesstrafe argumentieren, als Verteidiger von Kinderschändern ab. Das führt im Einzelfall so weit, dass einem selbst krankhafte Neigungen unterstellt werden. Apropos Neigungen: Dass sexueller Kindesmissbrauch und Pädophilie erst einmal zwei verschiedene Dinge sind und bei Weitem nicht alle Kinderschänder als Pädophile gelten, interessiert die „Foltert sie!“-Fraktion vermutlich überhaupt nicht.

Das kaputte Fenster

„Daddy’s Little Girl – Die Rache ist mein“ setzt mit einer Entbindung ein. Unter den üblichen Qualen und Strapazen bringt Stacey (Allira Jaques) ihr Baby zur Welt. Sie und Derek (Michael Thompson) sind anfangs offenbar glückliche Eltern, und die kleine Tochter Georgia (Billi Baker) wächst als glückliches Kind heran – trotz der baldigen Trennung ihrer Eltern. Stacey und Derek kommen allerdings nicht gut miteinander aus. So streiten die beiden um das kaputte Fenster in Georgias Zimmer bei Mama, das diese aus Geldnot nicht reparieren lässt. Sie weigert sich aber auch, Dereks Angebot anzunehmen, das Fenster zu richten, weil sie ihn partout nicht ins Haus lassen will. Es kommt, wie es kommen muss: Georgia wird aus dem Fenster heraus entführt und bald darauf tot aufgefunden.

… und zu Grabe getragen

Sechs Monate später hat die Polizei den Täter immer noch nicht ermittelt. Das gelingt aus heiterem Himmel – sprich: purem Zufall – Derek. Er kidnappt den Mörder und verschleppt ihn an einen ungestörten Ort, um ihn langsam zu Tode zu foltern.

Auf der Habenseite: Die Szene, in der Polizisten Derek und Stacey daran hindern, den Fundort der Leiche des offenbar schwer geschundenen Mädchens am Strand zu betreten, funktioniert sehr gut. Wer da nicht mitfühlt, was in den Eltern vorgeht, könnte ein Problem in puncto Empathie haben. Verständlich auch, dass Derek bei der Trauerfeier ausrastet und Stacey anklagt, denn hätte sie ihn das Fenster reparieren lassen, wäre Georgia vielleicht noch am Leben.

Wie foltere ich auf optimale Weise?

Den Täter erahnt der geneigte Zuschauer, bevor Derek dessen Identität herausfindet. So weit, so vorhersehbar. Überraschend – aber nicht im positiven Sinne – gerät die Selbstverständlichkeit, mit der Derek vom trauernden Vater zum gnadenlosen Folterknecht mutiert. Manche Selbstjustizverfechter mögen das für völlig normal halten, aber das ist es natürlich nicht. Niemand ist zum Folterer geboren, schon gar nicht zu einem, der im Internet recherchiert und sich ausgeklügelte Techniken aneignet, um seinem Opfer Schmerz zuzufügen und es währenddessen bei Bewusstsein und am Leben zu erhalten.

Folter

In der Folge entwickelt Derek originelle Ideen, den auf dem Tisch festgeschnallten Täter zu malträtieren. So penetriert er dessen Anus mit einer Röhre, durch die er Stacheldraht in die Darmregionen des Mannes einführt. Schmerzhaft? Ganz sicher, und das auch beim Zusehen. Das kann man natürlich als positiv hervorheben, da diese Empfindungen wohl auch beim Publikum hervorgerufen werden sollten. Die Darstellung der Folterungen wirkt handwerklich einigermaßen gelungen, das kann als weiterer Pluspunkt verbucht werden.

Was soll das, Chris Sun?

Keine Ahnung, ob der australische Regisseur und Drehbuchautor Chris Sun („Charlie’s Farm“) mit dem Dreh von „Daddy’s Little Girl“ seine eigenen Gewaltfantasien über Kindermörder ausleben oder lediglich einen kontroversen Beitrag zur Debatte liefern wollte. Beides gibt Anlass zu Kritik. In einem Featurette auf seinem YouTube-Kanal hat er – ab etwa Minute 18 – harsche Kritik am Justizsystem seines Landes geübt und seiner Abscheu gegenüber Kinderschändern und Kindesmisshandlern Ausdruck verliehen. Hält er die immerhin von ihm selbst ersonnenen Konsequenzen für den Täter in „Daddy’s Little Girl“ für korrekt? Klare Aussagen finden sich dazu nicht, lediglich ein paar Andeutungen, die in die Richtung gehen. Sei’s drum, jedenfalls erwecken seine Äußerungen nicht den Eindruck, er habe sich besonders tiefgründig mit dem Thema auseinandergesetzt. Das passt wiederum gut zu seinem Film.

Nichts gegen Torture Porn, als Exploitation kann ich mir das schon ab und zu anschauen. Der Kontext, Folter als verdiente Strafe für einen Kinderschänder und -mörder darzustellen, geht aber inhaltlich über Exploitation hinaus bis hin zu einem politischen Statement. Und das ist einfach grundfalsch. Mir ist es auch angesichts der bestenfalls durchschnittlichen inszenatorischen, technischen und schauspielerischen Umsetzung schleierhaft, wie es dem Streifen gelingen konnte, bei den Australian Screen Industry Network Awards 2012 acht Trophäen abzuräumen – als bester Film, für Drehbuch, Regie, Kamera, Produktion, Musik sowie Hauptdarsteller Michael Thomson und Hauptdarstellerin Allira Jaques.

Noch mehr Folter

Ich habe selbst drei Töchter und kann mir leider nur zu gut vorstellen, wie zerstörerisch eine derartige Tragödie auf mich wirken würde, würde eine der drei Opfer eines Gewaltverbrechens – wobei ich glaube, dass jeder zu Empathie fähige Mensch auch ohne eigene Kinder solche Gefühle nachempfinden kann. Ich kann auch nachempfinden, welchen Hass man auf diese Täter entwickeln kann, das sind völlig verständliche Vorstellungen, die sich beim Gedanken an die Tat und die Opfer einstellen – auch bei mir. Dennoch lässt diese anscheinend sogar weit verbreitete Haltung, Folter und Todesstrafe zu bejahen und geradezu zu feiern, eine Verrohung unserer Gesellschaft vermuten, die beängstigt.

Stürzt eure Lieben ruhig noch mehr ins Elend!

Damit geht natürlich auch eine Kurzsichtigkeit einher, die mich am klaren Verstand der Folterfans zweifeln lässt. Denn gesetzt den Fall, sie würden nach dem Mord an einem ihrer Kinder den Täter ausfindig machen und so malträtieren, wie es Derek in „Daddy’s Little Girl“ praktiziert, würden sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch mehr Elend über ihre Familie bringen, am Ende auch sich selbst zerstören und als menschliches Wrack in der Gosse oder im Knast landen.

Erneut Folter

Von der logistischen Herausforderung ganz zu schweigen: Ein sicherer Unterschlupf muss vorbereitet, die Entführung geplant werden. Dann gilt es, einen grausamen Mörder zu kidnappen – ob sich das so einfach gestaltet? Wie soll man ihn bewusstlos bekommen? Wie dann den 80- bis 100-Kilo-Kerl schleppen? Ich vergaß: Im Film sieht das so einfach aus, es wird im wahren Leben wohl ähnlich sein. Von wegen. Und zur Folter selbst: Ob es für Menschen mit anständigen Moralvorstellungen wirklich so einfach ist, jemandem auch nur eine Messerspitze in den Leib zu treiben? Andererseits: Wer Folter befürwortet, hat in meinen Augen das Feld anständiger Moralvorstellungen längst verlassen, vielleicht ist die natürliche Hemmung vor dem Blutvergießen da auch schon abgestumpft. Wusstet Ihr übrigens, dass das Themengebiet der Bestrafung von Kinderschändern schon seit Jahren von Rechtsradikalen vereinnahmt worden ist? Kampagnen zur Verschärfung des diesbezüglichen Strafrechts („Todesstrafe für Kinderschänder!“) sind hierzulande in aller Regel von ganz weit rechtsaußen initiiert. Die Nazis wissen eben, dass sie damit bei vielen einen wunden Punkt treffen – und die am wunden Punkt Getroffenen merken nicht, welchen Rattenfängern sie aufsitzen.

Viel besser: „7 Days“

Der bessere, weil an einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den Themen Selbstjustiz und Vergeltung interessierte Film ist zweifellos der frankokanadische Beitrag „7 Days“ von 2010, der weniger Schauwerte für Gewaltfreaks bietet. Abgestumpfte Exploitation-Fans sollen von mir aus „Daddy’s Little Girl“ den Vorzug geben, aber doch bitte nicht ernsthaft behaupten, dass wir es mit einem guten Film zu tun haben. Chris Suns Regiearbeit reduziert ein komplexes Thema auf einen simplen Gewaltexzess, das ist scharf zu kritisieren. Aber vielen Filmguckern, die „Daddy’s Little Girl“ anpreisen, geht es zweifellos gar nicht um dessen cineastische Qualität, sondern um dessen moralische Aussage, die allerdings eher eine unmoralische ist: Kinderschänder und -mörder verdienen demnach auf jeden Fall den Tod, wenn nicht gar einen so qualvoll wie möglich ausfallenden Tod. Zweifellos gibt es Menschen, die es verdienen zu sterben. Aber zu proklamieren, für welche Taten ich das Todesurteil als angemessen erachte – dafür braucht es eine monströse Anmaßung, zu der ich weder willens noch fähig bin.

„Daddy’s Little Girl“ scheiterte 2014 an der FSK und erhielt das SPIO/JK-Siegel für strafrechtliche Unbedenklichkeit. Ein Jahr später erfolgte die Indizierung. Wie Hohn wirkt am Ende, als Derek sein blutiges Folterwerk abgeschlossen hat, die Szene, in der ihm in Gedanken die kleine Georgia erscheint und ihm ihre Liebe bekundet. Zu dem Zeitpunkt hat der trauernde Vater längst alle Gefühle abgestreift. Erbärmlich.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Chris Sun haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet.

Derek hat etwas ersonnen, genau: Folter

Veröffentlichung: 10. Juli 2014 als limitiertes 2-Disc Edition Mediabook (Blu-ray & DVD), 4. Juni 2014 als Blu-ray und DVD

Länge: 107 Min. (Blu-ray), 103 Min. (DVD)
Altersfreigabe: SPIO/JK geprüft: strafrechtlich unbedenklich
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Daddy’s Little Girl
AUS 2012
Regie: Chris Sun
Drehbuch: Chris Sun
Besetzung: Michael Thompson, Allira Jaques, Holly Phillips, Rebecca Plint, Sean Gannon, Christian Radford, Darrell Plumridge, Mirko Grillini, Madeleine Campbell, Billi Baker
Zusatzmaterial: Originaltrailer, Trailershow
Label: Pierrot Le Fou
Vertrieb: Al!ve AG

Copyright 2019 by Volker Schönenberger
Szenenfotos & Packshot: © 2014 Pierrot Le Fou

 

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