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Planet des Grauens (1986) – Frauen-Rockband irrt durchs All

Vicious Lips

Von Volker Schönenberger

SF-Horror // Blecherne E-Drums, schräge Synthie-Klänge – allein schon der Soundtrack von „Planet des Grauens“ (1986) verrät die Entstehung tief in den 1980er-Jahren. Hörproben gefällig? Bitte schön: „Save Me“ und „Reach for Your Dreams“ von Sue Saad, „Light Years Away“ von Mary Ellen Quinn. Und auch Ausstattung, Kostüme und Frisuren verraten das Jahrzehnt, ohne dass ein Restzweifel möglich ist. Hauptsache schrill!

Maxine Mortogo erwartet, dass abgeliefert wird

Da es sich um eine Produktion von Charles Band und seinen Empire Pictures handelt, fällt „Planet des Grauens“ obendrein durch eine ausgesprochen billige Anmutung aus dem Rahmen. Die Handlung ist in einer Zukunft angesiedelt, in der die Menschheit interstellare Reisen unternimmt. Das Geschehen fokussiert auf der Frauen-Rockband „Vicious Lips“ (so auch der Originaltitel von „Planet des Grauens“). Die hat gerade ihre Sängerin verloren, die ausgestiegen ist und unmittelbar darauf bei einem Verkehrsunfall starb (budgetbedingt nicht im Bild, immerhin hörte man es scheppern).

Es geht rund!

Zum Glück schleppt der umtriebige Manager Matty Asher (Anthony Kentz) mit Judy Jetson (Dru-Anne Perry) zügig Ersatz von einer Talentshow an. Denn am anderen Ende der Galaxis wartet ein Gig, der den „Vicious Lips“ den Durchbruch bringen soll: Der mächtigen Musikmanagerin Maxine Mortogo (Mary-Anne Graves) ist ein Act für ihren Club Radioactive Dream verlustig gegangen und sie verlangt, dass die Lücke umgehend gefüllt wird. Also ab ins nächstbeste Raumschiff und los geht’s in Richtung Ruhm und Ehre. Der Trip endet allerdings mit einer Bruchlandung auf dem Wüstenplaneten Passion. Dummerweise befindet sich an Bord auch noch Milo the Venusian Beast (Christian Andrews), ein so monströser wie mordlüsterner Geselle.

Das Publikum tobt

Geht es bis dahin noch einigermaßen zusammenhängend zu, so reißt der rote Faden in der Folge ab. Das Geschehen entwickelt sich zu einem bizarren Spektakel, das irgendwo zwischen Drogentrip und surrealem Albtraum angesiedelt und mit logischen Herleitungen nicht zu greifen ist. Da tummeln sich Ghule in sonderbaren Kulissen, etwa eine Vorhanglandschaft, durch die die Opfer kreischend flüchten. Es versteht kein Mensch. Muss ja auch nicht, Trash ist eben Trash.

Parodiert Albert Pyun Horror und Science-Fiction?

Spannend gerät das Ganze zu keinem Zeitpunkt. Haben wir es mit einer Parodie zu tun? Möglich, aber was wird hier parodiert? Science-Fiction? Horror? Musical? Wenn das denn die Intention von Drehbuchautor und Regisseur Albert Pyun („Dollman“, 1991) war, hätte er sich zuvor vielleicht etwas intensiver mit dem Wesen von Parodien beschäftigt. In vielen Szenen bleibt offen, ob der Humor gewollt oder unfreiwilliger Natur ist. Mit gehörig Sympathien für Trashfilme im Allgemeinen und Charles Bands Empire-Pictures-Produktionen im Besonderen lässt sich „Planet des Grauens“ immerhin als unterhaltsam goutieren. Besonders im Mittelteil dürfte gleichwohl bei vielen die Versuchung aufkommen, die Fast-Forward-Taste auf dem Abspielgerät zu betätigen. Wer das tut, möge aber rechtzeitig einhalten, sonst verpasst man am Ende einen aus dem Nichts kommenden Twist, der alles auf den Kopf stellt. Diese überraschende Wendung erklärt tatsächlich sogar einiges! Gut finden muss man sie deshalb natürlich noch lange nicht (darf man aber).

Können die Vicious Lips die Erwartungen erfüllen?

Das kleine Label Ostalgica hat „Planet des Grauens“ im November 2020 als Mediabook veröffentlicht, das den Film auf Blu-ray und DVD enthält. Dabei handelt es sich um die erste deutsche Veröffentlichung seit der VHS von 1988. Die kompakte Edition entspricht in der Höhe den zu Unrecht viel gescholtenen Mediabooks von Plaion Pictures (vormals Koch Films), die Veröffentlichung fällt also kleiner aus als herkömmliche Mediabooks. Mit gefällt das ausgesprochen gut, und jenseits des albernen „Das sieht aber in meinem Regal neben den anderen mies aus“-Geplärres mancher Sammler gibt es auch keinen Anlass für Kritik an dem Format.

Knapp bekleidet durch die Wüste

Jedenfalls strahlt die Veröffentlichung Wertigkeit aus, und das Zusatzmaterial ergänzt den Film gut, etwa der 17-minütige Soundtrack und „Trailers from Hell“ mit John Landis, eine Folge mit dem Trailer zu „Der Kopf, der nicht sterben durfte“ (1962), einem Film, den Ostalgica ebenfalls veröffentlicht hat. Ostalgica hat zudem eigens einen knapp 19-minütigen Videokommentar produzieren lassen. Darin tauschen sich Thorsten Hanisch und Andrea Sczuka über „Planet des Grauens“ aus (sie kommt für mein Empfinden etwas zu kurz) – das lässt sich schauen, hat mir allerdings keine bedeutsamen neuen Erkenntnisse gebracht. Im Booklet erörtert Frank Stegemann kenntnisreich einige Aspekte rund um die Produktion. Das Label hat das Mediabook auf 1.000 Exemplare limiert, im Handel finden sich aber noch Exemplare. Zugreifen, Leute! Ob dieser Text eher als Warnung oder eher als Empfehlung zu interpretieren ist, liegt wohl im Auge des Betrachters und der Betrachterin. Ich wasche meine Hände in Unschuld!

Werden im Radioactive Dream Träume wahr?

Abschließend zu Albert Pyun: Zu den bekanntesten Arbeiten des am 19. Mai 1953 in Hawaii geborenen Drehbuchautors und Regisseurs zählen die vier von 1992 bis 1997 entstandenen SF-Actionfilme der „Nemesis“-Reihe. Am bekanntesten ist wohl das Jean-Claude-Van-Damme-Vehikel „Cyborg“ (1989), eine Produktion von Cannon Films. Pyun drehte von seinem 1982er-Regiedebüt „Talon im Kampf gegen das Imperium“ bis zu seiner letzten Arbeit „Death Heads – Brain Drain“ (2018) etwa 50 in der Regel niedrig budgetierte Filme. 2013 offenbarte er, an Multiple Sklerose erkrankt zu sein, ein paar Jahre später kam eine Demenz hinzu. Albert Pyun starb am 26. November 2022 im Alter von 69 Jahren in Las Vegas. Er ruhe in Frieden.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Albert Pyun haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet.

And the band played

Veröffentlichung: 27. November 2020 als 2-Disc Special Edition Mediabook (Blu-ray & DVD, limitiert auf 1.000 Exemplare)

Länge: 81 Min. (Blu-ray), 78 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Vicious Lips
USA 1986
Regie: Albert Pyun
Drehbuch: Albert Pyun
Besetzung: Dru-Anne Perry, Gina Calabrese, Linda Kerridge, Shayne Farris, Anthony Kentz, Christian Andrews, Mary-Anne Graves, Jeff Yesko, Eric Bartsch, Brian Maguire, Don Barnhart Jr., Angela O’Neill, Steve Donmyer, Jacki Easton Toelle, Tanya Papanicolas, Laurie McIntosh
Zusatzmaterial: Videokommentar mit Thorsten Hanisch und Andrea Sczuka (18:46 Min.), Soundtrack (17 Min.), Bildergalerie, „Trailers from Hell“ mit John Landis zu „Der Kopf, der nicht sterben durfte“ (2:08 Min.), 24-seitiges Booklet mit einem Text von Frank Stegemann
Label: Ostalgica
Vertrieb: Media Target Distribution GmbH

Copyright 2023 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & unterer Packshot: © 2020 Ostalgica

 

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David Cronenberg (X) zum 80. Geburtstag: Rabid – Der brüllende Tod: Die Vampirin aus der Schönheitsklinik

Rabid

Von Volker Schönenberger

SF-Horror // Body-Horror – nun ist das böse Wort raus! Da eine Würdigung des am 15. März 1943 in Toronto geborenen David Cronenberg nicht ohne Thematisierung dieses filmischen Elements auskommt, verbraten wir es am besten gleich zu Beginn. Er war sicher nicht der erste Regisseur, der Körperhorror als bedeutsames Motiv seiner Arbeiten eingesetzt hat – bei Weitem nicht (das abzuhandeln, würde aber zu weit von der Intention dieses Texts wegführen); aber Cronenberg hat ihn auf die Spitze getrieben. Wenn sich der menschliche Körper auf extreme und zerstörerische Weise verändert, hält der Kanadier eben gern drauf. Und das so deutlich, dass bei der Erwähnung cineastischen Body-Horrors unweigerlich sein Name fällt, häufig genug als Erstes.

Mit einem Motorradunfall geht alles los

Das liegt nicht zuletzt an seiner 1986er-Regiearbeit „Die Fliege“, in welchem der von Jeff Goldblum verkörperte Wissenschaftler Seth Brundle aufgrund einer unbemerkt in die Teleportationskammer gelangten Stubenfliege nach und nach zu einem ekelerregend anzuschauenden Mischwesen mutiert. 1987 gab es dafür zu Recht den Oscar für das beste Make-up. Außer Brundles spektakulärer Metamorphose wartet der Film auch mit den üblen Folgen auf, die es hat, wenn das Fliegenmonster in gewalttätiger Absicht sein Verdauungssekret ausscheidet. Erwähnt sei auch eine kleine Szene, die es in sich und mich seinerzeit im Kino durchaus erschreckt hat: der Handgelenkbruch beim Armdrücken. Auch das ist Body-Horror. Und gerade der Film belegt, dass es diesen schon weit vor Cronenberg gab, handelt es sich doch um das Remake des 1958er-Schockers „Die Fliege“ mit Vincent Price, auf den die Zuschreibung Body-Horror ebenfalls zutrifft.

Der platzende Kopf in „Scanners“

Fünf Jahre zuvor hatte bereits „Scanners – Ihre Gedanken können töten“ (1981) Cronenbergs Ruf als Meister des Body-Horrors zementiert. Man denke nur an die ikonische Szene, in welcher der Scanner Darryl Revok (Michael Ironside) mittels telekinetischer Kräfte den Kopf eines anderen zum Explodieren bringt, und an das Finale des Films mit dem sagenhaften Duell zweier Scanner.

Einfach mal beim Operieren etwas Neues ausprobieren

Aber Cronenbergs Körperhorror ist nicht zwangsläufig derart überbordend wie in den beiden erwähnten Werken. In „Rabid – Der brüllende Tod“ (1977) manifestiert er sich eher im Detail: mit einer Art Mundöffnung in der Achselhöhle, aus der sich eine längliche, entfernt einem Penis ähnelnde Wucherung herauswindet, mittels der die solcherart mutierten Menschen anderen das Blut abzapfen. Einmal mehr ein Beleg für den Einfallsreichtum des kanadischen Filmemachers in seinem Trachten, ein sehr körperliches Kino zu erschaffen. Allerdings hat Cronenberg hier am Schneidetisch einen Fehler gemacht, den er später auch eingeräumt hat: Er ließ seinen Cutter Jean LaFleur eine Szene herausschneiden, welche diese Wucherung erklärt hat.

Das Unfallopfer und die Schönheitschirurgen

„Rabid“ beginnt mit einem Motorradunfall, den Hart (Frank Moore) und seine Freundin Rose (Marilyn Chambers) irgendwo im ländlichen Raum der kanadischen Provinz Québec erleiden. Während Harts Verletzungen überschaubar bleiben, ist es um Rose ungleich schlimmer bestellt, zumal sie Verbrennungen erlitten hat. Vermeintliches Glück im Unglück: Ganz in der Nähe des Unfallorts befindet sich die Klinik von Dr. Dan und Dr. Roxanne Keloid (Howard Ryshpan, Patricia Gage), die sich der plastischen Chirurgie verschrieben haben. Dr. Dan Keloid beschließt, an Rose eine neuartige Prozedur vorzunehmen, die sich noch im Experimentalstadium befindet.

Nach einem Monat erwacht Rose aus ihrem Koma, scheinbar genesen. Doch sie kann keine herkömmliche Nahrung mehr aufnehmen, sondern benötigt Blut. Menschliches Blut …

Dr. Roxanne Keloid geht es gar nicht gut

Bei David Cronenberg darf man natürlich nicht mit einem Vampirfilm herkömmlicher Machart rechnen. Zwar wird auch hier bisweilen kräftig zugebissen, aber speziell bei Rose hat sich die im vierten Absatz dieses Textes beschriebene Mutation gebildet, die es ihr ermöglicht, anderen den Lebenssaft abzuzapfen. Die Pornodarstellerin Marilyn Chambers („Behind the Green Door“) macht in ihrer ersten nichtpornografischen Hauptrolle eine gute Figur, was später auch David Cronenberg anerkannte, dem sie von den Produzenten des Films aufgenötigt worden war (er wollte Sissy Spacek haben). Sie starb 2009 kurz vor ihrem 57. Geburtstag eines natürlichen Todes.

Medizinischer Fortschritt entfesselt Unheil

„Rabid – Der brüllende Tod“ wird gern in einem Atemzug mit dessen unmittelbarem Vorgänger „Shivers – Parasiten-Mörder“ (1975) und dem zwei Jahre später entstandenen „Die Brut“ (1979) genannt. Das hat was für sich. Alle drei Filme eint neue medizinische Methodik, die der Menschheit Fortschritt bringen soll, aber Unheil entfesselt – in „Shivers“ ist es der Ersatz erkrankter menschlicher Organe, in „Die Brut“ die Heilung psychischer Störungen, in „Rabid“ der Ersatz zerstörten menschlichen Gewebes. Mit „Die Brut“ eint „Rabid“ auch, dass dieses Unheil in einer Klinik ihren Ursprung nimmt – eine psychotherapeuthische Einrichtung dort, eine Schönheitsklinik hier. Und auch in „Shivers“ gibt es eine Klinik, wenn auch eine kleine, als medizinische Einrichtung des hochmodernen Hochhauskomplexes, in welchem sich das Geschehen abspielt.

Raserei …

Inhaltlich dreht sich in allen drei Filmen vieles um Kontrollverlust, den viele der Figuren mit der körperlichen Transformation erleiden. Ein Kontrollverlust, der von einzelnen Individuen ausgeht und sich auf die Gesellschaft überträgt. Speziell die diesbezüglichen Parallelen zwischen „Rabid“ und „Shivers“ sind unübersehbar. Der so explizite wie gewalttätige Sex von „Shivers“ weicht in „Rabid“ einer eher metaphorischen Anspielung. Vampirismus ist ja per se sexuell besetzt, und die vampirischen Attacken sind teils auch wie sexuelle Attacken inszeniert.

Der Motorradunfall

Dabei vermag „Rabid“ jederzeit zu fesseln, was sich bereits zu Beginn zeigt, wenn eine Parallelmontage zum Motorradunfall führt – wir sehen zum einen das Motorrad, auf dem Hart und Rose über eine Landstraße fahren, zum anderen den Kleinbus mit der Familie auf Urlaubsreise, der vom Vater ungelenk quer auf eben diese Landstraße gestellt wird, weil er sich mit seiner Ehefrau auf dem Beifahrersitz darüber in der Wolle hat, ob er sich verfahren hat. Der kommende Unfall lässt sich erahnen, er fällt dann sogar weniger drastisch aus als befürchtet – das Motorrad rauscht auf ein neben der Landstraße befindliches Feld. Dass sich Rose so schwer verletzt, wird erst klar, als das Motorrad in Flammen aufgeht, während sie eingeklemmt darunter liegt.

Impfzwang und Oktoberkrise

„Rabid – Der brüllende Tod“ offenbart auch ein Misstrauen gegenüber der Medizin oder besser noch: der Ärzteschaft. Dass er ein solches empfindet, hat Cronenberg selbst freimütig zugegeben. Gerade in der kanadischen Provinz Québec, wo gedreht wurde und sich die Handlung des Films abspielt, hat sich diesbezüglich offenbar auch einiges abgespielt, was ein solches Misstrauen rechtfertigt (worüber ich mangels Kenntnis aber nicht mehr schreiben kann). Kurioserweise kann man vom Geschehen im Film sogar einen Bogen zur Corona-Pandemie schlagen, wenn die Regierung angesichts der sich ausbreitenden Vampirseuche eine Impfpflicht ausspricht und Verweigerern die Internierung droht. Tatsächlich kommentiert Cronenberg damit aber eher Ereignisse rund um die sogenannte Oktoberkrise von Québec und der monatelangen Verhängung des Ausnahmezustands über die Provinz im Jahr 1970 – samt damit einhergehender Einschränkungen von bürgerlichen Rechten. All dies belegt, dass Cronenberg auch ein ausgesprochen politischer Filmemacher mit gesellschaftlicher Relevanz ist.

… greifen um sich

Keine Frage: David Cronenberg ist ein echter Auteur, ein Autorenfilmer, der seinen Arbeiten einen unverwechselbaren Stempel aufdrückt. Selbst dann, wenn ihm eine andere Hauptdarstellerin aufgedrückt wird wie im Falle von „Rabid – Der brüllende Tod“. Auch dann, wenn er Literaturvorlagen adaptiert statt eigene Originaldrehbücher, wie etwa „Dead Zone“ (1983) nach Stephen King, „Naked Lunch“ (1991) nach William S. Burroughs (ein Lieblingsautor Cronenbergs), „Crash“ (1996) nach J. G. Ballard und „Cosmopolis“ (2012) nach Don DeLillo.

Auch als Schauspieler aktiv

Neben seiner Regisseurstätigkeit lässt es sich Cronenberg auch nicht nehmen, gelegentlich als Schauspieler in kleinen Rollen oder Cameos in Erscheinung zu treten. In seinen Filmen sowieso, aber auch beispielsweise in Clive Barkers zweiter Regiearbeit „Cabal – Die Brut der Nacht“ („Nightbreed“, 1990), wo er einen Psychotherapeuten und Serienmörder verkörpert. Vielleicht seine größte Rolle. In Gus Van Sants schwarzer Krimikomödie „To Die For“ (1995) mit Nicole Kidman und Joaquin Phoenix etwa ist er nur kurz als Mann am See zu sehen. Michael Apteds „Extrem … Mit allen Mitteln“ (1996) mit Hugh Grant und Gene Hackman zeigt ihn als Juristen eines Krankenhauses, in „Jason X“ (2001) lässt er sich als Arzt von Jason Voorhees abmurksen.

Sohn Brandon Cronenberg folgt seinem Vater

David Cronenbergs Einfluss manifestiert sich auch und gerade bei seinem 1980 geborenen Sohn Brandon, der als Regisseur in die Fußstapfen seines Vaters tritt und sehr körperliche Filme mit Science-Fiction-Elementen inszeniert. Etwa „Antiviral – Setz dir einen Schuss Berühmtheit“ (2012), in welchem sich Fans mit dem nötigen Kleingeld die Krankheiten der von ihnen verehrten Stars verpassen lassen, um diesen nah zu sein. Oder „Possessor“ (2020) mit dem Kernelement der Bewusstseinsübertragung einer Killerin. Und drastischen Tötungsszenen, die auch Cronenberg Junior zu einem Vertreter des Body-Horrors machen. Bereits bekannt sind die Probleme, die seine aktuelle Arbeit „Infinity Pool“ mit der Altersfreigabe für die US-Kinos bekam. Das Horrordrama feierte seine Deutschlandpremiere kürzlich bei der Berlinale, ab 20. April kann sich das hiesige Publikum flächendeckend ein Bild machen. Brandon Cronenbergs vier Jahre jüngere Schwester Caitlin eifert übrigens ebenfalls ihrem Vater nach: Sie hat den Endzeit-Horrorthriller „Humane“ abgedreht (noch ohne Starttermin). Man darf gespannt sein.

… und Tod …

Vom Nachwuchs zurück zum Vater: David Cronenberg hat bereits angedeutet, den Ruhestand als ernsthafte Option ins Auge zu fassen. Mit „Crimes of the Future“ mit Viggo Mortensen und Léa Seydoux hat er 2022 noch einmal ein Ausrufezeichen gesetzt (das im Übrigens nichts mit seinem einstündigen 1970er-Frühwerk gleichen Titels zu tun hat). Seine achtjährige Regisseurs-Schaffenspause seit „Consumed“ (2014) spricht auch nicht unbedingt für viele Folgeprojekte. Cronenberg hat uns Filmfans so viel gegeben, der Ruhestand wird ein wohlverdienter sein. Aber noch ist es nicht so weit: Derzeit dreht er den Horrorthriller „The Shrouds“ mit Vincent Cassel und Diane Kruger, ursprünglich als Netflix-Serie konzipiert (die vormals für den Film bestätigte Seydoux scheint nun doch nicht mit von der Partie zu sein). Freuen wir uns drauf!

„Rabid – Der brüllende Tod“ ist wie andere von David Cronenbergs 70er-Jahre-Regiearbeiten noch räudiger als seine späteren Werke, gleichwohl faszinierend und beeindruckend geraten. Am 15. März 2023 feiert der Kanadier seinen 80. Geburtstag.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von David Cronenberg haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet.

Veröffentlichung: 28. Juni 2019 als 2-Disc Limited Fridge Edition (Blu-ray & DVD, auf 2.000 Exemplare limitiert, in Österreich kurz zuvor auch als Mediabook, siehe Vierfach-Packshot), 26. September 2008 als DVD in „David Cronenbergs Cult-Classic Box“ (mit „Shivers – Parasitenmörder“), 25. September 2009 und 14. Oktober 2002 als DVD

Länge: 91 Min. (Blu-ray), 87 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Rabid
Alternativtitel: Rabid – Bete, dass es nicht Dir passiert / Überfall der teuflischen Bestien
KAN 1977
Regie: David Cronenberg
Drehbuch: David Cronenberg
Besetzung: Marilyn Chambers, Frank Moore, Terry Schonblum, Joe Silver, Howard Ryshpan, Patricia Gage, Susan Roman, Roger Periard, Lynne Deragon, Victor Désy, Julie Anna, Gary McKeehan
Zusatzmaterial 2019: Audiokommentar mit David Cronenberg, Audiokommentar mit Jill C. Nelson und Ken Leicht, Interview mit David Cronenberg (20:35 Min.), „Young and Rabid“ – Interview mit Susan Roman (33:04 Min.), Bildergalerie (5:49 Min.), Originaltrailer, TV-Spot, Radio-Spots, Bildergalerie mit Aushangfotos (1:17 Min.), 3 deutsche Trailer, Trailershow
Label 2019: Indeed Film
Vertrieb 2019: WVG Medien GmbH
Label/Vertrieb 2009 und früher: splendid film

Copyright 2023 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & Doppel-Packshot: © 2002/2009 splendid film, Vierfach-Packshot: © 2019 Indeed Film

 

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Der rote Schatten – Mad Scientist mutiert zum Zirkusdirektor

Circus of Horrors

Von Volker Schönenberger

Horrorthriller // Im England des Jahres 1947 rennt die wohlhabende Evelyn Morley (Colette Wilde) schreiend durch ihr abgelegenes Anwesen und zerschmettert alle Spiegel, die ihr ihr entstelltes Gesicht präsentieren. Verpfuscht vom plastischen Chirurgen Dr. Marc Rossiter (Anton Diffring, „Agenten sterben einsam“), der die Flucht antritt, eine Straßensperre durchbricht und kurz darauf einen Unfall erleidet, sich aber zu seiner ihn vergötternden Assistentin Angela (Jane Hylton) und ihrem Bruder Martin (Kenneth Griffith, „Die Wildgänse kommen“) retten kann. Dem Trio gelingt es, nach Frankreich zu entkommen. Dort schlüpft Rossiter unter dem Namen Dr. Bernard Schüler mit Angela und Martin bei einem heruntergewirtschafteten Zirkus unter. Dessen Direktor Vanet (Donald Pleasence, „Halloween – Die Nacht des Grauens“) hat eine Tochter, Nicole (Carla Challoner), deren Gesicht Narben einer Bombenexplosion aufweist.

Evelyn Morley ist mit ihrem neuen Gesicht alles andere als zufrieden

Zehn Jahre später gastiert der Zirkus in Berlin. Dr. Rossiter konnte Vanets Tochter seinerzeit operativ von ihren Narben befreien, Nicole (nun Yvonne Monlaur) hat sich zu einer aparten jungen Reitartistin entwickelt. Unter der Leitung von Rossiter alias Schüler hat sich der Erfolg eingestellt, was nicht zuletzt an den neu hinzugekommenen Artistinnen und Artisten liegt. Diese hat der neue Zirkusdirektor in der Halb- und Unterwelt rekrutiert – es sind Kriminelle, denen er mit seiner verfeinerten Operationstechnik neue Gesichter verschafft hat. So etwa Elissa Caro (Erika Remberg), eine Prostituierte, die Rossiter dabei beobachtet hatte, wie sie einen Freier absticht, der sie berauben wollte. Damit seine Angestellten bei der Stange bleiben, hat Rossiter Dossiers über ihre Vergangenheit angefertigt. Und wenn doch mal jemand beschließt, den Zirkus zu verlassen – wehe ihm oder ihr! So hat sich der Zirkus in Europa dank diverser tödlicher „Unfälle“ einen morbiden Ruf erarbeitet. Zurück in England, stellt sich ein Besucher (Conrad Phillips) Schüler als Journalist Arthur Desmond vor, der einen Artikel über den „Circus of Horrors“ plane, was Schüler empört zurückweist. Er ahnt nicht, dass es sich bei dem angeblichen Journalisten um Inspector Ames von Scotland Yard handelt.

Haben die einen Schatten?

Bei „Der rote Schatten“ muss man sich auf einige Ungereimtheiten und Unglaubwürdigkeiten einlassen, um das Werk goutieren zu können. Nun gut, das mag für viele Produktionen aus dem Segment niedrig budgetierten Horrors gelten, aber die Chuzpe ist doch bemerkenswert, mit der hier der dank eines plastischen Chirurgen florierende Zirkus präsentiert wird. Mit Gesichtsoperationen werden neue Artistinnen und Artisten rekrutiert – check! Es mangelt nicht an im Gesicht entstellten Versuchskaninchen, die sich bereitwillig unter das Messer eines ihnen völlig Unbekannten begeben – check! Narbige Angehörige der Halb- und Unterwelt erweisen sich als talentierte Zirkuskünstler – check! Kriminelle mit neuem Gesicht lassen sich mittels einer Akte erpresserisch bei der Stange halten – check! Eine Todesserie hält diejenigen, denen dasselbe blühen kann, nicht davon ab, das Weite zu suchen – check! Wer doch das Weite suchen will, kündigt dies zuvor an und gibt Rossiter so erst Gelegenheit zur Rache – check! Besagte Todesserie erregt zwar die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Behörden, doch das Treiben im Zirkus kann unbehelligt weitergehen – check!

Direktor Vanet hat kein Händchen für seinen Zirkus

Dass die Geschwister Angela und Martin die Machenschaften des Chirurgen von Anfang an durchschauen, passt da ebenfalls ins Bild – oder eben nicht ins Bild, wenn man so will. Angela wird als durchaus mitfühlendes menschliches Wesen charakterisiert. Bei einem tödlichen Zwischenfall während des Frankreich-Aufenthalts erkennt sie sogar, dass Rossiter daran zumindest eine Mitschuld trägt, weil er bewusst untätig geblieben ist – an ihrer Liebe zu ihm ändert das nichts. Psychologisch durchdacht ist sie nicht gezeichnet. Ihre tiefen Gefühle für den Fiesling werden fast noch von ihrem Bruder getoppt, der Rossiter offenbar schlicht hörig ist und sich als dessen willfähriger Handlanger erweist.

Rossiter alias Schüler hingegen hat ein Händchen für die Frauen

Wer über all diese Drehbuch-Unsauberkeiten kräftig ein Auge zudrückt, kommt in den Genuss eines bunten Zirkusspektakels mit einem Panoptikum schillernder Gestalten. Das nimmt zwar noch nicht ganz surreale Züge an, aber das Produktionsdesign verleiht dem Werk einen fast schon Pop-Art zu nennenden Charakter. Herrlich der von einem kostümierten Darsteller verkörperte Gorilla! Dazu gesellt sich eine Kombination aus sexuellen Andeutungen und Gewalt, die für jene Zeit bemerkenswert ist (wobei zugegeben in jenen Jahren auch Hammer Films mit ähnlichen Motiven auf den Plan trat). Nach heutigen Maßstäben mutet das harmlos an, aber was mag sich 1960 das englische Filmpublikum gedacht haben? Shocking!

Anton Diffring geht über Leichen

Als „Mad Scientist“ mit eiskaltem Blick und ebensolcher Seele überzeugt der Deutsche Anton Diffring, der seinerzeit im englischsprachigen Raum durchaus interessante Figuren verkörperte (das eine oder andere Mal natürlich auch den stereotypen Deutschen). Sein dominantes Charisma mag als Erklärung dafür herhalten, dass er so viel Macht über andere hat und diese auch skrupellos einsetzt. Dabei opfert „Der rote Schatten“ die Horror-Atmosphäre über weite Strecken zugunsten von Thrillerelementen – bis der Horror bei einigen Todesszenen seine Position einfordert. Zudem spielt der noch nicht allzu viele Jahre zurückliegende Zweite Weltkrieg in die Stimmung des Films hinein, man beachte etwa die Entwurzelung vieler der auftauchenden Figuren. Einen eindeutigen Hinweis auf den Krieg liefert auch die kleine Nicole, deren entstelltes Gesicht wie erwähnt von Bomben herrührt – kein Einzelfall, wie wir beiläufig erfahren.

Tod in der Manege

Die im Vereinigten Königreich realisierte britische Produktion wurde mit US-Geld von American International Pictures umgesetzt, weshalb deren Gründer und Eigner Samuel Z. Arkoff als Produzent fungierte. Im Verbund mit „Das schwarze Museum“ (1959) und dem Karlheinz-Böhm-Karrierekiller „Augen der Angst“ (1960) bildet „Der rote Schatten“ die sogenannte „Sadean Trilogy“ (bisweilen auch „Sadian Trilogy“) der englischen Produktionsfirma Anglo-Amalgamated. Dabei ist allerdings zu vermuten, dass die drei Filme nicht als zusammenhängend konzipiert waren, sondern in der Rückschau aufgrund der ihnen innewohnenden Gemeinsamkeiten in puncto Grausamkeit, Gewalt und Sadismus in Verbindung mit sexuellen Andeutungen zu dieser Trilogie zusammengefasst wurden.

Noch ein Tod in der Manege

Für den schottischen Regisseur Sidney Hayers („Wie ein Schrei im Wind“, 1966) markierte „Der rote Schatten“ die dritte Regiearbeit. Bis Ende der 1970er-Jahre noch stark im Kino verankert, war er ab dann bis zu seinem Karriereende 1999 fast ausschließlich fürs US-Fernsehen aktiv. Er starb im Februar 2000 im Alter von 78 Jahren

Teil 10 der „Classic Chiller Collection“

Nachdem Anolis Entertainment „Der rote Schatten“ 2005 als zweiten Teil der Reihe „British Horror Classics“ veröffentlicht hatte, ließ Ostalgica dem im Januar 2021 unter dem Originaltitel „Circus of Horrors“ eine Blu-ray als zehnten Teil der „Classic Chiller Collection“ folgen. Das kleine Label Ostalgica ließ dafür eigens exklusives Bonusmaterial anfertigen, etwa einen neuen Audiokommentar, eingesprochen von Lars Dreyer-Winkelmann. Zudem gibt es einen Video-Essay von zwei weiteren Kennern des klassischen Kinos – Lars Johansen, Autor bei „Die Nacht der lebenden Texte“ und 35 Millimeter – Das Retro-Filmmagazin sowie Marco Koch, stellvertretender Chefredakteur erwähnter Zeitschrift und Betreiber der empfehlenswerten Filmseite Filmforum Bremen. Video-Essay bedeutet: Die beiden referieren in die Kamera, erst Lars für acht Minuten, dann 20 Minuten lang Marco. Das fällt erwartungsgemäß informativ und kenntnisreich aus, was insbesondere für Marcos Ausführungen zur britischen Filmzensur gilt. Allerdings erliegen die zwei für mein Empfinden der Versuchung, Filmtitel, Namen und Daten abzuspulen, von denen bei einem solchen Vortrag zu wenig beim Zuhörer hängen bleibt; dies war mir bereits in Marcos Video-Essay im Bonusmaterial von „Der 13. Gast“ (1951) aufgefallen. Beide Veröffentlichungen stammen aus der Frühzeit ihres Mitwirkens an der „Classic Chiller Collection“, sodass zu hoffen ist, dass derlei Boni zunehmend analytischer ausfallen. Es ändert ohnehin nichts an der Qualität dieser feinen Veröffentlichung von „Der rote Schatten“ unter dem Originaltitel „Circus of Horrors“. An die Glanztaten aus dem Hause Hammer Films kommt das Werk nicht heran, aber diese Messlatte muss man auch erst mal erreichen. Wer sich für diese Phase des britischen Horrorkinos interessiert, bekommt ein originelles Werk in ansprechender Edition geboten.

Die „Classic Chiller Collection“ von Ostalgica haben wir in unserer Rubrik Filmreihen aufgeführt. Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Anton Diffring und Donald Pleasence haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.

Und noch ein Tod in der Manege

Veröffentlichung: 29. Januar 2021 als auf 1.000 Exemplare limitierte 2-Disc Special Edition (Blu-ray & Soundtrack-CD), 17. März 2005 als DVD

Länge: 92 Min. (Blu-ray), 88 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Circus of Horrors
Alternativtitel: Der Narbenteufel / Phantom of the Circus
GB 1960
Regie: Sidney Hayers
Drehbuch: George Baxt
Besetzung: Anton Diffring, Erika Remberg, Yvonne Monlaur, Donald Pleasence, Jane Hylton, Kenneth Griffith, Conrad Phillips, Jack Gwillim, Vanda Hudson, Yvonne Romain, Colette Wilde, William Mervyn, Carla Challoner, John Merivale, Peter Swanwick
Zusatzmaterial Blu-ray: Audiokommentar von Lars Dreyer-Winkelmann, Video-Essay von Lars Johansen und Marco Koch (8:18 Min. & 20:48 Min.), englischer Kinotrailer, TV-Spots, „Trailers from Hell“ mit John Landis, Bildergalerien (Fotos, Werbematerial und Skript), Trailershow, 16-seitiges Booklet mit einem Text von Carsten Henkelmann, Soundtrack von Franz Reizenstein & Muir Mathieson, Wendecover
Zusatzmaterial DVD: Interview mit Yvonne Monlaur (25 Min.), Filmprogramm „Illustrierte Filmbühne“, Filmflyer „Rank“, Bildergalerie, Trailer, TV-Spot, 4-seitiges Booklet mit einem Text von Uwe Bauer
Label Blu-ray: Ostalgica
Vertrieb Blu-ray: Media Target Distribution GmbH
Label DVD: Anolis Entertainment
Vertrieb DVD: EMS GmbH

Copyright 2023 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & gruppierter Packshot: © 2021 Ostalgica,
„Der rote Schatten“-Packshot: © 2005 Anolis Entertainment

 

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