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Mandy – Revenge & Drugs & Rock ’n’ Roll

Mandy

Von Lucas Knabe

Horror // Ein Bewertungsschnitt von 6,6 von 10 möglichen Punkten bei immerhin mehr als 47.000 Wertungen in der Internet Movie Database (IMDb, Stand September 2019) – kein schlechtes Ergebnis für einen Film, dessen Massentauglichkeit man in Frage stellen kann, zumal er nicht zu den 140 meistbesuchten Kinofilmen 2018 gehörte. Das lag sicher auch daran lag, dass „Mandy“ von vergleichsweise wenigen Kinos ins Programm genommen worden war. Trotzdem sorgte die jüngste, nach „Beyond the Black Rainbow“ (2010) erst zweite Regiearbeit von Panos Cosmatos auf einschlägigen Plattformen der Filmszene immer wieder für Polarisierung und viel Gesprächsstoff, sodass etwa hierzulande in den Monaten seit der deutschen Heimkino-Veröffentlichung November 2018 etliche, teils erbittert geführte Diskussionen zu diesem „hässlichen Entlein“ der Filmkunst im Gange waren.

Kontroverse Resonanz

Die Bewertungen des Films bewegten sich dabei gemeinhin in völlig konträren Bahnen: Während Fürsprecher von einem „Meisterwerk“, einer „kunstvollen Offenbarung“ oder einer „cineastischen Ekstase“ sprachen, bekundeten Gegner ihre Aversion gegenüber der, nach ihrer Überzeugung, absurden und wirren Inszenierung mit teils grobschlächtigem Vokabular. Die professionelle Filmkritik beurteilte „Mandy“ überwiegend überwiegend positiv und würdigte das Horrordrama vorrangig als einen sehr mutigen Schritt in einer Zeit der Sequels, Remakes und Jump-Scares im Horrorgenre. Um nach dieser gedanklichen Verortung zu den Beweggründen dieser Rezension zu gelangen, beginne ich mit einer groben Nacherzählung der Handlung, um auch den Filmenthusiasten, die „Mandy“ noch nicht gesehen haben, einen unschuldigen, aber aufschlussreichen Überblick zu geben.

Mit Red Miller ist nicht zu spaßen

The Shadow Mountains 1983. Der trockene Alkoholiker Red Miller (Nicolas Cage) bewohnt mit seiner Lebensgefährtin Mandy Bloom (Andrea Riseborough) fernab jeglicher Urbanität ein malerisches Blockhaus tief im Wald am Crystal Lake – Nachtigall, ick hör dir an einem Freitag, dem 13., trapsen. Red malocht für eine Firma als Waldarbeiter, während Mandy neben ihren künstlerischen Tätigkeiten in einer abgeschiedenen Tankstelle als Verkäuferin jobbt. Als sie eines Morgens auf einem Waldweg zur Arbeit läuft, begegnet sie dem ehemaligen Musiker Jeremiah Sand (Linus Roache). Der jetzige Führer der Sekte „Children of the New Dawn“ fährt in Begleitung seiner Jünger in einem Lieferwagen langsam an ihr vorbei und nimmt sie intensiv in Augenschein, sodass er Mandys fragiles Antlitz und ihr ungewöhnliches Wesen erkennt. Aus dieser Begegnung entwickelt Jeremiah eine tiefe Begierde nach Mandy, sodass er nach dieser Begegnung seinen ergebensten Anhänger „Bruder“ Swan (Ned Dennehy) damit beauftragt, ihm Mandy auszuliefern. Unter Zuhilfenahme einer gewaltigen Gruppe von Bikern soll Mandy in die Gewalt der Sekte gebracht werden, damit allen voran Jeremiah Sand seine Tollheit und Genugtuung an der außergewöhnlich scheinenden Mandy befriedigen kann. Der offenbar in die Fußstapfen Charles Mansons tretende Jeremiah ahnt nicht, zu welch höllischen Rachetaten Mandys Liebster Red Miller fähig ist.

Spoilerwarnung

Bei Panos Cosmatos handelt es sich übrigens um den Sohn von George Pan Cosmatos ist, der den meisten als Regisseur von „Rambo III – Der Auftrag“, „Die City-Cobra“ und „Tombstone – Das Gesetz sind wir“ bekannt sein dürfte. Dessen Sprössling konstruiert die Welt, in der „Mandy“ stattfindet, einzig für die Figuren des Films, daher ist das Setting so passgenau wie möglich und nur so großzügig wie nötig. Deutlich wird dieser Aspekt, wenn man die Motive und Gepräge der verschiedenen Hauptpersonen ins Auge fasst. Red Miller ist ein kantiger aber von der Vergangenheit gezeichneter Ex-Trinker, der übermäßigen Kontakt zu Fremden meidet und dessen wahrscheinlich einziger Halt im Leben seine Lebensgefährtin Mandy ist, zu der er eine überaus liebevolle und vertraute Beziehung pflegt. Mandy selbst ist eine verletzlich wirkende, kuriose aber zugleich charismatische Frau, die einen Hang zum Spirituellen und Übersinnlichen pflegt und zugleich das erhitzende Symbol des Films verkörpert. Ebenso wie Red sitzt auch auf Mandy die Last einer dunklen Vergangenheit, was man ihr aufgrund der authentischen schauspielerischen Leistung Andrea Riseboroughs anmerkt. Mandy soll bis vor einiger Zeit in der nächstgelegenen Stadt für ihre freizügigen Aktivitäten mit Männern bekannt gewesen sein, worunter ihr Ruf erheblichen Schaden nahm. Der Film liefert diese Hinweise nur unterschwellig und lässt in den ersten Phasen verstehen, weswegen beide fernab ihrer Vergangenheit in einem Haus im Wald leben, losgelöst von allem Negativen, das ihre fragile Lebensbalance bedrohen könnte. Allein aus dieser Konstellation ließe sich ein Film drehen, der die Beziehung und die Leben von Mandy und Red im Kampf mit ihren Dämonen der Vergangenheit auf die Probe stellt.

Linus Roache in der Rolle eines Dummschwätzers

Doch der eigentliche Unhold der Geschichte, Jeremiah Sand, sowie dessen vollends untergebene Anhänger und monströse Komplizen bringen ein wenig klassischen Backwoods-Horror in die eigentlich romantische Exposition des Films. In den unbekannten Tiefen des Waldes hat sich der verkannte und womöglich auch diffamierte Musiker niedergelassen, um nicht durch die Kraft der Musik, wie wahrscheinlich einst gedacht, auf die Gemüter seiner Anhänger einzuwirken, sondern durch die Kraft des Glaubens, indem er eine okkulte Irrlehre ins Leben ruft, an deren Spitze er selbst als Befruchter und Prophet herrscht. Linus Roache mimt den exzentrischen und egozentrischen Jeremiah Sand, der ebenso den Abstand zum urbanen hin zum fast rechts- und populationsfreien Raum benötigt, um seine primitiven Visionen zu verwirklichen. Mit den Schauplätzen von „Mandy“, die fremd, anarchistisch und in Teilen apokalyptisch wirken, schafft Panos Cosmatos eine Sphäre, die unlenkbare Variablen ausblendet, damit die Facetten der Handlung und artifiziellen Darstellung glaubhaft legitimiert sind. Damit bewegt sich „Mandy“ als Grenzgänger zwischen Fantasie und Realität, wodurch der Eindruck eines Horror/Fantasy-Märchens entsteht, das Cosmatos im wortwörtlichen Sinne traumhaft inszeniert. Es entsteht eine fremdartige Welt, in welcher der Kreativität kaum Grenzen gesetzt sind.

Jeremiah Sand (im hellen Gewand): Gottkomplex in Person

In dieses Setting hinein montiert Cosmatos eine dramatische, jedoch in ihrer Struktur, angelehnt an die Horrorfilme 80er-Jahre, recht profane Racheorgie, die durch die so beispiellose wie überzeugende schauspielerische Leistung Nicolas Cages zu einer wahren Freude wird. In jüngster Vergangenheit wurde „Mandy“ daher zuhauf mit fantasiekonnotierten Prädikaten bewertet, die die surreale und skurrile Inszenierung des Films treffend beschreiben sollten. Diese Eigenwilligkeit von „Mandy“ ist es auch, welche die Gemeinde der Horrorfans spaltete und weswegen ich „Mandy“ eingangs als „hässliches Entlein“ bezeichnet habe. Der Film spielt seine vereinnahmenden Stärken am besten aus, wenn man sich seinem Duktus empathisch und aufgeschlossen widmet. Erst dann werden sich Handlung, Ton und die absolut außergewöhnlichen Darstellungen zu einem Werk arrangieren, was man in dieser Güte selten zu Gesicht bekommt.

Träume wie Comics, dazu ein Metal-Score

Elemente wie die exzessive Verwendung von Lichteffekten, allen voran der rubinrote Farbfilter als übergeordnetes Farbthema des Films, die comichaften Träume Reds, der melancholische und zugleich donnernde Metal-Score vom bereits verstorbenen aber großartigen Jóhann Jóhannsson, oder die ästhetischen Totalaufnahmen des zwischen Fantasie und Realität pendelnden Kosmos von „Mandy“ führen zu einem phantasmagorischen Gesamtkunstwerk, das nicht unbedingt ganzheitlich verstanden, aber in seiner ästhetisierten Pracht als experimentelles, brutales und handgemachtes Rachemärchen wahrgenommen werden will. Schmankerl wie der eigens gedrehte „Cheddar Goblin“-Werbespot und die unfreiwillig komische Autoszene am Ende des Films zeigen, wie viel Eigenständigkeit und Mut in der Handschrift von Panos Cosmatos stecken.

Red im Kampf mit einer scheußlichen Kreatur

Möchte man „Mandy“ abseits der reizüberflutenden Inszenierung und gnadenlosen Brutalität in einen übergeordneten Diskurs einordnen, so fällt es leicht in „Mandy“ die bereits in Panos Cosmatos’ Regiedebüt „Beyond the Black Rainbow“ thematisierte Kritik an den fehlgeleiteten Zielen der 68er-Generation wiederzufinden. Menschliche Schwäche und egozentrische Individualität führen zu Maßlosigkeit, Habgier und Selbstüberschätzung. Das geforderte Recht nach mehr Freiheit endet in einer Diktatur des kleinen Mannes, der Schwächere unterdrückt und keinerlei Kompetenz im Umgang mit wahrer Freiheit besitzt. Wenn man so will, ist „Mandy“ eine Kritik am Anarchismus beziehungsweise ein Negativ-Szenario unbeschränkter Libertät und dessen verfehlten sozialen Umgangs. In „Mandy“ sind dies ganz exemplarisch Isolation, Kleinstaaterei, der maßlose Konsum von Drogen als Zeichen der verfehlten Mäßigung und Unfähigkeit von Genuss, eine willkürliche Habgier, ein hemmungsloser Sinn für Selbstjustiz, Zwang und die Verstümmelung soziokultureller Faktoren zu Gunsten spekulativen, okkulten und spirituellen Glaubens. Neuzeitliche Strukturen menschlichen Zusammenlebens sind aufgegeben, sodass Befriedigung und individuelle Autonomie des eigenen Ichs auf einem archaischen Gerüst fußen, in der Starke die Schwachen beherrschen. Die Spät-68er Sekte „Children of the New Dawn“ ist die metaphorische Pointierung dessen, der Panos Cosmatos in der zweiten Hälfte des Films, durch die Hand des bis zum Mord an Mandy geläuterten Red Miller in brutaler Schönheit seine kreative Meinung geigt.

Mit „Mandy“ hat sich Panos Cosmatos 2018 zu Recht auf den Radar vieler Filmfans katapultiert und man darf gespannt sein, was dieser Meister seines Fachs in Zukunft fabulieren wird. Mit seinem Zweitwerk begegnet uns ein perfektionistischer und handgemachter Fantasy-Horrorfilm, der einen spannenden Rachefeldzug in eine vieldeutige und ikonische Geschichte bravourös integriert.

Erwähnenswert ist neben den üblichen DVD- und Blu-ray-Veröffentlichungen von Koch Films auch deren Mediabook, das mit zwei originellen Artworks daherkommt. Für die ultimative Dröhnung „Mandy“ gibt es die gewaltige Ultimate Edition mit etlichen digitalen und physischen Extras, darunter den kompletten Score von Jóhann Jóhannsson, eine 10“-Vinylsingle von Jeremiah Sands mit dem Titel „Amulet of the Weeping Maze“, ein DIN-A1-Kinoplakat und vier Retro-Aushangfotos.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Olwen Fouéré und Andrea Riseborough haben wir in unserer Rubrik Schauspielerinnen aufgelistet, Filme mit Richard Brake, Nicolas Cage und Ned Dennehy unter Schauspieler.

Veröffentlichung: 29. November 2018 als 4-Disc Limited Ultimate Edition (Blu-ray, DVD, Soundtrack-CD & -LP), Limited 3-Disc Edition Mediabook (Blu-ray & 2 DVDs, 2 Covervarianten), Blu-ray und DVD

Länge: 121 Min. (Blu-ray), 116 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 18
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Mandy
USA/BEL 2018
Regie: Panos Cosmatos
Drehbuch: Panos Cosmatos, Aaron Stewart-Ahn
Besetzung: Nicolas Cage, Andrea Riseborough, Linus Roache, Ned Dennehy, Olwen Fouéré, Richard Brake, Bill Duke, Line Pillet, Clément Baronnet, Alexis Julemont, Ivailo Dimitrov, Stephan Fraser, Hayley Saywell, Kalin Kerin, Tamás Hagyuó, Madd’yz Dog Lollyta, Corfu, Paul Painter, Zeva DuVall, Isaiah C. Morgan
Zusatzmaterial: Audiokommentar, Behind the Scenes (22 Min.), entfernte Szenen (14 Min.), vier „One Shot“ Teaser, deutscher und englischer Trailer, Trailershow, 12-seitiges Booklet mit einem Geleitwort des Regisseurs und Texten von Stefan Jung
Label/Vertrieb: Koch Films

Copyright 2019 by Lucas Knabe

Szenenfotos & Packshots Blu-ray & Ultimate Edition: © 2019 Koch Films

 

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