El hombre del saco
Horror // Vorab zur Klarstellung: Bei „The Boogeyman – Origins“ (2023) handelt es sich keineswegs um das Prequel eines der diversen Horrorfilme mit „Boogeyman“ im Titel, zuletzt etwa der US-Produktion „The Boogeyman“ (2023), Verfilmung der gleichnamigen Kurzgeschichte von Stephen King. Nein, dieser spanisch-urugayische Horrorfilm heißt im Original „El hombre del saco“, eine Umschreibung für „Schreckgespenst“, wörtlich übersetzt „Der Mann des Sackes“. Er erzählt vom Ursprung (engl.: „Origins“) der Schauermär vom „schwarzen Mann“, einer Kinderschreckfigur, die wir wohl alle kennen (und die ihre Bezeichnung vielleicht eher von der „Schwarzer Tod“ genannten Pest-Pandemie des 14. Jahrhunderts hat als von der Angst vor dunkelhäutigen Menschen).
Die Geschichte trägt sich im spanischen Gádor zu, in der seit zwei Monaten Kinder spurlos verschwinden (ein Prolog führt sogar zurück zum 28. Juni 1910, als offenbar der erste Junge geholt wurde). Die nach einem Autounfall ihres Mannes verwitwete Claudia (Macarena Gómez) zieht mit ihren Kindern Lucas (Iván Renedo), Alicia (Claudia Placer) und Sergio (Lorca Gutièrrez Prada) in die kleine Gemeinde, um eine Stelle als Krankenpflegerin anzutreten. Gleich beim Einzug freunden sich die drei mit dem Nachbarsjungen Gabi (Guillermo Novillo) und seiner älteren Schwester Paula (Carla Tous) an, die ihnen per Fahrrad die Gegend zeigen. Doch in der nächsten Nacht verschwindet auch Gabi. Ihre Suche nach ihm führt die anderen zu einer heruntergekommenen Villa, in der Quino Aguirre (Manolo Solo) haust. Der weiß mehr über den schwarzen Mann …
Inspiriert von „Es“
In seinem zweiten langen Film nach „Voces – Die Stimmen“ (2020) und elf Kurzfilmen fügt der spanische Regisseur Ángel Gómez Hernández bekannte Versatzstücke und Elemente diverser Horrorfilme und Jugend-Abenteuer zu einem stimmigen und jederzeit gruseligen Ganzen zusammen. Wenn sich Kinder zusammentun und hinter dem Rücken ihrer teils missmutigen bis missgünstigen Eltern und anderer Erwachsener gegen das Böse ins Feld ziehen, dessen Behausung aber erst einmal finden müssen, bezieht sich Hernández beispielsweise auf Andy Muschiettis Stephen-King-Doppel „Es“ (2017) und „Es – Kapitel 2“ (2019). Der Zusammenhalt der Kinder erinnert auch ein wenig an Richard Donners „Die Goonies“ (1985) und Rob Reiners „Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers“ (1986), denen „The Boogeyman – Origins“ obendrein die 80er-Jahre-Atmosphäre entlehnt hat, die zu spüren ist (auch wenn YouTube und Smartphones eine Rolle spielen). Auch die seit 2016 erfolgreich laufende Netflix-Serie „Stranger Things“ sei als Verweis genannt.
Zusätzlich scheint sich mir der Film mit einigen anderen Vertretern zu einer Art neuem spanischen Horrorkino zu verbinden, etwa mit „Verónica – Spiel mit dem Teufel“ (2017), „Malasaña 32 – Haus des Bösen“ (2020) und „The Elderly“ (2022). Ich meine auch etwas von der Stimmung der allerdings US-kanadisch-chinesischen Produktion „Scary Stories to Tell in the Dark“ (2019) entdeckt zu haben. Und aufgrund des Sackleinenmotivs sei „Baghead“ (2023) erwähnt, wobei sich die Verwendung dieses Gewebes in beiden Teilen doch fundamental unterscheidet: Ist in „Baghead“ der Kopf der Kreatur von einem Leinensack umhüllt, so sind es in „The Boogeyman – Origins“ Kinder, die darin landen.
Bis zur etwas moralinsauren Auflösung erlebt das Publikum etliche beängstigende Sequenzen, bei denen wir uns gemeinsam mit den Kindern gehörig fürchten. „The Boogeyman – Origins“ mag mit seinem Verzicht auf explizite Brutalitäten hartgesottenen Horrorfans nur ein müdes Lächeln abringen, überzeugt als „Familienhorror“ aber auf ganzer Linie, zumal der Film insbesondere auch innerfamiliäre Konflikte aufgreift und aufdeckt. Diese bilden sogar ein zentrales Element, zur Vermeidung von Spoilern soll es das aber in der Hinsicht gewesen sein.
Der Schlaks Javier Botet
Als Kreatur tritt Javier Botet in Erscheinung, dessen Körper aufgrund seines Marfan-Syndroms ein eigentümlich schlaksiges Äußeres aufweist, was ihn als geeigneten Kandidaten für Horrorfilme erscheinen lässt. Zuletzt haben wir ihn in „Die letzte Fahrt der Demeter“ (2023) als Dracula/Nosferatu gesehen. An der Besetzung gibt es nichts auszusetzen, das Ensemble mit einer Mischung aus erfahrenen und unerfahrenen Darstellerinnen und Darstellern harmoniert sehr gut. Die die Mutter verkörpernde Macarena Gómez haben wir zuletzt in „Deep Fear – Tauch um dein Leben!“ (2023) gesehen, Claudia Placer im erwähnten „Verónica“, Iván Renedo im erwähnten „Malasaña 32 – Haus des Bösen“. Lucas Blas hat in Hernández Erstling „Voces – Die Stimmen“ mitgewirkt. Durchaus Horrorerfahren also, die Besetzung. Der in Guillermo del Toros „Pans Labyrinth“ (2006) und dem spanischen Neo-Noir-Thriller „Mörderland“ (2014) zu sehende Manolo Solo rundet die Riege gut ab.
„The Boogeyman – Origins“ erweist sich als enorm gruseliger Vertreter des spanischen Horrorkinos. Und vielleicht als geeigneter Film, will man als Elternteil seinen Nachwuchs behutsam ans Horrorgenre heranführen, sofern dieser Bock drauf hat (je nachdem, was man dem Kinde zutraut, darf dann vielleicht sogar die FSK-Freigabe minimal unterschritten werden). Das nur als kleiner Hinweis, weil immer wieder Horrorfans zu bemerken sind, die sich damit brüsten, mit ihren Kleinen schon weitaus härteren Stoff zu schauen, weil sie selbst ja schon als Kinder Splatterfilme und andere Schocker geschaut hätten und ihnen das auch nicht geschadet habe (woran Zweifel angebracht sind).
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Javier Botet und Manolo Solo haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.
Veröffentlichung: 28. März 2024 als Blu-ray, DVD und Video on Demand
Länge: 91 Min. (Blu-ray), 88 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Spanisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: El hombre del saco
SP/URU 2023
Regie: Ángel Gómez Hernández
Drehbuch: Juma Fodde
Besetzung: Javier Botet, Iván Renedo, Claudia Placer, Lorca Gutièrrez Prada, Lucas Blas, Carla Tous, Guillermo Novillo, Macarena Gómez, Manolo Solo, Carlos González Morollón, Vicente Vergara, Ruth Gabriel, Luna Fulgencio, José María Peinado, Amaia Miranda, Ángel Gómez Rivero, Gonzalo Bouza, Eva Torres
Zusatzmaterial: Originaltrailer, Trailershow, Wendecover
Label: Busch Media Group
Vertrieb: Al!ve AG
Copyright 2024 by Volker Schönenberger
Szenenfotos & Packshots: © 2024 Busch Media Group