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Zum 75. Geburtstag von Arnold Schwarzenegger: Total Recall – Die totale Erinnerung: War ich nun auf dem Mars oder nicht?

Total Recall

Von Volker Schönenberger

SF-Action // Im Jahr 2084 ist der Mars von Menschen besiedelt worden. Unter der Leitung des despotischen Vilos Cohaagen (Ronny Cox) wird dort das begehrte Turbinium-Erz abgebaut. Cohaagen muss sich gegen Rebellen zur Wehr setzen, die nicht vor Gewalt zurückschrecken. Derweil träumt der Bauarbeiter Douglas Quaid (Arnold Schwarzenegger) auf der Erde immer wieder vom Mars und einer Brünetten, mit der er auf dem roten Planeten Erlebnisse teilt. Dabei ist er doch seit acht Jahren mit der attraktiven Blondine Lori (Sharon Stone) verheiratet!

Falsche Erinnerung legt eine verborgene frei

Ein Werbesport im ÖPNV verleitet Doug dazu, das Unternehmen Rekall aufzusuchen. Dort implantiert man Kunden, die sich den Trip nicht leisten können oder wollen, falsche Erinnerungen an eine Reise nach ihren Wünschen. Doug wählt – natürlich – den Mars, und aus den diversen Optionen entscheidet er sich für die Erinnerung an eine Mission als Geheimagent. Selbst die Erinnerung an eine weibliche Begleiterin darf er sich zusammenstellen, er entscheidet sich für eine athletische, ernsthafte Brünette. Doch beim Einpflanzen geht etwas schief. Die Prozedur stößt auf tief in seinem Gehirn verborgene Erinnerungen. Doug war schon einmal auf dem Mars!

Einmal mehr kurios: das Urteil des Lexikons des internationalen Films. Über „Total Recall – Die totale Erinnerung“ schrieb die Filmpublikation der Katholischen Filmkommission für Deutschland seinerzeit: Seine tricktechnischen Leistungen sind die einzige Originalität des inhaltlich epigonalen und uninspirierten Films, der die wirre Erlösergeschichte um falsche Identitäten lediglich ausbreitet, um eine rabiate Action-Maschinerie zu entfesseln. Immerhin erkennen die Katholiken die tricktechnischen Leistungen des Films an. Die wissen in der Tat zu beeindrucken. Was wir hier auf der Erde und insbesondere dem Mars an visuellen Spezialeffekten zu sehen bekommen, war 1990 State of the Art und gefällt auch heute noch, auch wenn man ihnen die Entstehungszeit ansieht. Das positive Urteil gilt auch für die Make-up-Effekte und Animatronics, denn auf dem Mars und speziell dem Vergnügungsviertel Venusville tummeln sich Mutanten, die sehr liebevoll gestaltet sind. Die Prostituierte Mary mit den drei Brüsten hat es zum Ikonenstatus gebracht, um ein Beispiel zu nennen. Dabei ist anzumerken, dass sich die Darstellerin Lycia Naff beim Dreh der Szenen, in denen sie ihren Oberkörper entblößte, sehr unwohl und herabgewürdigt fühlte, auch wenn sie nicht ihre echten Brüste zeigen musste. Sie verweigerte daraufhin jegliche Teilnahme an der Promotion des Films. Mary mag in erster Linie als visuelles Gimmick für den männlichen Teil des Filmpublikums dienen, aber es treten auch Mutanten in Erscheinung, die die Handlung vorantreiben.

Rabiate Action-Maschinerie? Sicher das!

Wie man auf den Gedanken kommen kann, „Total Recall – Die totale Erinnerung“ sei „inhaltich epigonal und uninspiriert“, wird wohl das Geheimnis des Verfassers oben zitierter Zeilen bleiben. Paul Verhoevens Werk sprüht vor Einfallsreichtum und Originalität, in der Hinsicht (und sowieso) muss es sich vor den besten Science-Fiction-Filmen der 80er- und 90er-Jahre und anderen Dekaden sicher nicht verstecken. Hier ist überhaupt nichts uninspiriert! Und wer eine „wirre Erlösergeschichte um falsche Identitäten“ anprangert, hat wohl einfach bei diversen erläuternden Szenen um Douglas Quaid nicht aufgepasst. Gerade das Spiel mit Quaids Identität macht ein Gutteil der Faszination aus und liefert den einen oder anderen „What the Fuck“-Moment. Wir bewegen uns hier im Bereich der Wahrnehmung von Realität und der Frage, wie wir Menschen über unsere Umgebung und unser Dasein getäuscht werden können. Dies setzt der Film vorzüglich um. Was die „rabiate Action-Maschinerie“ angeht, hat das Lexikon des internationalen Films sicher recht. Aber: Was spricht gegen eine rabiate Action-Maschinerie? Eben. Ich hätte auch nichts gegen eine Veröffentlichung inklusive der damals für das X-Rating in den USA gekürzten zusätzlichen Gewalt- und Splatterszenen, aber dazu wird es wohl nie kommen.

Paul Verhoeven ist es sogar gelungen, bei all der Action stets die Geschichte voranzutreiben. Als Verfolger von Quaid agiert Cohaagens Mann fürs Grobe: Richter, dessen Darsteller Michael Ironside („Scanners – Ihre Gedanken können töten“) Verhoeven 1997 auch in seiner bissigen SF-Satire „Starship Troopers“ besetzte. Als Brünette aus Quaids Träumen entpuppt sich Melina (Rachel Ticotin, „Con Air“).

Erfolg an den Kinokassen

Der niederländische Regisseur war 1985 im Anschluss an die Fertigstellung des Historien-Abenteuers „Flesh + Blood“ von Europa in die USA übergesiedelt. Seine erste Hollywood-Regiearbeit „RoboCop“ (1987) hatte wie eine Bombe eingeschlagen und war von Moralhütern und Teilen der Filmkritik aufgrund der drastischen Gewaltdarstellung skandalisiert worden. Verhoevens in Mexiko entstandene folgende Regiearbeit „Total Recall“ toppte den Erfolg von „RoboCop“, spielte an den weltweiten Kinokassen bei einem gegenüber dem Vorgänger zugegeben signifikant höheren Budget von 65 Millionen US-Dollar mehr als 260 Millionen Dollar ein. Der Academy of Science Fiction, Fantasy & Horror Films in den USA war das Werk 1991 die Saturn Awards als bester Science-Fiction-Film und für die besten Kostüme wert. In jenem Jahr wurde aus mir unbekannten Gründen der Oscar für die visuellen Spezialeffekte nicht vergeben. Dafür erhielt „Total Recall“ einen „Special Achievement Award“ für die visuellen Effekte. Ton und Tonschnitt waren für den Oscar nominiert, den Academy Award für den Ton gewann aber „Der mit dem Wolf tanzt“, den für den Tonschnitt „Jagd auf Roter Oktober“.

Nach einer Vorlage von Philip K. Dick

Mit „Total Recall“ adaptierte Verhoeven die im April 1966 in „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ erstveröffentlichte Kurzgeschichte „We Can Remember It For You Wholesale“ („Erinnerungen en gros“) von Philip K. Dick. Die Drehbuchautoren nahmen sich dabei einige Freiheiten. So tauchen diverse Figuren des Films in der Vorlage gar nicht auf und die Geschichte endet völlig anders als der Film. Das schadet „Total Recall“ allerdings überhaupt nicht, da dessen Skript Douglas Quaid einen ganz anderen Weg einschlagen lässt als der Verlauf der Handlung der Kurzgeschichte (dort heißt der Protagonist Douglas Quail, was für den Film womöglich aufgrund des damaligen US-Vizepräsidenten Dan Quayle geändert wurde). Philip K. Dick gilt im Übrigen als einer der visionärsten Science-Fiction-Schriftsteller überhaupt. Von ihm stammen unter anderem die Vorlagen zu Ridley Scotts „Blade Runner“ (1982), Steven Spielbergs „Minority Report“ (2002), John Woos „Paycheck – Die Abrechnung“ (2003) und Richard Linklaters „A Scanner Darkly – Der dunkle Schirm“ (2006).

Sowohl der visuelle Einfallsreichtum als auch das clever aufgezogene Verwirrspiel um Douglas Quaids Identität prädestinieren „Total Recall – die totale Erinnerung“ dafür, mehrfach angeschaut zu werden. Ein paar Mal sind es bei mir mittlerweile geworden, beginnend 1990 mit dem Kinobesuch, und auch die jüngste Sichtung anlässlich dieses Textes war mit ihren fast schon kitschigen Farben und dem hymnischen Score von Oscar-Preisträger Jerry Goldsmith („Das Omen“) wieder ein großes Vergnügen. Nach zwischenzeitlicher Restaurierung liegt das Werk nun auch in hervorragender hochauflösender Qualität vor (mir reicht die Blu-ray völlig aus, wer es noch schärfer mag, kann mittlerweile auch aufs UHD-Format zugreifen). Nach der 1991 erfolgten Indizierung des in den deutschen Kinos mit FSK 18 gelaufenen Films kursierte er zwischenzeitlich in gekürzten FSK-16-Versionen auf VHS und DVD. Im Anschluss an die 2011er-Listenstreichung erfolgte die Herabstufung der ungekürzten Fassung auf FSK 16, wobei die eine oder andere seitdem veröffentlichte Blu-ray oder DVD aufgrund nicht neu geprüften Bonusmaterials noch mit FSK 18 ausgezeichnet ist.

Colin Farrell oder Arnold Schwarzenegger?

Die wiederum sehr frei gehaltene 2012er-Neuverfilmung von Len Wiseman („Underworld“) mit Colin Farrell in der Rolle der Schwarzenegger-Figur ist weniger bunt als Verhoevens Werk, sondern kommt in einem düster-dystopischen Look daher. Es mangelt ihr auch am Augenzwinkern des Vorgängers. Sie mag ihre Qualitäten und Fans haben, aber da sie mich bei meiner bislang einzigen Sichtung kaum berührt hat, werde ich es dabei belassen. „Total Recall – Die totale Erinnerung“ hingegen hat einen Ehrenplatz in meiner Science-Fiction-Filmsammlung und ich werde mich sicher mal wieder daran erfreuen. Ein Klassiker, der zu den Karrierehöhepunkten von Arnold Schwarzenegger zu zählen ist, auch wenn Arnies bisweilen etwas hölzerne Körpersprache und seine ebensolchen Dialoge hier ebenfalls nicht zu leugnen sind (seine Personalie mag der Grund sein, weshalb „Total Recall“ bei manchen Filmkennern nicht den gebührenden Status genießt). Der am 30. Juli 1947 in Thal in der Steiermark (Österreich) geborene Schauspieler, Ex-Bodybuilding-Champion und Ex-Gouverneur von Kalifornien feiert 2022 seinen 75. Geburtstag. Seinen beeindruckenden Werdegang habe ich in meinem Text zu Roger Spottiswoodes ebenfalls in einer hochtechnisierten Zukunft angesiedelten „The 6th Day“ (2000) Revue passieren lassen.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Paul Verhoeven haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Sharon Stone unter Schauspielerinnen, Filme mit Michael Ironside und Arnold Schwarzenegger in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung: 6. Mai 2021 als UHD Blu-ray, 19. November 2020 als UHD Blu-ray im Steelbook, Blu-ray im Steelbook, Blu-ray und DVD, 6. Dezember 2018 und 21. Juli 2016 als Blu-ray und DVD, 2. Oktober 2013 als Blu-ray in der „Double Up Collection“ (mit „Terminator 2 – Tag der Abrechnung“), 17. Dezember 2012 als 2-Disc Edition Mediabook (Blu-ray & DVD, auf 1.000 Exemplare limitiert), 9. August 2012 als Blu-ray in der Ultimate Rekall Edition und DVD, 15. Juli 2010 als Special Edition Blu-ray, 17. Juni 2010 als Blu-ray im Steelbook und gekürzte Blu-ray, 10. Oktober 2008 als Blu-ray, 3. April 2007 als DVD im Steelbook, 21. April 2006 als gekürzte DVD, 11. Januar 2005 als 3-Disc Special Edition DVD, 14. November 2008 als DVD

Länge: 113 Min. (Blu-ray), 111 Min. (Blu-ray, gekürzt), 109 Min. (DVD), 106 Min. (DVD, gekürzt)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch (z. T. weitere)
Untertitel: Deutsch, Englisch (z. T. weitere)
Originaltitel: Total Recall
USA/MEX 1990
Regie: Paul Verhoeven
Drehbuch: Ronald Shusett, Dan O’Bannon, Gary Goldman, nach der Kurzgeschichte „We Can Remember It For You Wholesale“ („Erinnerungen en gros“) von Philip K. Dick
Besetzung: Arnold Schwarzenegger, Rachel Ticotin, Sharon Stone, Ronny Cox, Michael Ironside, Marshall Bell, Mel Johnson Jr., Michael Champion, Roy Brocksmith, Rosemary Dunsmore, David Knell, Alexia Robinson, Dean Norris, Debbie Lee Carrington, Lycia Naff
Zusatzmaterial (nicht in allen Editionen): Audiokommentar von Arnold Schwarzenegger und Paul Verhoeven, Audiokommentar von Kameramann Jost Vacano und Marko Kregel, „Total Excess – Wie Carolco Hollywood veränderte“ (59:22 Min.), „Open Your Mind – Die Filmmusik“ (21:24 Min.), „Dreamers within the Dream – Die Entstehung von Total Recall“ (8:26 Min.), Trailer zur 4K-Veröffentlichung, „Die Spezialeffekte von Total Recall“ (23:15 Min.), Interview mit Paul Verhoeven (34:47 Min.), Making-of (8:03 Min.), Interview mit dem Filmteam (30:12 Min.), Interview mit dem Science-Fiction-Experten Stéphane Bourgoin (9:09 Min.), Vision vom Mars (5:27 Min.), virtuelle Ferien (6:29 Min.), Vergleich: Die Restaurierung – vorher und nachher (5:13 Min.), Interview mit M. Hildebrand und G. Mignotte (Kaméléon Studios) über die Spezialeffekte (16:26 Min.), Konzeptzeichnungen, Storyboards, Trailer, Fotogalerie, 16-seitiges Booklet (nur Mediabook), 8-seitiges Booklet mit Produktionsnotizen (nur Ultimate Rekall Edition), Wendecover
Label/Vertrieb: Studiocanal Home Entertainment (zum Teil Kinowelt)

Copyright 2022 by Volker Schönenberger

Untere drei Packshots: © Studiocanal Home Entertainment

 
 

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