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Wovon träumt das Internet? Werner Herzog zieht wieder Doku-Kreise

21 Mär

Lo and Behold – Reveries of the Connected World

Von Simon Kyprianou

Gesellschafts-Doku // Wie so oft bei den Dokumentarfilmen von Werner Herzog lernt man über das zentrale Thema ziemlich wenig. In seiner ebenfalls 2016 für den Streaminganbieter Netflix fertiggestellten und ganz großartigen Dokumentation „Into the Inferno“ geht es um Vulkane, über Vulkane weiß man danach aber kaum mehr als vorher, über das U-Bahnnetz in Nordkorea dafür einiges mehr. Und auch um das Internet geht es in „Lo and Behold – Reveries of the Connected World“ nur bedingt. Die Gründerväter des Internets kommen zu Wort, aber von ihnen aus zieht Herzogs Film den Radius seiner gedanklichen Kreise um das Kernthema Internet schnell weiter. Am Anfang behandelt der Film noch erwartbare Themen wie Internetsucht und die bekannten Gefahren des Netzes, dann aber geht es auch um Leute, die in strahlenbefreite Gebiete flüchten und dort wie in einer Amisch-Kommune zu leben. Auch außerirdisches Leben, Kolonien auf dem Mars, Robotik und Telepathie kommen zu ihrem Recht.

Mithilfe des Internets selbstfahrende Autos sind nur noch eine Frage der Zeit

Herzog spricht mit Menschen, denen Strahlung körperliche Schmerzen bereitet, die darum jahrelang in einem Faradayschen Käfig gelebt haben und jetzt Frieden in einem Areal finden, in dem die Strahlung auf einem Minimum gehalten wird, die sich aber dort als Flüchtlinge fühlen, weil sie fernab von ihrer Familie leben müssen. Eine Szene später fantasiert ein Forscher über komplett autonome, intelligente Maschinen, die eines Tages in einer vollständig vernetzten Welt in fast allen Lebensbereichen zum Einsatz kommen. Dabei stellt er sich die Frage, ob seine intelligente Spülmaschine dereinst den Dienst versagen wird, weil sie unglücklich in den intelligenten Kühlschrank verliebt ist. Und dann fragt er sich, ob nicht eines Tages eine Maschine Filme drehen wird, die vielleicht sogar besser sein könnten als die von Herzog, was der aus dem Off mit einem „Of course not“ kommentiert. Ein anderer Forscher bekundet seine innige Liebe zu der von ihm und seinem Team konstruierten Fußball-Roboter-Mannschaft, insbesondere zu Fußball-Roboter Nummer 8, für ihn ein Äquivalent zu Messi, Ronaldo und Neymar. Er träumt davon, dass seine Roboter-Mannschaft eines Tages in der Lage sein wird, den Fußballweltmeister zu schlagen.

Wann und wie geht die Welt unter?

Irgendwann geht es dann – wie es bemerkenswerterweise in wirklich jeder Herzog-Dokumentation irgendwann darum geht – um den drohenden Untergang der Welt, in diesem Fall durch Sonneneruptionen. Man fragt sich kurz, wie genau der Film auf dieses Thema kommt, vergisst anhand seiner Schönheit und den waghalsigen Gedankenkreisen, die er zieht, die Frage aber schnell wieder. Ist ja sowieso nicht so wichtig.

Einigen Menschen fügt Strahlung körperliche Schäden zu, sie leben jetzt archaisch in der Natur

Der PayPal- und Tesla-Unternehmer Elon Musk berichtet von seinen Plänen, den Mars zu besiedeln. Viel interessanter ist es aber, wenn Herzog lange Einstellungen von Musk zeigt, wie er still dasitzt und dann erzählt, dass er sich immer nur an seine Albträume erinnert, nie an die schönen Träume.

Wovon träumt Elon Musk?

Es wird deutlich, dass Herzog die Momente von „ekstatischer Wahrheit“, nach denen er in seinem Filmen immer strebt, in den Geschichten der Menschen sucht, die er befragt – in ihren Träumen, den Hoffnungen und Ängsten. In seinen dokumentarischen Werken sucht Herzog nicht nach Fakten. Als ein Hacker befragt wird, interessiert sich Herzog überhaupt nicht für das Hacken an sich, vielmehr für die Geschichten, die der Mann von seiner Flucht vor dem Gesetz erzählen kann. Herzog sucht keine Fakten, sondern Möglichkeiten zur Narration, er sucht nach Geschichten, denn einzig Geschichten können für Herzog am Ende irgendwie Sinn stiften.

Am Ende ein Lagerfeuer

In den letzten Minuten von „Wovon träumt das Internet“ fantasiert ein Forscher über die Zukunft, in der ein fortgeschrittenes Internet und kluge Roboter menschliche Interaktion möglicherweise obsolet machen werden, und äußert, das klinge schrecklich, aber vielleicht würde es ja doch gut. Herzog schneidet dann weg, zu einer Gruppe, die um ein Lagerfeuer versammelt Lieder singt. Nach all den technischen Fantasien, die man vorher so gehört hat, ein tröstliches Schlussbild.

Die Robotik schreitet rasend schnell voran

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Werner Herzog sind in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet.

Herzog fragt sich, ob die Mönche nicht mehr beten, sondern nur noch tweeten

Veröffentlichung: 23. März 2017 als Blu-ray und DVD

Länge: 98 Min. (Blu-ray), 95 Min. (DVD)
Altersfreigabe: Infoprogramm gemäß § 14 JuSchG
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Lo and Behold – Reveries of the Connected World
USA 2016
Regie: Werner Herzog
Drehbuch: Werner Herzog
Mitwirkende: Werner Herzog (als Sprecher), Lawrence Krauss, Kevin Mitnick, Elon Musk
Zusatzmaterial: Wendecover
Vertrieb: Koch Films

Copyright 2017 by Simon Kyprianou
Fotos & Packshot: © 2017 Koch Films

 

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