The Passion of the Christ
Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt. (Jesaja 53, 700 v. Chr., Texttafel zu Beginn des Films)
Religionsdrama // Als kurz nach der Jahrtausendwende die ersten Gerüchte aufkamen, runzelten viele die Stirn: Mel Gibson dreht einen Film über Jesus Christus – und das in Aramäisch?! Dafür geht doch niemand ins Kino! Es kamen schlussendlich noch Hebräisch und Latein hinzu, was das Ganze auch nicht vereinfachte, aber die Skeptiker irrten: „The Passion of the Christ“, so der Originaltitel, avancierte an den Kinokassen zum erfolgreichsten Film, der in den USA je mit einem R-Rating versehen in die Lichtspielhäuser kam – die aufgrund ausufernder Gewaltdarstellung erteilte Beschränkung, die Kindern und Jugendlichen unter 17 Jahren den Zutritt nur in Begleitung eines Erwachsenen gewährt, gilt in den Vereinigten Staaten als Kassengift. Es ist obendrein der erfolgreichste je gedrehte religiöse Film und der erfolgreichste nichtenglischsprachige Film. Von daher hat Mel Gibson wohl alles richtig gemacht.
Oder nicht? Auf die Gewaltdarstellung komme ich später zurück, zuvor sei ein oft genannter Kritikpunkt thematisiert: „Die Passion Christi“ weise antisemitische Tendenzen auf. Das ist leider nicht von der Hand zu weisen, die dargestellten jüdischen Hohepriester – ihres Zeichens Pharisäer – sind fanatische Eiferer, die Judas (Luca Lionello) nur zu gern die 30 Silberlinge dafür zuwerfen, dass er ihnen Jesus Christus (James Caviezel) ausliefert. Später gibt Judas das Blutgeld zurück und erhängt sich. Die jüdischen Schergen verprügeln Jesus erst einmal nach Herzenslust, schlagen auch während des Verhörs durch die Geistlichen auf ihn ein, von denen kritiklos hingenommen. Die Würdenträger werden in der Tat ausgesprochen abgefeimt gezeichnet, den Vorwurf muss sich Gibson gefallen lassen. Er hat derlei Ansichten 2006 dann ja auch mit ein paar eindeutigen Äußerungen bestätigt, nachdem er wegen Alkohols am Steuer von der Polizei angehalten worden war. Die Entschuldigung folgte zwar prompt, aber sie entfernt ja nicht die Gedanken aus dem Kopf, die er offenbar hatte. Da bleibt es nicht aus, 1 und 1 zusammenzuzählen und zu schlussfolgern: Wenn jemand davon faselt – besoffen hin oder her –, die Juden seien für alle Kriege verantwortlich, liegt der Gedanke nahe, seine etwas zuvor erfolgte Inszenierung jüdischer Geistlicher in einem Film sei wohl nicht ganz zufällig so ausgefallen, wie sie ausgefallen ist. „Die Juden haben den Heiland ermordet!“ Dieser uralte Vorwurf ist eine zulässige Interpretation von „Die Passion Christi“ – und das macht auch den Vorwurf des Antisemitismus zulässig. Im Netz finden sich weitere, detailreichere Begründungen für diesen Vorwurf, ich könnte sie aber mangels tieferer Kenntnis der Materie nur unbelegt abschreiben, daher beschränke ich mich auf das Offenkundige, das sich mir selbst erschlossen hat.
Über Mel Gibson ist bekannt, dass er sich dem katholischen Traditionalismus verbunden fühlt, speziell dem Sedisvakantismus. Von mir aus sollen sich konfessionelle Abspaltungen, Freikirchen, Sekten und dergleichen in die Wolle kriegen, solange sie andere nicht damit behelligen. Für die meisten Filme Gibsons – ob vor oder hinter der Kamera – scheint mir seine religiöse Einstellung irrelevant zu sein. Bezüglich seiner Darstellung des Kreuzwegs Jesu ist es natürlich erwähnenswert, dass der Regisseur einer Glaubensgemeinschaft angehört, deren Haltung in vielen Aspekten vom römischen Katholizismus abweicht.
Bei der Suche nach einem Hauptdarsteller war es Gibson offenbar wichtig, jemanden zu finden, der mit ihm religiös auf einer Welle schwimmt. Wenn man sich James Caviezels Darstellung Jesu anschaut, kann man auch nicht umhin zu konstatieren, dass er eine gute Wahl war. Den Schmerz und das Akzeptieren des Schmerzes, die Zweifel am Kreuz, die in „Es ist vollbracht!“ umschlagen – das bringt er gut rüber, wohl nicht nur, weil seine Initialen passen. Caviezel ist selbst streng katholisch und ein Bewunderer Gibsons. Inwiefern die religiösen Ansichten der beiden sich decken, vermag ich nicht zu beurteilen, jedenfalls scheinen sich für „Die Passion Christi“ zwei gefunden zu haben. Caviezel wusste wohl vorher, worauf er sich einlässt – einen drohenden Karriereknick. 1998 hatte er die Hauptrolle in „Der schmale Grat“ von Terrence Malick erhalten, einem Regisseur, nach dem sich seinerzeit die geballte Starpower Hollywoods die Finger leckte – John Travolta und George Clooney beispielsweise waren mit Minimalstauftritten zufrieden, nur um dabei zu sein. Caviezel galt um die Jahrtausendwende als kommender Topstar, doch nach „Die Passion Christi“ blieb ihm der Sprung in die A-Liga verwehrt. Na ja, so hat jeder sein Kreuz zu tragen.
Gibson arbeitet bekannte Details ab: Petrus (Francesco De Vito) verleugnet Jesus drei Mal, der römische Statthalter Pontius Pilatus (Hristo Shopov) gibt auf Verlangen des Pöbels statt Jesus den Verbrecher Barrabas (Pietro Sarubbi) frei und wäscht seine Hände in Unschuld. In manchen Visualisierungen orientierte sich der Regisseur an klassischen religiösen Kunstwerken, etwa bei der Darstellung der Stationen des Kreuzwegs. Jesu Mutter Maria (Maia Morgenstern) und Maria Magdalena (Monica Bellucci) kommen die Parts der aus der Ferne Mitleidenden zu, die die Folter und die Pein des Geplagten mitansehen – keine herausfordernden Rollen.

Pontius Pilatus (3. v. l.) wundert sich: Das Volk will nicht Jesus (l.) in Freiheit sehen, sondern den Verbrecher Barrabas (2. v. r.)
Während der erneuten Sichtung von „Die Passion Christi“ kam mir wiederholt die Gewaltreflexion „Martyrs“ von 2008 in den Sinn, in der es darum ging, dass Folteropfer in einem Nahtodzustand spirituelles Erwachen erfuhren, wenn die Folter nur exzessiv genug ausfiel. Nicht auszuschließen, dass Pascal Laugier, Drehbuchautor und Regisseur des französischen Terrorfilms, ein wenig Inspiration aus Mel Gibsons Beitrag zum Torture-Porn-Genre gezogen hat, denn genau genommen ist der Film des Australiers nichts anderes. Die Handlung von „Die Passion Christi“ spielt sich weitgehend vom Moment der Verhaftung Jesu bis zu seiner Kreuzigung und dem – je nach Sichtweise – jämmerlichen Verrecken oder erhabenen Sterben ab.
Wir bekommen hautnah zu sehen, wie zwei gewaltgeile römische Soldaten Jesus mit Peitschen die Haut vom Körper schälen. Es kommt auch eine Art neunschwänzige Katze mit eisernen Haken zum Einsatz, die ganze Fleischbrocken aus dem Körper reißt – so explizit in Szene gesetzt, dass es beim Zuschauen schmerzt. Die beiden Römer mühen sich redlich und strengen sich so sehr an, dass sie ab und zu innehalten müssen, um zu verschnaufen – eine etliche Minuten dauernde Sequenz, die die titelgebende Passion spürbar macht. Wenn das Gibsons Intention war – und daran kann an sich kein Zweifel bestehen –, so hat er sein Ziel erreicht.
Aber weshalb das Ganze? Müssen wir die an Jesus verübte Gewalt so deutlich vor Augen geführt bekommen, um zu erkennen, was der Messias für unsere Erlösung auf sich genommen hat? Das kann man bejahen oder verneinen, Mel Gibson wollte es aber nun mal so haben. Ganz abwegig finde ich den Gedanken nicht. Nach „Die Passion Christi“ kann man sich jedenfalls die Leiden des Heilands noch besser vor Augen führen. Auch die Kreuzigung hat Gibson denkbar intensiv und peinigend inszeniert. Wer hat schon beim Gottesdienst einen Blick auf das Kreuz geworfen und darüber nachgedacht, was der historische Jesus – so es ihn denn gegeben hat – buchstäblich durchlitten haben muss? Will man das körperlich nachvollziehen, gibt einem Mel Gibson jedenfalls das Mittel dazu an die Hand. Ob das gut oder schlecht ist – entscheidet selbst, da wasche nun ich meine Hände in Unschuld.
Als spirituelle Erfahrung hingegen erscheint „Die Passion Christi“ denkbar ungeeignet, wer daran interessiert ist, halte sich lieber an Martin Scorseses „Die letzte Versuchung Christi“ von 1988, der sich allerdings gegenüber der Bibel mehr Freiheiten nimmt und seinerzeit auf eine andere Weise ebenfalls große Kontroversen ausgelöst hat. Mel Gibson hat zwar die Evangelien miteinander vermengt, ihm war aber daran gelegen, eine vergleichsweise „werkgetreue“ Umsetzung vorzulegen. Dass er synchron zu den vier Kanon-Evangelien gleichzeitig vier Jesusfilme dreht, wäre auch zu viel des Guten gewesen. Natürlich traten zügig Kritiker auf den Plan, die dem Regisseur in vielen Details historische Ungenauigkeiten vorwarfen, aber da mag ich mich nicht einreihen. Wer glaubhaft machen kann, dass es sich bei den Evangelien um Geschichtsbücher handelt, möge gern den ersten Stein werfen. Ob in der Zeit, in der Jesus gekreuzigt worden sein soll, in Judäa tatsächlich die Sprachen Aramäisch, Hebräisch und – von den römischen Besatzern – Latein gesprochen worden sind, ist eine interessante sprachgeschichtliche Frage, für die Bewertung des Films aber nachrangig. Gibson wurde sogar vorgeworfen, er suggeriere damit nicht vorhandene Authentizität, was das Publikum manipuliere – ein absurder Einwand, sind Spielfilme doch per se manipulativ, wollen sie die Zuschauer mental in ihre Handlung hineinziehen. Bei mir hat das funktioniert, als Mittel zu diesem Zweck ist das akzeptabel.
Die scharfe Kritik an der gezeigten Gewalt bewog den Regisseur, eine etwas entschärfte Fassung schneiden zu lassen, die als „Recut“ bekannt ist. Über die Unterschiede könnt Ihr euch bei den Kollegen von Schnittberichte informieren. Ob man beide Fassungen braucht, sei jedem selbst überlassen, so oder so ist die limitierte Collector’s Edition von capelight pictures eine herausragende Edition mit Kinofassung auf Blu-ray und DVD, Recut auf Blu-ray und Soundtrack auf CD. Auf einen groben Makel muss aber hingewiesen werden: Der an sich sehr interessante und lesenswerte Booklettext ist frei von jeder kritischen Würdigung des Films. Wer ein derart kontroverses Werk in aufwändiger Edition veröffentlicht, sollte tunlichst verschiedene Seiten beleuchten. Das ist kein Film, den man veröffentlicht, damit ihn sich Sammler einfach so ins Mediabook-Regal stellen (auch wenn das viele so gehandhabt haben werden). Denkbar, dass der Verzicht auf Kritik Teil des Deals beim Erwerb der Rechte für den deutschen Markt war, aber das macht es nicht viel besser.
Fans eines gepflegten Torture-Porn-Exzesses kommen voll auf ihre Kosten, sofern sie gewillt sind, die getragene religiöse Epik hinzunehmen, die „Die Passion Christi“ atmet. Der Kritik an der ausufernden Gewalt schließe ich mich daher nicht an. Wer Leid zeigen will, zeige es richtig und nicht halbgar. Um das Drama als religiöses Werk zu goutieren, muss man aber wohl ähnliche Ansichten hegen wie Mel Gibson und James Caviezel. Das ist letztlich eine Frage des eigenen Glaubens oder Unglaubens, was jedoch nicht für Gibsons Darstellung der jüdischen Priester und der jüdischen Gemeinde gilt. Hier ist scharfe Kritik angebracht. Dennoch: Wer die großen religiösen Werke der Filmgeschichte kennen will, kommt nicht daran vorbei, sich auch „Die Passion Christi“ anzuschauen.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Monica Bellucci haben wir in unserer Rubrik Schauspielerinnen aufgelistet, Filme mit Jim Caviezel sowie von oder mit Mel Gibson unter Schauspieler.
Veröffentlichung: 11. April 2014 als 4-Disc Limited Collector’s Edition (2 Blu-rays, DVD, Soundtrack-CD), Blu-ray und DVD, 1. März 2005 als DVD (Highlight Video)
Länge: 127 Min. (Blu-ray Kinofassung), 122 Min. (Blu-ray Recut) 121 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Aramäisch/Hebräisch/Latein
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: The Passion of the Christ
USA 2004
Regie: Mel Gibson
Drehbuch: Benedict Fitzgerald, Mel Gibson
Besetzung: James Caviezel, Monica Bellucci, Maia Morgenstern, Christo Jivkov, Francesco De Vito, Hristo Shopov, Luca Lionello, Claudia Gerini, Fabio Sartor, Jarreth J. Merz
Zusatzmaterial: Dokumentation „Durch seine Wunden sind wir geheilt – Das Making of DIE PASSION CHRISTI“, zusätzlich nur Blu-ray: 4 Audiokommentare, Podiumsdiskussion mit Crew-Mitgliedern, 2 entfallene Szenen, 5 Featurettes, 2 TV-Spots, 2 Trailer, zusätzlich nur Collector’s Edition: Recut-Schnittfassung auf Blu-ray, 24-seitiges Booklet, Soundtrack-CD
Vertrieb: Al!ve AG
Copyright 2017 by Volker Schönenberger
Fotos: © 2017 capelight pictures / Al!ve AG