Ogon
Von Lucas Gröning
Actiondrama // Der Klimawandel stellt zweifellos eine der größten Herausforderungen dar, vor welcher die Bewohner der Erde in den nächsten Jahrzehnten stehen werden und jetzt schon stehen. Inzwischen hat ein Großteil der Menschen verstanden, dass die gegenwärtigen Formen des Wirtschaftens, vor allem in den großen Industrienationen, nicht funktionieren werden, wenn es um die Bewältigung dieser Herausforderung geht. An vielen Stellen bedarf es jedoch weiterhin großer Überzeugungsarbeit, obwohl die Belege für eine teils bereits gegenwärtige, teils kommende Katastrophe eigentlich auf dem Tisch liegen. Aus jenen Ecken schnellen immer wieder die Schreie des ideologischen Denkens in den Diskurs, die Veränderungen seien lediglich marginaler Natur oder der Mensch selbst habe an ihnen gar keinen oder nur einen sehr geringen Anteil. In Zeiten des Postfaktischen verhindert somit die emotionale Abgrenzung zum scheinbaren politischen Feind eine rationale Auseinandersetzung mit den faktischen Gegebenheiten. Das Fundament, auf denen poltische Diskussionen erst ausgetragen werden können, bröckelt und die Möglichkeit wird erschwert, einen gemeinsamen Nenner für das Austragen eines Diskurses zu finden. Stellt sich nun die Frage, wie man einen Weg findet, jenen Diskurs zu öffnen und konservativen Akteuren klar zu machen, dass es um reelle und beweisbare Gefahrenpotenziale geht und nicht bloß um die Panikmache einer Generation junger Schüler und Studenten, die ihr Gemeinschaftsgefühl aus einem imaginierten Problem zieht, um ihre Zeit in ähnlicher Weise zu politisieren und zu historisieren, wie das beispielsweise in den Konflikten des 20. Jahrhunderts der Fall war. Eine Frage, die sich auch das Medium des Films stellen muss und die vor einiger Zeit einen spannenden Beitrag aus Russland hervorbrachte, nämlich Alexey Nuzhnys „Fire“ (2020).
Das Drama beginnt direkt auf höchster Temperatur. Ein Feuerwehrmann in voller Montur befindet sich in der Mitte eines Waldes, eingeschlossen von einer Vielzahl brennender Bäume. Immer wieder schnellen die Flammen auf ihn zu, als seien sie die Klauen eines wilden Tieres, das seine gerade anvisierte Beute erlegen will. Der Mann schafft es nach einiger Zeit, zu einer Gruppe am Boden kauernder Kollegen zu sprinten; trotzdem scheint die Lage aussichtslos, denn eine sich gen Himmel bewegende Kamera zeigt die scheinbare Ausweglosigkeit aus der Flammenhölle des russischen Waldes.
Der Film macht anschließend einen Sprung in die wenige Wochen zurückliegende Vergangenheit. Der Feuerwehrmann Andrey (Konstantin Khabenskiy), Angehöriger einer Sondereinheit der Feuerwehr, wird damit beauftragt, ein Team zusammenzustellen, das sich zu einem Dorf in der Nähe eines Waldes begeben muss, um jene Siedlung zu evakuieren und den im Wald wütenden Flammen Einhalt zu gebieten. Neben einigen durchaus skurrilen, jedoch fähigen und erfahrenen Feuerwehrmännern rekrutiert Andrey außerdem den jungen Roman (Ivan Yankovskiy), auch um den aufbrausenden Romantiker von seiner Tochter Katya (Stasya Miloslavskaya) fernzuhalten. Eigentlich soll die Mission nur ein Routineauftrag werden, doch die Größe des Feuers stellt alles bis dato Gesehene der Einheit in den Schatten und schon bald finden sich die Männer in einer Hölle wieder, aus der sie allein kaum wieder herausfinden können.
In der Tradition von Emmerich
Was sich zunächst wie ein reines Drama und Katastrophenfilm anhört, inszeniert Alexey Nuzhny zum Teil durchaus komödiantisch, und er lässt auch mythische Elemente in seinen Film einfließen. Letzteres ist bei diesem Regisseur nicht unbedingt zu erwarten, den humorigen Aspekt konnte man mit Blick auf Nuzhnys vergangenes Werk bereits erahnen, denn er war bis dato vor allem in die Gestaltung von Komödien oder zumindest komödiantisch anmutenden Werken involviert. So führte er unter anderem Regie bei einigen Episoden der Comedy-Serie „Olga“ (2016) und den Komödien „Ich nehm’ ab“ (2016) und „Gromkaya svyaz“ (2019). Wozu der Humor in „Fire“ genau dient, will ich an späterer Stelle erwähnen, zunächst soll es um die dramatischen Elemente gehen und in der Folge um die handwerklichen Aspekte des Films: Trotz des zeitweiligen Fokussierens auf humorvolle Szenerien läuft „Fire“ grundsätzlich im Modus eines Katastrophenfilms und orientiert sich in dieser Hinsicht an Beispielen aus dem Hollywood-Blockbuster. So gab es vor allem gegen Mitte der 1990er bis grob Ende der 2000er eine ganze Reihe von Katastrophenfilmen, die jedoch teilweise Genrehybride darstellten und in diesem Zusammenhang auf die Gattungen des Familiendramas, des Science-Fiction-Films und des Monsterfilms zurückgriffen. Der bedeutendste Regisseur aus diesem Segment ist sicherlich Roland Emmerich, der mit „Independence Day“ (1996) und „Godzilla“ (1998) mehr oder weniger den Grundstein für diese Phase legte (der eigentliche Auslöser war 1996 Jan de Bonts „Twister“). Bei „Independence Day“ griff der Deutsche auf das Science-Fiction-Genre zurück, bei „Godzilla“ auf den Monsterfilm, womit er jeweils eine Katastrophe evozierte, in der jeweils die Rettung der bürgerlichen Familie im Vordergrund steht.
Dieses Motiv setzt sich auch in Emmerichs weiteren Filmen fort, dennoch verändern sich entscheidende Punkte in der Auseinandersetzung. Mit „The Day After Tomorrow“ (2004) und „2012“ (2009) weichen klar zuzuordnende, jedoch abstrakte Antagonisten (in Form von Aliens und Echsen) von der Bildfläche, die Gefahr geht nun von natürlich-konnotierten Phänomenen aus. Gerade „The Day After Tomorrow“ thematisiert recht klar die Gefahren einer globalen Erwärmung und ist damit auch aktuell recht deutlich am Zeitgeist, während „2012“ seinen Fokus auf den Untergang der gesamten Welt im Rahmen einer genauen Datierung durch den Maya-Kalender legt. Beide Filme eint eine Skepsis gegenüber dem Einklang von Mensch und Natur (eine Welle, auf der beispielsweise auch M. Night Shyamalan mit seinem Film „The Happening“ (2008) mitschwomm) und das Zentrieren der bürgerlichen Familie als das Rettenswerte innerhalb der diegetischen Filmwelt. Zumeist wird jene Familie dabei bereits zu Beginn in den Fokus gerückt und oftmals ist es so, dass die Beziehungsgeflechte zwischen den einzelnen Menschen entweder belastet sind oder indirekt auseinanderzubrechen drohen. Die sich in der Folge entwickelnde Katastrophe erfüllt anschließend die Funktion, jene Beziehungsgeflechte wieder zu stärken, indem die Protagonisten die gefährliche Situation zusammen durchstehen. Somit stellt die eigentliche Katastrophe eben nicht die meist lebensbedrohliche Gefahr dar, sondern das Auseinanderbrechen der Familie, sodass die globale Katastrophe zwangsläufig dazu herhalten muss, die eigentliche, im Zentrum der Handlung stehende Katastrophe zu verhindern. Ohne zu viel zu verraten: Ein ähnliches dramaturgisches Szenario findet sich auch in „Fire“ und Alexey Nuzhnys Film nimmt sich die genannten Emmerich-Filme recht eindeutig zum Vorbild. Ästhetisch und handwerklich unterscheidet er sich jedoch durchaus von den Vorlagen und übertrumpft diese teilweise deutlich.
Ein ästhetischer Augenschmaus
Zunächst jedoch zu den Gemeinsamkeiten, denn über den Großteil der Zeit ist „Fire“ dann doch ästhetischer Mainstream, auch wenn sich einzelne künstlerische Eingriffe finden, beispielsweise in Form von sichtlich auf ästhetischen Genuss ausgelegten Gegenlichtaufnahmen. Dialoge werden größententeils im Schuss-Gegenschuss-Verfahren und geringer Tiefenschärfe abgedreht, die Farbpalette (abgesehen von der Darstellung des Feuers) folgt keiner auffälligen künstlerischen Intention, sondern eher einem Realismusprinzip. Die Kamera bleibt zudem recht statisch, scheut zunächst längere Fahrten und bewegt sich auch durch keine besonders auffällige Mise en scène. In dieser Hinsicht ähnelt „Fire“ frappierend seinen Vorbilden aus Hollywood, biegt jedoch an entscheidender Stelle in eine andere Richtung ab – nämlich mit der Ankunft im Dorf. Dort vollzieht der Film eine ästhetische Veränderung, welche die Siedlung in einen fast mythischen Ort verwandelt, der sich vom bis dahin Gesehenen deutlich abgrenzt und eine Anomalie innerhalb der Filmwelt darstellt. Das beginnt bei der Inszenierung der Menschen, die sich in klar strukturierten Aufnahmen zunächst zentralperspektivisch zu einem Bankett in der Dorfmitte einfinden. In der Mitte ist ein älterer Herr zu sehen, der sich durch seinen schwarzen Anzug deutlich vom Rest der Gemeinschaft abhebt und als eine Art Dorfvorsteher erkennbar wird. Bereits diese Art der Inszenierung stellt ihre Gemachtheit sichtbar aus und weicht vom in Hollywood kultivierten Continuity-Editing ab, bei dem es eben gerade darum geht, dass die Bilder nicht als Teil eines Films wahrgenommen werden, sondern den Blick weg vom Material lenken und die Rezipienten dazu bringen, zu vergessen, dass sie einen Film sehen.
Die handwerklichen Spielereien setzen sich fort. Schnell werden die Feuerwehrmänner vom Dorf akzeptiert und es folgt eine Reihe spielerisch und vor allem komödiantisch anmutender Szenen, in denen die Einsatzkräfte die Ruhe und den Frieden der Siedlung genießen und förmlich durch das Dorf schlendern. Lange Einstellungen fügen sich in die Schnittfolge ein und die Kamera fährt langsam durch die Reihen und kreist um die Menschen herum. Es ist ein ästhetischer Augenschmaus, den uns Nuzhny hier inmitten der familiären, patriarchal-strukturierten Siedlungsgemeinschaft zeigt, sodass eine Zunahme der ästhetischen Schauwerte gewährleistet wird, die auf einer Ebene mit den, zwar CGI-generierten, doch trotzdem beeindruckenden Feueraufnahmen stehen. Somit werden mit dem Feuer und der Dorfgemeinschaft auf rein formale Weise zwei seduktive Aspekte herausgearbeitet, die sich gegenüberstehen. Man könnte hier die These aufstellen, dass das Feuer als Gefahr den Weg zur Gemeinde sucht, damit das fröhliche Beisammensein dieser Vielzahl von sympathischen Charakteren und ihrer, vor allem durch komödiantische Elemente, ansprechenden Inszenierung beendet wird. Und trotz der Schönheit des Feuers plädiere ich dafür, dass die stärkeren Schauwerte, einhergehend mit der zentralen Sequenz des Films, sich gerade innerhalb der traumwandlerischen archaischen Bewegungen durch die Siedlung befinden, was schließlich zu einem Rezipentenwunsch führt, jene ländliche Harmonie möge wiederhergestellt werden.
Die Rettung des Konservativen
Durch die starke Fokussierung auf Kinder, Familien und eine ländliche Gemeinschaft wiederum dürften sich vor allem jene konservativ-eingestellten Menschen angesprochen fühlen, die bereits das Zielpublikum von Roland Emmerichs Katastrophenfilmen bildeten. Es gibt im Vergleich zu damals jedoch einige entscheidende Unterschiede, welche die Rezeption von „Fire“ entscheidend beeinflussen: Zum einen war zwar die globale Erwärmung Anfang der 2000er zwar ein großes Thema, es gab jedoch bei Weitem keine derart dominante öffentliche Debatte, wie wir sie angesicht der Dringlichkeit heutzutage haben. „Fire“ müsste dahingehend mit seiner gegenwärtigen Thematisierung eine deutlich höhere Schlagkraft erzielen als beispielsweise „The Day After Tomorrow“, zumal der russische Ableger mit seiner Fokussierung auf Waldbrände ein deutlich nachvollziehbareres und aktuell bereits sichtbares Szenario zeigt, was bei Emmerichs Werk nicht unbedingt der Fall ist.
Darüber hinaus funktioniert die Familienkonstruktion bei Nuzhny anders. Während wir bei Emmerich stets eine Familiendekonstruktion haben, die im Laufe der Katastrophe ins Gegenteil umgekehrt wird und zu einer Rekonstruktion führt, gibt es die Dekonstruktion in der russischen Produktion nicht. Es geht entweder darum, das Fortbestehen der Familie zu gewährleisten, oder darum, die Voraussetzungen zu schaffen, dass neue Familiengemeinschaften überhaupt entstehen können. „Fire“ lässt somit keine Zweifel daran, dass das Familienkonstrukt aus jeglicher Perspektive ein erstrebenswerter Zustand ist, und blendet die Möglichkeit einer Dekonstruktion mehr oder weniger aus, es sei denn sie geschieht durch eine Katastrophe. Der Fokus liegt somit viel stärker darauf, die Familie zu erhalten, damit man gemeinsam die Katastrophe verhindern kann, was man auf den Generationenvertrag in unserer afilmischen Realität übertragen kann.
Man artikuliert also gegenüber den konservativen Akteuren innerhalb einer Gesellschaft, dass die von ihnen präferierten Modelle des Zusammenlebens überhaupt nur fortbestehen können, wenn etwas gegen die klimatischen Veränderungen gemacht wird. Es wird gewissermaßen die Notwendigkeit herausgestellt, konservative Denkmuster, beispielsweise mit Bezug auf die Art des Wirtschaftens oder der Energiegewinnung, ad acta zu legen, damit konservative Denkmuster, beispielsweise mit Bezug zu einer klaren Rollenverteilung und Hierarchisierung innerhalb einer Gemeinschaft, überhaupt fortgedacht werden können. Meiner Auffassung nach ruft „Fire“ gerade dieses Denken hervor, was die Faszination und Genialität dieses Werkes ausmacht. Vor allem da sich jene Botschaft vor allem aus den formalen Aspekten des Films speisen und Alexey Nuzhny damit zeigt, was für ein talentierter Regisseur er ist. Denn selbst wenn die reine Narration kaum einen wirklichen Unterschied zu den anderen genannten Katastrophenfilmen aufweist, so bedient sich der Filmemacher auf formaler Ebene doch einiger interessanter handwerklicher Kniffe, die sich stark vom Mainstream unterscheiden und von einer progressiven Art des Filmemachens zeugen. „Fire“ wird dadurch zwar kein Meisterwerk, stellt jedoch eine sichtbare Entwicklung innerhalb des Genres der Katastrophenfilme dar und führt es durch seine zur Schau gestellte Gegenwärtigkeit in den Bereich des Politischen. Bitte mehr davon!
Veröffentlichung: 25. Juni 2021 als Blu-ray und DVD
Länge: 132 Min. (Blu-ray), 126 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Russisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Ogon
RUS 2020
Regie: Alexey Nuzhny
Drehbuch: Nikolay Kulikov, Konstantin Mayer, Alexey Nuzhny
Besetzung: Konstantin Khabenskiy, Ivan Yankovskiy, Stasya Miloslavaskaya, Andrey Smolyakov, Irina Gorbacheva, Viktor Dobranravov, Roman Kurtsyn, Yuriy kuznetsov
Zusatzmaterial: Originaltrailer
Label: capelight pictures
Vertrieb: Al!ve AG
Copyright 2021 by Lucas Gröning
Szenenfotos & Packshots: © 2021 capelight pictures