The Mist
SF-Horror // Erstmals veröffentlichte Stephen King seine Novelle „The Mist“ 1985 in der Kurzgeschichtensammlung „Skeleton Crew“, wo sie den Auftakt bildete. „Skeleton Crew“ enthält 18 Kurzgeschichten, zwei Novellen (darunter eben „The Mist“) und zwei Gedichte, die in Westdeutschland erstmals auf drei Bände aufgeteilt veröffentlicht wurden. Die Sammlung „Im Morgengrauen“ (1985) enthält vier Kurzgeschichten und die Novelle, nun „Der Nebel“ betitelt. 2013 erschien hierzulande „Blut – Skeleton Crew“ der Sammelband beinhaltet alle Erzählungen der US-Vorlage.
Frank Darabont, als ausführender Produzent, Drehbuchautor und Regisseur der ersten Episode einer der Schöpfer der späteren Erfolgsserie „The Walking Dead“ (ab 2010), hatte zuvor mit „Die Verurteilten“ (1994) und „The Green Mile“ (1999) bereits zwei formidable Stephen-King-Verfilmungen vorgelegt. Mit seinem Vorhaben, „The Mist“ 2007 in Schwarzweiß ins Kino zu bringen, biss er beim Studio Dimension Films auf Granit. Immerhin gelang es ihm, die Schwarzweiß-Fassung der Collector’s Edition von „The Mist“ auf DVD und Blu-ray hinzuzufügen. In einer Einführung vor der Schwarzweiß-Fassung begründet er deren Existenz damit, Stephen King habe in einem Nachwort geschrieben, beim Schreiben der Geschichte von den alten schwarz-weißen Monsterfilmen inspiriert worden zu sein. Für Darabont sei es ein Rückgriff auf Mitte der 60er-Jahre. Er möge auch die Farbversion, die wie ein Film aussehe, der Mitte der 70er entstanden sei. So oder so sei die Schwarzweiß-Fassung die von ihm präferierte Variante, also ein Director’s Cut (in der Collector’s Edition wird sie Director’s Choice genannt). Das ist für beide Versionen absolut nachvollziehbar.
Hommage an Illustrator Drew Struzan
Welch schöner Einstieg: Der Kunstmaler und Illustrator David Drayton (Thomas Jane) sitzt in seinem Atelier an einer neuen Arbeit. An der Wand hängen einige andere Werke, darunter das Plakatmotiv von John Carpenters „Das Ding aus einer anderen Welt“ (1982), für viele einer der besten Horrorfilme überhaupt. Das Bild, an dem David gerade malt, ist ein Motiv aus Stephen Kings „Der dunkle Turm“-Reihe. Frank Darabont konzipierte diesen Auftakt als Hommage an den Maler und Illustrator Drew Struzan (* 1947), der mehr als 150 Filmplakate entwarf. Alle Bilder dieser Eingangsszene stammen ebenfalls von ihm.
Zurück zur Handlung: Draußen über dem See in Maine, an dem David mit Ehefrau Stephanie (Kelly Collins Lintz) und Sohn Billy (Nathan Gamble) ein Haus bewohnt, tobt ein Gewittersturm, sodass die Draytons schutzsuchend in den Keller gehen. Am nächsten Tag erkennen sie, dass der Sturm das Haus tatsächlich schwer beschädigt hat, hauptsächlich durch einen umstürzenden Baum. Auch das Grundstück ihres Nachbarn Brent Norton (Andre Braugher) wurde schwer in Mitleidenschaft gezogen. Dass von den Bergen ein dichter Nebel herabzieht, stört sie vorerst nicht weiter. David und Billy fahren in Begleitung von Norton zum Einkaufen in die nahegelegene Kleinstadt Bridgton.
Der Nebel kommt
Unvermittelt bricht der Nebel über Bridgton herein, hüllt den Ort undurchdringlich ein. Dan Miller (Jeffrey DeMunn, „Der Blob“) stürzt verletzt heran, warnt die Anwesenden, etwas greife aus dem Nebel heraus die Menschen an. Schnell wird deutlich, dass er nicht übertreibt. David und Billy, Norton und viele andere verschanzen sich im Supermarkt, darunter der dort angestellte Ollie Weeks (Toby Jones), der Kunde Jim (William Sadler) und die Kundinnen Amanda Dunfrey (Laurie Holden) und Mrs. Carmody (Oscar-Preisträgerin Marcia Gay Harden, „Pollock“).
Ein Monsterfilm, so weit, so gut. Als solcher funktioniert „Der Nebel“ ganz vorzüglich, etwa wenn die Biester – zumindest ein paar Körperteile von ihnen – erstmals an einem Tor zum Lagerraum des Supermarkts auftauchen. Aber Darabonts dritte Stephen-King-Regiearbeit funktioniert auch noch auf einer anderen Ebene sehr gut: als Psychogramm einer Gruppe völlig unterschiedlicher Menschen, die in einer Extremsituation auf engem Raum miteinander auskommen müssen, was ihnen mehr schlecht als recht gelingt. Einige Konfliktherde heizen die Stimmung auf: Jim beispielsweise unterstellt dem zugezogenen und erfolgreichen Künstler David, auf die ortsansässigen Menschen herabzuschauen. Davids Nachbar Kent Norton wiederum hatte den Maler vor einiger Zeit verklagt, das Gerichtsverfahren aber verloren. Mrs. Carmody schließlich erweist sich als religiöse Fanatikerin, die das Geschehen für die gerechte Strafe Gottes hält und sogar einige andere davon zu überzeugen vermag. Als Zuschauer habe ich mich dabei ertappt, sie zu hassen zu beginnen. Diese heikle Gemengelage inszeniert Frank Darabont glaubwürdig mit viel Einfühlungsvermögen für seine Figuren, die hervorragende Besetzung hilft ihm dabei, ein paar Klischees zu überspielen. Es sind einige dabei, mit denen er wiederholt drehte: Jeffrey DeMunn und William Sadler waren in „Die Verurteilten“ und „The Green Mile“ dabei, DeMunn und Laurie Holden später auch in „The Walking Dead“.
Kreaturendesign von Greg Nicotero
Aber keine Sorge, die Monster kommen nicht zu kurz. Da es sich um diverse Arten fieser Biester handelt, konnten sich die Kreaturendesigner um den renommierten Greg Nicotero so richtig austoben. Und sie haben ganze Arbeit geleistet. Von klitzekleinen insekten- und spinnenartigen Viechern bis zu langsam dahinstapfenden hochhausgroßen Monstren wird uns einiges geboten, gern mal halb im Nebel verborgen, ab und zu auch in klar erkennbarer Pracht. Ein paar Mal wird es auch hübsch eklig.
Was die Kreaturen in die Welt der Menschen von Maine verschlagen hat, dafür gibt es – anders als in der Vorlage – beizeiten auch eine Erklärung. Und nicht die schlechteste! Beinahe hätte der Film die Entstehung der Bedrohung gleich mit dem Auftakt enthüllt, doch Frank Darabont entschied sich während der Dreharbeiten, die Startsequenz aus seinem originalen Drehbuch nicht zu filmen. Die richtige Entscheidung, auch wenn dieser Prolog visuell und in puncto Spannung zweifellos sehenswert ausgefallen wäre. Aber es tut gerade der Spannung gut, wenn wir über das Wesen der Bedrohung lange Zeit so sehr im Unklaren bleiben wie die ums Überleben kämpfenden Figuren.
Ungläubiges Staunen beim Ende
Kommen wir zum Finale (das ich nicht spoilern werde), das im Übrigen nicht aus Stephen Kings Feder stammt, sondern aus der von Drehbuchautor Darabont: Es ist, wie schon in der Überschrift dieses Textes erwähnt, einfach unfassbar. Ich hatte „Der Nebel“ Anfang 2008 im Kino verpasst, mir aber zügig die limitierte Collector’s Edition mit drei DVDs gekauft, die im August jenes Jahres erschien. Ich entsinne mich, nach Ende des Films während des Abspanns ungläubig vor meinem Fernseher gesessen zu haben, weil ich nicht glauben konnte, was ich da gerade gesehen hatte. Ich spulte einige Male zurück, um es zu begreifen. So etwas Gnadenloses hatte ich zuvor kaum einmal gesehen, wenn überhaupt – aus Hollywood schon mal gar nicht. Dieses Ende ist schon auch gemein, aber es hebt „Der Nebel“ noch einmal auf eine höhere Stufe über das Horror-Einerlei (wo sich der Film ohnehin nicht befindet). Es war Frank Darabont so wichtig, dass er Dimension Films die Zusage abrang, es so verwirklichen zu dürfen. Das so wunderschöne wie tieftraurige Musikstück „The Host of Seraphim“ von Dead Can Dance steigert die Intensität des Gezeigten enorm.
Sogar Stephen King hat sich gegruselt
Die Schwarzweiß-Fassung von „Der Nebel“ wirkt visuell insgesamt wertiger, da die Farbvariante doch etwas billig anmutet. Grandiosen, vielschichtigen Horror bietet sie aber ebenfalls. Bei Produktionskosten von etwa 18 Millionen US-Dollar spielte „Der Nebel“ an den Kinokassen weltweit 57 Millionen Dollar ein. Zu Recht – sogar Stephen King soll sich zur Freude Frank Darabonts sehr gegruselt haben. Dem Vernehmen nach bemerkte der Schriftsteller auch nicht, dass Darabont seine Regiearbeit gar nicht in Kings Heimat Maine gedreht hatte, sondern in Louisiana. Und noch einmal King: Wer aufpasst und auf Details achtet, wird einige Anspielungen auf den Großmeister des literarischen Horrors bemerken. Wer vom Nebel noch nicht genug hat, kann bei Netflix auf die zehnteilige Serie gleichen Titels zugreifen, die ebenfalls auf Stephen Kings Novelle basiert. Sie endet allerdings offen und insofern unbefriedigend, als sie nach der ersten Staffel abgesetzt wurde.
Was macht eigentlich Frank Darabont heute? Klare Antwort: Man weiß es nicht. Sein letztes verwirklichtes Projekt war 2013 die in Los Angeles angesiedelte Krimiserie „Mob City“, die er entwickelt und geschrieben hat und von deren nur sechs Episoden er vier inszeniert hat. Kinofilme hat er lediglich vier als Regisseur verantwortet, außer den drei herausragenden Stephen-King-Verfilmungen „Die Verurteilten“, „The Green Mile“ und „Der Nebel“ auch noch „The Majestic“ (2001) mit Jim Carrey und erneut Laurie Holden und Jeffrey DeMunn. Im Januar 2024 wird er seinen 65. Geburtstag feiern, altersmäßig ginge noch etwas. Darabonts Talent als Drehbuchautor und Regisseur ist unübersehbar, es wäre bedauerlich, wenn von ihm nichts mehr kommt. Als Stephen-King-Spezialist hat er dreimal amtlich abgeliefert, und „Der Nebel“ gehört zu den besten Horrorfilmen nach Kings Romanen überhaupt.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Stephen-King-Adaptionen haben wir in unserer Rubrik Filmreihen aufgelistet, Filme von Frank Darabont unter Regisseure, Filme mit Marcia Gay Harden und Laurie Holden in der Rubrik Schauspielerinnen, Filme mit Jeffrey DeMunn, Thomas Jane, Toby Jones und William Sadler unter Schauspieler.
Veröffentlichung: 10. Januar 2019 als 2-Disc Edition Mediabook (Blu-ray & Hörspiel-CD, 3 limitierte Covermotive), 8. Juli 2011 als Blu-ray im Steelbook, 4. November 2008 als Limited Collector’s Edition Blu-ray im Steelbook, 4. August 2008 als 3-Disc Limited Collector’s Edition (3 DVDs), DVD im Steelbook und DVD
Länge: 126 Min. (Blu-ray), 121 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: The Mist
USA 2007
Regie: Frank Darabont
Drehbuch: Frank Darabont, nach dem Roman von Stephen King
Besetzung: Thomas Jane, Laurie Holden, Marcia Gay Harden, William Sadler, Andre Braugher, Toby Jones, Jeffrey DeMunn, Frances Sternhagen, Nathan Gamble, Kelly Collins Lintz, Alexa Davalos, Chris Owen, Sam Witwer, Robert C. Treveiler, David Jensen, Melissa McBrie, Andy Stahl
Zusatzmaterial (variiert je nach Veröffentlichung): Schwarzweiß-Fassung des Films, Einleitung von Frank Darabont (3:17 Min.), Audiokommentar von Frank Darabont, entfallene Szenen (14:50 Min.), Making-of (37:27 Min.), Webisodes „Tag 10 – Erdbeben“ (3:16 Min.)“ & „Tag 18 – Der brennende Mann“ (4:01 Min.) & „Tag 34 – Franny, der Flammenwerfer“ (2:55 Min.), „Zähmung der Bestie – Die Analyse einer Szene“ (12:10 Min.), „Die Monster unter uns – Ein Blick auf die Special Effects“ (12:45 Min.), „Der Horror im Ganzen – Die Visual Effects“ (16:03 Min.), „Drew Struzan – Der Künstler“ (7:32 Min.), 3 Trailer, Trailershow, nur 3-Disc Collector’s Edition: Poster, Postkarte, Extra-DVD mit Trailern zu weiteren Filmen und Vorschauen auf kommende Senator-Veröffentlichungen, nur Mediabook: CD mit Hörspiel „John Sinclair – Der Todesnebel“ (56:54 Min.)
Label: Senator Film (Mediabooks: Birnenblatt)
Vertrieb: Universum Film
Copyright 2023 by Volker Schönenberger
Szenenfotos gruppierter Packshot: © Senator Film