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Archiv für den Monat Mai 2018

Die Fahrten des Odysseus – Paraderolle für Kirk Douglas

Ulisse

Von Volker Schönenberger

Fantasy-Abenteuer // „Die schönsten Sagen des klassischen Altertums“ – wer kennt dieses wunderbare Buch von Gustav Schwab, mit dem uns seit dem 19. Jahrhundert die griechische Mythologie vermittelt worden ist? Als Kind und Jugendlicher habe ich gern darin gelesen, und auch heute faszinieren mich die Erzählungen um die Götter des Olymp und die großen Helden wie Achilles, Iason, Orpheus, Theseus und wie sie alle heißen, nicht zu vergessen die holden Damen wie Ariadne, Elektra, Hero und Kassandra.

Königin Penelope von Ithaka muss sich …

Eine Sonderstellung nimmt dabei Odysseus ein, König von Ithaka und Held des Trojanischen Kriegs, dem manche Quellen auch die Idee zuschreiben, Troja mit der List des Trojanischen Pferds zu bezwingen. Die Geschichte seines Schicksals und seiner jahrelangen Irrfahrt wurde dereinst von einem gewissen Homer – so es ihn denn gegeben hat – in der Odyssee niedergeschrieben. Der griechische Dichter lebte womöglich im 8. Jahrhundert v. Chr. im ionischen Kleinasien. In Schriftform wurde die „Odyssee“ erstmals wahrscheinlich um die Wende vom 8. zum 7. Jahrhundert v. Chr. festgehalten – in 24 Gesängen aus Hexameterversen.

… hartnäckiger Verehrer erwehren

Die italienische Verfilmung von Mario Camerini („Ehefrau für eine Nacht“) beginnt am Hof von Ithaka, wo Königin Penelope (Silvana Mangano) seit langer Zeit auf die Rückkehr ihres verschollenen Gemahls wartet. Die Regentin kann sich kaum der unverschämten Freier erwehren, die sich bei Hofe eingenistet haben, dem süßen Leben frönen und verlangen, Penelope möge endlich einen von ihnen als neuen Ehemann auswählen. Ihren Sohn Telemach (Franco Interlenghi) nehmen die Rüpel nicht ernst. In einer ersten Rückblende – ein Sänger bei Hofe berichtet vom Krieg um Troja – erfahren wir, dass die trojanische Königstochter Kassandra (Elena Zareschi) Odysseus (Kirk Douglas) bei der Eroberung der Stadt verflucht und ihm eine niemals enden wollende Irrfahrt prophezeit hat.

Ihr Gemahl wird nicht weit entfernt an Land gespült und von Nausikaa gefunden

Odysseus ist derweil gar nicht so weit weg. Als Schiffbrüchiger ist er auf der Insel Phaeacia (wohl Korfu) gestrandet. König Alkinoos (Jacques Dumesnil) nimmt ihn freundlich auf, weil er dessen noble Herkunft erkennt. Seine gerade zur Frau erblühende Tochter Nausikaa (Rossana Podestà) verliebt sich schnell in den stattlichen Fremden. In weiteren Rückblenden entfalten sich nun die Abenteuer, die Odysseus und seine Gefährten während seiner Odyssee erlebt und erlitten haben: Auf einer abgelegenen Insel landen die Seefahrer in der Höhle des Zyklopen (Oscar Andriani). Der einäugige Gigant will sie verspeisen will, lässt sich aber mit Wein betrunken machen. Ihr Schiff segelt an den Sirenen mit ihren so betörenden wie tödlichen Gesängen vorbei – während die anderen sich die Ohren mit Wachs zugestopft haben, ließ sich Odysseus an den Mast binden, weil er begierig war, die Sirenen singen zu hören. Auf einer anderen Insel trifft Odysseus auf Circe (ebenfalls Silvana Mangano), die ihn becirct, bei ihr zu bleiben – so vergeht die Zeit.

Den gewaltigen Zyklopen besiegt man nur mit einer List

In der Rolle des Antinoos, des hartnäckigsten Freiers von Penelope, ist Anthony Quinn zu sehen, der einen stattlichen Antagonisten abgibt. Zum Aufeinandertreffen mit Odysseus kommt es aber erst gegen Ende. „Die Fahrten des Odysseus“ wird manchen heutigen Zuschauer moderner Abenteuerfilme aufgrund vieler Dialoge womöglich etwas langatmig vorkommen. Actionszenen sind rar gesät, aber die Faszination des klassischen Stoffs und die aufwendige Ausstattung gleichen das aus. Kirk Douglas kann in der Titelrolle sein viriles Charisma voll ausspielen.

Odysseus will die Sirenen singen hören …

Die zusätzlichen Szenen der italienischen Langfassung bringen weitere Dialoge, aber am Ende vielleicht auch zusätzliche und damit entbehrliche Längen. Ich habe sie mir gespart und verweise auf den Schnittbericht. Das kleine Label colosseo film hat „Die Fahrten des Odysseus“ erstmals als Blu-ray vorgelegt. Die dafür angefertigte neue 4K-Abtastung des Films beeindruckt mit einem Bild, das ich für einen Mitte der 1950er-Jahre entstandenen Film kaum für möglich gehalten hätte. Einmal mehr zeigt sich, dass gerade Technicolor-Filme in HD erstrahlen können, wenn sich die Restaurierer Mühe geben. Die italienisch-französisch-US-amerikanische Koproduktion erreicht nicht den Rang anderer klassischer Abenteuer mit antikem oder biblischem Stoff wie „Quo Vadis“ (1951), „Die zehn Gebote“ (1956), „Ben Hur“ (1959) und „Spartacus“ (1960), dennoch hat sich „Die Fahrten des Odysseus“ das Attribut Klassiker verdient – und nun auch eine würdige Veröffentlichung erfahren.

… und lässt sich von Circe becircen

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Kirk Douglas und Anthony Quinn haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.

Derweil macht Antinoos Penelope Avancen

Veröffentlichung: 23. Februar 2018 als 2-Disc Edition Blu-ray (inkl. Bonus-DVD) und Doppel-DVD, 5. März 2010 als Doppel-DVD, 6. Dezember 2007 als DVD, 22. Januar 2004 als DVD

Länge: 105 Min. (Kinofassung, Blu-ray), 109 Min. (Langfassung, DVD), 98 Min. (Kinofassung, DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch, Italienisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Ulisse
Internationaler Titel: Ulysses
IT/F/USA 1954
Regie: Mario Camerini
Drehbuch: Franco Brusati, Mario Camerini, Ennio De Concini, Hugh Gray, Ben Hecht, Ivo Perilli, Irwin Shaw, nach Homers Epos „Odyssee“
Besetzung: Kirk Douglas, Silvana Mangano, Anthony Quinn, Rossana Podestà, Jacques Dumesnil, Daniel Ivernel, Sylvie, Franco Interlenghi, Elena Zareschi, Evi Maltagliati, Piero Lulli, Gualtiero Tumiati, Mario Feliciani, Oscar Andriani
Zusatzmaterial 2-Disc Edition: italienische Langfassung, Bildergalerie, Dokumentation „Die phantastische Reise des Odysseus“, Vertikalschuber, Wendecover
Label Blu-ray: Colosseo Film
Vertrieb: Al!ve AG
Label 2007er- & 2001er-DVD e-m-s

Copyright 2018 by Volker Schönenberger
Szenenfotos: © 2018 Colosseo Film / Al!ve AG

 
 

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Das Gesetz bin ich – Wer würde Charles Bronson da widersprechen?

Mr. Majestyk

Von Volker Schönenberger

Actionkrimi // So lieben wir Charles Bronson: Wortkarg wie eh und je hat er als Melonenfarmer Vince Majestyk in Colorado gerade eine Schar mexikanischer Arbeiter zur Feldarbeit engagiert, als ihm der Ganove Bobby Kopas (Paul Koslo) eine andere Crew aufzwingen will. Eine kurze Abreibung später hat Kopas gemerkt, dass mit Majestyk nicht gut Melonen, Verzeihung: Kirschen essen ist.

Vince Majestyk (l.) will nur Melonen ernten

Schon der ansprechend gestaltete Vorspann mit seinem Neo-Western-Stimmung erzeugenden Score von Charles Bernstein („Der Tiger hetzt die Meute“) versetzt uns in die Zeit seiner Entstehung, und diese wunderbare Seventies-Atmosphäre mit reichlich abgebrühtem New-Hollywood-Flair und ein paar Gewaltspitzen hält sich bis zum Ende. Richard Fleischer hat als Spielfilm-Regisseur nie die großen Preise gewonnen, wenn auch immerhin 1948 den Oscar für die Doku „Design for Death“ über die aggressive Geschichte Japans, die letztlich zum Angriff auf Pearl Harbor geführt habe. Als versierter Filmemacher hat er aber über vier Jahrzehnte seine Duftmarke hinterlassen, etwa mit „Der Frauenmörder von Boston“, „Jahr 2022 … die überleben wollen“ (1973) und „Red Sonja“ (1985). „Das Gesetz bin ich“ markiert seine einzige Zusammenarbeit mit Charles Bronson und passt gut in Fleischers Genre-Filmografie.

Mit dem Killer auf der Flucht

Zurück zur Story: Kopas zeigt Majestyk an, doch obwohl der Melonenfarmer in Notwehr gehandelt hat, landet er im Knast. Ein Jahre zurückliegender Gefängnisaufenthalt wegen Körperverletzung tut sein Übriges dazu, dass er nicht ohne Weiteres auf freien Fuß gesetzt wird. Als die Gefangenen verlegt werden, gerät der Transport in einen Hinterhalt – der ebenfalls inhaftierte Auftragskiller Frank Renda (Al Lettieri) soll befreit werden. Majestyk gelingt es, sich hinters Lenkrad des Busses zu setzen und mit Renda im Schlepptau aus dem Kreuzfeuer der Schießerei zu fliehen.

Der kleine Gauner Bobby Kopas funkt dazwischen

Die Handlung schlägt ein paar Haken, und der vom versierten Nebendarsteller Al Lettieri („Der Pate“) verkörperte Killer Renda entpuppt sich in der Folge als so großspuriger wie rachsüchtiger Zeitgenosse, der einen prächtigen Antagonisten abgibt. Lettieri starb ein Jahr und drei Filme nach „Das Gesetz bin ich“ im Alter von nur 47 Jahren an einem Herzinfarkt.

Neues Bild, neues Glück

Im Vorfeld der geplanten Neuveröffentlichung beantragte Wicked-Vision Media für „Mr. Majestyk“, so der Originaltitel, bei der FSK eine Neuprüfung. Ergebnis: die Herabstufung der ungekürzten Fassung von vormals FSK 18 auf eine Freigabe ab 16 Jahren. Zudem ließ die Bildqualität der 2011er-Blu-ray des Films offenbar zu wünschen übrig – von einem Grünstich ist die Rede. Daher verpasste das Label dem Bild eine gründliche Restaurierung. Mangels Sichtung der alten Blu-ray kann ich keine Vergleiche ziehen, wohl aber anführen, dass die Bildqualität der Wicked-Veröffentlichung hervorragend ist: Mit klaren Farben und Konturen, gutem Kontrast und unter Beibehaltung einer gewissen Körnigkeit lässt sie keine Wünsche offen. Obendrein packte Wicked-Vision optionale deutsche und englische Untertitel auf die Disc. Hinzu kommt üppiges Bonusmaterial, darunter ein bislang unveröffentlichtes Interview mit Richard Fleischer, das 2006 kurz vor seinem Todes mit ihm geführt worden war. Im Booklet findet sich ein Interview mit Charles Bronson aus dem 1974er-Presseheft von „Das Gesetz bin ich“, dazu ein Essay über den Film und einer über Bronson, beide fachkundig geschrieben von David Renske. Insgesamt also wieder eine rundum wertige Veröffentlichung, das Gegenteil eines schnöden Repacks.

Die Mexikanerin Nancy Chavez sucht nur einen Job

„Das Gesetz bin ich“ – wer würde Charles Bronson schon widersprechen wollen? Mit seinem „Mr. Majestyk“ liefert er eine Paraderolle ab. Regisseur Fleischer nimmt mal das Tempo etwas heraus, mal zieht er die Action gehörig an, und er verliert dabei niemals die Spannung aus den Augen. Auch heute noch sehenswert und in dieser Veröffentlichung Pflichtprogramm für Freunde gepflegter 70er-Action – für Charles-Bronson-Fans sowieso.

Killer auf der Flucht: Frank Renda

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Richard Fleischer haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgeführt, Filme mit Charles Bronson unter Schauspieler.

Das Gesetz bin ich

Veröffentlichung: 26. Januar 2018 als 2-Disc Limited Collector’s Edition (Blu-ray & DVD, drei Covervarianten à 444, 666 und 333 Exemplare), 16. Juni 2011 als Blu-ray und DVD, 4. Dezember 2006 als DVD

Länge: 104 Min. (Blu-ray), 100 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Mr. Majestyk
USA 1974
Regie: Richard Fleischer
Drehbuch: Elmore Leonard
Besetzung: Charles Bronson, Al Lettieri, Linda Cristal, Lee Purcell, Paul Koslo, Taylor Lacher, Frank Maxwell, Alejandro Rey, Jordan Rhodes, Bert Santos,
Zusatzmaterial: Audiokommentar mit Dr. Rolf Giesen und Dr. Gerd Naumann, „Colorado Chic“: Interview mit Darstellerin Lee Purcell, „Colorado Cool“: Interview mit Kameramann Richard H. Kline, „Looking Back“: Exklusiv-Interview mit
Richard Fleischer, deutscher Trailer (Open-Matte-Version), deutscher Trailer (1,85:1), deutscher Trailer (ReCut 2017), Originaltrailer, Bildergalerien (Plakate, Aushänge, Pressefotos), Werberatschläge, Pressehefte, Filmprogramm, 24-seitiges Booklet von David Renske und mit einem Archiv-Interview von Charles Bronson
Label/Vertrieb Mediabook: Wicked-Vision Media
Label/Vertrieb Blu-ray & DVD 2011: EuroVideo Medien GmbH
Label/Vertrieb DVD 2006: Twentieth Century Fox Home Entertainment

Copyright 2018 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & Packshots: © 2018 Wicked-Vision Media

 

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Der Boxer und der Tod – Ein aussichtsloser Kampf

Boxer a smrt

Von Andreas Eckenfels

Kriegsdrama // Die 1960er-Jahre werden als das Goldene Zeitalter des tschechoslowakischen Films bezeichnet. Eine ganze Generation von aufstrebenden, jungen Filmemachern prägte die Nová Vlna, die Tschechoslowakische Neue Welle. Dabei sorgten die stilistisch und inhaltlich von staatlichen Zwängen befreiten, meist gesellschaftskritischen Werke auch international für Aufsehen und gewannen auf den weltweiten Filmfestivals die wichtigsten Preise. „Das Geschäft in der Hauptstraße“ (1965) von Ján Kadár und
Elmar Klos sowie Jiří Menzels „Liebe nach Fahrplan“ (1966) wurden sogar jeweils mit einem Oscar als bester fremdsprachiger Film geehrt.

Lagerkommandant Kraft (r.) findet in Häftling Jan Komínek seinen perfekten Sparringspartner

Regisseur Peter Solan mag nicht ganz so bekannt sein wie seine Kollegen Miloš Forman, Věra Chytilová und Jan Němec. Doch mindestens ein Film machte den 2013 verstorbenen Slowaken auf einen Schlag bekannt: „Der Boxer und der Tod“ mit Štefan Kvietik und Manfred Krug in den Hauptrollen wurde 1963 auf dem 5. Festival des Tschechoslowakischen Films in Ústí nad Labem ausgezeichnet und avancierte in seiner Heimat zum erfolgreichsten Film des Jahres.

Sparringspartner im KZ gesucht

Schauplatz ist ein irgendwo in Ost-Europa gelegenes Konzentrationslager während des Zweiten Weltkriegs: Lagerkommandant Kraft (Manfred Krug) ist ehemaliger Preisboxer. Bevor er seine SS-Uniform überstreift, trainiert er in den Baracken immer noch ein paar Runden. Doch ohne Sparringspartner ergibt das tägliche Sandsackhauen nicht viel Sinn. Seine Frau Helga (Valentina Thielová) rät ihm dazu, unter den Häftlingen einen geeigneten Kandidaten zu finden. Nur so könne er in Form bleiben und nach dem Krieg wieder seiner alten Leidenschaft nachgehen.

Komínek demonstriert seine Fertigkeiten

Tatsächlich wird Kraft fündig: Jan Komínek (Štefan Kvietik) sollte eigentlich aufgrund eines missglückten Fluchtversuchs hingerichtet werden. Doch der Lagerkommandant erkennt das Talent des ehemaligen Amateurboxers und begnadigt ihn. Fortan trainiert Komínek gezwungenermaßen regelmäßig mit Kraft. Damit er bis zu einem geplanten Schaukampf vor Nazi-Obersten wieder rechtzeitig zu alter Stärke zurückfinden kann, erhält Komínek ausreichend zu essen und Gesundheitskontrollen durch Lagerarzt Dr. Gluck (Jindrich Narenta). Mit dieser Sonderstellung handelt er sich nicht nur unter seinen Mithäftlingen bald reichlich Missmut und Anfeindungen ein.

Dem Verbot widersetzt

Bereits Ende der 1950er-Jahre plante Peter Solan die Kurzgeschichte des polnischen Schriftstellers Józef Hen zu verfilmen. Sein Drehbuch wurde zunächst vom Leiter der slowakischen Filmbehörde wegen des Vorwurfs, es sei „profaschistisch“, verboten. Schließlich würden die „dämonischen“ Deutschen nicht so dargestellt werden, wie sie wirklich waren – dämonisch eben. Die Kunstbehörde setzte sich dennoch über das Verbot hinweg und gab das Drehbuch frei. Aber erst unter dem Einfluss der aufkeimenden Nová Vlna konnte der in ruhigen Schwarz-Weiß-Bildern inszenierte „Der Boxer und der Tod“ 1963 schließlich realisiert werden. Die Außenaufnahmen wurden in einem ehemaligen jüdischen Arbeitslager nahe der slowakischen Stadt Nováky gedreht. Das Lager war 1941 errichtet worden, zwischen 1.200 und 1.800 Häftlinge waren darin untergebracht.

Die Spinne, die mit Fliegen spielt

Mit Štefan Kvietik und Manfred Krug liefern sich zwei schauspielerische Schwergewichte in „Der Boxer und der Tod“ einen gleich auf mehreren Ebenen aussichtslosen Kampf. Denn die Verhältnisse, die in dem System eines Konzentrationslagers vorherrschen, lassen nur einen Schluss zu: Egal, was er auch tun mag, Komínek hat eigentlich keine Chance zu Überleben. Obwohl der abgemagerte Komínek dem stämmigen Kraft technisch überlegen ist, wäre es gefährlich, wenn der Häftling den Lagerkommanden niederstreckt. Kraft hält nun mal unweigerlich das Schicksal von Komínek und dessen Mithäftlingen fest in seinen Händen. Ein falscher Schlag oder eine falsche Geste und die Stimmungslage des Kommandanten könnte sich schnell ändern. Kraft könnte wahllos das Todesurteil auf andere Häftlinge anwenden, die er schlicht als „Fliegen“ bezeichnet. Was den Lagerkommandanten zur Spinne macht, die ihre wehrlosen Opfer in ihrem Netz so lange zappeln lässt, bis sie keine Lust mehr hat, mit ihnen zu spielen. Oder ist Kraft vielleicht am Ende doch Sportsmann genug, um Komínek eine faire Chance aufs Überleben zu geben?

Komínek steckt in einem tiefen Dilemma

Doch Komínek kämpft auch noch an einer anderen Front: gegen den Hass und Unmut seiner Mithäftlinge. Während er ausreichend zu essen hat, hungern sie und müssen im Lager schuften. Er wird von den anderen Inhaftierten als „Verräter“ und „Spitzel“ beschimpft. „Soll ich ins Gas gehen?“, erwidert Komínek verzweifelt, als er wieder einmal bepöbelt wird. Solan konfrontiert seinen Protagonisten in seinem packenden Kriegsdrama mit einer Vielzahl existenzieller Gewissensfragen, bei denen sich auch der Zuschauer unweigerlich fragt, wie man in so einer Situation selbst entscheiden würde. Gleichzeitig funktioniert Solan aber auch durch die realistisch inszenierten Boxszenen als mitreißender Sportfilm.

Als Vorlage für die Figur von Jan Komínek diente das reale Schicksal des polnischen Boxers Tadeusz Pietrzykowski. Dass er kein Einzelfall und besonders der Boxsport in Konzentrationslagern gang und gäbe war, berichtet Sportjournalist Martin Krauss in seinem interessanten Booklet-Text „Boxen, um zu überleben“. Sehenswert ist auch das US-Drama „Triumph des Geistes“ („Triumph of the Spirit“, 1989) von Robert M. Young, in welchem Willem Dafoe den griechisch-jüdischen Boxer Salamo Arouch verkörpert, der in Auschwitz im Ring um sein Leben kämpfen musste. Wer mehr über das tschechoslowakische Kino und Regisseur Peter Solan im Speziellen erfahren möchte, der wird im ausführlichen Bonusmaterial der DVD- und Blu-ray-Veröffentlichung von Bildstörung fündig.

Während er boxt und ausreichend zu essen hat …

Die Filme der „Drop Out“-Reihe von Bildstörung haben wir in unserer Rubrik Filmreihen aufgeführt. Ein lesenswerter Text zu „Der Boxer und der Tod“ findet sich auch im Filmforum Bremen.

… müssen seine Mithäftlinge hungern und schuften

Veröffentlichung: 25. Mai 2018 als Blu-ray und DVD

Länge: 106 Min. (Blu-ray), 100 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch/Tschechisch
Untertitel: keine (tschechische Dialoge deutsch untertitelt)
Originaltitel: Boxer a smrt
CSR 1963
Regie: Peter Solan
Drehbuch: Peter Solan, Tibor Vichta, Józef Hen nach seiner Kurzgeschichte „Der Boxer und der Tod“
Besetzung: Štefan Kvietik, Manfred Krug, Valentina Thielová, Józef Kondrat, Edwin Marian, Gerhard Rachold, Jindrich Narenta, Edmund Ogrodzinski
Zusatzmaterial: „Die goldenen Sechziger“ (Dokumentation über Peter Solan), Wochenschaubericht zu den Dreharbeiten, „Deutschdorf“ (Dokumentarfilm von Peter Solan), Interview mit dem Filmwissenschaftler Martin Kanuch, Interview mit dem Filmwissenschaftler Olaf Möller, Setfotos, Behind-the-Scenes-Galerie, Booklet mit einem Text des Sportjournalisten Martin Krauss
Label: Bildstörung
Vertrieb: Al!ve AG

Copyright 2018 by Andreas Eckenfels

Szenenfotos: © Slovak Film Institute, Trailer & Packshot: © 2018 Bildstörung

 

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