Ulisse
Fantasy-Abenteuer // „Die schönsten Sagen des klassischen Altertums“ – wer kennt dieses wunderbare Buch von Gustav Schwab, mit dem uns seit dem 19. Jahrhundert die griechische Mythologie vermittelt worden ist? Als Kind und Jugendlicher habe ich gern darin gelesen, und auch heute faszinieren mich die Erzählungen um die Götter des Olymp und die großen Helden wie Achilles, Iason, Orpheus, Theseus und wie sie alle heißen, nicht zu vergessen die holden Damen wie Ariadne, Elektra, Hero und Kassandra.
Eine Sonderstellung nimmt dabei Odysseus ein, König von Ithaka und Held des Trojanischen Kriegs, dem manche Quellen auch die Idee zuschreiben, Troja mit der List des Trojanischen Pferds zu bezwingen. Die Geschichte seines Schicksals und seiner jahrelangen Irrfahrt wurde dereinst von einem gewissen Homer – so es ihn denn gegeben hat – in der Odyssee niedergeschrieben. Der griechische Dichter lebte womöglich im 8. Jahrhundert v. Chr. im ionischen Kleinasien. In Schriftform wurde die „Odyssee“ erstmals wahrscheinlich um die Wende vom 8. zum 7. Jahrhundert v. Chr. festgehalten – in 24 Gesängen aus Hexameterversen.
Die italienische Verfilmung von Mario Camerini („Ehefrau für eine Nacht“) beginnt am Hof von Ithaka, wo Königin Penelope (Silvana Mangano) seit langer Zeit auf die Rückkehr ihres verschollenen Gemahls wartet. Die Regentin kann sich kaum der unverschämten Freier erwehren, die sich bei Hofe eingenistet haben, dem süßen Leben frönen und verlangen, Penelope möge endlich einen von ihnen als neuen Ehemann auswählen. Ihren Sohn Telemach (Franco Interlenghi) nehmen die Rüpel nicht ernst. In einer ersten Rückblende – ein Sänger bei Hofe berichtet vom Krieg um Troja – erfahren wir, dass die trojanische Königstochter Kassandra (Elena Zareschi) Odysseus (Kirk Douglas) bei der Eroberung der Stadt verflucht und ihm eine niemals enden wollende Irrfahrt prophezeit hat.
Odysseus ist derweil gar nicht so weit weg. Als Schiffbrüchiger ist er auf der Insel Phaeacia (wohl Korfu) gestrandet. König Alkinoos (Jacques Dumesnil) nimmt ihn freundlich auf, weil er dessen noble Herkunft erkennt. Seine gerade zur Frau erblühende Tochter Nausikaa (Rossana Podestà) verliebt sich schnell in den stattlichen Fremden. In weiteren Rückblenden entfalten sich nun die Abenteuer, die Odysseus und seine Gefährten während seiner Odyssee erlebt und erlitten haben: Auf einer abgelegenen Insel landen die Seefahrer in der Höhle des Zyklopen (Oscar Andriani). Der einäugige Gigant will sie verspeisen will, lässt sich aber mit Wein betrunken machen. Ihr Schiff segelt an den Sirenen mit ihren so betörenden wie tödlichen Gesängen vorbei – während die anderen sich die Ohren mit Wachs zugestopft haben, ließ sich Odysseus an den Mast binden, weil er begierig war, die Sirenen singen zu hören. Auf einer anderen Insel trifft Odysseus auf Circe (ebenfalls Silvana Mangano), die ihn becirct, bei ihr zu bleiben – so vergeht die Zeit.
In der Rolle des Antinoos, des hartnäckigsten Freiers von Penelope, ist Anthony Quinn zu sehen, der einen stattlichen Antagonisten abgibt. Zum Aufeinandertreffen mit Odysseus kommt es aber erst gegen Ende. „Die Fahrten des Odysseus“ wird manchen heutigen Zuschauer moderner Abenteuerfilme aufgrund vieler Dialoge womöglich etwas langatmig vorkommen. Actionszenen sind rar gesät, aber die Faszination des klassischen Stoffs und die aufwendige Ausstattung gleichen das aus. Kirk Douglas kann in der Titelrolle sein viriles Charisma voll ausspielen.
Die zusätzlichen Szenen der italienischen Langfassung bringen weitere Dialoge, aber am Ende vielleicht auch zusätzliche und damit entbehrliche Längen. Ich habe sie mir gespart und verweise auf den Schnittbericht. Das kleine Label colosseo film hat „Die Fahrten des Odysseus“ erstmals als Blu-ray vorgelegt. Die dafür angefertigte neue 4K-Abtastung des Films beeindruckt mit einem Bild, das ich für einen Mitte der 1950er-Jahre entstandenen Film kaum für möglich gehalten hätte. Einmal mehr zeigt sich, dass gerade Technicolor-Filme in HD erstrahlen können, wenn sich die Restaurierer Mühe geben. Die italienisch-französisch-US-amerikanische Koproduktion erreicht nicht den Rang anderer klassischer Abenteuer mit antikem oder biblischem Stoff wie „Quo Vadis“ (1951), „Die zehn Gebote“ (1956), „Ben Hur“ (1959) und „Spartacus“ (1960), dennoch hat sich „Die Fahrten des Odysseus“ das Attribut Klassiker verdient – und nun auch eine würdige Veröffentlichung erfahren.
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Kirk Douglas und Anthony Quinn haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.
Veröffentlichung: 23. Februar 2018 als 2-Disc Edition Blu-ray (inkl. Bonus-DVD) und Doppel-DVD, 5. März 2010 als Doppel-DVD, 6. Dezember 2007 als DVD, 22. Januar 2004 als DVD
Länge: 105 Min. (Kinofassung, Blu-ray), 109 Min. (Langfassung, DVD), 98 Min. (Kinofassung, DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch, Italienisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Ulisse
Internationaler Titel: Ulysses
IT/F/USA 1954
Regie: Mario Camerini
Drehbuch: Franco Brusati, Mario Camerini, Ennio De Concini, Hugh Gray, Ben Hecht, Ivo Perilli, Irwin Shaw, nach Homers Epos „Odyssee“
Besetzung: Kirk Douglas, Silvana Mangano, Anthony Quinn, Rossana Podestà, Jacques Dumesnil, Daniel Ivernel, Sylvie, Franco Interlenghi, Elena Zareschi, Evi Maltagliati, Piero Lulli, Gualtiero Tumiati, Mario Feliciani, Oscar Andriani
Zusatzmaterial 2-Disc Edition: italienische Langfassung, Bildergalerie, Dokumentation „Die phantastische Reise des Odysseus“, Vertikalschuber, Wendecover
Label Blu-ray: Colosseo Film
Vertrieb: Al!ve AG
Label 2007er- & 2001er-DVD e-m-s
Copyright 2018 by Volker Schönenberger
Szenenfotos: © 2018 Colosseo Film / Al!ve AG