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Archiv für den Monat Januar 2019

12 Feet Deep – Gefangen im Wasser: Zu lange gebadet

12 Feet Deep

Von Volker Schönenberger

Horrorthriller // Ein langes Wochenende steht bevor, das Hallenbad schließt etwas früher als gewöhnlich. Unwirsch bedeutet Bademeister McGradey (Tobin Bell) den Gästen, nun endlich das Schwimmbecken zu verlassen und zu gehen. Die Schwestern Bree (Nora-Jane Noone) und Jonna (Alexandra Park) allerdings springen noch einmal ins Wasser – Bree hat ihren Ring verloren, er hat sich im Gitter eines Abflusses verklemmt. Während die beiden jungen Frauen in der Tiefe des Beckens versuchen, das Schmuckstück herauszuholen, betätigt McGradey einen Schalter, und langsam schiebt sich die Fiberglas-Abdeckung über das Wasser. Im Glauben, der letzte Anwesende zu sein, macht der Bademeister Feierabend und verlässt das Gebäude. Zwischen Wasseroberfläche und Abdeckung bleibt Bree und Jonna nicht viel Platz. Ihre Versuche, auf sich aufmerksam zu machen, scheitern, niemand hört ihre Hilferufe. Sie sind ganz allein – bis eine Putzfrau (Diane Farr) auf der Bildfläche erscheint. Die allerdings ist eine Kleinkriminelle, die die Notlage der Schwestern zu ihrem Vorteil nutzen will.

Der Bademeister schließt das Hallenbad

Um einen solchen reduzierten Plot auf Spielfilmlänge zu bringen, bedarf es zusätzlicher Elemente, daher tragen die Schwestern einige Probleme und Altlasten mit sich herum. So etwas darf natürlich nicht dem Zweck dienen, Lücken in der Story zu kaschieren, und das tut es glücklicherweise auch nicht, sondern funktioniert gut, getragen von zwei überzeugenden Hauptdarstellern, welche die Konflikte ihrer Figuren glaubwürdig mit Leben füllen, bis hin zu einenm seelischen Abgrund, der sich bei ihnen auftut. Respekt vor den Leistungen der beiden Schauspielerinnen, die während der 14 Tage dauernden Produktion einen Großteil der Drehzeit im Wasser verbringen mussten. Der sparsam eingesetzte Score und die aufgrund des Schwimmbecken-Schauplatzes zwangsläufig bläulich-kühle Farbgebung tragen das Ihre dazu bei, eine beklemmende Atmosphäre zu erzeugen. Es wird nachvollziehbar, wie wir uns selbst in einer solchen Situation fühlen würden – jedenfalls nicht besonders wohl.

Tobin „Jigsaw“ Bell als Bademeister

Nora-Jane Noone hatte 2005 eine Nebenrolle in Neil Marshalls Höhlen-Schocker „The Descent – Abgrund des Grauens“, sie spielte eine der Kletterinnen – die erste, die getötet wird. Im irischen Drama „Savage – At the End of All Humanity“ spielte sie 2009 die Freundin des gepeinigten Protagonisten. Alexandra Park spielte in der TV-Serie „The Royals“ in 40 Episoden die Prinzessin Eleanor. Über Nebendarsteller Tobin Bell muss man Horrorfans nicht mehr viel erzählen, der Star des „Saw“-Franchises dient aber lediglich dem Zweck, „12 Feet Deep – Gefangen im Wasser“ mit seinem Namen auf dem Cover die nötige Aufmerksamkeit in der Genre-Gemeinde zu verschaffen – aber da es sich um verdiente Aufmerksamkeit handelt, ist das völlig legitim. Diane Farr schließlich spielt hier und da in Serien mit.

Die beiden Schwestern entdecken den Ring im Wasser

Regisseur und Ko-Drehbuchautor Matt Eskandari („The Gauntlet“) inszenierte den Horrorthriller, weil er eigenen Angaben zufolge selbst panische Angst davor hat, in einem Pool gefangen zu sein. Diese Angst vermittelt er dem Publikum auf gelungene Weise. Das begrenzte Setting erinnert an bekannte Thriller, genannt seien beispielhaft die Telefonzelle in „Nicht auflegen!“ (2002) mit Colin Farrell und der Holzsarg in „Buried – Lebend begraben“ (2010) mit Ryan Reynolds. „12 Feet Deep – Gefangen im Wasser“ reiht sich da gut ein. Ob jetzt jedes Detail der Logik letzter Schluss ist, sei dahingestellt. Okay, indem ich das erwähne, deute ich an, dass ein paar kleine Logiklöcher zu bemerken sind. Der Dramaturgie und dem Spannungsbogen tut das keinen Abbruch, sodass ich „12 Feet Deep – Gefangen im Wasser“ guten Gewissens empfehlen kann. Welche klaustrophobischen Spannungsfilme mit ähnlich begrenztem Schauplatz könnt Ihr empfehlen, von welchen ratet Ihr ab?

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Tobin Bell haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.

Im Becken gefangen

Veröffentlichung: 7. Februar 2019 als Blu-ray und DVD

Länge: 85 Min. (Blu-ray), 82 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: 12 Feet Deep
USA 2017
Regie: Matt Eskandari
Drehbuch: Matt Eskandari, Michael Hultquist
Besetzung: Nora-Jane Noone, Alexandra Park, Diane Farr, Tobin Bell, Christian Kain Blackburn, Donald Prince
Zusatzmaterial: Trailer, Trailershow, Wendecver
Label: Tiberius Film
Vertrieb: Sony Pictures Home Entertainment

Copyright 2019 by Volker Schönenberger
Szenenfotos & Packshot: © 2019 Tiberius Films

 
 

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Green Book – Eine besondere Freundschaft: So etwas können wir gerade gut gebrauchen

Green Book

Kinostart: 31. Januar 2019

Von Philipp Ludwig

Tragikomödie // Mit einer Mischung aus Neugier und Abscheu betrachtet Frank „Tony Lip“ Vallelonga (Viggo Mortensen, „Captain Fantastic – Einmal Wildnis und zurück“) eindringlich zwei leere Gläser in der Spüle seiner Wohnung, die er sich mit seiner Frau Dolores (Linda Cardellini) und seinen zwei jungen Söhnen teilt. Hat besagte Ehefrau aus diesen Gläsern doch kurz zuvor erst zwei afroamerikanischen Klempnern Wasser zum Trinken angeboten. Im Amerika der 1960er-Jahre und insbesondere der New Yorker Bronx war ein Besuch ebensolcher Handwerker wohl nicht nur Grund genug, dass die halbe Verwandtschaft zu Besuch kam, um die scheinbar schutzlose Hausfrau zu beschützen. Auch Frank lässt sich von der rassistischen Grundstimmung seiner anwesenden Verwandten und Freunde nur allzu leicht dazu verleiten, die Handwerker mit skeptischen Blicken zu bedenken und später die besagten Trinkgefäße doch lieber still und heimlich im Mülleimer zu entsorgen.

Solange die Bezahlung stimmt, ist Tony für fast jeden Job zu haben

Frank ist ein grundsolider, eher einfach gestrickter Typ und gerade deswegen im Grunde genommen ein an sich herzenssympathischer Zeitgenosse. Seinen deutlich leichter von der Zunge gehenden Spitznamen „Tony Lip“ (sein Nachname wird im Film noch einige phonetische Komplikationen verursachen) hat er sich bereits zu Schulzeiten redlich verdient – scheint der Gute doch tatsächlich in der Lage zu sein, sich mit seiner verbalen Schlagfertigkeit wirklich aus jeder Situation noch irgendwie herausquasseln zu können. In der Schule hat er es allerdings nicht über die siebte Klasse hinaus geschafft. Seine wahre Schule war die harte Realität des Lebens auf den Straßen in der New Yorker Bronx. Dort hat er nahezu jeden noch so ungemütlichen Job ausgeübt, den es für einen Italo-Amerikaner aus der Arbeiterschicht dort gibt.

Liebender Familienvater – Knallharter Türsteher

So auch seine aktuelle Beschäftigung als Türsteher im renommierten Nachtclub „Copacabana“. Bei der der kompromisslose Haudegen nicht einmal davor zurückschreckt, frevelhafte Gäste rüde aus dem Laden zu werfen, selbst wenn er von deren Mafia-Verbindungen weiß. Als das Etablissement kurz nach seiner letzten Rauswurfaktion für einige Monate wegen Renovierungsarbeiten schließen muss, bekommt Tony Wind vom Jobangebot eines gewissen „Doc“ Shirley, der für acht Wochen einen Fahrer sucht. Im Glauben, es mit einem wohlhabenden Arzt zu tun zu haben, der bestimmt gutes Geld springen lässt, macht er sich erwartungsvoll auf den Weg zum Vorstellungsgespräch. Die finanzielle Versorgung seiner Familie hat für ihn stets höchste Priorität.

Doc (r.) ist nicht der ganz der Auftraggeber, den Tony erwartet hat

Umso erstaunter ist er, als er in dessen New Yorker Luxuswohnung direkt über der berühmten Carnegie Hall als Auftraggeber nicht den von ihm erwarteten weißen Arzt vor sich hat, sondern einen weiteren Afroamerikaner (Mahershala Ali, „Moonlight“). Dieser stellt sich als „Doc“ Don Shirley vor, seines Zeichens nicht nur ein überaus gebildeter Mann, sondern auch ein außerordentlich talentierter, aufstrebender Konzertpianist. Dessen Plattenlabel will ihn auf große Konzert-Tour durch den Mittleren Westen und vor allem den Süden der USA schicken. In den 1960ern-Jahren stellt das aufgrund von Shirleys Hautfarbe ein Unterfangen dar, das mit gewissen Risiken verbunden ist.

Der richtige Mann für den Job?

Dank seiner Fertigkeiten scheint Tony für den Job als fahrender Bodyguard perfekt geeignet zu sein. Und obwohl die grundverschiedenen Männer bereits beim Vorstellungsgespräch verbal auf Kollisionskurs gehen, bekommt er schlussendlich dennoch den Job. Tonys wichtigstes Hilfsmittel bei der anstehenden Tour: das berüchtigte „Green Book“, das Lokale und Motels auflistet, in denen auch schwarze Amerikaner willkommen sind beziehungsweise solche Herbergen, in denen ausschließlich afroamerikanische Bürgerinnen und Bürger bewirtet und untergebracht werden.

Die beiden Männer könnten in ihren Wesenszügen kaum unterschiedlicher sein

Zu Beginn des mehrwöchigen Roadtrips entsteht jedoch der Eindruck, als werde der gefürchtete, stets lauernde Alltagsrassismus gar nicht das größte Problem sein. Vielmehr scheinen die endlosen gemeinsamen Stunden im Auto für die beiden Extremcharaktere eine viel größere Herausforderung darzustellen. Wem der beiden Männer wird es schwerer fallen, mit seinem ungewohnten Mitfahrer klarzukommen?

Buddy-Komödie mit ernstem Hintergrund

Trotz des ernsten und vor allem bedrückenden historischen Hintergrunds schafft es Regisseur Peter Farrelly, dass Potenzial der gemeinsamen, kammerspielartigen Zeiten seiner beiden Protagonisten auf äußerst unterhaltsame Weise für einen überraschenderweise ausgesprochen humorvollen Film zu nutzen. Im Gegensatz zum slapstickartigen und mitunter etwas stumpfen Humor seiner ersten Regieerfolge wie „Dumm & Dümmer“ (Regiedebüt 1994) und etwa „Verrückt nach Mary“ (1998) gelingt es dem komödienerfahrenen Regisseur in „Green Book – Eine besondere Freundschaft“ jedoch, dessen komödiantische Möglichkeiten mit ungemein viel Feingefühl und intelligentem Wortwitz anspruchsvoll zur vollen Entfaltung kommen zu lassen.

Der belesene Doc hält vor allem von Tonys vulgärer Sprache nicht sonderlich viel

Sein größtes Glück ist hierbei natürlich, auf zwei fantastische Hauptdarsteller setzen zu dürfen. Die hauchen den sympathischen und hochinteressanten Figuren mit ihrer Schauspielkunst nicht nur eine Menge Leben und Wärme ein, sondern harmonieren darüber hinaus auch bestens im Zusammenspiel. Viggo Mortensen verkörpert den leicht dickbäuchigen, dauerquasselnden Vielfraß Tony sprichwörtlich mit Haut und Haaren – man muss ihn als Typen einfach gern haben. Einen wie „Tony Lip“ wüsste wohl jeder gern als Beschützer an seiner Seite. Seine dennoch mitunter etwas rüde anmutenden Verhaltensweisen, sein ausgeprägter Straßenslang – all das steht im krassen Gegensatz zum stets zugeknöpften und außerordentlich bedacht agierenden Doc Shirley.

Finden Sie es eigentlich gut, wie Sie reden?

Für den kann es derzeit kaum einen besseren Darsteller geben als Mahershala Ali. Kann er doch zum wiederholten Male durch seine Fähigkeit zur Darstellung von vornehmlich zurückhaltend und verschlossen agierenden Charakteren überzeugen, deren wenige aber umso imposantere Gefühlsausbrüche durch sein kraftvolles Spiel dadurch umso beeindruckender wirken. Erneut weise ich darauf hin, auch diesen Film nach Möglichkeit in der englischsprachigen Originalfassung zu schauen. Nicht nur wegen des von Mortensen präsentierten, großartigen New Yorker Slangs. Ein beachtlicher Teil der Komik des Films beruht auf Tonys vermeintlichen sprachlichen Defiziten sowohl in Aussprache als auch Grammatik und Inhalt – zumindest in den Augen von Doc Shirley, der dies seinen Fahrer nur zu gern und wiederholt wissen lässt. Inwiefern das in der deutschen Fassung gleichwertig umgesetzt werden kann, kann ich nicht beurteilen.

Nichtsdestotrotz müssen sie sich miteinander arrangieren

Doch schlägt „Green Book“ notwendigerweise auch immer wieder ernste Töne an. Das Thema Rassismus wird trotz all der zahlreichen, humorvollen Momente sowie der feinen Komik immer wieder mit allem nötigen Ernst und Respekt angemessen in Erinnerung gerufen. Gerade die humorigen Elemente sowie die zunehmende Freundschaft, die sich zwischen den so unterschiedlichen Protagonisten entwickelt, sind als Gegengewicht zur Ernsthaftigkeit mancher Sequenzen eine ausgesprochen gute Wahl. Wird hierdurch der Rassismus doch vor allem als das entlarvt, was er ist: eine himmelsschreiende Dummheit, ohne nachvollziehbare Grundlage, ohne Recht auf Existenz. Gerade Tony ist durch seine manchmal etwas einfach anmutende, naive Art als Figur besonders gut in der Lage, die Absurdität hinter dem „Konzept“ einer rassistischen Weltanschauung im Lauf der Geschichte immer stärker herauszustreichen. Dadurch legt er bei seinen Gegenübern deren fehlende argumentative Basis für deren auf Vorurteilen basierendes Weltbild schonungslos offen.

Ein Mann, bereit sich zu ändern

Tonys zunächst noch bestehender latenter Rassismus, der in seiner anfänglichen Glasbeseitigungsaktion zum Ausdruck kommt, entspringt ein Stück weit auch seinem mangelnden Wissen von der Welt außerhalb der Bronx. Ist er doch mitunter beinahe schon von einer kindlichen Überraschung befallen, wenn er etwa feststellen muss, dass sich Doc überhaupt nicht so verhält, wie „seine Leute“ es doch eigentlich tun würden – zumindest in Tonys Vorstellung, versteht sich. Seine gemeinsame Zeit mit dem Pianisten versetzt ihn in die Lage, zu lernen, dass die Welt nicht immer die zu sein scheint, die sie in ihrer tückischen Einfachheit manchmal zu sein vorgibt. Und insbesondere Tonys Frau Dolores profitiert dabei besonders von der intellektuellen Nachhilfe durch Doc.

Tonys Ehefrau Dolores ist von der ungewohnt poetischen Seite ihres Mannes überrascht und berührt

Besonders tragisch angelegt ist dagegen die Figur des Doc als verlorene, einsame Seele zwischen den Welten. Trotz seiner begnadeten Talente am Klavier und seiner guten Bildung – von den meisten „Weißen“ wird er dennoch nie als einer der „Ihren“ angesehen. Wohingegen er, im feinen Anzug und mit entsprechender Attitüde, in den heruntergekommenen Motels „seiner Leute“ ebensowenig Anschluss findet. Dass Doc darüber hinaus auch noch homosexuell zu sein scheint, macht die ganze Sache für ihn erst recht nicht einfacher.

Doc hingegen scheint nirgends so wirklich dazuzugehören

Aber auch der daher verständlicherweise zurückhaltend agierende Doc ist wiederum in der Lage, dank Tonys Unbedarftheit ganz andere Facetten des Lebens kennenzulernen und seinem „wahren Ich“ vielleicht ein Stück weit näherzukommen. Umso toller wirkt die Beobachtung der filmischen Entwicklung dieser wunderbaren Freundschaft, in der beide Männer zunehmend voneinander zu lernen verstehen und ihre Ressentiments überwinden können.

Auf der Bühne ist er jedoch ganz in seinem Element

Die Geschichte wirkt umso großartiger, wenn man sich deren Echtheit vor Augen führt: Bis ins hohe Alter waren die realen Vorbilder eng miteinander befreundet und starben nur wenige Monate voneinander. Interessanterweise hat Tonys Sohn Nick Vallelonga dann auch am Drehbuch der filmischen Umsetzung dieser berührenden Freundschaft mitgewirkt, der in der amerikanischen Filmwelt bereits vielfältige Erfahrungen sammeln konnte – unter anderem als Schauspieler („GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia“) sowie Regisseur („Stiletto“). Für eine gewisse Authentizität ist in „Green Book“ also gesorgt – und auch den titelgebenden Reiseführer hat es leider tatsächlich gegeben.

Ein Film, den wir gerade gut gebrauchen können

Der populäre US-Komiker Seth Myers hat in seiner Late-Night-Show ein Segment mit dem Titel „The Kind of Stories We Need Right Now“, in der er besonders skurrile und vor allem positive Meldungen aus aller Welt vorstellt und somit ein Gegengewicht zu dem Irrsinn aus Trumps Präsidentschaft zu setzen versucht, mit dem er sich ansonsten mehrheitlich beschäftigt. In diesem Sinne kann man auch „Green Book“ durchaus als einen Film betrachten, den man aufgrund seiner positiven Botschaft und Feel-Good-Movie-Attitüde gerade in der heutigen Zeit gern anschauen mag. Denn der im Film behandelte Rassismus sowie die rüde wie stumpfsinnige Ablehnung gegenüber Fremden allgemein ist gewiss kein Relikt der hier behandelten Zeit. Ganz im Gegenteil, sind die Ewiggestrigen doch nahezu überall auf dem Vormarsch, wie es scheint – zumindest muss man sie und ihre Ansichten leider wieder zunehmend wahrnehmen.

Trotz seiner Berühmtheit muss der Pianist schmerzhaft feststellen, dass er nicht überall willkommen ist – Tony (r.) versteht die Welt nicht mehr

Wenn man bei „Green Book – Eine besondere Freundschaft“ zumindest mal nach etwas Anlass zur Kritik Ausschau halten will, dann lässt sich anführen, dass dieser positive Grundtenor und die Moral von der Geschichte mitunter ein klein wenig zu dick aufgetragen sind. Ebenso wie die manchmal etwas zu offensichtlichen Entwicklungen der beiden Hauptfiguren und ihrer Freundschaft. Dies wäre allerdings wirklich die berühmte Nadel im Heuhaufen eines rundum gelungenen Filmwerks. Denn geht es hier doch weniger um die Frage, ob Tony und Doc zu Freunden werden, sondern vor allem darum, auf welche Weise dies geschieht. Der Weg ist das Ziel – und dieser bietet ein höchst unterhaltsames Filmerlebnis. Die zahlreichen Auszeichnungen und Nominierungen bei hochklassigen Preisverleihungen sind gerechtfertigt – allein fünf Nominierungen bei den anstehenden Oscar-Verleihungen, Golden Globes für Drehbuch, als bester Film (Musical/Komödie) und Mahershala Ali, unverständlicherweise als Nebendarsteller. Gelingt doch nicht nur ein gelungener künstlerischer Spagat zwischen einer Vielzahl an Genres wie Komödie, Historienfilm, Biopic und Roadmovie – auch die Balance zwischen intelligentem Humor und ernsten Tönen ist durchweg gelungen. Obwohl es neben dem Grund zum Lachen auch immer wieder Grund zum Weinen und Ärgern gibt – das Lachen überwiegt. Schaut euch „Green Book – Eine besondere Freundschaft“ selbst an, ich kann die Tragikomödie nur wärmstens empfehlen.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Viggo Mortensen sind in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.

Ziemlich beste Freunde: Doc (l.) und Tony

Länge: 131 Min.
Altersfreigabe: FSK 6
Originaltitel: Green Book
USA 2018
Regie: Peter Farrelly
Drehbuch: Peter Farrelly, Brian Hayes Currie, Nick Vallelonga
Besetzung: Viggo Mortensen, Mahershala Ali, Linda Cardellini, Don Stark, Brian Stepanek, Sebastian Maniscalco, Iqbal Theba, Dimiter D. Marinov, Mike Hatton, Tom Virtue, Paul Sloan
Verleih: Entertainment One Germany

Copyright 2019 by Philipp Ludwig

Filmplakat, Trailer & Szenenfotos: © 2018 Entertainment One Germany

 

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The Boys from Brazil – Träumen Nazis von Hitler-Klonen?

The Boys from Brazil

Von Leonhard Elias Lemke

Thriller // „The Boys from Brazil“ ist eine fulminante Doku über die Kicker vom Zuckerhut: Pelé, Ronaldo, Ronaldinho, Kakà und Co. Natürlich nicht! „The Boys from Brazil“ ist ein dreifach Oscar-nominierter, zu keinem Zeitpunkt zimperlicher Thriller mit Horror- und Science-Fiction-Anleihen aus dem Jahr 1978 von Franklin J. Schaffner („Papillon“, „Planet der Affen“), mit einer bizarren Nazi-Thematik und Starbesetzung – basierend auf dem Bestseller von Ira Levin, von dem auch die Vorlage zu Roman Polanskis „Rosemaries Baby“ stammt.

Wiederholt sich die Geschichte?

Anfang der 70er-Jahre treffen sich einige im Exil lebende ehemalige SS-Offiziere unter der Führung von Dr. Josef Mengele (Gregory Peck) in Paraguay, um ein geheimes Projekt in Gang zu bringen. Der junge Nazi-Forscher Barry Kohler (Steve Guttenberg) macht den in Wien ansässigen Nazi-Jäger Ezra Lieberman (Laurence Olivier) auf diese Zusammenkunft aufmerksam. Nach einigem Zögern stellt Lieberman eigene Nachforschungen an. Er begreift den diabolischen Plan der Alt-Nazis: Mit Hilfe moderner Gentechnik ist es ihnen gelungen, aus biologischen Überresten Adolf Hitlers 94 Jungen zu klonen und diese in Adoptivfamilien unterzubringen, um so ein „Viertes Reich“ zu erschaffen.

Der Nazi-Arzt Josef Mengele plant Ungeheuerliches

Damit aus den Hitler-Klonen auch möglichst genaue Ebenbilder des Schreckensherrschers werden, sollen die Kinder genauso sozialisiert werden, wie einst Hitler. Beruf, Alter, Lebensumstände etc. der Adoptivfamilien müssen genau denen aus Hitlers Kindheit entsprechen. Nächste Schwierigkeit für die SS-Schergen ist nun, dass Hitlers Vater mit 65 Jahren starb. Folglich müssen in allen 94 Adoptivfamilien die Väter pünktlich getötet werden, was sich zu einem schwierigen Unterfangen entwickelt – zumal Lieberman und Justiz immer näher rücken.

Big Budget Exploitation mit drei Oscar-Preisträgern

„The Boys from Brazil“, hierzulande seinerzeit mit dem deutschen Titelzusatz „Geheimakte Viertes Reich“ in den Kinos gelaufen, besticht vor allem durch seine bizarre, durchkonstruierte Geschichte, die aber funktioniert. Man nimmt sich einer hoch exploitativen Storyline ernsthaft an, hat keine Angst, Weltstars ins Genrebecken zu werfen. Freilich wirkt schon der Begriff „Nazi-Klon“ nicht sonderlich glaubwürdig, und man denkt unweigerlich an Filme wie „Zombies – Die aus der Tiefe kamen“ (1977) mit immerhin Peter Cushing, doch versteht es Regisseur Franklin J. Schaffner (Oscar 1971 für „Patton – Rebell in Uniform“), die Story glaubwürdig voranzubringen.

Journalist Barry Kohler erfährt davon und kontaktiert …

Das ist auch ein Verdienst der starken Schauspieler, welche die plakativen Figuren nicht der Lächerlichkeit preisgeben, sondern gar bierernst nehmen, wobei vor allem Peck zum Overacting neigt – der Zuschauer kann sich hier gewiss nicht immer ein Lächeln verkneifen. Auch die jungen Hitler-Klone mit ihrem auffallenden Seitenscheitel und herrischem Wesen sind herrlich augenzwinkernd in Szene gesetzt. Diese komödiantische Note des Films scheint allerdings der deutschen Zensurbehörde damals entgangen zu sein, denn sie kürzte ihn um 25 Minuten und beraubte ihn so seiner besten Szenen.

… den Nazi-Jäger Ezra Lieberman

Die Oscar-Preisträger Peck (1963 für seine Hauptrolle in „Wer die Nachtigall stört“) und Olivier (1949 für die Titelrolle in „Hamlet“) liefern sich ein spannendes Gefecht auf Distanz – Olivier erhielt dafür eine weitere Oscar-Nominierung. Schließlich kommt es zum finalen Showdown mit Herzschlagfinale. Bis in die Nebenrollen besitzt der Film geballte Starpower: Bruno Ganz, James Mason, Lilli Palmer, Uta Hagen, Steve „Police Academy“ Guttenberg und Sky du Mont sind unter anderen zu sehen. Die Musik von Jerry Goldsmith unterstreicht hervorragend die einzelnen Passagen des Films und passt sehr gut zu den Originalschauplätzen, an denen gedreht wurde. Auch der Komponist reiht sich in die Riege der an dieser Produktion beteiligten Oscar-Preisträger ein: Er wurde 1977 für seinen Score des Horrorfilms „Das Omen“ prämiert – sein einziger Academy Award bei satten 18 Nominierungen, eine davon für „The Boys from Brazil“. Zu guter Letzt wurde 1979 nach Olivier und Goldsmith auch Robert Swink für einen Oscar nominiert – für seinen Schnitt.

Esther Lieberman hat Angst um ihren Mann

„The Boys from Bazil“ sollte nicht als tiefgründige Geschichtslehrstunde verstanden werden, sondern als eine (hoffentlich für immer) rein fiktive Geschichte, die unterhält, überzeugt und einen auch ab und an zum Lächeln bringt. Übrigens lebte der echte Josef Mengele zum Zeitpunkt des Erscheinens des Films unbehelligt in Südamerika und könnte ihn im Kino gesehen haben …

The Boys are finally back – in HD!

Koch Films hat den Thriller erstmals auf Blu-ray in Deutschland veröffentlicht – eine verdiente Ehre – und lässt seine Figuren, tollen Schauplätze und Sets so in schärfstem Schwarz-Weiß-Rot erstrahlen. Neben der (zu ignorierenden) deutschen Kurzfassung gibt es die Super-8-Fassung, beide deutsche Synchronfassungen, den tollen Soundtrack Goldsmiths, obligatorische Trailer und Bildergalerie sowie ein Promo-Featurette.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Denholm Elliott, James Mason, Laurence Olivier und Gregory Peck sind in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.

Eduard Seibert (r.) ist Mengeles Mann im Hintergrund

Veröffentlichung: 8. November 2018 als Blu-ray und DVD

Länge: 125 Min. (Blu-ray), 120 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: The Boys from Brazil
Alter deutscher Titelzusatz: Geheimakte Viertes Reich
GB/USA 1978
Regie: Franklin J. Schaffner
Drehbuch: Heywood Gould, nach einem Roman von Ira Levin
Besetzung: Gregory Peck, Laurence Olivier, James Mason, Lilli Palmer, Uta Hagen, Steve Guttenberg, Denholm Elliott, Rosemary Harris, John Dehner, John Rubinstein, Bruno Ganz, Michael Gough, Sky du Mont, Carl Duering, Linda Hayden
Zusatzmaterial: 2 Synchronfassungen, Trailer, Featurette, Bildergalerie
Label/Vertrieb: Koch Films

Copyright 2019 by Leonhard Elias Lemke
Senenfotos & Packshot: © 2018 Koch Films

 

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