
The Unbearable Weight of Massive Talent
Von Volker Schönenberger
Actionkomödie // Jüngsten Werken wie „Die Farbe aus dem All“ (2019), „Willy’s Wonderland“ (2021), „Prisoners of the Ghostland“ (2021) und „Pig“ (2021) zum Trotz: Ist sein Part in „Massive Talent“ vielleicht die durchgeknallteste Rolle, die Nicolas Cage je angenommen hat? Immerhin spielt er – Trommelwirbel – sich selbst! Regisseur und Drehbuch-Co-Autor Tom Gormican hatte 2014 mit „Für immer Single“ („That Awkward Moment“) nach eigenem Drehbuch sein Regiedebüt vorgelegt. Weshalb es acht Jahre bis zum Nachfolger „Massive Talent“ dauerte, ist nicht bekannt. Jedenfalls scheint er Nicolas Cages Karriere gut verfolgt zu haben. Der Film steckt voller Reverenzen und Anspielungen auf die Laufbahn des Kaliforniers. Angeblich wurde sogar eine aus Zitaten einiger seiner ikonischen Rollen zusammengestellte Actionsequenz im Stil von „Das Cabinet des Dr. Caligari“ – also als Schwarz-Weiß-Stummfilm in expressionistischem Setting – gedreht, die der Heimkino-Veröffentlichung vorbehalten bleibt. Das will ich sehen!

Am Flughafen von Mallorca …
Zur Handlung der Actionkomödie: Nicolas Cage (brillant: Nicolas Cage) hat schon bessere Tage gesehen. Der Schauspieler hofft auf die große „Game Changer“-Rolle, die ihn zurück ins Rampenlicht und an die fetten Gagentröge führt. Seine Ehe mit Olivia Henson (Sharon Horgan) hat er an die Wand gefahren, zu seiner halbwüchsigen Tochter Addy (Lily Mo Sheen) hat er kaum noch Zugang. Er zeigt ihr lieber den deutschen Horror-Stummfilmklassiker „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1920), der die Teenagerin nicht interessiert, und spielt sich bei ihrem Geburtstag auf peinliche Weise in den Vordergrund (ein feiner Fremdschäm-Moment).
Karriereende und ab nach Malle!
Schließlich hat Cage genug davon, dass die Rollenangebote ausbleiben, und er beschließt, seine Schauspielkarriere an den Nagel zu hängen: Immerhin besorgt ihm sein Agent Richard Fink (Neil Patrick Harris) einen lukrativen Trip auf die Mittelmeerinsel Mallorca. Der katalanische Multimillionär Javi Gutierrez (Pedro Pascal) will Cage als Ehrengast auf seiner Geburtstagsparty dabei haben, bietet dafür eine Million Dollar Antrittsgeld und einen luxuriösen Aufenthalt. Ein Angebot, das Nicolas Cage nicht ablehnen kann.

… wartet ein vermeintlicher Fan auf Nicolas Cage
Fühlt sich der verkrachte Schauspieler anfangs noch unwohl, bilden sich schon nach kurzer Zeit freundschaftliche Bande zwischen ihm und dem schwerreichen Katalanen. Diese vertiefen sich, als Javi Cages Erfolg „Im Körper des Feindes“ („Face/Off“, 1997) von John Woo und ausgerechnet „Das Cabinet des Dr. Caligari“ als seine Lieblingsfilme nennt. Doch dann fangen ihn die beiden CIA-Leute Vivian und Martin (Tiffany Haddish, Ike Barinholtz) ab und berichten ihm, Cages Gastgeber sei ein Gangster im globalen Waffenhandel und habe die Tochter eines katalanischen Politikers gekidnappt, der gegen das organisierte Verbrechen vorgeht. Zweck der Entführung: den Politiker zu zwingen, sich von einer bevorstehenden Wahl zurückzuziehen. Widerwillig lässt sich Cage darauf ein, seinen Gastgeber auszuspionieren.
Auf den Spuren Jean-Claude Van Dammes
Nicolas Cage? That’s fucking cool. Unabhängig davon, welche Figur diese Worte zu welchem Zeitpunkt des Films sagt – es stimmt! Diese Actionkomödie macht einfach Spaß! Sie befindet sich auf demselben Niveau wie die Actionkomödie „JCVD“ von 2008, in welcher sich Jean-Claude Van Damme ebenfalls selbst spielte und über seine auf dem Sinkflug befindliche Karriere reflektierte. „Massive Talent“ ist dabei weniger melancholisch geraten.

Immerhin trifft der Schauspieler …
Wer bei Nicolas Cage den Hang zum Overacting missbilligt, wird dies auch in diesem Fall hinnehmen müssen. Nicht in jeder Szene natürlich, dafür ist er als Schauspieler dann doch zu versiert – so ganz von ungefähr kommen sein Oscar und Golden Globe für „Leaving Las Vegas – Liebe bis in den Tod“ (1995) jedenfalls nicht. Aber es gefällt Cage offenbar ausgesprochen gut, in Filmen mitzuwirken, in denen er mindestens ein- oder zweimal so richtig die Sau rauslassen kann. Er tut es mit Inbrunst und in diesem Fall mit der klar erkennbaren Absicht, sich selbst zu persiflieren. Dazu trägt auch bei, dass Cage in ein paar Szenen gute Ratschläge von einer jüngeren Version seines Selbst bekommt. Mit diesem feinen Running Gag wäre sogar mehr drin gewesen, beispielsweise mitten im zünftigen Action-Getümmel. So bleibt es bei ein paar Szenen mit dem doppelten Nicolas fuckiiiiiiiiiiiiiiiiiiinnnng Cage! Wenn ein Schauspieler mit großen Meriten das Recht zum Overacting hat, dann dieser.
Buddy-Movie und Vater-Tochter-Geschichte zugleich
Regisseur Tom Gormican gelingt eine warmherzige Kombination aus Buddy-Movie und Vater-Tochter-Geschichte, die zum Ende hin in handelsübliche Action-Gefilde abdriftet, dies aber in einer Szene mit einem ganz wunderbaren Schnitt auflöst und zu einem runden Finale führt. Es hilft, dass sowohl zwischen Nicolas Cage und dem Javi-Darsteller Pedro Pascal („The Mandalorian“) als auch zwischen Cage und der seine Filmtochter spielenden Lily Mo Sheen (Tochter von Kate Beckinsale und Michael Sheen) die Chemie stimmt (man verzeihe mir dieses etwas abgegriffene Motiv).

… mit Javi Gutierrez auch einen echten Fan
Pedro Pascal spielt Cages reichen Auftrag- und Gastgeber so sympathisch, dass von Anfang ausgeschlossen werden kann, er könne ein Kindesentführer und Großkrimineller sein. Das stört aber nicht weiter, für die Dramaturgie des Geschehens ist die Frage von Javis Beteiligung an dem Verbrechen nicht von Bedeutung. Nicolas Cage setzt seine Heldenreise ganz unabhängig davon fort.
Der Nationalheilige der Seltsamkeit
Das Presseheft zu „Massive Talent“ zitiert den Regisseur Tom Gormican: Nick hat mittlerweile einen Status, der das überschreitet, was einen normalen Schauspieler ausmacht. Er ist ein Abbild unserer Kultur. Und während diese immer seltsamer wird und die Mode immer ausgefallener, können wir eine direkte Linie ziehen zu dem Nationalheiligen der Seltsamkeit, Nicolas Cage. Nur sein Gesicht zu sehen, macht die Leute bereits froh. Das ist wirklich faszinierend und hat mich dazu inspiriert, tiefer zu graben, um herauszufinden, wer er wirklich ist. „Nationalheiliger der Seltsamkeit“ – diese Bezeichnung gefällt mir ausgesprochen gut (siehe etwa Cages eingangs von mir erwähnten Filme, an Seltsamkeit schwer zu übertreffen).

Bald gehen der Multimillionär und der verkrachte Schauspieler …
Zu kurz kommt allerdings die Frage, weshalb sich der einstmals der A-Liga zugehörige Schauspieler eine ganze Weile lustlos in den Niederungen von Billigproduktionen verheizt hat. Da es kein Biopic ist, müssen wir hier nichts über Steuerprobleme und andere eher langweilige Details erfahren. Es ist auch irrelevant, dass Cage tatsächlich keine Tochter im Teenageralter hat, sondern zwei Söhne, davon einen erwachsenen und einen Teenager – erst im September 2022 kam mit seinem dritten Kind eine Tochter zur Welt. Aber vielleicht hätte Gormican eine kurze Episode um einen der „Stinker“ in Cages Filmografie ersinnen können – einen seiner echten Missgriffe, von denen es einige gibt, oder einen erdachten.
Eine Fantasie über Nicolas Cage
Dazu passt, was Nicolas Cage über den Regisseur zu sagen hat (ebenfalls aus dem Presseheft zitiert): Ich nenne Tom „The Mind“, weil der Film wirklich auf seiner Fantasie basiert, auf Erwartungen der Presse und des Internets, sowie auf Anekdoten meines Privatlebens, die an die Öffentlichkeit gelangt sind. Das wird alles vermischt mit dem Wissen über Interviews, die ich gegeben habe und mit Dingen, die mich schon immer interessiert und dazu veranlasst haben, diesen Pfad einzuschlagen. In seiner Essenz ist der Film Toms Fantasie, wie mein Leben vielleicht aussieht. Eine Fantasie, der wir nur zu gern folgen.

… zusammen durch dick und dünn
Einen Kurzauftritt als Erfolgsregisseur, dem sich Nicolas Cage unbedingt für eine Hauptrolle andienen will, hat David Gordon Green, der zuletzt mit „Halloween“ (2018) und „Halloween Kills“ (2021) reüssierte und deren Fortsetzung „Halloween Ends“ abgedreht hat – sie kommt im Oktober 2022 in die Kinos. Die Szenen auf Mallorca entstanden im kroatischen Dubrovnik.
Cage-Fans werden entzückt sein
An sich sollte die Fähigkeit zur Selbstironie keine Eigenschaft sein, zu der man jemanden besonders loben muss. Doch da sie bei vielen nicht zu bemerken ist, ist es wohl doch keine Selbstverständlichkeit, also gilt: Hut ab, Nicolas Cage! „Massive Talent“ ist ein Fest für seine Fans, eine ironische Reflexion seiner Karriere, die alles und gar nichts mit der Realität zu tun hat. Und auch wer sich nicht zu Cages Fans zählt, möge ein Auge riskieren, um eine Ahnung davon zu bekommen, wozu dieser schillernde Superstar in der Lage ist. Cage-Hasser werden sich in ihrer Haltung bestätigt fühlen, aber für die hat Tom Gormican den Film auch nicht gemacht. Und Nicolas Cage zeigt ihnen mit „Massive Talent“ voll Wonne eine lange Nase und macht „Bäbäbä!“
Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Demi Moore haben wir in unserer Rubrik Schauspielerinnen aufgelistet, Filme mit Nicolas Cage und Neil Patrick Harris unter Schauspieler.
Veröffentlichung: 30. September 2022 als UHD Blu-ray im Mediabook, Steelbook und Softcase (jeweils inkl. Blu-ray), Blu-ray und DVD
Länge: 108 Min. (Blu-ray), 104 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: The Unbearable Weight of Massive Talent
USA 2022
Regie: Tom Gormican
Drehbuch: Tom Gormican, Kevin Etten
Besetzung: Nicolas Cage, Pedro Pascal, Sharon Horgan, Tiffany Haddish, Ike Barinholtz, Paco León, Neil Patrick Harris, Lily Mo Sheen, Alessandra Mastronardi, Jacob Scipio, Katrin Vankova, Demi Moore, Anna MacDonald, David Gordon Green, Luke McQueen, Joanna Bobin
Zusatzmaterial: Audiokommentar, Featurettes, entfernte Szenen, SXSW Film Festival Q&A
Label/Vertrieb: Leonine
Copyright 2022 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & Packshots: © 2022 Leonine
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