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35 Millimeter – Das Retro-Filmmagazin: Ein Spin-off in 70 Millimetern

14 Jul

35 Millimeter – Das Retro Filmmagazin

Von Lucas Gröning

Filmzeitschrift // 2014 gründete Jörg Mathieu die Zeitschrift „35 Millimeter – Das Retro-Filmmagazin“, welche ausschließlich Filme aus der Zeit zwischen 1895 und 1965 behandelt. Ziel sei es gewesen, so Mathieu, der jüngeren Generation die wunderschöne Welt dieses großen und spannenden Kapitels der Filmgeschichte nahezubringen und so das filmische Erbe der Vergangenheit in die Gegenwart und in die Zukunft zu überführen. Sieben Jahre und viele Ausgaben später ist es soweit, den zeitlichen Rahmen auszuweiten und auch (zumindest etwas) jüngere Filme in die Auswahl einzubeziehen. Aus diesem Grund erschien im Mai 2021 die erste (oder „Nuller“-) Ausgabe eines Ablegers der „35 Millimeter“, nämlich das „70 Millimeter“-Magazin. Dieses neue Druckwerk beschäftigt sich mit den Jahren 1966 bis 1975 und soll den Auftakt zu einer Etablierung eines neuen Heftes als Schwestermagazin der ursprünglichen Zeitschrift darstellen, wie Chefredakteur Clemens G. Williges im Editorial des Piloten verlauten lässt. Die erste reguläre Ausgabe soll im Lauf der zweiten Jahreshälfte 2021 erscheinen, der genaue Veröffentlichungstermin steht noch nicht fest. Wann immer das nächste Heft nun erscheint, man darf sich in jedem Fall auf enorm interessante Inhalte einstellen, denn bereits die Pilotausgabe des neuen Magazins ist in jeglicher Hinsicht vielversprechend, wenn auch in kleinerem Format und nicht so umfangreich wie der große Bruder.

Bewährte Kolumnen

Dabei baut die neue Zeitschrift der Retro-Cinephilen auf die bewährte Formel von informativen und analytischen, essayistischen Texten, deren Autorinnen und Autoren ihre Thesen und Feststellungen stets mit nachvollziehbaren Argumentationssträngen und Beispielen aus der Filmgeschichte unterfüttern. Die dabei vermittelten Informationen werden außerdem mit viel abwechslungsreichem Bildmaterial garniert, beispielsweise in Form von Stills aus den besprochenen Werken sowie Filmplakaten. Diese längeren Texte wechseln sich immer wieder mit Angeboten ab, die seit jeher zum festen Bestandteil jeder „35 Millimeter“-Ausgabe gehören, beispielsweise den Kolumnen, den Top 5 der Redaktion und den Rezensionen zu Blu-ray- und DVD-Veröffentlichungen von Filmen, die sich nun dem neuen Zeitraum zuordnen lassen.

Von der Nouvelle Vague zum Neuen Deutschen Film

Wie definiert sich dieser neu gewählte Zeitraum? Im Editorial des ersten Heftes ist zunächst von dem Dilemma zu lesen, durch die eigene Selbstbeschränkung nicht jene Zeit vollständig abbilden zu können, welche die Übergangsphase zwischen dem klassischem Kino zum Kino heutiger Machart kenzeichnet. Die Nouvelle Vague, der Neue Deutsche Film, Nūberu bāgu und besonders New Hollywood seien Bewegungen, die einen derart interessanten Beitrag zur Transformation der im Lichtspielhaus gezeigten Werke beitrugen, dass es an der Zeit war, den Zeitraum auszuweiten, um der vollständigen Beleuchtung dieser Entwicklungen ein Stück näher zu kommen. Den vorläufigen zeitlichen Endpunkt setzt sich die Crew rund um dieses in Deutschland wohl einzigartige Printprodukt mit dem Aufkommen der ersten Blockbuster moderner Prägung und man muss wohl nicht den Editorial-Text gelesen haben, um dabei auf den 1975 erschienenen Tierhorror-Klassiker „Der weiße Hai“ von Steven Spielberg zu kommen, einhergehend mit „Krieg der Sterne“ (1977), dem Auftakt der mittlerweile omnipräsenten „Star Wars“-Reihe.

Das alte und das neue Hollywood

Mit den ersten Beiträgen zeigt die Redaktion, dass sie auch bezogen auf die Jahre nach 1965 große Expertise und Kenntnis der Filmgeschichte vorzuweisen hat. Der erste Text beispielsweise trägt den Titel „Der Pessimismus New Hollywoods – Easy Rider, Asphalt Cowboys und lebende Tote“. Er behandelt den Übergang des klassischen Hollywoods zum New Hollywood und ist das, was man sich als rudimentärer Filmkenner auch außerhalb des „35 Millimeter“-Kosmos noch am ehesten erschließen kann und was vielleicht in Teilen schon bekannt sein mag. Hochinformativ und zu keinem Zeitpunkt langweilig präsentiert der Autor Robert Zion seinen Leserinnen und Lesern einen reichen Wissensschatz, der mit detailliertem Blick wichtige Zusammenhänge herstellt und den Leser mit jeder Zeile tiefer ins Lesevergnügen hineinzieht. Freilich handelt es sich hierbei gerade einmal um den Auftakt, doch die folgenden Texte halten das hohe Niveau. Diese richten den Blick, neben einem weiteren Abstecher in die USA, auf einzelne Aspekte des Kinos in anderen Ländern. So werden im Folgenden die Filmentwicklungen in Italien, Frankreich, Spanien, Japan, der Bundesrepublik Deutschland und Mexiko skizziert. Zugegebenermaßen war mir ein Großteil der genannten Filme (ironischerweise vor allem jene aus dem BRD-Beitrag) bis dato vollkommen unbekannt, doch umso größer wurde mit jedem gelesenen Wort das Bedürfnis, die genannten Werke unbedingt nachzuholen und nach den Sichtungen zur Lektüre zurückzukehren.

Das machte für mich bis dahin die größte Faszination an „35 Millimeter – Das Retro-Filmmagazin“ aus: Dass man sich selbst als mittlerweile erfahrenerer Filmseher immer wieder mit neuen Eindrücken konfrontiert sieht, vor allem mit bis dato vollkommen unbekannten Werken, auf deren Sichtung man nach dem Lesen große Lust verspürt. Dieses Gefühl hat sich auch mit einem Blick auf die Jahre von 1966 bis 1975 in keiner Weise geändert. Es erscheint fast als Gewissheit, dass sich auch das neue Schwestermagazin mit dem Titel „70 Millimeter“ zu einem festen Bestandteil der deutschen Filmmagazin-Landschaft entwickeln wird. Das Heft besitzt in jedem Fall das Potenzial, einen ebenso großen Teil zur allgemeinen Wissensbildung rund um den neu gewählten Zeitraum zu leisten wie das bereits vom Original für die Jahre 1895 bis 1965 in beispielhafter Weise vorgeführt wurde. Hier kauft man sich als Filmliebhaber mit jeder Ausgabe wirklich ein Stück Filmbildung, wie man sie in dieser Form und auf diesem Niveau sonst wohl nur in wissenschaftlicher Fachliteratur zu erwarten hat. Man kann gespannt sein, was sich das Team von Clemens G. Williges für die ersten regulären Ausgaben einfallen lässt.

Erstausgabe bereits vergriffen

Ein Überblick über die Themen der Ausgabe 0 findet sich hier. Die gesamte Auflage war binnen kurzer Zeit restlos vergriffen, daher empfiehlt es sich, die erste reguläre Ausgabe im Online-Shop der „35 Millimeter“ zügig vorzubestellen. Es lohnt sich. „35 Millimeter – Das Retro-Filmmagazin“ habe ich im Übrigen vor einiger Zeit hier ebenfalls vorgestellt.

Copyright 2021 by Lucas Gröning

 

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