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Zorn der Bestien – Jallikattu: Wer würde nicht vor seinem Metzger fliehen?

06 Dez

Jallikattu

Von Volker Schönenberger

Actiondrama // Jallikattu ist ein traditionelles Spektakel, bei dem ein Bulle geritten wird. Die Teilnehmer versuchen, sich auf dem Rücken des Tieres zu halten, während der Bulle versucht, zu entkommen. Sie halten sich so lange wie möglich an dem Buckel fest, wobei sie versuchen, das Tier dadurch zum Stehenbleiben zu zwingen. Mancherorts müssen sie so lange auf dem Rücken bleiben, bis sie die Fahnen von den Hörnern des Stieres entfernt haben. Im Anschluss an diese einführenden Worte zum Ausdruck Jallikattu lernen wir die Gegebenheiten in der südlichen indischen Provinz kennen, in der „Zorn der Bestien – Jallikattu“ (2019) spielt. Auf dem Fleischmarkt kaufen die Leute ein, Hektik und Gereiztheit dominieren die Szenerie.

Die Hatz beginnt

Des Nachts entkommt ein Bulle, den Metzger Kalan Varkey (Chemban Vinod Jose) in gemeinsamer Anstrengung mit Antony (Antony Varghese) schlachten wollte. Als sich die Nachricht am nächsten Morgen verbreitet, scheucht das alle Männer der Gegend auf, und eine hektische Hatz beginnt. Das wildgewordene Tier schlägt eine Schneise der Verwüstung durch Gärten, flieht in den Dschungel, ist bald darauf wieder mitten im Ort und dringt sogar in Häuser ein. Den Bullen einzufangen, erweist sich als schwierig, zumal die Männer allesamt recht planlos vorgehen und sich immer wieder in die Haare kriegen. Als der Jäger Kuttachan (Sabumon Abdusamad) auf den Plan tritt, kommt noch mehr Bewegung in die Sache.

Wer ist hier die Bestie?

Hier geht es hektisch zu! Und das in einem Plot, der auf den oft beschworenen Bierdeckel passt: Dörfler jagen ein Rindvieh! „Zorn der Bestien – Jallikattu“ zeigt tatsächlich weitgehend, wie haufenweise Männer in kleinen und großen Zusammenrottungen durch die Gegend rennen, um das entlaufene Tier zu fangen. Das hat auch seine komischen Momente, ist insgesamt aber nicht unbedingt vergnüglich anzuschauen. Regisseur Lijo Jose Pellissery hat mit Girish Gangadharan einen versierten Kameramann an seiner Seite, der das richtige Maß zwischen fiebrigen und bedächtigen Bildern findet und die Männermengen ins richtige, entlarvende Bild setzt. Denn sie wissen nicht, was sie tun. Wenn etliche Handlampen den nächtlichen Dschungel beleuchten, hat das eine fast schon surreale Qualität.

Wenn die Zivilisationstünche bröckelt

Subtil platziert Pellissery ganz nebenbei ein paar Seitenhiebe auf die indische Gesellschaft mit ihren Klassenunterschieden und ihrer Unterdrückung der Frauen in die Geschichte. Und wenn in manchen Einwohnerschaften Südindiens tatsächlich so eine permanente Aggressivität vorherrscht, möchte man ungern dort verweilen. Mehr und mehr blättert die Zivilisationstünche ab, bis beim exzessiven Finale überhaupt nichts mehr von ihr übrig ist.

Bringt der Brunnen Erleuchtung?

Den indischen Film verbinden wir hauptsächlich mit dem bei uns oft Bollywood genannten Hindi-Film, also der in und um Mumbai angesiedelten größten indischen Filmindustrie, die Filme in der Sprache Hindi produziert. Dabei besteht eben diese indische Filmindustrie aus etlichen regionalsprachlichen Segmenten. Zum Beispiel dem des Malayalam Cinema, im südwestindischen Bundesstaat Kerala in der Sprache Malayalam produzierten Filmen, bisweilen auch etwas despektierlich Mollywood genannt. Den Katastrophenthriller „Virus – Unsichtbarer Tod“ (2019) von dort hatte ich im vergangenen April rezensiert, und „Zorn der Bestien – Jallikattu“ ist ebenfalls ein Vertreter des Malayalam Cinema.

Weltpremiere beim TIFF

„Zorn der Bestien – Jallikattu“ lief auf einigen namhaften Filmfestivals weltweit, etwa beim Toronto International Film Festival, wo das Actiondrama Anfang September 2019 seine Weltpremiere feierte. Weitere Stationen unter anderen: das British Film Institute London Film Festival und das Internationale Filmfestival von Busan einen Monat später und im November jenes Jahres die Festivals in Stockholm, Paris und Rotterdam.

Der deutsche Titel passt

Wenn sich deutsche Filmtitel Freiheiten nehmen und nicht nur eine Übersetzung des Originals darstellen, greifen sie gern mal daneben. Nicht in diesem Fall: „Zorn der Bestien“ passt perfekt. Der Titel macht stutzig, da es doch an sich nur um einen wildgewordenen Bullen geht. Doch nach und nach wird deutlich, wer hier die Bestien sind. „Jallikattu“ entwickelt einen Sog, der mich unweigerlich in seinen Bann gezogen hat. Aber ich war auch froh, am Ende wieder ausgespuckt zu werden. Ein außergewöhnliches filmisches Erlebnis.

Antony steckt im Zentrum des Geschehens

Veröffentlichung: 15. Oktober 2021 als Blu-ray, DVD und Video on Demand

Länge: 91 Min. (Blu-ray), 88 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Malayalam
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Jallikattu
IND 2019
Regie: Lijo Jose Pellissery
Drehbuch: Hareesh S., R. Jayakumar, nach der Kurzgeschichte „Maoist“ von Hareesh S.
Besetzung: Antony Varghese, Chemban Vinod Jose, Sabumon Abdusamad, Jaffer Idukki, Santhy Balachandran, Tinu Pappachan, Vinod Kozhikode, Thomman Mankuva, Jayashankar, Santhosh Peter, Alexander Prasanth, George Kutty, Rajkumar, Johnson
Zusatzmaterial: deutscher Trailer, Originaltrailer, Trailershow, Wendecover
Label: Indeed Film
Vertrieb: WVG Medien GmbH

Copyright 2023 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & gruppierter Packshot: © 2021 Indeed Film

 

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