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Haftbefehl – Im Zweifel gegen den Angeklagten: Protokoll eines Justizskandals

23 Nov

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Présumé coupable

Von Volker Schönenberger

Justizdrama // Der Outreau-Prozess von 2004 gehört zu den größten Justizskandalen des modernen Frankreichs. Aufgrund von falschen Anschuldigungen und stümperhaft durchgeführten Befragungen von Kindern waren 18 Personen als Kinderschänder und Mitglieder eines Pädophilen-Rings angeklagt worden. Nur vier der Angeklagten waren tatsächlich schuldig, eine von ihnen hatte die übrigen verleumdet. Diverse unschuldige Menschen verbrachten zum Teil einige Jahre in Haft, Kinder wurden von ihren Eltern getrennt, ein Angeklagter beging in der Untersuchungshaft Selbstmord.

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Alain Marécaux (2. v. l.) wird von seinen Kindern getrennt …

Das Doku-Drama „Haftbefehl“ beruht auf den Erinnerungen von Alain Marécaux (Philippe Torreton). Dessen Haus wird eines Tages unvermittelt von der Polizei gestürmt, Marécaux und seine Frau Edith (Noémie Lvovsky) werden verhaftet, die gemeinsamen Kinder kommen in die Obhut des Jugendamts. Für die ihn verhörenden Ermittler gilt Alain sogleich als schuldig. Ein ehrgeiziger junger Untersuchungsrichter erweist sich als keinen Deut besser. Für das Ehepaar ist das ein kafkaesker Albtraum, an dem die Familie beinahe zwangsläufig zerbricht.

Vorsicht – dies ist definitiv kein Wohlfühlfilm. Wer ihn gut gelaunt schaut, wird anschließend bedrückt sein. Wer ihn in bedrückter Stimmung schaut, wird anschließend – ach nein, lieber einen Ratschlag: Nicht in bedrückter Stimmung schauen! „Haftbefehl – Im Zweifel gegen den Angeklagten“ zeigt, wie schnell man als Unschuldiger zwischen die Mühlsteine der Justiz geraten und dort zermalmt werden kann. Der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs an Kindern ist leicht in die Welt gesetzt und höchst schwierig zu beseitigen. Wenn dann noch übereifrige und inkompetente Psychologen Kinder befragen, ergibt sich schnell eine Indizienlage, in der einem Familienvater schon der Besuch einer Internetseite mit homosexuellem Inhalt belastend vorgehalten wird.

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… und inhaftiert

Der klasse und eindringlich gespielte Film ist etwas dialoglastig geraten – Verhöre, Gerichtsverhandlungen und sonstige Gespräche nehmen breiten Raum ein, benötigen ihn aber auch. „Haftbefehl – im Zweifel für den Angeklagten“ verdient viele Zuschauer. Ob man den bitteren Film mehr als einmal schauen will, sei dahingestellt. Dieses eine Mal ist allerdings mehr als gerechtfertigt.

Veröffentlichung:
8. November 2013 als Blu-ray und DVD

Länge: 102 Min. (Blu-ray), 98 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Französisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Présumé coupable
F/BEL 2011
Regie: Vincent Garenq
Drehbuch: Vincent Garenq, nach der Autobiografie von Alain Marécaux
Besetzung: Philippe Torreton, Wladimir Yordanoff, Noémie Lvovsky, Raphaël Ferret
Zusatzmaterial: Making-of, Trailershow
Label/Vertrieb: Koch Media

Copyright 2013 by Volker Schönenberger
Szenenfotos & Packshot: © 2013 Koch Media

 
 

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Eine Antwort zu “Haftbefehl – Im Zweifel gegen den Angeklagten: Protokoll eines Justizskandals

  1. valentino

    2013/11/23 at 16:34

    Philippe Torreton hat bereits in Schlöndorffs „Ulzhan“ hervorragend geschauspielert – dort eher wortkarg, was, wie ich vermute, noch viel schwieriger ist.

     

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