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Der müde Tod – Große Stummfilmkunst, prachtvoll restauriert

12 Mär

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Der müde Tod

Von Volker Schönenberger

Stummfilm-Drama // „Ein deutsches Volkslied in sechs Versen“, so lautet ein einführender Zwischentitel von „Der müde Tod“, den Fritz Lang 1921 inszeniert hat. Das Drehbuch hatte er mit Thea von Harbou verfasst, die er ein Jahr später heiratete. Es war nach „Das wandernde Bild“ (1920) und „Vier um die Frau“ bereits die dritte Kooperation der beiden. Später folgten unter anderen „Dr. Mabuse, der Spieler – Ein Bild der Zeit“ (1922), die beiden „Die Nibelungen“-Filme (1924) und natürlich „Metropolis“ (1927) und „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ (1931). Die Zusammenarbeit zwischen Lang und Harbou ist wohl eine der fruchtbarsten und einflussreichsten des deutschen Films überhaupt.

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Unbeschwert reist das Liebespaar an

In „Der müde Tod“ versammeln sich die Honoratioren eines Städtchens zum Dämmerschoppen im „Goldenen Einhorn“: der Bürgermeister (Hans Sternberg), der Pfarrer (Carl Rückert), der Arzt (Wilhelm Diegelmann), der Notar (Max Adalbert) sowie der neue Lehrer (Erich Pabst). Seit einiger Zeit bestimmt ein mysteriöser Fremder (Bernhard Goetzke) all ihre Gespräche. Er hatte der Gemeinde für gutes Geld ein Grundstück neben dem Friedhof abgekauft und eine Mauer ohne Tür noch Tor darum errichtet.

Wo ist der Liebste?

Ein junges Ehepaar (Lil Dagover, Walter Janssen) betritt die Gaststätte. Der Fremde setzt sich zu den beiden. Als die Frau kurz die Schankstube verlässt, ist ihr Gemahl nach ihrer Rückkehr verschwunden – fortgegangen mit dem Fremden. Sie irrt durch die Straßen, bis es dunkel ist.

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Doch der Tod wartet schon

Ganz wunderbar die Szene, in der die junge Frau verzweifelt an der Mauer lehnt und geisterhafte Gestalten auf das Grundstück des Fremden gleiten sieht – darunter ihren Liebsten. Der Fremde – das ist natürlich der Tod. Zwar ist er es leid, Menschen aus dem Leben zu reißen, doch sein Gehorsam gegenüber Gott ist stärker als sein Überdruss. Ist Liebe stärker als der Tod? Die Frau will es wissen und nimmt drei Prüfungen auf sich: Drei Lebenslichter sind dabei, zu verlöschen. Kann sie eines davon bewahren?

Drei Episoden – drei Prüfungen

Die Geschichten dieser drei Lebenslichter entfalten sich in drei Episoden. Sie spielen im Orient, in Venedig und in China. Dreimal versucht die Frau alles, dreimal scheitert sie. Doch der Tod bietet ihr eine letzte Chance …

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Seine Mauer hat weder Tür noch Tor

Eine Texteinblendung vor Beginn des Films verrät, dass ein Duplikat-Negativ des Museum of Modern Art in New York der Restaurierung durch die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung als Grundlage diente. Einzelne Einstellungen stammen aus einer Schwarz-Weiß-Kopie der Cinémathèque de Toulouse. Die vermutlich drei Kameranegative von 1921 seien verschollen. Bei der Viragierung von „Der müde Tod“ mussten die Restauratoren deshalb ein wenig im Trüben fischen, sie orientierten sich an Filmen der gleichen Periode. Im Booklet der DVD wird das sehr aufschlussreich beschrieben. Material der staatlichen russischen, tschechischen und belgischen Filmarchive sowie des Filmmuseums München komplettierte den Film.

Welturaufführung auf der Berlinale

Ihre Welturaufführung feierte die restaurierte Fassung auf der diesjährigen Berlinale, bevor sie Mitte Februar bei Arte ausgestrahlt wurde. Die Premiere im Friedrichstadtpalast begleitete das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Frank Strobel. Die von Cornelius Schwehr komponierte neue Filmmusik trägt ihr Teil dazu bei, dass „Der müde Tod“ in neuem Glanz erstrahlt – wenn auch visuell etwas uneinheitlich aufgrund der verschiedenen Kopien, die für die Restauration zusammengetragen worden sind.

Historische Originalmusik zum Film ist dem Booklet zufolge nicht überliefert. Überhaupt ist das 20-seitige Booklet überaus aufschlussreich, was sowohl die Interpretation des Films als auch die aufwändige Restauration angeht. In Verbindung mit dem Bonusmaterial auf der DVD erhält der Interessierte einen großen Einblick in die Arbeit der Restauratoren.

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Wie weit ist die Frau bereit zu gehen?

Drei Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gedreht, wird „Der müde Tod“ als Fritz Langs romantische Auseinandersetzung mit dem großen Sterben auf den Schlachtfeldern verstanden – eine naheliegende Interpretation. Es wird kein Zufall gewesen sein, dass der Tod des Tötens überdrüssig ist. Mit beeindruckender Physiognomie verkörpert ihn Bernhard Goetzke, den Fritz Lang danach auch in „Dr. Mabuse …“ und den beiden „Nibelungen“-Filmen besetzte.

Erstmals auf DVD

Einen reizvollen Kontrast bilden die im Deutschen angesiedelte Haupthandlung auf der einen und die drei exotischen Episoden auf der anderen Seite, in denen Lang und Harbou ihre Vorstellungskraft spielen ließen. Stellte man sich in Deutschland damals so die große weite Welt vor? Ganz wunderbar, dass „Der müde Tod“ überhaupt auf DVD erscheint – und dann auch noch so prächtig restauriert.

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Der müde Tod

Da eine Einordnung dieses frühen Fritz-Lang-Werks meine Kompetenz übersteigt, schließe ich mit einem Zitat von Guido Altendorf, Kurator und Kustos am Filmmuseum Potsdam, der seinen Essay über „Der müde Tod“ im Booklet wie folgt beendet: „Das Ehepaar schenkt dem Kino mit dem müden Tod sein erstes Meisterwerk. Es ist ein Reißbrettfilm. Nichts Zufälliges gibt es in ihm, alles ist selbstreferenziell, ein erdachtes, gebautes, gemaltes, rückwärtsgewandtes, in sich geschlossenes, sehr deutsches Universum. Kunstvoll und doch klar und einfach.“

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Fritz Lang haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet.

Veröffentlichung: 11. März 2016 als DVD

Länge: 94 Min.
Altersfreigabe: FSK freigegeben ohne Altersbeschränkung
Sprachfassungen: entfällt
Zwischentitel: Deutsch
Originaltitel: Der müde Tod
D 1921
Regie: Fritz Lang
Drehbuch: Fritz Lang, Thea von Harbou
Besetzung: Lil Dagover, Walter Janssen, Bernhard Goetzke, Hans Sternberg, Karl Rückert, Max Adalbert, Wilhelm Diegelmann, Erich Pabst, Karl Platen
Zusatzmaterial: Making-of der Restaurierung (10 Min.), Splitscreen-Vergleich zwischen Farb- und Schwarz-Weiß-Fassung (15 Min.), Vergleich mit russischer Verleihfassung (6 Min.), Masterclass der Musikfilmtage Sachsen-Anhalt: 5 Kompositionen für „Der müde Tod“ (25 Min.), 20-seitiges Booklet mit Texten von Guido Altendorf, Nina Goslar, Markus Steffen und Anke Wilkening, Wendecover
Vertrieb: Universum Film

Copyright 2016 by Volker Schönenberger
Fotos & Packshot: © 2016 Universum Film

 
 

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2 Antworten zu “Der müde Tod – Große Stummfilmkunst, prachtvoll restauriert

  1. Kay Sokolowsky

    2016/03/12 at 23:34

    Schöner Zufall: Ich habe diesen Film vor einigen Tagen bzw. Nächten zum ersten Mal angeguckt und war überrascht von der Stärke einiger Bilder. – Was in Deiner ordentlichen Besprechung fehlt, lieber Volker, ist ein lobender Hinweis auf die primitiven, aber effektiven Spezialeffekte des Stücks. Und auf Bernhard Goetzke mit seinem wie aus Eichenholz geschnitzten Gesicht. Er ist ein Gevatter Tod vom Grusligsten – das sollte man auch noch sagen. Und von den unseligen Einflüssen der Protofaschistin Thea v. Harbou auf „Der müde Tod“ reden wir dann mal bei Tante Möller, sobald es Dir paßt. Okay?

     
    • V. Beautifulmountain

      2016/03/12 at 23:38

      Aber gern, lieber Kay. Ich hab‘ mich etwas schwer getan, dem Film gerecht zu werden. Die beeindruckende Physiognomie von Bernhard Goetzke hatte ich allerdings erwähnt.

       

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