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Knallt das Monstrum auf die Titelseite! Die Mitte schafft sich ihr Reich

13 Mai

Sbatti il mostro in prima pagina

Von Ansgar Skulme

Politdrama // Im von gegensätzlichen politischen Strömungen umkämpften Italien der 70er-Jahre versuchen sich angebliche Christdemokraten durch meinungsbildenden Pseudo-Journalismus an die Spitze zu schleichen. Mit „Il Giornale“ haben sie eine der größten italienischen Zeitungen hinter sich, die politisch anders Denkende mit clever ausgetüftelten Strategien zu Extremisten stilisiert. Geschickte Wortwahl verleiht Themen die gewünschte Note. Herausgeber Montelli (John Steiner) und Chefredakteur Bizanti (Gian Maria Volontè) geben sich alle Mühe, ihre politische Überzeugung als Sprachrohr der Vernunft in den Köpfen der Leser zu etablieren. Da kommt ein Mord- und Vergewaltigungsfall gerade recht – die Tat kann man einem Linken in die Schuhe schieben. Ob er wirklich der Täter ist, ist dabei ganz egal. Sollte der wahre Mörder gefunden werden, kann man diesen zur Not auch decken und die tatsächlichen Umstände vertuschen. Wer glaubt schon dem Monstrum auf der Titelseite?

„Knallt das Monstrum auf die Titelseite!“ ist eine bitterböse Abrechnung mit unseriösem Journalismus, der für politisch und/oder wirtschaftlich orientierte Zwecke genutzt wird und davon lebt, dass sich die Drahtzieher als vertrauenswürdig und vernünftig verkaufen, obwohl sie genau das Gegenteil davon sind. Eine Masche, die auch heute noch erstklassig funktioniert. Der Film ist in seinen Ansinnen topaktuell und selbst für das heutige Deutschland mit seinem derzeitigen Polit- und Pressewesen durchaus übersetzbar. Interessant ist dabei vor allem, dass es weniger um bildhaften Boulevard-Journalismus geht, sondern um eine Zeitung, die nach außen hin gut recherchiert wirkt und von umfangreichen Texten dominiert scheint. Wer ewige Reden von der unseriösen BILD-Zeitung schwingt, vergisst gern, dass es diverse andere Zeitungen gibt, die zwar weniger Bilder haben, deswegen aber nicht automatisch sachlich oder seriös sind. Ganz im Gegenteil: Umso sachlicher der äußerliche Anschein, umso besser kann die Propaganda funktionieren – lehrt auch der vorliegende Film. Ständige Wiederholungen und Untermauerungen bestimmten Gedankenguts im Kleinen generieren am Ende den gewünschten Erfolg.

Seitenwechsel zugunsten der Sache

Der Film zeigt ein ähnlich kaltes, unbehagliches Mailand wie „Das Grauen kam aus dem Nebel“ (1970). Dieser Faktor wird davon verstärkt, dass es zudem kaum Möglichkeiten einer positiven Identifikation mit Figuren gibt. Da ist zwar ein Journalist, der an der Oberfläche kratzt und unliebsame Fragen über das eigene Blatt stellt, letztlich aber stets einen weitgehend machtlosen Eindruck macht. „Knallt das Monstrum auf die Titelseite!“ wird von Figuren dominiert, die nichts Sympathisches an sich haben, dennoch aber keine überzeichneten Schurken sind, sondern einen realistischen Eindruck vermitteln. Zugegeben: John Steiner in der Rolle des themenabsegnenden Bonzen im Hintergrund ist mit seiner immer wieder gern genutzten eiskalten Aura eine recht plakative Lösung, aber das tut der Wirkungskraft des Films keinen Abbruch.

Der größte Triumph allerdings ist Gian Maria Volontè („Für eine Handvoll Dollar“, „Für ein paar Dollar mehr“), der den Chefredakteur Bizanti mit schlau berechnender, kühler Überheblichkeit spielt. Selbst seine Ehefrau stutzt dieser Mann mit herabwürdigenden Vorwürfen und Zurechtweisungen im Beisein des gemeinsamen Kindes zusammen. Eine Szene, in der die Machtkomplexe mancher Menschen, die wichtige Positionen in der Gesellschaft bekleiden, recht deutlich werden, auch wenn sich das wahre Gesicht in aller Direktheit manchmal nur im Privaten zeigt. Bizanti will letztlich jeden belehren – seine Familie, die Bürgerlichen, die Linken, ganz Mailand, ganz Italien, vielleicht sogar die ganze Welt – und hat mit seiner Zeitung alle Möglichkeiten in der Hand. Er spielt gern Gott – und mit den falschen Leuten an der Spitze kann dies schnell für eine gesamte, vorgeblich demokratische Partei gelten.

„Knallt das Monstrum auf die Titelseite!“ erschien im unmittelbaren Fahrwasser eines Doppelsieges beim Filmfestival in Cannes, wo 1972 gleich zwei Filme mit Volontè in der Hauptrolle die Goldene Palme gewannen: „Der Fall Mattei“ und „Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies“. Im Portfolio von Gian Maria Volontè, der auch heute noch – fast 25 Jahre nach seinem frühen Tod – dafür bekannt ist, viele politisch ambitionierte Filme gedreht zu haben, ist dieses medienkritische Politdrama kein ungewöhnlicher Stoff. Volontè gilt als überzeugter, engagierter Linker, bedeutsam vor allem in dem Sinne, dass kaum ein anderer Filmstar jemals so offen mit dieser politischen Überzeugung umging und obendrein sogar sehr erfolgreich mehrere Filme als Hauptdarsteller drehte, die inhaltlich eng damit korrespondieren. Für die Rolle des Bizanti bezieht er, nicht zum einzigen Mal, ein anderes politisches Lager. Eine interessante Wandlung.

Der Teufel sitzt nicht immer rechts oder links

In der Rückbetrachtung dieses Films wird gern einmal vermittelt, es handle sich um „rechte“ politische Positionen und deren Einfluss auf die Presse, die hier gegenüber linken ausgespielt werden. Das kann einen schnell auf den Gedanken bringen, hier wären durchweg Nazi-Figuren, späte Mussolini-Anhänger und dergleichen am Werke, die Nazi-Propaganda machen – alles alte Hüte –, aber weit gefehlt. Spätestens in den letzten Minuten der Handlung wird geradezu doppelt unterstrichen: Was wir hier sehen, ist das, was man heute des Öfteren als sogenannte „Mitte“ definiert; es geht eben gerade nicht um „Rechte“ im eigentlichen Wortsinn, sondern um eine der sogenannten „bürgerlichen“ Zeitungen und um „bürgerliche“ Parteien. Ob die selbsternannte Mitte wirklich in der Mitte angesiedelt ist, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Der Film handelt von genau den Schlupflöchern, die sich pseudo-seriöse „Mittigtuer“, die unter dem Deckmantel der Vernunft gegen die Linken hetzen, inmitten des politischen Gewirrs suchen. Das im Film Gezeigte zu weit rechts zu verorten, führt im Endeffekt dazu, dass erneut ein Schlupfloch für die freigegeben wird, um die es eigentlich geht, obwohl der Film gewissermaßen genau vor derartigen Schlupflöchern warnt – und davor, wie sie von Vernunft und bürgerliche Mitte proklamierenden Instanzen ausgenutzt werden. Absolut paradox, denn der Film geht eben tiefer als das übliche Rechts-Links-Einerlei: Scheinheilige Blender sollen nicht immer wieder davonkommen, während rings umher mit dem Zeigefinger nach links und rechts gefuchtelt wird.

Geradezu erstaunlich ist übrigens der Umstand, dass es in Italien wirklich eine populäre Zeitung mit dem Titel „Il Giornale“ gibt, die es auch schon in den 70ern gab, der mancher eine recht populistische Haltung gegen Linke nachsagt und die sogar in Mailand ansässig ist. Erstaunlich, weil diese Zeitung erst nach Veröffentlichung des Films gegründet wurde und somit nicht Zielobjekt der Handlung gewesen sein kann – eine wirklich so heißende Zeitung derart offen in einem Film anzuprangern, hätte mit Sicherheit auch große rechtliche Probleme nach sich gezogen. Wenn man so will, kann man es allerdings durchaus als bezeichnend werten, dass ausgerechnet bei dieser Zeitung, schon wenige Jahre nach Erscheinen des Films, ein gewisser Silvio Berlusconi als Verleger und Geldgeber in Erscheinung trat, der damals noch kein Politiker war, bekanntlich aber später wurde. Ob man das nun so werten mag, dass der Film, über die im allgemeineren Sinne kritische und so oder so auf andere Zeitungen passende Ebene hinaus, gewissermaßen unmittelbar von der Realität eingeholt beziehungsweise bestätigt wurde, sei jedem selbst überlassen.

Zu unbequem für den deutschen DVD-Markt?

Im Ergebnis handelt es sich bei „Knallt das Monstrum auf die Titelseite!“ um einen der politisch wertvollsten medienkritischen Filme, mindestens der 70er-Jahre, wenn nicht überhaupt. Ein Politdrama, das intensiv zum Nachdenken anregt und bei dem man sich nach einer Weile unter Umständen dabei ertappt, es mit einem Gefühl zu schauen, das man auch beim Sichten von Reportagen oder Dokumentationen hat. Da ist dieser Aspekt, dass man den Film schon allein deswegen gern wieder schauen möchte, weil er interessant ist – mag er sich durch seine Bildsprache und die unnahbaren Figuren noch so unbehaglich anfühlen. Ein Aspekt, der eher ungewöhnlich bei der Betrachtung von Spielfilmen ist, weil zumeist andere Faktoren wichtigere Rollen für die Zuschauer spielen. Kleine Punktabzüge gibt es lediglich für die etwas überzogene Auflösung – wie gezeigt wird, wer der eigentliche Mörder ist und in welcher Form er sein Opfer vergötterte, ist dann doch etwas zu dick aufgetragen und eher unfreiwillig komisch als beängstigend. Aber das schadet dem Film weitaus weniger, als wenn die politisch-kritischen Aspekte zu dick aufgetragen wären, denn um das Täterrätsel geht es hier sowieso nur am Rande.

Angesichts der gezeigten Handlung kann man schon einmal auf den Gedanken kommen, dass dieser Film zu jenen zählt, die selbst heute noch zu unbequem sind, um in Deutschland auf DVD verbreitet werden zu „dürfen“. Allerdings dürfte es die Labels, die sich hierzulande um Veröffentlichungen des italienischen Kinos der 60er und 70er verdient machen, herzlich wenig interessieren, dass dieser entlarvende Film einigen bedeutsamen politischen und medialen Instanzen des Landes wahrscheinlich auch im Jahr 2018 noch übel aufstoßen könnte. In Italien hat er den Sprung in die DVD-Verkaufsstellen schon vor fünf Jahren geschafft, unter anderem als Teil einer dem Hauptdarsteller Gian Maria Volontè gewidmeten, schick aufgemachten Box, was den Film gewissermaßen zusätzlich adelt. Da es in Deutschland selbst von Volontès denkwürdig provokant betiteltem, kurz vorher entstandenem Film „Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies“ eine Veröffentlichung – als Teil der „Elio Petri Edition“ von Koch Media – gibt, kann man sich auch bezüglich „Knallt das Monstrum auf die Titelseite!“ berechtigte Hoffnungen machen, dass da irgendwann, hoffentlich bald, eine schöne Veröffentlichung kommen wird.

Veröffentlichung (Italien): 19. Februar 2013 als DVD (in der „Gian Maria Volontè Collection“), 30. Januar 2013 als DVD

Länge: 86 Min.
Altersfreigabe: FSK 16
Originaltitel: Sbatti il mostro in prima pagina
Deutscher Alternativtitel: Tödliche Schlagzeilen
IT/F 1972
Regie: Marco Bellocchio
Drehbuch: Sergio Donati, Goffredo Fofi
Besetzung: Gian Maria Volontè, Fabio Garriba, Carla Tatò, Jacques Herlin, John Steiner, Michel Bardinet, Jean Rougeul, Corrado Solari, Laura Betti, Massimo Patrone
Verleih: Euro International Film (EIA), Fox-Lira

Copyright 2018 by Ansgar Skulme
Filmplakat: Fair Use

 

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