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Zum 65. Geburtstag von Ving Rhames: The Tournament – Battle Royale unter Killern: Stelldichein der Killer mit abgemurkstem Hund

The Tournament

Von Volker Schönenberger

Actionthriller // Nun, da zartbesaitete Tierfreundinnen und -freunde dank des Spoilers in der Überschrift vorgewarnt sind, können wir uns frohen Mutes „The Tournament“ (2009) von Scott Mann widmen. Der Regisseur dreht nicht viel, hat mit „Die Entführung von Bus 657“ (2015) mit Robert De Niro und Jeffrey Dean Morgan einen überzeugenden Heist-Movie abgeliefert und zuletzt nicht nur Menschen mit Höhenangst schweißnasse Hände verpasst: „Fall – Fear Reaches New Heights“ (2022) zeigt lediglich zwei Frauen auf einem mehr als 600 Meter hohen Turm, beschert seinem Publikum damit aber ein äußerst intensives filmisches Erlebnis.

Zu „The Tournament“: Wer braucht wohl den plakativen deutschen Titelzusatz „Battle Royale unter Killern“? Fans vor Gewalt strotzender Actionfilme sicher nicht, denen dürfte das dystopische japanische Actiondrama „Battle Royale“ (2000) bekannt sein, und sie können mit einem Film wie „The Tournament“ umgehen, auch ohne direkt auf den Bezug hingewiesen zu werden, weshalb ich fortan mit dem reinen Originaltitel vorliebnehmen werde. Das Grundgerüst der Story ist simpel: Alle sieben Jahre findet in einer gewöhnlichen Stadt ein außergewöhnlicher Wettbewerb statt. 30 Profikillerinnen und -killer, die zur Elite ihres Berufsstandes gehören, treten gegeneinander an. Der oder die Überlebende erhält ein Preisgeld von zehn Millionen Dollar. Das tödliche Turnier dient der Zerstreuung gelangweilter reicher Schnösel, die hohe Wetten auf den Ausgang platzieren.

Nach Middlesbrough, des Tötens wegen

Sieben Jahre zuvor hatte in einem Schlachthof im brasilianischen (offenbar fiktiven) Shirao Joshua Harlow (Ving Rhames) den Sieg davongetragen, indem er den durchgeknallten Gene Walker (John Lynch) als letzten Kontrahenten mit einem Bolzenschussgerät um seinen Kopf erleichterte (ihr merkt schon: Es geht blutig zu). Nun wurde Middlesbrough im Nordosten Englands zum Schauplatz des „Tournaments“ auserkoren (für das Drehorte in Bulgarien herhielten). Nach und nach treffen die internationalen Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein, darunter die Chinesin Lai Lai Zhen (Kelly Hu), der Russe Yuri Petrov (Scott Adkins), der Franzose Anton Bogart (Sebastien Foucan) und der psychopathische junge Texaner Miles Slade (Ian Somerhalder), der seinen Opfern als Souvenir einen Finger abschneidet und nebenbei auch mal einem streunenden Hund eine Kugel in den Kopf verpasst. Weil er’s kann. Um die empörten Tierfreundinnen und Tierfreunde zu beruhigen: Es ist nur ein Film! Der den Streuner verkörpernde Hund hat die Dreharbeiten nach meinem Kenntnisstand überlebt.

Gene Walker legt sich mit dem Falschen an

Der Veranstalter Mr. Powers (Liam Cunningham) kündigt seinem erwartungsfrohen Publikum einen besonderen Teilnehmer als Überraschung an: Joshua Harlow! Der Sieger des vorherigen Turniers ist aus dem Ruhestand zurückgekehrt, in den er sich mit seinen zehn Millionen Dollar Preisgeld zurückgezogen hatte. Sein Motiv: Rache. Vier Monate zuvor war seine Frau ermordet worden, und Harlow wurde zugesteckt, ihr Mörder befinde sich unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des kommenden Wettbewerbs. Ein Zeitlimit verschärft diesmal die Spielregeln: Gibt es nach 24 Stunden mehr als eine/n Überlebende/n, detonieren die in ihren Körpern angebrachten Peilsender. Mögen die Spiele beginnen! Steve Tomko (Craig Conway) muss schnell feststellen, dass er Lai Lai Zhen unterschätzt hat, als er sie mit einer List in ihrem Hotelzimmer überraschen wollte. Somit gebührt ihr die Ehre des diesjährigen „First Blood“.

Robert Carlyle als versoffener Priester

So unvermittelt wie unfreiwillig findet sich der versoffene und mit seinem Glauben hadernde Geistliche Father MacAvoy (Robert Carlyle) unter den Teilnehmern wieder. Powers vergibt für ihn sogar eine Wettquote: 500:1 sind für einen Amateur und Priester vielleicht sogar ein ganz guter Wert. Wir werden sehen, wen er alles überleben wird …

Trickreich und gewandt: Anton Bogart

Ist das zynisch? Sicher doch! Müssen wir uns daran stören? Sicher nicht! 30 Menschen mit mörderischen Fähigkeiten im Kampf gegeneinander – das verspricht ein blutiges Vergnügen, das bietet „The Tournament“ auch. Blut spritzt gewaltig, wenn Köpfe und Körper platzen, ein Arm abgeschossen wird und Killer von Kugeln durchsiebt werden (zum damit einhergehenden Freigabeproblem weiter unten mehr). Eine Freude für all jene, die knackige Action erst dann so richtig goutieren, wenn sie blutig abgehangen daherkommt. Die Splattereffekte entstammen teils dem Computer, sehen aber dennoch gar nicht schlecht aus.

Lai Lai Zhen plagen Zweifel

Natürlich und richtigerweise konzentriert sich das Geschehen auf einige wenige der 30 ums große Geld Wetteifernden. Die Hauptfiguren werden nicht gerade tiefgründig charakterisiert, aber bei einem Plot wie dem von „The Tournament“ kommt es darauf auch nicht an. Wichtiger ist die Abwechslung, die sie bieten, und die überzeugt: So ist Anton Bogart ein durchtrainierter Parcours-Athlet, der über Dächer springt und sich von kaum einem Hindernis aufhalten lässt. Yuri Petrov wiederum setzt allerlei unterschiedliche Schusswaffen und gern auch Handgranaten ein, ebenso seinen Körper. Dabei kommen ihm die Martial-Arts-Fähigkeiten seines Darstellers Scott Adkins („Avengement – Blutiger Freigang“) zugute. Von Adkins hätte ich gern mehr gesehen als „The Tournament“ bietet, aber das liegt eher daran, dass ich ihn mag. Fürs Geschehen des Films geht die Dauer seines Einsatzes schon in Ordnung. Wichtiger sind ohnehin Kelly Hu („Strange Days“) als Lai Lai Zhen und Robert Carlyle („The 51st State“) als gestrauchelter Geistlicher – die zwei bilden eine Zweckgemeinschaft, die speziell für Father MacAvoy auf eine Art Heldenreise führt, während Lai Lai Zhen eher nach Läuterung sucht.

Das Land der Überwachungskameras

Da in England Videoüberwachung (Closed-Circuit Television – CCTV) besonders im urbanen Raum weit verbreitet ist, lag es nahe, ein „Tournament“ dieser Art in einer englischen Stadt zu veranstalten, damit die Techniker im Hintergrund all die Kameras anzapfen können, um das zahlungskräftige Publikum jederzeit mit blutigen Bildern zu versorgen. Und seien es Aufnahmen aus einem Stripclub, in welchem sich rein zufällig neun der Killer gleichzeitig aufhalten. Ob das Überwachungsszenario inklusive der Peilsender den Gesetzen der Logik gehorcht, könnte man etwas genauer untersuchen, aber die Frage ist sekundär. An dem einen oder anderen Logikloch mag sich stören, wer will – ich tu es nicht.

Father MacAvoy weiß nicht, wie ihm geschieht

Zahlreiche Killer auf einem Haufen, die einander über eben diesen Haufen schießen, das ist ein Motiv, das zuletzt die vierteilige „John Wick“-Reihe (2014–2023) auf die Spitze und vielleicht zur Perfektion getrieben hat. Sie ist jedenfalls stylischer als „The Tournament“, der dafür räudiger daherkommt. Jüngst konnten wir in „King of Killers“ (2023) mit Frank Grillo ebenfalls einen Wettkampf gedungener Mörder betrachten, der kann „The Tournament“ aber bei Weitem nicht das Wasser reichen.

Ving Rhames

Kommen wir zu Ving Rhames, der als aus Rachegelüsten aus dem Ruhestand zurückgekehrter Titelverteidiger eine gewohnt coole Figur macht, auch wenn er diesmal voll Trauer und mit großer Wut im Bauch reichlich Gefühl zeigt. Afroamerikaner Irving Rameses Rhames wird am 12. Mai 1959 im New Yorker Schwarzenviertel Harlem geboren, dort wächst er auch auf. Als Teenager und junger Mann besucht er diverse New Yorker Schauspielschulen, die renommierte Juilliard schließt er 1983 mit einem Bachelor of Fine Arts ab. In der Folge nimmt er Engagements sowohl am Broadway als auch fürs US-Fernsehen wahr, ist 1985 und 1987 etwa in zwei Episoden von „Miami Vice“ und 1987 in einer Folge von „Nam – Dienst in Vietnam“ zu sehen. Eine erste kleine Spielfilmrolle nimmt er in „Go Tell It on the Mountain“ (1985) an, wo er im ersten Abschnitt des Familiendramas als junge Verkörperung der Hauptfigur zu sehen ist. Bald folgen Rollen in Arbeiten renommierter Regisseure, beispielsweise 1988 in Paul Schraders „Patty“. Ein Jahr später spielt Rhames in Brian De Palmas „Die Verdammten des Krieges“ (1989) einen Offizier im Vietnamkrieg. Interessante Rollen in bemerkenswerten Filmen folgen nun Schlag auf Schlag. Der schwarzhumorige Horrorfilm „Das Haus der Vergessenen“ (1991) von Wes Craven zeigt ihn als Zuhälter, der sich für einen Einbruch das falsche Gebäude aussucht, im Bürgerrechtsdrama „Der lange Weg“ (1990) spielt er an der Seite von Sissy Spacek und Whoopi Goldberg. Unter Regisseur John Milius hat er 1991 eine Nebenrolle im Kriegs-Actioner „Flug durch die Hölle mit Danny Glover, Willem Dafoe, Rosanna Arquette und Tom Sizemore. Als wortkarger, grimmig dreinschauender, aber loyaler Präsidentenleibwächter ist er 1993 in Ivan Reitmans Komödie „Dave“ mit Kevin Kline und Sigourney Weaver zu sehen. Solchermaßen charakterisierte Figuren liegen ihm – gern etwas grummelig wirkend, aber im Innern gutmütig und mit dem Herzen auf dem rechten Fleck.

Yuri Petrov langt hin

Anders allerdings in Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“ (1994), der Ving Rhames den Part des Gangsterbosses Marsellus Wallace einbringt. Der schickt Auftragskiller los, manipuliert mit Bestechungsgeld Boxkämpfe und hat generell einen ganz miesen Ruf. Doch in der Episode „Die goldene Uhr“ gerät er als Gefangener in einen Folterkeller, wird vergewaltigt und nur vom Boxer Butch Coolidge (Bruce Willis) gerettet, mit dem er eigentlich Beef hat. Eine vergleichsweise kleine Rolle in einem Ensemblefilm, aber ikonisch.

Golden Globe an Jack Lemmon weitergereicht

Rhames ist nun fest etabliert, erst recht ab 1996 dank seines Mitwirkens als Tom Cruises Sidekick Luther in Brian De Palmas „Mission: Impossible“. Er und Cruise sind die einzigen Darsteller, die bis heute in jedem Film der Reihe auftauchen. Für seine Verkörperung des berühmten Box-Promoters in der TV-Miniserie „Don King – Das gibt’s nur in Amerika“ (1997) gewinnt er 1998 den Golden Globe. Bemerkenswert: Bei der Verleihung bittet er den für „Die 12 Geschworenen“ ebenfalls nominierten Jack Lemmon auf die Bühne und gibt die Trophäe an ihn weiter. Eine schöne Geste der Ehrerbietung, auch wenn der damals bereits vielfach und auch mehrfach mit dem Globe ausgezeichnete Lemmon sie sicher nicht nötig hatte.

Joshua Harlow will Vergeltung

Rhames dreht mit weiteren namhaften Regisseuren wie Steven Soderbergh („Out of Sight“, 1998), Martin Scorsese („Bringing out the Dead – Nächte der Erinnerung“, 1999), John Woo („Mission: Impossible II“, 2000), Walter Hill („Undisputed – Sieg ohne Ruhm“, 2002), Zack Snyder („Dawn of the Dead“, 2004). Selbst für Niederungen des B- und C-Sektors ist er sich nicht zu schade,auch wenn das zur Folge hat, dass in seiner Filmografie ein paar Stinker wie „Zombie Apocalypse“ (2011) und der Steven-Seagal-Abgesang „Force of Execution“ (2013) landen. Am 12. Mai 2024 feiert Ving Rhames seinen 65. Geburtstag.

Selbst die erste SPIO-Fassung gekürzt

Zum Thema Freigabe von „The Tournament“: Von Anfang an war klar, dass der beinharte Actionthriller Probleme mit Jugendschutz und Erwachsenenbevormundung bekommen würde, und so kam es dann auch: Eine vermeintlich ungeschnittene Verleihversion des Actionthrillers bekam 2009 das SPIO/JK-Siegel und den Vermerk „keine schwere Jugendgefährdung“ verpasst, erwies sich sogar noch als geschnitten und wurde ein Jahr später indiziert. 2010 veröffentlichte Rechteinhaber Ascot Elite Home Entertainment das Werk in einer noch stärker verstümmelten FSK-18-Version (drei Vergleiche einiger Schnittfassungen sind bei „Schnittberichte“ zu finden). Immerhin folgten ein paar Jahre später ungeschnittene Fassungen, darunter ein Steelbook und ein Mediabook. 2017 veröffentlichte Ascot Elite Home Entertainment „The Tournament“ auf Blu-ray und DVD in der Reihe „Cinema Extreme“, und das völlig ungeschnitten mit SPIO/JK-Siegel samt Vermerk „strafrechtlich unbedenklich“. Logisch, dass alsbald die Indizierung folgte. Sie besteht bis heute fort, ändert aber nichts daran, dass „The Tournament – Battle Royale unter Killern“ dem geneigten Actionfan in der ungeschnittenen Fassung große Freude bereitet. Dieser Clash of the Killers hat es in sich.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Scott Mann haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Kelly Hu unter Schauspielerinnen, Filme mit Robert Carlyle, Craig Conway, Liam Cunningham und Ving Rhames in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung: 17. März 2017 als Blu-ray im Mediabook (auf 555 Exemplare limitiert), 16. Februar 2017 als Blu-ray in großer Hartbox (auf 111 Exemplare limitiert), 8. August 2016 als Blu-ray im Steelbook (auf 1.000 Exemplare limitiert), 23. Juli 2013 als Blu-ray und DVD (Cinema Extreme), 7. Januar 2010 als Blu-ray und DVD, 3. Dezember 2009 als Blu-ray und DVD

Länge: 96 Min. (Cinema-Extreme-Blu-ray), 91 Min. (Cinema-Extreme-DVD), 95 Min. (2009er-Blu-ray), 90 Min. (2009er-DVD), 92 Min. (FSK-18-Blu-ray), 88 Min. (FSK-18-DVD)
Altersfreigabe: FSK 18, Cinema-Extreme-Version: SPIO/JK – strafrechtlich unbedenklich, 2009er-DVD: SPIO/JK – keine schwere Jugendgefährdung
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch (abhängig von der Edition auch Englisch)
Originaltitel: The Tournament
GB/USA/BAHR 2009
Regie: Scott Mann
Drehbuch: Gary Young, Jonathan Frank, Nick Rowntree
Besetzung: Robert Carlyle, Kelly Hu, Ian Somerhalder, Liam Cunningham, Ving Rhames, Scott Adkins, Sebastian Foucan, Craig Conway, John Lynch, Nick Rowntree, Rachel Grant, Bashar Rahal, Andy Nyman, Iddo Goldberg, Camilla Power, Tamika Cameran, Bill Fellows, J. J. Perry, Mark Stobbart, Tom Wu
Zusatzmaterial (variiert je nach Edition): Interviews mit Robert Carlyle (4:15 Min), Kelly Hu (1:59 Min.), Liam Cunningham (1:56 Min.) und Scott Mann (3:28 Min.), Beim Dreh (9:19 Min.), Gag Reel (3:41 Min.), Bildergalerie (4:52 Min., 79 Bilder), Originaltrailer, Trailershow, 16-seitiges Booklet mit einem Text von Nando Rohner, Wendecover, Vertikalschuber
Label/Vertrieb: Ascot Elite Home Entertainment (Steelbook & Mediabook auch: Nameless Media)

Copyright 2024 by Volker Schönenberger

Szenenfotos, Steelbook- & gruppierter Packshot: © Ascot Elite Home Entertainment

 

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Was geschah wirklich mit Baby Jane? Wer weiß das schon?

Was geschah wirklich mit Baby Jane? Wer weiß das schon?

What Ever Happened to Baby Jane?

Von Tonio Klein

Der folgende Text enthält massive Spoiler

Psychothriller // Psychothriller ist ein weit gespannter und manchmal etwas inflationär gebrauchter Begriff. Viele verstehen ihr Thriller-, aber nicht ihr Psychohandwerk. Dies ist nun bei Robert Aldrichs „Was geschah wirklich mit Baby Jane?“ von 1962 ganz anders. Dieser Psychothriller ist zum einen cineastisches Meisterwerk, zum anderen schafft er es, seine ziemlich abgefahrene Geschichte plausibel zu verkaufen.

Wunde(r)kinder

Er geht gleich gut los: Die blonde, süße, etwa zehnjährige Baby Jane Hudson (Julie Allred) ist Kinderstar und schon reichlich verzickt; ihre Schwester Blanche (Gina Gillespie) muss zusehen. Absolut überzeugend sehen wir, wie die Göre ihre Eltern erpressen kann, und ahnen, was später kommt: Schwester Blanche ist 1935 ein Filmstar, Baby Jane eine Niete. Blanche hat sich allerdings ausbedungen, dass Jane Rollenangebote gemacht werden müssen. Amüsant, wie zwei Filmschaffende anhand von Bette-Davis-Material aus den Dreißigern lästern, wie schlecht Jane sei (die als gealterte Frau von Bette Davis verkörpert werden wird). Blanche hingegen habe Klasse. Kurzer Ausflug in die Filmhistorie: Gezeigt werden Ausschnitte aus „Parachute Jumper“ (1933, Bette Davis) und „Sadie McKee“ (1934, Joan Crawford, später Blanche), und dies veranschaulicht perfekt entgegengesetzte Pole der seinerzeit stark vom jeweiligen Studio geprägten Hollywoodlandschaft. Zudem sagt es etwas über die wirklichen Karrieren von Bette Davis und Joan Crawford aus, denn Letztere kam etwas eher zu Ruhm. Davis kurbelte bei Warner Brothers B-Ware, Crawford glänzte in MGM-Prestigeprodukten. Natürlich ist „Parachute Jumper“ viel besser, ein knochenehrlicher, ungeschminkter Film über Schwierigkeiten der Großen Depression, dem die fehlenden Schauwerte nur guttun – „Sadie McKee“ hat Momente, ersäuft aber im Edelkitsch. Wenn das der Aldrich nicht selbst gesehen hat – Gründe für die Auswahl gerade der beiden genannten Filme sind mir nicht bekannt. Aber der erste Eindruck anhand von Ausschnitten ist durchaus der beabsichtigte: Blanche, das ist ein Star, eine Göttin.

Was wirklich mit Baby Jane geschah

Erst nach einem mysteriösen Autounfall und den Credits setzt die Haupthandlung in der Gegenwart ein, also Anfang der 1960er-Jahre. Jane ist eine heruntergekommene, pardon, Schlampe, Blanche querschnittsgelähmt. Die beiden leben zusammen, und Jane macht Blanche das Leben zur Hölle. Ein paar wunde Punkte scheint sie aber doch zu haben: Auf den Unfall, durch den Blanche gelähmt wurde, darf man sie nicht ansprechen, und ihrem Kinderruhm trauert sie immer noch nach.

Dieser Käfig ist nicht mal golden

Jane unterbindet alle Versuche Blanches, aus ihrem Gefängnis auszubrechen, es kommt zu Gewalt und Mord. Ein heruntergekommener Klavierklimperer (Victor Buono), mit dem Jane alte Revuenummern aufführen will (der aber nur auf ihr Geld aus ist), ruft dann aber doch die Polizei, als er die Schwester gefesselt und geknebelt findet. Jane flieht mit Blanche an den Strand; Blanche ist so geschwächt und geschunden, dass sie dem Tod nahe ist. Sie verrät Jane, dass Jane Blanche gar nicht zum Krüppel gefahren hat, sondern Blanche sich selbst, als sie versucht hatte, Jane umzubringen. Jane war allerdings so betrunken, dass sie die offizielle Version geglaubt hatte, selbst gefahren zu sein. Blanches Rache an Jane war, diese Legende aufrechtzuerhalten; damit hat sie Janes Leben zerstört, letztlich aber auch ihr eigenes. Jane lässt sich, befreit von der damaligen Schuld, mit einem Lächeln und großer Geste verhaften (da könnte die Verhaftung Norma Desmonds aus Billy Wilders 1950er-Drama „Boulevard der Dämmerung“ Pate gestanden haben), Blanche bleibt am Strand liegen und stirbt (vermutlich).

Glückwunsch, Herr Aldrich, Sie haben es geschafft, mich hereinzulegen. Der Unfall wird so gezeigt, dass im Nachhinein die „wahre“ Version auch die plausible ist; aber die ganze Zeit ist vom Gegenteil die Rede, bis man’s glaubt. Wieder einmal ein Beweis, dass wir uns das, was zwischen den Bildern geschieht, im Film wie im Leben zusammenreimen, dadurch Vorurteile bestehen, wir falsche Zeugenaussagen machen, Dinge verzerrt und voreingenommen wahrnehmen etc. So auch hier; man reimt es sich so zusammen, wie es gewesen sein „muss“; Jane die Böse, Blanche die Gute, und die bewusst selektiven Bilder des Unfalls und die nachfolgende Ellipse von 27 Jahren biegt man sich halt zurecht. Da kommt man einmal zum Nachdenken über die eigenen Unzulänglichkeiten, und das ist schon ein Verdienst des Films für sich.

Baby Jane mit dem Menschen, der sie noch süß findet: sich

Betrachtet man ihn dergestalt von hinten, rückschauend mit dem Wissen, was wirklich mit Baby Jane geschah, so wird einiges klar, was zuvor ein wenig unlogisch schien. Blanche ist zum Teil auf eine fast unerträgliche Art auch noch dann voller Verständnis für Jane, als diese ihr die größten Gemeinheiten antut. Blanche lässt viele Gelegenheiten ungenutzt, um aus ihrem Gefängnis auszubrechen. Warum wirft Blanche die Nachricht nicht gleich noch einmal aus dem Fenster, als das das erste Mal misslingt, Jane sie findet und Blanche wiedergibt? Warum schreit sie nicht laut, da doch das Fenster offen ist und die neugierige Nachbarin draußen? Warum heißt der Film eigentlich so, wie er heißt? Warum hat Jane zwar ein Talent, die gefühlvolle, freundliche Stimme ihrer Schwester nachzumachen, klingt aber grauenvoll, wenn sie singt?

Wie man sich selbst und einander kaputt macht

Insgesamt ist das ein Psychothriller über ein beunruhigendes Maß an Zerstörung und vor allem Selbstzerstörung zweier gescheiterter Existenzen, und das alles ist eben schon im ersten Teil der Vorgeschichte angelegt. Der Neid Blanches, die Divenhaftigkeit Janes, und die Eltern: sich einerseits von Jane herumkommandieren zu lassen, da sie das Geld verdient, andererseits das (christlich motivierte?) Gebot der Mutter, Blanche möge es Jane auch ja nicht heimzahlen, wenn es einmal anders komme. An diesem Gebot, zwanghaft von der Mutter wie ein Gelübde abgerungen, zerbricht Blanche. Sie hält es scheinbar zunächst ein, aber mit dem Unfall und der Lüge hat sie nicht nur Janes Leben zerstört, sondern auch ihr eigenes. Ihren Qualen will sie manchmal entkommen, aber eben nie mit der letzten Konsequenz; sie nimmt das vielleicht wie eine Strafe zur Sühne hin. Wer hier die Schwester quält, quält noch stärker sich. Das gilt auch für Jane, der ja in den Momenten ihrer mitunter äußerst brutalen Aktionen ihre eigene verkommene Existenz vor Augen geführt wird. Oder auch, wenn sie Blanche imitiert: Bezeichnenderweise tut sie dies einmal, um telefonisch noch an Alkoholika zu kommen, da Blanche eigentlich angeordnet hatte, dass Alkoholikerin Jane nichts mehr zu trinken bestellen dürfe. Jane kann Blanche nachmachen, in allen Lebenslagen, nur nicht in der Kunst, da sind Jane und Blanche zu verschieden. Ansonsten aber, das zeigen sowohl die Imitier-Aktionen von Jane als auch die Lüge von Blanche, sind sie im Grunde eine Person; am Ende ist ein Teil dieser Person tot, ein anderer befreit.

Nicht nur Psycho-, sondern auch Thriller

„Was geschah wirklich mit Baby Jane?“ ist ausgesprochen solides Thrillerhandwerk, mit häufigem Suspense durch Parallelmontagen; ein Beispiel: Jane ist aus dem Haus, Blanche tüftelt einen Flucht-Trick aus oder will Hilfe holen – wird Jane, die schon auf dem Heimweg ist, das verhindern? Fotografisch geschickt setzt der Film die Treppe ein, die ersten Stock und Erdgeschoss verbindet. Oben ist Blanche und kann nicht herunter, unten ist Jane und schaltet und waltet nach Gutdünken, reißt Telefonkabel heraus, überwacht die Treppe zu Blanches Gefängnis. Diese Treppe trennt zwei Welten (die dann doch nur Teile einer Welt sind); und wenn jemand die Grenze überschreitet, schlägt der Psychohorror um in physische Gewalt. Als Blanche es einmal die Treppe herunter zum Telefon geschafft hat, wird sie von Jane brutal zusammengeschlagen. Als eine ehemalige Hausangestellte (Maidie Norman) es nach oben geschafft hat und Blanches Qual entdeckt, wird sie von Jane ermordet.

Kann sie nicht Hilfe rufen oder will sie nicht?

Also ein seltener Glücksfall von gelungenem Thriller und gelungener Psychologie; hinzu kommen exzellente Darsteller. Bette Davis ist so grauenvoll hässlich geschminkt, dass es bei weniger Talent allzu forciert gewirkt hätte. Aber ihr Spiel vermittelt, dass Jane nicht in allen Momenten das brutale Miststück ist, sondern dass immer wieder Verletzlichkeit, Traurigkeit, sogar ein Hauch von vergangener Schönheit aufblitzen.

Kontraste beim Schwanengesang des alten Hollywoods

Figuren und das Drehbuch lassen den Film als interessantes Produkt einer Übergangsperiode erkennen. 1962 war für Schwarzweiß-Fotografie recht spät, diese macht sich aber sehr gut, vor allem bei den Kontrasten durch Bette Davis’ viel zu grell geschminktes Gesicht, das schlicht weiß aussieht. Den herrlichen Nebenfiguren des erwähnten Pianisten und seiner Mutter (Marjorie Bennett) merkt man ebenfalls eine neue Zeit an; die beiden sehen ganz anders aus, als Menschen in Schwarzweiß-Filmen für gewöhnlich aussehen. Sie sind heruntergekommen, aber ohne den Glanz, den Mimen wie Humphrey Bogart solchen Typen noch verliehen. Der Sohnemann ist ein unvorteilhaftes Riesenbaby, recht dick und etwas ordinär, mit nur mühsam gepflegten Haaren, ganz anders als in den Fünfzigern. Und er sagt Sachen, die das Totenglöckchen des Production Code läuten – offiziell wurden diese Hollywood-Zensurbestimmungen erst 1967 abgeschafft. Als die Mutter sich beschwert, er möge nicht zu Jane gehen, die sich mit wildfremden Typen einlasse, schreit der Sohn, das sei der Mutter ja wohl nicht unbekannt: „So einer Verbindung verdanke ich ja mein Leben!“ Und dieser ordinäre Typ ruft immerhin noch die Polizei, zwar schon stockbesoffen und zunächst recht ungeschickt, aber er hat noch den Anstand, den Jane und letztlich auch Blanche nicht hatten. Er ist auch die ganze Zeit nicht so sonderlich unsympathisch, eher ist es ein bisschen komisch, wie er versucht, Jane bei ihrer Eitelkeit zu packen, um damit an ihr Geld zu kommen. Die Miststücke sind hier die Schwestern, nicht der „asoziale“ Klavierspieler.

Eine der beiden guckt zu tief ins Glas

Andererseits: Einmal erfahren wir, dass Jane ein schlimmes Wort aufgeschrieben hat, ohne dass uns gesagt wird, worum es sich handelt. Vielleicht war die Zensurbehörde da wieder versöhnt? Wie dem auch sei, man spürt den frischen Wind, der da weht. Das soll es gewesen sein; der Riesensack voller erwiesen wahrer, ausgeschmückter oder hübsch erfundener Anekdoten über die Feindinnen Bette Davis und Joan Crawford sei ausgespart. Das wäre, zumal sich gerade bei „Baby Jane“ Filmhandlung und Realität treffen, einen eigenen Aufsatz wert. Bis dahin kann ich nur jedem raten, „Was geschah wirklich mit Baby Jane?“ zu sehen.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Robert Aldrich haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Joan Crawford und Bette Davis unter Schauspielerinnen.

Veröffentlichung: 21. August 2009 als 2-Disc Premium Edition DVD, 10. November 2006 als 2-Disc Special Edition DVD

Länge: 134 Min. (Blu-ray), 128 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch, Spanisch
Untertitel: Deutsch, Deutsch für Hörgeschädigte, Englisch, Englisch für Hörgeschädigte u. a.
Originaltitel: What Ever Happened to Baby Jane?
USA 1962
Regie: Robert Aldrich
Drehbuch: Lukas Heller, nach einem Roman von Henry Farrell
Besetzung: Bette Davis, Joan Crawford, Victor Buono, Wesley Addy, Julie Allred, Gina Gillespie, Anne Barton, Marjorie Bennett, Bert Freed, Anna Lee, Maidie Norman, Dave Willock, Ross Conway
Zusatzmaterial: Audiokommentar von Charles Busch und John Epperson, „Bette Davis und Joan Crawford – Blinder Ehrgeiz“ (29:46 Min.), „Filmporträt Joan Crawford“ (28:35 Min.), „Hinter den Kulissen mit Baby Jane“ (6:19 Min.), Ausschnitte aus der „Andy Williams Show“ (2:05 Min.), Original-Kinotrailer
Label/Vertrieb: Warner Home Video

Copyright 2024 by Tonio Klein

Szenenfotos: © Warner Bros. Entertainment Inc., untere Packshots: © Warner Home Video

 
 

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Die City-Cobra – Wie man sich Charles Darwin als Mordmotiv zurechtbiegen kann

Die City-Cobra – Wie man sich Charles Darwin als Mordmotiv zurechtbiegen kann

Cobra

Von Volker Schönenberger

Actionthriller // „Die City-Cobra“ – das ist Lieutenant Maria Cobretti (Sylvester Stallone), seines Zeichens Cop beim Los Angeles Police Department (LAPD) und Mitglied der polizeilichen Eliteeinheit „Zombie Squad“. Wann immer es brenzlig wird, heißt es: Rufen Sie Cobra! Etwa bei der Geiselnahme im Supermarkt, als ein durchgeknallter Krimineller (Marco Rodríguez) mit Pumpgun um sich ballert, einen Kunden niederschießt und mit einer Bombe droht. Der Geiselnehmer ist bald Geschichte, doch mit seinem robusten Vorgehen macht sich Cobretti nicht nur Freunde.

Survival of the Fittest

In Los Angeles treibt derweil der „Night Slasher“ (Brian Thompson) sein Unwesen, der innerhalb eines Monats 16 Menschen ermordet hat. Niemand ahnt, dass der Serienkiller kein Einzeltäter ist, sondern eine Gruppierung namens „New World“ anführt, die sich das aus Charles Darwins Evolutionslehre gefolgerte Credo vom „Survival of the Fittest“ so zurechtgebogen hat, dass sie es für geboten hält, wahllos Menschen abzumurksen, die „New World“ für schwach hält. Auch der Supermarkt-Geiselnehmer hatte zwischendurch „New World“ gerufen …

Maria oder Marion? Wer weiß das schon?

Cobretti und sein Partner Sergeant Gonzales (Reni Santoni) müssen alsbald das Fotomodell Ingrid Knudsen (Brigitte Nielsen) beschützen. Die junge Frau ist als Zeugin ins Visier des Night Slashers geraten. Bei seinem Einsatz muss sich Cobretti auch mit dem ihm alles andere als wohlgesinnten Detective Monte (Andrew Robinson) aus einer anderen Einheit herumplagen, der Cobrettis Methoden missbilligt. Und mit Verrat. Und mit der Liebe.

Maria und Marion

In der deutschen Synchronisation heißt Sylvester Stallones Figur vollständig Maria Cobretti – das ist uns immerhin als ein Vorname geläufig, der sich der Jungfrau Maria zum Trotz dem männlichen wie dem weiblichen Geschlecht zuordnen lässt. Im Original trägt der Ermittler allerdings den Vornamen Marion – warum auch immer. Vielleicht sollte dadurch deutlich werden, dass Cobretti auch eine sanfte, gar feminine Seite hat. Und der Vorname gibt immerhin einen sympathischen Gag her, wenn Ingrid ihren Beschützer darauf anspricht und er erwidert, er hätte sich immer einen tougheren, etwas härteren Namen gewünscht – Alice.

Bei Ingrid ist die Sache eindeutig

„Die City-Cobra“, im Original schlicht „Cobra“ betitelt, markierte 1986 Sylvester Stallones Debüt für Cannon Films. Ein Jahr später folgte mit dem Armdrücken-Actioner „Over the Top“ die zweite und bereits letzte Arbeit für die berüchtigte Produktionsfirma. „Die City-Cobra“ wartet mit guter alter 80er-Action in Reinkultur auf und verströmt die Cannon-Aura aus jeder Pore. Nicht zuletzt dank der mit ganz grobem Strich zusammengepinselten Organisation – wahlweise Sekte – New World, über deren Entstehung wir nichts erfahren. Zweimal dürfen wir ihren Versammlungen beiwohnen, die allerdings nur darin zu bestehen scheinen, dass die Mitglieder Äxte über ihren Köpfen zusammenschlagen. Recht albern anzuschauen. Der Night Slasher macht zudem einen recht schlichten Eindruck. Kaum zu glauben, dass er über das Charisma verfügt, andere so sehr für sich einzunehmen und zu manipulieren, wie es nötig ist, um sie zu solchen Taten zu veranlassen. Die Rolle brachte Brian Thompson 1987 die zweifelhafte Ehre von zwei Nominierungen für die Goldene Himbeere ein: als schlechtester Nebendarsteller und als schlechtester Newcomer. Immerhin ein längerer Part als der des Punks, der zu Beginn von „Terminator“ (1984) den Fehler begeht, sich mit der von Arnold Schwarzenegger verkörperten Titelfigur anzulegen – der Kurzauftritt markierte Thompsons Leinwanddebüt. Sein markantes Äußeres prädestinierte ihn für Schurkenrollen, die er seitdem gern und oft übernimmt.

Trotz sechs Nominierungen keine Goldene Himbeere

Auch Sylvester Stallone bekam sein Fett in Form zweier Goldene-Himbeeren-Nominierungen weg: Er wurde als schlechtester Schauspieler und für sein Drehbuch nominiert. Der Film und Hauptdarstellerin Brigitte Nielsen erhielten ebenfalls Nominierungen, letztlich gingen die Goldenen Himbeeren aber an „Die City-Cobra“ vorbei. Nielsen hatte den Antipreis 1986 zweimal gewonnen: als schlechteste Newcomerin für ihre Titelrolle im Fantasy-Spektakel „Red Sonja“ mit Arnold Schwarzenegger und als schlechteste Nebendarstellerin in „Rocky IV – Der Kampf des Jahrhunderts“; in dem Boxkampf-Actioner verkörperte sie die Ehefrau des sowjetrussischen Boxers Ivan Drago (Dolph Lundgren). Kein perfekter Start für eine Weltkarriere als Schauspielstar, und so kam es dann auch nicht. Immerhin Dschungelkönigin 2012 – das ist doch was.

Ist das wie Sex?

Aber ich schweife ab. Sylvester Stallone tut in „Die City-Cobra“ das, was Sylvester Stallone in seiner Hochphase in den 80ern stets getan hat. Er verströmt stoische Virilität, lässt sich von niemandem dreinreden, haut drauf und schießt um sich, wenn es sein muss (oder er es für richtig hält). Das ist alles andere als eine komplexe Charakterzeichnung, erfüllt im Actionfilm aber seinen Zweck. Der bereits erwähnte Aspekt des Vornamens ist schon mehr, als wir bei manch anderer Rolle Stallones wahrnehmen (dass er mehr drauf hat, hat er punktuell bewiesen).

Mal wieder empört: die Katholiken vom Lexikon des internationalen Films

Immer wieder eine Freude insbesondere bei 80er-Genreware: der Blick auf das Lexikon des internationalen Films, herausgegeben von der Katholischen Filmkommission für Deutschland. In diesem Fall urteilte die Publikation einmal mehr harsch: Ein bluttriefendes Action-Spektakel, das seine gewaltverherrlichende Botschaft teilweise mit faschistoider Mentalität verbreitet. Nun gut, ein gewisses Faible für drastische Selbstjustiz kann Lieutenant Cobretti nicht leugnen. Zwischendurch kritisiert der Cop sogar die Gewaltenteilung, wenn er seinem Schützling Ingrid Knudsen gegenüber etwas resigniert äußert, diejenigen, die er schnappe, lasse der Richter sowieso wieder frei. Eine solche Haltung kann man, wenn man will, gern kritisieren, aus heutiger Sicht mögen Cops wie Marion Cobretti und Clint Eastwoods „Dirty Harry“ Callahan nicht mehr zeitgemäß sein. Aber verdammich noch mal, diese Streifen machen nun mal Spaß. Und eine Botschaft der Gewaltverherrlichung sehe ich nicht, Cobretti ruft das Kinopublikum sicher nicht auf, es ihm gleichzutun. Ja, 80er-Action ist oft nicht gerade politisch korrekt, das kann man registrieren und sich dennoch dran erfreuen.

Es geht jedenfalls heiß her

Wie so viele 80er-Actionklassiker hat auch „Die City-Cobra“ eine leidvolle Zensurgeschichte hinter sich, beginnend damit, dass der Film seinerzeit bereits vor US-Kinostart gekürzt wurde, um dort ein R-Rating zu erreichen. Zu allem Überfluss gilt die ungeschnittene und nie veröffentlichte Urfassung („Workprint“) als verschollen, nach heutigem Stand werden wir sie niemals zu sehen bekommen. Somit ist die R-Rating-Fassung als offizielle und somit ungekürzte Fassung anzusehen. In Deutschland kann einem bei den alten Warner-DVDs auch noch eine zusätzlich geschnittene Variante unterkommen, haltet euch sicherheitshalber an die Blu-ray oder eins der Mediabooks mit Blu-ray und ungeschnittener DVD.

25 Jahre auf dem Index

1987 landete „Die City-Cobra“ auf dem Index, 25 Jahre später erfolgte 2012 die turnusmäßige Listenstreichung, gefolgt von einer Freigabe ab 18 Jahren durch die FSK. Kurz darauf veröffentlichte Warner den Actionthriller bei uns erstmals auf Blu-ray. Nameless Media brachte ihn 2023 im Mediabook mit den Blu-rays und DVDs von Warner in den Handel, mithin eine typische Repack-Edition. Schnelles Geld also für Nameless, das immerhin Budget für einen Booklettext von Wolfgang Brunner lockermachte. Den habe ich nie gelesen, er dürfte aber lesenswert ausgefallen sein (ob so lesenswert, dass er den Kauf eines Repack-Mediabooks rechtfertigt, sei dahingestellt). Nun hat Plaion Pictures ein weiteres Mediabook veröffentlicht, ebenfalls mit Blu-ray und DVD, und dafür bislang in Deutschland unveröffentlichte Boni auf die Scheiben gepackt – Interviews mit diversen Darstellern, und das in üppiger Länge (Auflistung siehe unten). Sehr interessant sind auch die entfallenen Szenen. Die fast elf Minuten entstammen einer Extended TV-Fassung, die dereinst anscheinend in den USA und Schweden ausgestrahlt wurde. Den Fernsehgepflogenheiten geschuldet, bieten diese Szenen keine zusätzliche Gewalt, sondern erweiterte Handlung. Sehr interessant. Ihre Qualität ist unterdurchschnittlich, was der Grund sein mag, dass weder Warner noch Plaion den Versuch unternommen haben, diese Sequenzen in die FSK-18-Fassung zu integrieren. Für Interessierte verweise ich auf einen Schnittbericht mit einem Vergleich der Originalversion mit der Extended TV-Fassung. Weitaus bessere Qualität als die entfallenen Szenen haben erwartungsgemäß Bild und Ton des Films. Einen Vergleich zu älteren Veröffentlichungen kann ich allerdings nicht liefern.

Auch zwischen unseren beiden

Den Booklettext „Cobra – Ein Liebesfilm“ verfasste Stefan Jung. Er thematisiert darin die Liebe, interpretiert etwa eine Autoverfolgungsjagd als Metapher für die leidenschaftliche Liebe zwischen zwei Körpern, sprich: für den Sexualakt (das nachzuempfinden, fiel mir während besagter Szene zugegeben schwer). Und natürlich erwähnt Jung auch die Liebesgeschichte zwischen Hauptdarsteller Sylvester Stallone und Hauptdarstellerin Brigitte Nielsen, die während der Dreharbeiten noch frisch verliebt waren (sie heirateten im selben Jahr und ließen sich 1987 wieder scheiden). Die Liebe zieht sich durch den weiteren Text, wenn auch im Einzelfall etwas gewollt („Liebe zum Detail“). Insgesamt wie immer bei Jung erbauliche Lektüre eines fachkundigen Textes.

Vom Regisseur von „Rambo II – Der Auftrag“

Regisseur George P. Cosmatos drehte später den Unterwasser-SF-Schocker „Leviathan“ (1989) und den starbesetzten Wyatt-Earp-Western „Tombstone – Das Gesetz sind wir“ (1993). Ein Jahr vor „Die City-Cobra“ hatte er mit Hauptdarsteller Sylvester Stallone „Rambo II – Der Auftrag“ (1985) inszeniert. Von seinem Regiedebüt „Heißkaltes Blut“ (1971) bis zum Karriereausklang „Verschwörung im Schatten“ (1997) zeichnete er für lediglich zehn Filme auf dem Regiestuhl verantwortlich. 1941 in Italien geboren, starb er 2005 im Alter von 64 Jahren in Kanada an Lungenkrebs.

Cobretti feuert aus allen Rohren

„Die City-Cobra“ mag nicht der ganz große Actionklassiker der 1980er-Jahre sein, aber jene Dekade bildet nun mal das Goldene Zeitalter des Actionfilms, die Konkurrenz ist groß und vielseitig. Das Stallone-Vehikel ist ein typischer Vertreter seines Jahrzehnts und auch von Cannon Films. Ein würdiger allemal. Nun auch in würdiger Edition.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von George P. Cosmatos haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Brigitte Nielsen unter Schauspielerinnen, Filme mit Sylvester Stallone und Brian Thompson in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung: 28. März 2024 als 2-Disc Edition Mediabook (Blu-ray & DVD), 12. Mai 2023 als 2-Disc Edition Mediabook (Blu-ray & DVD, 3 Covermotive à 500 Exemplare), 2. November 2012 als Blu-ray, 19. August 2005 als gekürzte DVD, 10. September 2001 als DVD

Länge: 87:05 Min. (Blu-ray), 83:31 Min. (DVD), 82:52 Min. (gekürzte DVD)
Altersfreigabe: FSK 18
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Cobra
USA/ISR 1986
Regie: George P. Cosmatos
Drehbuch: Sylvester Stallone, nach dem Roman „Fair Game“ von Paula Gosling
Besetzung: Sylvester Stallone, Brigitte Nielsen, Reni Santoni, Andrew Robinson, Brian Thompson, John Herzfeld, Lee Garlington, Art LaFleur, Marco Rodríguez, Val Avery, David Rasche
Zusatzmaterial 2024: Audiokommentar von Regisseur George P. Cosmatos, Interviews mit Brian Thompson (26:00 Min., Länge gilt jeweils für Blu-ray, auf DVD etwas kürzer), Marco Rodríguez (24:05 Min.), Andrew Robinson (14:15 Min.), Lee Garlington (9:05 Min.) und Art LaFleur (8:23 Min.), Vintage-Featurette (7:50 Min.), entfallene Szenen (10:44 Min.), Bildergalerie (126 Bilder), 2 deutsche Trailer, englischer Trailer, englischer Teaser, 20-seitiges Booklet mit einem Text von Stefan Jung
Zusatzmaterial 2023: Audiokommentar von Regisseur George P. Cosmatos, Hinter den Kulissen (7:50 Min.), US-Kinotrailer, 20-seitiges Booklet mit einem Text von Wolfgang Brunner
Label/Vertrieb 2024: Plaion Pictures
Label/Vertrieb 2023: Nameless Media
Label/Vertrieb zuvor: Warner Home Video

Copyright 2024 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & unterer Packshot: © 2024 Plaion Pictures

 

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