RSS

Polytechnique – Protokoll eines Amoklaufs

03 Jan
POLY_32

Noch ringt er mit sich

Polytechnique

Gastrezension von Simon Kyprianou

Drama // Versteckt auf dem „Enemy“-Mediabook findet man auf einer Bonus-Blu-ray Denis Villeneuves frühe Arbeit „Polytechnique“ von 2009. Es ist ein mit nur 77 Minuten Laufzeit nüchternes Schwarz-Weiß-Drama über den Amoklauf an der technischen Hochschule von Montréal am Nikolaustag 1989.

Der Täter vor der Tat

Am Anfang sehen wir den späteren Amokläufer (Maxim Gaudette) in seiner Wohnung sitzen. Er starrt aus dem Fenster, spült das Geschirr, lädt sein Gewehr und schreibt dann seinen Abschiedsbrief. Er schreibt, die sei Tat politisch motiviert. Der aufkeimende Feminismus ziehe seinen Zorn auf sich, so sei er praktisch zum Handeln gezwungen.

POLY_75

Am trügerisch ruhigen Anfang des Tages

Die Stunden vor dem Amoklauf

Dann konstruiert Villeneuve ein geschicktes gesellschaftspolitisches Mosaik, die letzten Stunden vor dem Amoklauf aus der Perspektive dreier Studenten: Jean-François (Sébastiene Huberdeau), Valérie (Karine Vanasse) und Stéphanie (Evelyne Brochu). Darin denkt er über die Geschlechterrollen in der Gesellschaft nach, wirft einen empathischen Blick auf die Gefühlslagen und Sorgen seiner Protagonisten und gibt einen kurzen, intimen Einblick in ihr Leben, taucht ein in die Dynamik und die Belastungen des hektischen und stressigen Universitäts-Alltags.

Ein Tag gerät aus den Fugen

Wenn dann die Gewalt des Amoklaufs losbricht, nach einer grandios intensiven Szene, in der der Killer mit sich ringt, kippt Villeneuve die Kamera immer wieder um, denn die Welt gerät an diesem Tag aus den Fugen. Sie steht sprichwörtlich Kopf. „Polytechnique“ ist eine strenge Studie, schwarz-weiß, nüchtern, trist, ganz im Geiste der Michael Hanekeschen Gesellschaftsanalysen.

POLY_83

Man stellt sich tot, um zu überleben

Unheilbare Wunden

Glücklicherweise erlaubt Villeneuve seinem Film niemals reißerisch zu werden, er bleibt stets eine klinisch genaue Beobachtung der Ereignisse. Am Ende schneit es durch die zerschossenen Glasscheiben in die Universität herein und es wird klar das dieser Tag bei allen eine unheilbare Wunde hinterlassen wird. Bei manchen blutig und sichtbar, bei anderen unsichtbar. Wenn am Ende nach der Tragödie neues Leben entsteht, dann spendet uns Villeneuve Trost und sogar Hoffnung. Beides aber unterstreicht noch einmal die Sinnlosigkeit der Tat.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Denis Villeneuve sind in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet.

Veröffentlichung: 10. Oktober 2014 als Teil des Bonusmaterials der limited Collector’s Edition von „Enemy

Länge: 77 Min.
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Französisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Polytechnique
KAN 2009
Regie: Denis Villeneuve
Drehbuch: Jacques Davidts, Eric Leca, Denis Villeneuve
Besetzung: Maxim Gaudette, Sébastien Huberdeau, Karine Vanasse, Martin Watier, Evelyne Brochu, Eve Duranceau, Johanne-Marie Tremblay, Natalie Hamel-Roy, Pierre-Yves Cardinal
Zusatzmaterial: entf.
Vertrieb: Al!ve AG / capelight pictures

Copyright 2014 by Simon Kyprianou

Fotos & Trailer: © 2014 capelight pictures

 

Schlagwörter: , , , , ,

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..