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Plädoyer für das deutsche Kino

06 Jun

Gastbeitrag von Simon Kyprianou

Deutscher Film // Er wird viel gescholten, geschmäht, oft gar rigoros abgelehnt, der deutsche Film. Es gebe keine guten deutschen Schauspieler, keine guten deutschen Regisseure und überhaupt bestehe das deutsche Kino ja ohnehin nur aus Schweiger und Schweighöfer, so wird oft verlautbart. Sicher – es ist nur allzu verständlich, wie die Omnipräsenz von Schweiger und Schweighöfer einem das deutsche Kino madig machen kann. Wenn dann auch noch Til Schweiger in einem Spiegel-Gespräch versucht, Wim Wenders das Kino zu erklären … Er behauptet, bei ihm seien die Fördergelder doch am allerbesten aufgehoben, besser jedenfalls als bei kleineren Filmen, die eh kein Mensch sehen wolle (sic!).

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© Al!ve AG

Deutschen Filmen haftet oft der Geschmack des Bildungsauftrags an, der oft andere, filmische Qualitäten zu übersteigen scheint. Aber es gibt gutes deutsches Kino, fernab von Bildungsauftrag, fernab von konservativer Mainstream-Verklemmtheit von Schweiger und Schweighöfer, fernab von Komödien-Verdummung à la „Fack ju Göhte“. Es gibt gutes deutsches Kino sogar en masse. Ein Plädoyer für die Schönheiten, Geheimnisse und Wunder des deutschen Films!

Wegen Thomas Arslan

Im öffentlichen Diskurs entsteht oft das Gefühl, Genre und Berliner Schule seien unvereinbare Gegensätze, dabei besteht eine ganz interessante (dialektische) Beziehung zwischen diesen beiden vermeintlichen Gegenpolen: Genre zieht sich durch die Berliner Schule, am besten beobachten kann man das wohl bei Thomas Arslan. „Im Schatten“ war eine betörend kontemplativ erzählte Melville-Hommage, ein Film der meditativ, in sich gekehrt und geerdet war, der selbst bei Gewaltausbrüchen und bei emotionalen Ausbrüchen an seiner bedrohlichen formalen Ruhe festgehalten hat. Arslan bebildert eine fatalistische Irrfahrt, mit einem Blick der nichts Wertendes, nichts Urteilendes an sich hat, mit einem Blick, der nur beobachtet und alles andere den Rezipienten überlässt. Der Film hält die Grausamkeiten der Gangsterwelt nüchtern und schrecklich beiläufig fest.

© Indigo

Eine ebenso fatalistische Irrfahrt ist sein jüngster Film „Gold“: ein Western, dazu noch einer mit ganz klassischem Sujet. Ein Treck von deutschen Goldsuchern bricht auf, um dorthin zu kommen, wo der Goldrausch gerade ausgebrochen ist. Arslan erzählt von der „moving frontier“, einen ganz klassischen Western, also einen Film der Bewegung, des Vorankommens. Wieder ist der Blick beobachtend, der Gestus kontemplativ, niemals reißerisch. Trotzdem gelingt ihm wunderbares Genrekino.

Wegen Angela Schanelec

Angela Schanelecs jüngster Film „Orly“ ist ein wahres Wunder. Schwebende Erzählfragmente, ätherische Momentaufnahmen von Menschen an einem Flughafen. Momente von Unsicherheiten, Ängsten, Bekenntnissen und Sehnsüchten fängt Schanelec ein, ohne dabei je wirklich etwas zu erzählen. Der Blick ihrer Kamera streift immer nur kurz Unterhaltungsfetzen und gleitet dann schnell wieder weiter. Der Flughafen ist eine Art unwirkliche Zwischenwelt, ein Nicht-Ort, eine Welt der Unentschlossenheit, ein Ort der Begegnungen, ein Ort an dem niemand je angekommen ist, immer nur eine Station einer Reise. „Orly“ befreit sich sowohl von narrativen als auch größtenteils von formalen Zwängen. Er ist nur daran interessiert, die emotionalen Zustände seiner Figuren so aufrichtig wie nur möglich zu begreifen. Kein biederer Realismus, sondern behutsames Erleben des Moments. Ein Triumph!

Wegen Christian Petzold (und Harun Farocki)

Auch bei Christian Petzold wird der Einfluss des Genrekinos auf die Berliner Schule stets deutlich, wenn auch nicht ganz so stark wie bei Arslan. Man erkennt in Petzolds Filmen immer den Einfluss amerikanischer Genrefilme und Genreliteratur. So ist „Jerichow“ eine Variation von „Wenn der Postmann zweimal klingelt“, „Phoenix“ ist eine Variation von Hitchcocks „Vertigo“ und „Barbara“ kann als Film noir verstanden werden. Bei „Barbara“ ist auch stark der Einfluss von Nicolas Ray zu erkennen, der mit „Johnny Guitar“ wohl die Haupt-Inspiration für Petzold lieferte. Als Inspirationen und Lieblingsfilme nennt er sonst immer wieder „Vertigo“, „Die durch die Hölle gehen“ und „Faustrecht der Prärie“ – auch amerikanisches Genrekino.

Petzold sagte einmal in einem Interview, dass alle Figuren des Kinos Exilanten seien. Petzolds Figuren sind sogar noch mehr als bloße Exilanten, es sind Gefangene. Gefangen in einem Land, in ihrem Schicksal, in einer Ehe, oder – wie zum Beispiel in „Toter Mann“ – in ihrer Vergangenheit. Das Drama, den Sündenfall lässt Petzold immer da entstehen, wo sie versuchen auszubrechen, sich zu befreien.

© Indigo

Petzolds Kino ist ein Kino des Ertastens, ein stilles, minimalistisches, reduziertes Kino, das sich aus präzisen Beobachtungen verdichtet. Mit anmutiger Scheu nähert Petzold sich seinen sich verschließenden Figuren, die betäubt und abgestumpft durch die Geschichten wandeln. Dabei ist der Berliner-Schule-Film „Toter Mann“ eigentlich durch und durch Genrekino, ein Thriller, den Petzold hochkonzentriert erzählt, dessen bedrohliche Ruhe sich bei der finalen Kollision der Protagonisten in ein Inferno verwandelt.

Überhaupt geht hier alle Spannung von dem brüchigen emotionalen Kollektiv seiner Protagonisten aus. Dabei ist Petzolds Frühwerk, wie „Toter Mann“ oder „Wolfsburg“ noch aufregender in seinem behutsamen Minimalismus, in seiner Zärtlichkeit und seiner Angst vor Gefühlen als seine aktuellen Filme.

Petzolds Filme leben von einer tief vergrabenen, schmerzhaft-gefährlichen Erotik, die sich immer wieder Bahn bricht und die gequälten Figuren verschlingt. Es lebt von tief in sich verlorenen Figuren und es lebt vor allem von der unfassbaren Nina Hoss. Harun Farocki arbeitet stets an Petzolds Drehbüchern mit und war selbst Filmemacher von so brillianten Dokumentationen wie „Nicht ohne Risiko“ der als Vorlage für Petzolds Kapitalismus-Fiebertraum „Yella“ diente. Farocki starb leider am 30. Juli 2014.

Wegen Dominik Graf

Mehrfach habe ich bei „Die Nacht der lebenden Texte“ von ihm geschrieben, aber man kann es gar nicht oft genug tun. Dominik Graf ist derjenige Filmemacher, der im deutschen Kino auch fernab von der Berliner Schule unermüdlich für wundervolles Kino sorgt. Er ist derjenige, der seine eigene, mehr als berechtigte Forderung nach Schocks, Trivialitäten und brüllendem Gelächter auch erfüllt. Ein exzessives Kinomonster, das mit Krimi-Inszenierungen wie „Polizeiruf 110 – Cassandras Warnung“ und „Smoke on the Water“ Genrekino äußerster Brillanz und Brachialität auch fürs Fernsehen dreht, weit weg von Political Correctness, weit weg von Kommerz oder einem Bildungsauftrag. Unerreicht.

Wegen Jan Schomburg

Auch Jan Schomburgs jüngster Film, „Vergiss mein Ich“ ist ein kleines Wunder: ein kluger Beitrag zu den Gender-Theorien und ein Film über Identität, der niemals in die Lächerlichkeit abgleitet, sondern den Schrecken des unbeschriebenen Blattes darstellt, das wir alle sind. Herrliches, feinsinniges Kino, am Puls der zeitgenössischen Diskurse.

Copyright 2015 by Simon Kyprianou

 
 

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2 Antworten zu “Plädoyer für das deutsche Kino

  1. Simon Kyprianou

    2015/06/08 at 22:57

    Ich liebe auch Petzold-Filme, eigentlich jeden Film, den er gemacht hat, vor allem aber die mit Nina Hoss. Zusammen bilden sie schon eine wunderbare künstlerische Symbiose. Besonders interessant finde ich, dass alle Filme, die Petzold mit Hoss gemacht hat, praktisch identisch sind. Eine verletzte, vom Leben enttäuschte, starke, stolze Frau trifft in einer problematischen Lebenssituation auf einen männlichen Charakter, die beiden verfallen einander und steuern offenen Auges auf die Katastrophe zu. Nur das Umfeld variiert immer. Finde diese Variation ein und desselben Motivs sehr spannend.

     
  2. Stepnwolf

    2015/06/08 at 21:25

    Ich liebe Petzold-Filme. Die haben immer solch eine besondere eigene Atmosphäre und tatsächlich kann man sich einen Petzold-Film ohne Nina Hoss nicht so recht vorstellen. Deutsches Kino ist auf jeden Fall sehr viel lebendiger als die deutsche Serienlandschaft und somit momentan ja das direkte Gegenteil zur amerikanischen Filmlandschaft, wo das serielle Erzählen mittlerweile intelligenter und besser erscheint.

     

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