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Wildling – Ruf der Wildnis

20 Nov

Wildling

Von Andreas Eckenfels

Horrordrama // Hier gibt es niemanden. Hier sind nur Anna und Daddy. Anna und Daddy. Hier sind nur Anna und Daddy. Aber nur Daddy darf nach draußen gehen, weil Anna dafür viel zu klein ist. Anna muss hierbleiben und darf nie nach draußen gehen. Anna muss immer hier drinbleiben.

Anna und Daddy feiern Geburtstag

Teenagerin Anna (Bel Powley) ist in einer abgelegenen Waldhütte aufgewachsen. Ihr „Daddy“ (Brad Dourif), wie sie ihn nennt, hat sie nie nach draußen gelassen. Denn dort lauere eine große Gefahr. Der ältere Mann erzählte ihr von dem Wildling, einer Kreatur mit scharfen Zähnen und langen Krallen, welche im Wald lebt und am liebsten kleine Kinder verspeist. Daddy kümmerte sich gut um das Mädchen, er brachte ihm Lesen bei, zum Geburtstag gab es immer einen Kuchen, der mit Gummibärchen statt mit Kerzen garniert war. Aber mit zunehmendem Alter wurde Anna krank, wie Daddy ihr erklärte. Deshalb war er dazu gezwungen, ihr täglich „Medizin“ in den Bauch zu spritzen. Es war alles nur zu ihrem Besten.

Sheriff Ellen Cooper (r.) nimmt Anna bei sich auf

Erst nach 16 Jahren konnte Anna ihr Gefängnis verlassen. Daddy hatte sich eine Kugel in den Kopf gejagt. Vorläufig kümmert sich Kleinstadtsheriff Ellen Cooper (Liv Tyler) fürsorglich um das verstörte Mädchen und nimmt es in ihrem Zuhause auf. Anna gewöhnt sich nur langsam an die neu gewonnene Freiheit. Dabei ist ihr auch Ellens gleichaltriger Bruder Ray (Collin Kelly-Sordelet) behilflich, der Anna in die Highschool mitnimmt und zu dem sie sich bald hingezogen fühlt. Doch gerade als sie sich von ihren Ängsten größtenteils entledigt zu haben scheint, nehmen rätselhafte Ereignisse ihren Lauf.

Haarige Zeiten: Einmal Beine rasieren, bitte!

Bereits mit „Mondmann“ (2006), seinem knapp 30-minütigen Abschlussfilm von der Münchner Hochschule für Film- und Fernsehen, gewann der in Berlin geborene Fritz Böhm einige nationale und internationale Preise. Danach entschied sich der Filmemacher, zunächst als Produzent und Effektemacher weiterzuarbeiten. Erst zwölf Jahre später erscheint nun sein Langfilmdebüt „Wildling“, für welches Böhm mit den beiden „Der Herr der Ringe“-Stars Liv Tyler und Brad Dourif sowie Bel Powley („The Diary of a Teenage Girl“) namhafte Darsteller verpflichten konnte. Das fantastisch angehauchte Horrordrama feierte auf dem Fantasy Filmfest 2018 seine Deutschland-Premiere.

Anna folgt ihrer Bestimmung

Wie Böhm im im Mediabook abgedruckten Interview erklärt, hatte er bereits als Teenager einen zehnminütigen Video-8-Abenteuerfilm namens „Flucht durch die Wildnis“ mit seiner jüngeren Schwester Hanna in der Hauptrolle gedreht. Darin ging es eben um ein in einer Waldhütte gefangenes Mädchen, welches seinem Peiniger entkommt und fortan in der freien Wildnis lebt. Über die Jahre habe er sich immer gefragt, was aus diesem Mädchen geworden ist. Somit hatte er die Grundidee für „Wildling“, für welchen er gemeinsam mit Florian Eder auch das Drehbuch schrieb.

Monströse Frauen in der Pubertät

Da das Geschehen aus Annas Perspektive erzählt wird, macht der Film bald keinen Hehl mehr daraus, was sich geübte Horrorgucker schon bei der ersten Erwähnung des „Wildlings“ gedacht haben: Mit Beginn ihrer Pubertät verwandelt sich Anna langsam in dieses hungrige Monster, vor welchem Daddy sie immer gewarnt hat. Somit reiht sich „Wildling“ zu ähnlich gelagerten Coming-of-Age-Werken mit weiblichen Protagonistinnen ein, etwa zu dem morbiden „Ginger Snaps“ (2000), dem schwarzhumorigen „Jennifer’s Body“ (2009) oder dem kunstvollen „Raw“ (2016). Während diese drei Filme aber den Konflikt zwischen zwei Frauenfiguren mehr in den Fokus rücken – seien es Schwestern oder beste Freundinnen –, ist Anna mit ihrer Verwandlung und ihren Problemen auf sich allein gestellt. Durch diesen schon oben erwähnten subjektiveren Ansatz fühlen auch die Zuschauer stärker mit der von Bel Powley mit viel Intensität gespielten jungen Frau mit, die ihre angeborenen tierischen Triebe nur schwer unterdrücken kann. Mit ihrer sanften Darstellung – elfengleich wäre etwas übertrieben – übernimmt Liv Tyler überzeugend den Mutter-Ersatz, die durch ihren Job als Polizistin und ihre Zuneigung zu Anna zunehmend in Gewissenskonflikte gerät.

Sensibel erzählt und dezent blutig

„Wildling“ bietet eine äußerst sensible Herangehensweise an das bekannte Thema, welches durch die gute Kameraarbeit auch fast märchenhafte Züge erhält. Böhm tut gut daran, die Mythologie um die Wildlinge weitestgehend unerklärt zu lassen, so spielt sich deren Ursprung im Kopf des Zuschauers ab. Mit blutigen Effekten wird sparsam, aber durchaus wirkungsvoll umgegangen. Manchmal reicht eben auch das Zeigen der zahlreichen Einstichnarben auf dem Bauch der kleinen Anna, die „Daddy“ Brad Dourif mit seiner Spritze hinterlassen hat, schon aus, um für ein wenig Frösteln zu sorgen. Papa hat es ja nur gut gemeint. Im etwas überbordenden Finale ist dann auch Anna in ihrer ganzen Wildling-Pracht in Aktion zu bestaunen, sodass auch Freunde von Creature-Effekten auf ihre Kosten kommen. Welche weiblichen Monsterfiguren aus der Horrorgeschichte fallen euch ein?

Zurück zur Natur

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Brad Dourif haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.

Veröffentlichung: 26. Oktober 2018 als 2-Disc Limited Collector’s Edition Mediabook (Blu-ray & DVD), Blu-ray und DVD

Länge: 92 Min. (Blu-ray), 88 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Wildling
USA 2018
Regie: Fritz Böhm
Drehbuch: Fritz Böhm, Florian Eder
Besetzung: Bel Powley, Liv Tyler, Brad Dourif, James Le Gros, Mike Faist, Collin Kelly-Sordelet, Frank Deal
Zusatzmaterial: entfallene Szenen, Outtakes, Kinotrailer, nur Mediabook: 24-seitiges Booklet mit Interview mit Regisseur Fritz Böhm und Storyboard-Zeichnungen
Label: capelight pictures
Vertrieb: Al!ve AG

Copyright 2018 by Andreas Eckenfels

Szenenfotos, Packshot & Trailer: © 2018 capelight pictures

 
 

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57 Antworten zu “Wildling – Ruf der Wildnis

  1. Klaus-Bernd

    2019/06/22 at 14:49

    „Zoe“ aus „Savaged“ und die „Wire Twins“, die beiden weiblichen Cenobites aus der „Hellraiser“-Reihe sind hier meine Favoriten.

     
  2. Birgit

    2019/06/20 at 11:51

    Da fallen mir vor allem drei Film-„Monster“ ein: „Mystique“ von den X-Men, die böse „Asami“ aus Audition und das weibliche „Alien“ aus der gleichnamigen Reihe.

     
  3. Robert Jost

    2019/06/18 at 15:57

    „A girl walks home alone at night“, Eli aus „So finster die Nacht“, Species, die Mädels aus Ginger Snaps, und Wolfgirl war auch ganz nett.

     
  4. Klaus

    2019/06/18 at 15:32

    Erst mal ganz banal „Frankensteins Braut“ – aber auch die Vampirin (?) Eli aus „So finster die Nacht“

     
  5. Alexandra Jotter

    2019/06/17 at 17:37

    Mircalla/Carmilla – Gruft der Vampire (1970)

     
  6. Frank Hillemann

    2019/06/17 at 16:33

    Carrie, Annie Willkes aus “ Misery „, Santanica Pandemonium aus “ From Dusk till Dawn „, und das Mädchen, dessen Name mir gerade nicht einfällt aus “ Der Exorzist „.

     

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