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George A. Romero (VII): Season of the Witch – Die Hexen von Pittsburgh

13 Mär

Hungry Wives

Von Volker Schönenberger

Horrordrama // Lang hat’s gedauert, bis George A. Romeros dritter Langfilm „Season of the Witch“ endlich den Weg nach Deutschland geschafft hat. In den USA hatte Anchor Bay immerhin 2005 eine DVD veröffentlicht, drei Jahre später erschien diese auch im Vereinigten Königreich. 2017 packte das umtriebige englische Label Arrow Video den Film in Verbindung mit dem Vorgänger „There’s Always Vanilla“ (1971) und dem Nachfolger „Crazies“ (1973) in seine feine Blu-ray-Kollektion „George A. Romero – Between Night and Dawn“.

Von Arrow Video zu capelight pictures

Darauf wurde das deutsche Label capelight pictures aufmerksam, das sich die Lizenz der Filme sicherte, um alle drei zusammen als Mediabook zu veröffentlichen. Anders als bei Arrow Video liegt hier der Fokus auf „Crazies“ als Hauptfilm, „There’s Always Vanilla“ und „Season of the Witch“ liegen als Boni ohne deutsche Synchronisation auf separaten Blu-rays bei – „Season of the Witch“ sogar doppelt, da außer der verstümmelten 90-Minuten-Fassung auch der „Extended Cut“ mit einer Länge von 104 Minuten enthalten ist. Die ursprüngliche 130-minütige Schnittfassung gilt als verschollen, sie könnte wohl als „Director’s Cut“ bezeichnet werden.

Die Hausfrau in der Vorstadthölle

Die Handlung folgt der 39-jährigen Joan Mitchell (Jan White), die im bürgerlichen Milieu am Rande Pittsburghs mit dem Geschäftsmann Jack (Bill Thunhurst) eine freudlose Ehe führt. Das dokumentiert schon eine skurrile Eingangsszene, in welcher Joan ihrem Gatten durch einen lichten, sonnendurchfluteten Wald folgt. Er ist dabei in seine Zeitung vertieft, während sie Mühe hat, Ästen und Zweigen auszuweichen. Im Anschluss nimmt er sie ans Halsband und sperrt sie im Tierheim in einen Zwinger. Kurz darauf findet sich Joan in ihrem Vorort-Haus wieder, wo ihr ein sonderbarer Typ die Vorzüge des Lebens in Spießigkeit präsentiert. Im Spiegel und anderswo im Gebäude entdeckt sie sich selbst – als alte Frau.

Logisch: Es war nur ein Traum. Aber er skizzierte offenbar Joans Gefühlswelt. Ihre 19-jährige Tochter Nikki (Joedda McClain) geht schon zum College, das Hausfrauendasein zermürbt Joan, sie geht zum Therapeuten. Bei einem der Treffen mit ihren Freundinnen, den anderen „desperate housewives“, trifft Joan auf Marion Hamilton (Virginia Greenwald), eine neue Nachbarin, die sich als Hexe entpuppt. Hexenkräfte? Joan ist fasziniert …

Verschnitten

Der Filmpublizist Georg Seeßlen zitiert den Regisseur in seinem 2010 veröffentlichten Buch „George A. Romero und seine Filme“: Der Film ist nie so fertig geworden, wie ich ihn gerne gehabt hätte. Wir (…) waren gezwungen, ihn umzuschneiden. Es gibt noch nicht einmal eine Kopie der ersten Version, die mir ganz gut gefiel. Die unschöne Schnitt- – besser: Verschnitt-Geschichte von „Season of the Witch“ hat zweifellos dazu beigetragen, dass der Film in Romeros Œuvre keinen allzu guten Stand hat (die übermächtige Dominanz seiner ersten drei „Dead“-Filme spielt sicher auch hinein).

Einige Szenen wirken recht lieblos aneinandergesetzt. George A. Romero bediente selbst die Kamera und erledigte als Cutter auch den Schnitt, und das dem Vernehmen nach ausgiebig. So ganz kann man ihn wohl nicht aus der Verantwortung entlassen, dass „Season of the Witch“ unvollständig wirkt. Aber für die Kürzung von 130 Minuten herunter auf anderhalb Stunden konnte er wohl nichts, auch die beim Extended Cut zur Urfassung fehlenden 26 Minuten sind eine Hausnummer. Was hat es beispielsweise mit dem Baby auf sich, das in der obigen Eingangsszene kurz im Freien auf dem Boden liegend zu sehen ist? Romero wollte damit offenbar etwas andeuten, was womöglich später erklärt werden sollte – Hauptdarstellerin Jan White erklärt es im Interview im Bonusmaterial.

Mit Donovans „Season of the Witch“

Passend zum Filmtitel erklingt kurz nach der Hälfte des Films Donovan mit seinem „Season of the Witch“, als Joan in der City von Pittsburgh in einem Geschäft diverse Utensilien kauft, die Hexen so brauchen könnten. Kurz zuvor gab es das erste Horror-Element zu betrachten. Wer einen beinharten Schocker oder ein vor Okkultismus berstendes Spektakel erwartet, wird enttäuscht werden. Obendrein sieht man dem Werk sein arg geringes Budget jederzeit an.

Die frustrierende Ödnis des Hausfrauendaseins hingegen skizziert der Regisseur überzeichnet, aber mit präzisem Blick innerhalb kurzer Zeit im ersten Viertel. Vieles hängt an der Protagonistin Joan, deren Darstellerin Jan White schauspielerisch positiv aus dem Ensemble herausragt (ja, das darf als Kritik an den übrigen Mitwirkenden verstanden werden). Eine Karriere als Aktrice war White allerdings auch nicht beschieden.

Erst „Jack’s Wife“, dann „Hungry Wives“

Gedreht von August bis Oktober 1971, kam das unter dem anfänglichen Titel „Jack’s Wife“ produzierte Werk erst im Mai 1973 unter dem Titel „Hungry Wives“ in die US-Kinos – dort bereits ohne Romeros Zutun auf 89 Minuten heruntergekürzt. Den Titel „Season of the Witch“ erhielt es erst später. Ein raues Romero-Frühwerk, wobei der Regisseur ja bereits mit seinem bahnbrechenden Debüt „Die Nacht der lebenden Toten“ (1968) enormes Talent bewiesen hatte. Vielleicht leidet „Season of the Witch“ daran, dass sich Romero nicht entscheiden mochte, ob er ein Vorstadtdrama oder einen okkulten Thriller drehen will. Als vielen seiner Fans bislang unbekannte Arbeit hat der Film jedenfalls die Aufmerksamkeit verdient, die ihm mit den jüngsten Veröffentlichungen von Arrow Video und capelight pictures zuteilwird.

Das „Crazies“-Mediabook enthält „Season of the Witch“ ebenso wie den Hauptfilm in 4K-Restaurierung, „There’s Always Vanilla“ liegt in 2K-Bearbeitung vor, ganz wie bei Arrow Video. Bild- und Tonqualität genügen folgerichtig hohen Ansprüchen. Das capelight-Mediabook enthält zudem auch das üppige Zusatzmaterial der britischen Veröffentlichung – jeder der drei Filme hat eigene Extras (siehe Auflistung unten). Mit dem Mediabook schließt capelight pictures auf vorbildliche Weise eine klaffende Lücke.

Zur Rezension von „Crazies“ geht’s auch hier. Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von George A. Romero haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet.

Veröffentlichung: 19. März 2021 als 3-Disc Limited Collector’s Edition Mediabook (3 Blu-rays, im Bonusmaterial von „Crazies“)

Länge: 104 Min. (Extended Cut), 90 Min. (Kinofassung)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Hungry Wives
USA 1972
Regie: George A. Romero
Drehbuch: George A. Romero
Besetzung: Jan White, Raymond Laine, Ann Muffly, Joedda McClain, Bill Thunhurst, Neil Fisher, Esther Lapidus, Dan Mallinger, Daryl Montgomery, Ken Peters, Shirlee Strasser, Robert Trow, Jean Wechsler, Charlotte Carter, Lynda Marnoni
Zusatzmaterial zu „Season of the Witch“: Extended Cut (1972, 104 Min.), Audiokommentar von Travis Crawford, „When Romero Met del Toro“ – Ein Gespräch zwischen Guillermo del Toro und George A. Romero (55:39 Min.), „The Secret Life of Jack’s Wife“ – Interview mit Darstellerin Jan White (17:16 Min.), alternative Titelsequenzen, Location-Bildergalerie mit Kommentar von Lawrence DeVincentz, Memorabilia-Bildergalerie, Trailer
Zusatzmaterial zu „There’s Always Vanilla“: „Affair of the Heart“ – Making-of, Audiokommentar von Travis Crawford, Location-Bildergalerie mit Kommentar von Lawrence DeVincentz, Trailer
Zusatzmaterial zum Hauptfilm „Crazies“: Audiokommentar von Lynn Lowry und Thomas Kerpen, Audiokommentar von Travis Crawford, Einleitung von Lynn Lowry, „The Mute Hippie Girl on Acid with Rabies“ – Interview mit Lynn Lowry, alternative Titelsequenz, Q&A mit Lynn Lowry beim Abertoir Horror Festival 2016, deutscher Trailer, US-Trailer, TV-Spots, „Romero Was Here – Locating The Crazies“ – Eine Tour an die Originalschauplätze, „Crazy for Lynn Lowry“ – Interview mit Kultstar Lynn Lowry, Audio-Interview mit Produzent Lee Hessel, Hinter-den-Kulissen-Featurette mit Kommentar von Romero-Experte Lawrence Devincentz, 24-seitiges Booklet mit einem Text von Prof. Dr. Marcus Stiglegger
Label: capelight pictures
Vertrieb: Al!ve AG

Copyright 2021 by Volker Schönenberger

Packshot „Crazies“-Mediabook: © 2021 capelight pictures, Filmplakat: Fair Use

 

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